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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Im Kampf gegen die Übermacht

"Maria."

Er zögerte einen Augenblick. Dann schöpfte er Wasser mit der hohlen Hand
aus dem Taufbecken auf den kleinen, nackten Kopf des Kindes und sagte mit
deutlicher Stimme:

"Karen Steenbnk! Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und
des heiligen Geistes --I"

Thorborgs schönes, bleiches Gesicht war zu ihm erhoben, vergeistigt in ihrem
Glück. . . und sie beugte sich hinab und ging mit den andern zurück. . ,




Anton Just und Herr Foksen sollten im Pfarrhause zu Mittag essen. Und
Thorborg eilte mit Jonina nach Hause, um für die Speisen zu sorgen.

Die beiden Herren kamen, und sie bat, sie möchten sie entschuldigen und Platz
nehmen. Der Pfarrer würde gleich da sein.

Es währte aber lange.

Schließlich hörte sie ihn kommen. Noch ein paar Minuten und sie konnte
die Herren zu Tische bitten.

Aber erst mutzte sie zu ihm hinein und unter vier Augen -- wenn anch in
aller Hast -- ihrer Herzensfreude und ihrem Dank Ausdruck verleihen für das,
was er heute für sie getan, -- für die glückseligen Aussichten in die Zukunft, die
er ihr erschlossen hatte I

Sören Römer saß in seinem Schreibtischstuhl, den Kopf über den Armen
auf dem Tisch.

Sie ging zu ihm heran und legte sich vor ihn auf die Knie nieder.

"Ach, Sören --!"

Er sah auf -- mit einem erloschenen Blick, -- murmelte einige unverständliche
Worte... Er war betrunken.




Niemand sprach es aus.

Aber es verbreitete sich in den schweigsamen Gemütern.

Weiter und weiter, unmerklich, mit jedem Tage. Zusammen mit der Finsternis,
die langsam mit dem herannahenden Herbst und Winter zunahm.

Mit der Finsternis hatte es auch begonnen.

Es hatte an dem schönen, strahlenden Sonntag zu Anfang August begonnen,
als Pastor Römer sein Kind taufte. Es war an den: Tage, an dem die Sonne
zum erstenmal in diesem Sommer um Mitternacht ins Meer versank.

Aus der kurzen Stunde wird noch keine Nacht, denn die Sonne ist nahe und
kehrt bald wieder zurück.

Und doch geht in dieser Stunde ein nächtlicher Seufzer über Meer und Land.
Denn es ist ja doch die mächtige Finsternis, die Fest in Blut und Glanz draußen
am Meeresrande feiert, in der ersten Mitternacht, wenn die Sonne untergehtl

Nicht viele sehen das und denken darüber nach. Namentlich nicht an einem
Sonntagabend, wo niemand mit seinem Boot draußen ist.

Aber in jener Nacht zu Anfang August sah der Küster Jörgen auf Maasvür
die Sonne untergehen. Und er dachte sich das Seine dabei.

Küster Jörgen wohnte in Skindstakviken an der Außenseite der Insel. Er
war noch spät ausgewesen bei Nils in Scmdvaagen, der anch ein Kind hatte
taufen lassen.

Als er auf dem Heimwege über den Berg auf die Höhe hinaufkam, wo das
Meer frei vor ihm lag, war es Mitternacht. Und die Sonne war untergegangen.


Im Kampf gegen die Übermacht

„Maria."

Er zögerte einen Augenblick. Dann schöpfte er Wasser mit der hohlen Hand
aus dem Taufbecken auf den kleinen, nackten Kopf des Kindes und sagte mit
deutlicher Stimme:

„Karen Steenbnk! Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und
des heiligen Geistes —I"

Thorborgs schönes, bleiches Gesicht war zu ihm erhoben, vergeistigt in ihrem
Glück. . . und sie beugte sich hinab und ging mit den andern zurück. . ,




Anton Just und Herr Foksen sollten im Pfarrhause zu Mittag essen. Und
Thorborg eilte mit Jonina nach Hause, um für die Speisen zu sorgen.

Die beiden Herren kamen, und sie bat, sie möchten sie entschuldigen und Platz
nehmen. Der Pfarrer würde gleich da sein.

Es währte aber lange.

Schließlich hörte sie ihn kommen. Noch ein paar Minuten und sie konnte
die Herren zu Tische bitten.

Aber erst mutzte sie zu ihm hinein und unter vier Augen — wenn anch in
aller Hast — ihrer Herzensfreude und ihrem Dank Ausdruck verleihen für das,
was er heute für sie getan, — für die glückseligen Aussichten in die Zukunft, die
er ihr erschlossen hatte I

Sören Römer saß in seinem Schreibtischstuhl, den Kopf über den Armen
auf dem Tisch.

Sie ging zu ihm heran und legte sich vor ihn auf die Knie nieder.

„Ach, Sören —!"

Er sah auf — mit einem erloschenen Blick, — murmelte einige unverständliche
Worte... Er war betrunken.




Niemand sprach es aus.

Aber es verbreitete sich in den schweigsamen Gemütern.

Weiter und weiter, unmerklich, mit jedem Tage. Zusammen mit der Finsternis,
die langsam mit dem herannahenden Herbst und Winter zunahm.

Mit der Finsternis hatte es auch begonnen.

Es hatte an dem schönen, strahlenden Sonntag zu Anfang August begonnen,
als Pastor Römer sein Kind taufte. Es war an den: Tage, an dem die Sonne
zum erstenmal in diesem Sommer um Mitternacht ins Meer versank.

Aus der kurzen Stunde wird noch keine Nacht, denn die Sonne ist nahe und
kehrt bald wieder zurück.

Und doch geht in dieser Stunde ein nächtlicher Seufzer über Meer und Land.
Denn es ist ja doch die mächtige Finsternis, die Fest in Blut und Glanz draußen
am Meeresrande feiert, in der ersten Mitternacht, wenn die Sonne untergehtl

Nicht viele sehen das und denken darüber nach. Namentlich nicht an einem
Sonntagabend, wo niemand mit seinem Boot draußen ist.

Aber in jener Nacht zu Anfang August sah der Küster Jörgen auf Maasvür
die Sonne untergehen. Und er dachte sich das Seine dabei.

Küster Jörgen wohnte in Skindstakviken an der Außenseite der Insel. Er
war noch spät ausgewesen bei Nils in Scmdvaagen, der anch ein Kind hatte
taufen lassen.

Als er auf dem Heimwege über den Berg auf die Höhe hinaufkam, wo das
Meer frei vor ihm lag, war es Mitternacht. Und die Sonne war untergegangen.


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[0281] Im Kampf gegen die Übermacht „Maria." Er zögerte einen Augenblick. Dann schöpfte er Wasser mit der hohlen Hand aus dem Taufbecken auf den kleinen, nackten Kopf des Kindes und sagte mit deutlicher Stimme: „Karen Steenbnk! Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes —I" Thorborgs schönes, bleiches Gesicht war zu ihm erhoben, vergeistigt in ihrem Glück. . . und sie beugte sich hinab und ging mit den andern zurück. . , Anton Just und Herr Foksen sollten im Pfarrhause zu Mittag essen. Und Thorborg eilte mit Jonina nach Hause, um für die Speisen zu sorgen. Die beiden Herren kamen, und sie bat, sie möchten sie entschuldigen und Platz nehmen. Der Pfarrer würde gleich da sein. Es währte aber lange. Schließlich hörte sie ihn kommen. Noch ein paar Minuten und sie konnte die Herren zu Tische bitten. Aber erst mutzte sie zu ihm hinein und unter vier Augen — wenn anch in aller Hast — ihrer Herzensfreude und ihrem Dank Ausdruck verleihen für das, was er heute für sie getan, — für die glückseligen Aussichten in die Zukunft, die er ihr erschlossen hatte I Sören Römer saß in seinem Schreibtischstuhl, den Kopf über den Armen auf dem Tisch. Sie ging zu ihm heran und legte sich vor ihn auf die Knie nieder. „Ach, Sören —!" Er sah auf — mit einem erloschenen Blick, — murmelte einige unverständliche Worte... Er war betrunken. Niemand sprach es aus. Aber es verbreitete sich in den schweigsamen Gemütern. Weiter und weiter, unmerklich, mit jedem Tage. Zusammen mit der Finsternis, die langsam mit dem herannahenden Herbst und Winter zunahm. Mit der Finsternis hatte es auch begonnen. Es hatte an dem schönen, strahlenden Sonntag zu Anfang August begonnen, als Pastor Römer sein Kind taufte. Es war an den: Tage, an dem die Sonne zum erstenmal in diesem Sommer um Mitternacht ins Meer versank. Aus der kurzen Stunde wird noch keine Nacht, denn die Sonne ist nahe und kehrt bald wieder zurück. Und doch geht in dieser Stunde ein nächtlicher Seufzer über Meer und Land. Denn es ist ja doch die mächtige Finsternis, die Fest in Blut und Glanz draußen am Meeresrande feiert, in der ersten Mitternacht, wenn die Sonne untergehtl Nicht viele sehen das und denken darüber nach. Namentlich nicht an einem Sonntagabend, wo niemand mit seinem Boot draußen ist. Aber in jener Nacht zu Anfang August sah der Küster Jörgen auf Maasvür die Sonne untergehen. Und er dachte sich das Seine dabei. Küster Jörgen wohnte in Skindstakviken an der Außenseite der Insel. Er war noch spät ausgewesen bei Nils in Scmdvaagen, der anch ein Kind hatte taufen lassen. Als er auf dem Heimwege über den Berg auf die Höhe hinaufkam, wo das Meer frei vor ihm lag, war es Mitternacht. Und die Sonne war untergegangen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/281>, abgerufen am 26.06.2024.