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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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I 14) m Aampf gegen die Übermacht
Lernt Lie Roman von Mathilde Mann Berechtigte Übersetzung von

Endlich füllte sich die Kirche.

Zu oberst, der Kanzel gerade gegenüber, saß das Foksensche Hans auf seinem
gewohnten Platz. Dichter und dichter füllten sich die Bänke dahinter. Namentlich
war die Frauenseite gedrängt voll, und sie schimmerte wie ein Schneeberg von
allen den weißen Kopfbedeckungen.

Gleich nachdem das Einleitungsgebet gesprochen war, kam die Pfarrcrsfrau.
Und aller Augen folgten ihr den Mittelgang hinauf. Ja, der begonnene Gesang
hielt inne; es sang niemand mehr außer dem Küster.

Sie trug selbst ihr Kind in dem langen, weißen Tnufkleide. Sie war ganz
in Schwarz mit ihrem gewohnten weißen Spitzenkragen über den Schultern, und
über dem schwarzen Haar trug sie eine kleine seidene Mütze. Aufrecht und ruhig
schritt sie dahin; und ihr folgte Jonina in ihrem Sonntagskleid mit zierlichem
weißen Strich am Halse.

Oben im Chor begrüßte sie freundlich die andern Taufgäste und setzte sich
auf das äußerste Ende der Bank da oben, dein Altar und der Kanzel zugewendet,
so daß sie der versammelten Gemeinde und der Foksenschen Familie offen sichtbar war.

Sie war bleich. Aber ihr starkes Profil hob sich ruhig und stolz erhoben
ab. Die dunklen Augen waren unverwandt auf die Kanzel gerichtet, wenn sie
sich nicht über das schlafende Kind beugte.----

Drinnen in der Sakristei ging der Pfarrer rastlos in dem engen Raum auf
und nieder. Er war früh gekommen. Erst als das Einleitungsgebet gesprochen
wurde, vertauschte er seinen Rock mit dem Talar. Seine Hände zitterten, während
er vor dem kleinen Spiegel die Bänder des Kragens knotete. Ja, er zitterte am
ganzen Körper.

Er lehnte sich gegen die Wand, die Hände vor dem Gesicht. Er versuchte
zu beten. Aber er vermochte es nicht. Jetzt waren sie beim letzten Gesangvers,
und er mußte hinein, vor den Altar.

Schnell hob er den Talnr in die Höhe, steckte die Hand in die Tasche und
zog einen Schlüssel heraus. Er beugte sich hinab und öffnete eine kleine Schrank¬
tür in der Wand, fast ganz unten über dein Fußboden. Aus dem Raum: da drinnen
-- ganz hinten -- holte er eine Flasche, nahm den Kork ab, setzte sie an den
Mund und trank ein paar lange Züge.

Schnell schloß er wieder ab und steckte den Schlüssel in die Tasche.

Da sah der Küster zur Tür herein und nickte ihm wie gewöhnlich zu.

Und er ging langsam nach dem Altar.




I 14) m Aampf gegen die Übermacht
Lernt Lie Roman von Mathilde Mann Berechtigte Übersetzung von

Endlich füllte sich die Kirche.

Zu oberst, der Kanzel gerade gegenüber, saß das Foksensche Hans auf seinem
gewohnten Platz. Dichter und dichter füllten sich die Bänke dahinter. Namentlich
war die Frauenseite gedrängt voll, und sie schimmerte wie ein Schneeberg von
allen den weißen Kopfbedeckungen.

Gleich nachdem das Einleitungsgebet gesprochen war, kam die Pfarrcrsfrau.
Und aller Augen folgten ihr den Mittelgang hinauf. Ja, der begonnene Gesang
hielt inne; es sang niemand mehr außer dem Küster.

Sie trug selbst ihr Kind in dem langen, weißen Tnufkleide. Sie war ganz
in Schwarz mit ihrem gewohnten weißen Spitzenkragen über den Schultern, und
über dem schwarzen Haar trug sie eine kleine seidene Mütze. Aufrecht und ruhig
schritt sie dahin; und ihr folgte Jonina in ihrem Sonntagskleid mit zierlichem
weißen Strich am Halse.

Oben im Chor begrüßte sie freundlich die andern Taufgäste und setzte sich
auf das äußerste Ende der Bank da oben, dein Altar und der Kanzel zugewendet,
so daß sie der versammelten Gemeinde und der Foksenschen Familie offen sichtbar war.

Sie war bleich. Aber ihr starkes Profil hob sich ruhig und stolz erhoben
ab. Die dunklen Augen waren unverwandt auf die Kanzel gerichtet, wenn sie
sich nicht über das schlafende Kind beugte.----

Drinnen in der Sakristei ging der Pfarrer rastlos in dem engen Raum auf
und nieder. Er war früh gekommen. Erst als das Einleitungsgebet gesprochen
wurde, vertauschte er seinen Rock mit dem Talar. Seine Hände zitterten, während
er vor dem kleinen Spiegel die Bänder des Kragens knotete. Ja, er zitterte am
ganzen Körper.

Er lehnte sich gegen die Wand, die Hände vor dem Gesicht. Er versuchte
zu beten. Aber er vermochte es nicht. Jetzt waren sie beim letzten Gesangvers,
und er mußte hinein, vor den Altar.

Schnell hob er den Talnr in die Höhe, steckte die Hand in die Tasche und
zog einen Schlüssel heraus. Er beugte sich hinab und öffnete eine kleine Schrank¬
tür in der Wand, fast ganz unten über dein Fußboden. Aus dem Raum: da drinnen
— ganz hinten — holte er eine Flasche, nahm den Kork ab, setzte sie an den
Mund und trank ein paar lange Züge.

Schnell schloß er wieder ab und steckte den Schlüssel in die Tasche.

Da sah der Küster zur Tür herein und nickte ihm wie gewöhnlich zu.

Und er ging langsam nach dem Altar.


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[0279] [Abbildung] I 14) m Aampf gegen die Übermacht Lernt Lie Roman von Mathilde Mann Berechtigte Übersetzung von Endlich füllte sich die Kirche. Zu oberst, der Kanzel gerade gegenüber, saß das Foksensche Hans auf seinem gewohnten Platz. Dichter und dichter füllten sich die Bänke dahinter. Namentlich war die Frauenseite gedrängt voll, und sie schimmerte wie ein Schneeberg von allen den weißen Kopfbedeckungen. Gleich nachdem das Einleitungsgebet gesprochen war, kam die Pfarrcrsfrau. Und aller Augen folgten ihr den Mittelgang hinauf. Ja, der begonnene Gesang hielt inne; es sang niemand mehr außer dem Küster. Sie trug selbst ihr Kind in dem langen, weißen Tnufkleide. Sie war ganz in Schwarz mit ihrem gewohnten weißen Spitzenkragen über den Schultern, und über dem schwarzen Haar trug sie eine kleine seidene Mütze. Aufrecht und ruhig schritt sie dahin; und ihr folgte Jonina in ihrem Sonntagskleid mit zierlichem weißen Strich am Halse. Oben im Chor begrüßte sie freundlich die andern Taufgäste und setzte sich auf das äußerste Ende der Bank da oben, dein Altar und der Kanzel zugewendet, so daß sie der versammelten Gemeinde und der Foksenschen Familie offen sichtbar war. Sie war bleich. Aber ihr starkes Profil hob sich ruhig und stolz erhoben ab. Die dunklen Augen waren unverwandt auf die Kanzel gerichtet, wenn sie sich nicht über das schlafende Kind beugte.---- Drinnen in der Sakristei ging der Pfarrer rastlos in dem engen Raum auf und nieder. Er war früh gekommen. Erst als das Einleitungsgebet gesprochen wurde, vertauschte er seinen Rock mit dem Talar. Seine Hände zitterten, während er vor dem kleinen Spiegel die Bänder des Kragens knotete. Ja, er zitterte am ganzen Körper. Er lehnte sich gegen die Wand, die Hände vor dem Gesicht. Er versuchte zu beten. Aber er vermochte es nicht. Jetzt waren sie beim letzten Gesangvers, und er mußte hinein, vor den Altar. Schnell hob er den Talnr in die Höhe, steckte die Hand in die Tasche und zog einen Schlüssel heraus. Er beugte sich hinab und öffnete eine kleine Schrank¬ tür in der Wand, fast ganz unten über dein Fußboden. Aus dem Raum: da drinnen — ganz hinten — holte er eine Flasche, nahm den Kork ab, setzte sie an den Mund und trank ein paar lange Züge. Schnell schloß er wieder ab und steckte den Schlüssel in die Tasche. Da sah der Küster zur Tür herein und nickte ihm wie gewöhnlich zu. Und er ging langsam nach dem Altar.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/279>, abgerufen am 26.06.2024.