Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die deutsche Theologie und die "Thristusmythe"

Begründer deS Kirchentums. Wir stimmen dem anerkennenden Urteil Böthlingks zu,
glauben aber allerdings, daß diese Gedanken in der Verkündigung Jesu wurzeln
und daß dieser Paulus nicht denkbar ist, ohne daß Jesus gelebt hat. Die
"Christusidee" hatte Paulus von Jugend auf. Aber nicht sie machte ihn zum
Apostel, sondern die Verwirklichung dieser Idee durch den Gekreuzigten und die
damit gegebene gründliche Umwälzung der "Christusidee". Das meint schließlich
auch Böthlingk. "Zum Christus, damit zum Heiland und Erlöser, ist er (Jesus) in
der Vorstellung der Gläubigen jedenfalls nur dadurch geworden, daß er als
Opferlamm unser aller Sünden auf sich genommen und getilgt hat. Der Glaube
an diese Erlösungstat des Gekreuzigten und nicht seine Persönlichkeit als solche
ist Grund und Eckstein des ursprünglichen Christentums" -- gut; aber die
Erlösungstat muß doch von einer Persönlichkeit vollbracht werden; und wer
gekreuzigt wird, muß vorher gelebt haben. Ist Paulus der Mann, wie Böthlingk
ihn schildert, dann ist er von einer anderen Christusidee beseelt, als von der der
"Christusmythe". Zum Apostel wurde er durch die Christusidee, die der
gekreuzigte Jesus von Nazareth in seiner Persönlichkeit verwirklicht hat. Die
Idee des "mythischen Christus" war längst da; aber sie hatte keine ethische,
erlösende Kraft. Sie mußte sich total umwandeln. Diese Umwandlung ist die
Tat Jesu von Nazareth. Und die Gleichsetzung des "Christus" mit dem
gekreuzigten Jesus ist die Tat des Paulus. Und wenn die Christenheit ein
Lebensinteresse hat an der Überzeugung, daß Jesus lebte, so besteht es darin,
daß sie von einer anderen erlösenden Christusidee nichts wissen will, als von
der, wie sie in der Person des im Dienste Gottes lebenden, kämpfenden,
sterbenden Jesus Gestalt gewonnen hat. Die naturalistische muthische Christus¬
idee mit den: Komplement einer Säkramentsreligion würde das Christentum
von der "Hoheit und sittlichen Kultur, wie es in den Evangelien schimmert
und leuchtet", herabziehen.

Das will Böthlingk nicht; auch Drews wird's nicht wollen. Beide wollen
keine Verflachung, sondern eine Vertiefung des Christentums. Sie denken sich
diese nur erreichbar durch eine völlige Loslösung von der Tradition, insbesondere
durch eine völlige Trennung von Jesus und Christus, während wir "traditio¬
nellen" Christen gerade auf die Zusammengehörigkeit "Jesus Christus" Wert
legen. Mögen sie darüber anders denken, -- eines ist jedenfalls unbegreiflich,
daß sie uümlich meinen, durch ihre Methode der Propaganda dienen sie einer
Vertiefung des Christentums. Man kämpft doch nicht für eine Vertiefung der
Religion durch die Gemeinschaft mit den Gegnern aller Religion! "Es ist
doch zum mindesten sehr eigentümlich," so heißt es mit Recht in der Erklärung
des Bremer Protestantenvereins, "daß sich mit einem Male im Monistenbund
die heftigsten Gegner, Idealisten und Materialisten friedlich die Hände reichen
und unter sich die Streitaxt vergraben, bis sie den Dritten überwunden haben,
den gemeinsamen Feind: das Christentum. . . . Nicht das historische Interesse,
sondern der religiöse Wille oder vielmehr Widerwille gegen das Christentum


Grenzboicu II 1910 84
Die deutsche Theologie und die „Thristusmythe"

Begründer deS Kirchentums. Wir stimmen dem anerkennenden Urteil Böthlingks zu,
glauben aber allerdings, daß diese Gedanken in der Verkündigung Jesu wurzeln
und daß dieser Paulus nicht denkbar ist, ohne daß Jesus gelebt hat. Die
„Christusidee" hatte Paulus von Jugend auf. Aber nicht sie machte ihn zum
Apostel, sondern die Verwirklichung dieser Idee durch den Gekreuzigten und die
damit gegebene gründliche Umwälzung der „Christusidee". Das meint schließlich
auch Böthlingk. „Zum Christus, damit zum Heiland und Erlöser, ist er (Jesus) in
der Vorstellung der Gläubigen jedenfalls nur dadurch geworden, daß er als
Opferlamm unser aller Sünden auf sich genommen und getilgt hat. Der Glaube
an diese Erlösungstat des Gekreuzigten und nicht seine Persönlichkeit als solche
ist Grund und Eckstein des ursprünglichen Christentums" — gut; aber die
Erlösungstat muß doch von einer Persönlichkeit vollbracht werden; und wer
gekreuzigt wird, muß vorher gelebt haben. Ist Paulus der Mann, wie Böthlingk
ihn schildert, dann ist er von einer anderen Christusidee beseelt, als von der der
„Christusmythe". Zum Apostel wurde er durch die Christusidee, die der
gekreuzigte Jesus von Nazareth in seiner Persönlichkeit verwirklicht hat. Die
Idee des „mythischen Christus" war längst da; aber sie hatte keine ethische,
erlösende Kraft. Sie mußte sich total umwandeln. Diese Umwandlung ist die
Tat Jesu von Nazareth. Und die Gleichsetzung des „Christus" mit dem
gekreuzigten Jesus ist die Tat des Paulus. Und wenn die Christenheit ein
Lebensinteresse hat an der Überzeugung, daß Jesus lebte, so besteht es darin,
daß sie von einer anderen erlösenden Christusidee nichts wissen will, als von
der, wie sie in der Person des im Dienste Gottes lebenden, kämpfenden,
sterbenden Jesus Gestalt gewonnen hat. Die naturalistische muthische Christus¬
idee mit den: Komplement einer Säkramentsreligion würde das Christentum
von der „Hoheit und sittlichen Kultur, wie es in den Evangelien schimmert
und leuchtet", herabziehen.

Das will Böthlingk nicht; auch Drews wird's nicht wollen. Beide wollen
keine Verflachung, sondern eine Vertiefung des Christentums. Sie denken sich
diese nur erreichbar durch eine völlige Loslösung von der Tradition, insbesondere
durch eine völlige Trennung von Jesus und Christus, während wir „traditio¬
nellen" Christen gerade auf die Zusammengehörigkeit „Jesus Christus" Wert
legen. Mögen sie darüber anders denken, — eines ist jedenfalls unbegreiflich,
daß sie uümlich meinen, durch ihre Methode der Propaganda dienen sie einer
Vertiefung des Christentums. Man kämpft doch nicht für eine Vertiefung der
Religion durch die Gemeinschaft mit den Gegnern aller Religion! „Es ist
doch zum mindesten sehr eigentümlich," so heißt es mit Recht in der Erklärung
des Bremer Protestantenvereins, „daß sich mit einem Male im Monistenbund
die heftigsten Gegner, Idealisten und Materialisten friedlich die Hände reichen
und unter sich die Streitaxt vergraben, bis sie den Dritten überwunden haben,
den gemeinsamen Feind: das Christentum. . . . Nicht das historische Interesse,
sondern der religiöse Wille oder vielmehr Widerwille gegen das Christentum


Grenzboicu II 1910 84
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0277" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315916"/>
          <fw type="header" place="top"> Die deutsche Theologie und die &#x201E;Thristusmythe"</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1471" prev="#ID_1470"> Begründer deS Kirchentums. Wir stimmen dem anerkennenden Urteil Böthlingks zu,<lb/>
glauben aber allerdings, daß diese Gedanken in der Verkündigung Jesu wurzeln<lb/>
und daß dieser Paulus nicht denkbar ist, ohne daß Jesus gelebt hat. Die<lb/>
&#x201E;Christusidee" hatte Paulus von Jugend auf. Aber nicht sie machte ihn zum<lb/>
Apostel, sondern die Verwirklichung dieser Idee durch den Gekreuzigten und die<lb/>
damit gegebene gründliche Umwälzung der &#x201E;Christusidee". Das meint schließlich<lb/>
auch Böthlingk. &#x201E;Zum Christus, damit zum Heiland und Erlöser, ist er (Jesus) in<lb/>
der Vorstellung der Gläubigen jedenfalls nur dadurch geworden, daß er als<lb/>
Opferlamm unser aller Sünden auf sich genommen und getilgt hat. Der Glaube<lb/>
an diese Erlösungstat des Gekreuzigten und nicht seine Persönlichkeit als solche<lb/>
ist Grund und Eckstein des ursprünglichen Christentums" &#x2014; gut; aber die<lb/>
Erlösungstat muß doch von einer Persönlichkeit vollbracht werden; und wer<lb/>
gekreuzigt wird, muß vorher gelebt haben. Ist Paulus der Mann, wie Böthlingk<lb/>
ihn schildert, dann ist er von einer anderen Christusidee beseelt, als von der der<lb/>
&#x201E;Christusmythe". Zum Apostel wurde er durch die Christusidee, die der<lb/>
gekreuzigte Jesus von Nazareth in seiner Persönlichkeit verwirklicht hat. Die<lb/>
Idee des &#x201E;mythischen Christus" war längst da; aber sie hatte keine ethische,<lb/>
erlösende Kraft. Sie mußte sich total umwandeln. Diese Umwandlung ist die<lb/>
Tat Jesu von Nazareth. Und die Gleichsetzung des &#x201E;Christus" mit dem<lb/>
gekreuzigten Jesus ist die Tat des Paulus. Und wenn die Christenheit ein<lb/>
Lebensinteresse hat an der Überzeugung, daß Jesus lebte, so besteht es darin,<lb/>
daß sie von einer anderen erlösenden Christusidee nichts wissen will, als von<lb/>
der, wie sie in der Person des im Dienste Gottes lebenden, kämpfenden,<lb/>
sterbenden Jesus Gestalt gewonnen hat. Die naturalistische muthische Christus¬<lb/>
idee mit den: Komplement einer Säkramentsreligion würde das Christentum<lb/>
von der &#x201E;Hoheit und sittlichen Kultur, wie es in den Evangelien schimmert<lb/>
und leuchtet", herabziehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1472" next="#ID_1473"> Das will Böthlingk nicht; auch Drews wird's nicht wollen. Beide wollen<lb/>
keine Verflachung, sondern eine Vertiefung des Christentums. Sie denken sich<lb/>
diese nur erreichbar durch eine völlige Loslösung von der Tradition, insbesondere<lb/>
durch eine völlige Trennung von Jesus und Christus, während wir &#x201E;traditio¬<lb/>
nellen" Christen gerade auf die Zusammengehörigkeit &#x201E;Jesus Christus" Wert<lb/>
legen. Mögen sie darüber anders denken, &#x2014; eines ist jedenfalls unbegreiflich,<lb/>
daß sie uümlich meinen, durch ihre Methode der Propaganda dienen sie einer<lb/>
Vertiefung des Christentums. Man kämpft doch nicht für eine Vertiefung der<lb/>
Religion durch die Gemeinschaft mit den Gegnern aller Religion! &#x201E;Es ist<lb/>
doch zum mindesten sehr eigentümlich," so heißt es mit Recht in der Erklärung<lb/>
des Bremer Protestantenvereins, &#x201E;daß sich mit einem Male im Monistenbund<lb/>
die heftigsten Gegner, Idealisten und Materialisten friedlich die Hände reichen<lb/>
und unter sich die Streitaxt vergraben, bis sie den Dritten überwunden haben,<lb/>
den gemeinsamen Feind: das Christentum. . . . Nicht das historische Interesse,<lb/>
sondern der religiöse Wille oder vielmehr Widerwille gegen das Christentum</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboicu II 1910 84</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0277] Die deutsche Theologie und die „Thristusmythe" Begründer deS Kirchentums. Wir stimmen dem anerkennenden Urteil Böthlingks zu, glauben aber allerdings, daß diese Gedanken in der Verkündigung Jesu wurzeln und daß dieser Paulus nicht denkbar ist, ohne daß Jesus gelebt hat. Die „Christusidee" hatte Paulus von Jugend auf. Aber nicht sie machte ihn zum Apostel, sondern die Verwirklichung dieser Idee durch den Gekreuzigten und die damit gegebene gründliche Umwälzung der „Christusidee". Das meint schließlich auch Böthlingk. „Zum Christus, damit zum Heiland und Erlöser, ist er (Jesus) in der Vorstellung der Gläubigen jedenfalls nur dadurch geworden, daß er als Opferlamm unser aller Sünden auf sich genommen und getilgt hat. Der Glaube an diese Erlösungstat des Gekreuzigten und nicht seine Persönlichkeit als solche ist Grund und Eckstein des ursprünglichen Christentums" — gut; aber die Erlösungstat muß doch von einer Persönlichkeit vollbracht werden; und wer gekreuzigt wird, muß vorher gelebt haben. Ist Paulus der Mann, wie Böthlingk ihn schildert, dann ist er von einer anderen Christusidee beseelt, als von der der „Christusmythe". Zum Apostel wurde er durch die Christusidee, die der gekreuzigte Jesus von Nazareth in seiner Persönlichkeit verwirklicht hat. Die Idee des „mythischen Christus" war längst da; aber sie hatte keine ethische, erlösende Kraft. Sie mußte sich total umwandeln. Diese Umwandlung ist die Tat Jesu von Nazareth. Und die Gleichsetzung des „Christus" mit dem gekreuzigten Jesus ist die Tat des Paulus. Und wenn die Christenheit ein Lebensinteresse hat an der Überzeugung, daß Jesus lebte, so besteht es darin, daß sie von einer anderen erlösenden Christusidee nichts wissen will, als von der, wie sie in der Person des im Dienste Gottes lebenden, kämpfenden, sterbenden Jesus Gestalt gewonnen hat. Die naturalistische muthische Christus¬ idee mit den: Komplement einer Säkramentsreligion würde das Christentum von der „Hoheit und sittlichen Kultur, wie es in den Evangelien schimmert und leuchtet", herabziehen. Das will Böthlingk nicht; auch Drews wird's nicht wollen. Beide wollen keine Verflachung, sondern eine Vertiefung des Christentums. Sie denken sich diese nur erreichbar durch eine völlige Loslösung von der Tradition, insbesondere durch eine völlige Trennung von Jesus und Christus, während wir „traditio¬ nellen" Christen gerade auf die Zusammengehörigkeit „Jesus Christus" Wert legen. Mögen sie darüber anders denken, — eines ist jedenfalls unbegreiflich, daß sie uümlich meinen, durch ihre Methode der Propaganda dienen sie einer Vertiefung des Christentums. Man kämpft doch nicht für eine Vertiefung der Religion durch die Gemeinschaft mit den Gegnern aller Religion! „Es ist doch zum mindesten sehr eigentümlich," so heißt es mit Recht in der Erklärung des Bremer Protestantenvereins, „daß sich mit einem Male im Monistenbund die heftigsten Gegner, Idealisten und Materialisten friedlich die Hände reichen und unter sich die Streitaxt vergraben, bis sie den Dritten überwunden haben, den gemeinsamen Feind: das Christentum. . . . Nicht das historische Interesse, sondern der religiöse Wille oder vielmehr Widerwille gegen das Christentum Grenzboicu II 1910 84

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/277
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/277>, abgerufen am 26.06.2024.