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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Das Aastensystem Indiens, sein Mosen und semo Bekänipfung

Töchtern Ehen mit den Unterworfenen nicht gestatteten. Wie streng gerade in
Indien diese Gesetze der "Endogmnie" von den arischen Eroberern beachtet
worden sind, erhellt daraus, daß noch jetzt die Bevölkerung von Kaschmir,
Nadschputcma und vom Pandschab keine Spur der Vermischung mit den farbigen
Drawidas erkennen läßt. Unvorschristsmäßige Verbindungen ließen sich indessen
natürlich nicht immer und namentlich dann nicht vermeiden, wenn es den
Eroberern selbst an Frauen fehlte; die aus solchen Ehen hervorgegangenen
Mischlinge stellten wieder eine besondere Volksschicht dar, die sich ihrer Rechts¬
stellung und ihren Sitten nach von den beiden anderen Gruppen wesentlich
unterschied. Sie ist nach Risico das Prototyp der Kaste, und ein noch heute
rein erhaltenes Vorbild einer solchen Kreuzungskaste stellen z. B. die Khas dar,
die Nachkommen eingewanderter Radschputs und mongolischer Frauen. Je mehr
die Zivilisation des Landes fortschritt, desto mehr machten sich natürlich die
Unterschiede der beruflichen Tätigkeit als trennendes Element innerhalb der drei
so geschaffenen Volksschichten geltend, eine Zersetzung und Gliederung, die aber
nach dem Zeugnis der Paliliteratur wiederum durchaus uicht nach den Normen
der indischen Theorie der Vierteilung erfolgte. Diese uralten Texte kennen
vielmehr bereits eine viel weitgehendere, anders geordnete und dabei weniger
exklusive Kastenordnung. Die oberste Kaste bildeten damals die Khattija, die
Minister, dann kamen die Amakki, die königlichen Beamten, dann erst die
Brahmanen, und unter diesen bildete wiederum der Stand der Asketen eine
abgeschlossene Gruppe für sich. Wann das Kastenwesen durch religiöse Reformatoren
nach dogmatischen Gesichtspunkten umgebildet wurde, läßt sich aus der Geschichte
nicht Kar erkennen. Die ursprüngliche reine Brahmälehre stand jedenfalls dem
Kastengeist fremd gegenüber, und der Buddhismus mit seiner esoterischen Welt¬
anschauung hatte erst recht weder den Ehrgeiz noch ein Interesse daran, die
Volksmassen durch hierarchischen Gesellschaftszwang sich gefügig zu machen.
Anders dachten die Brahmanen der nachklassischen Zeit. Ihre Metaphysik durch¬
dringt das Salz einer zwar ideal angelegten, dabei aber doch sehr realistische
Zwecke verfolgenden Philosophie. Sie benützten die Religion, um dem Kasten¬
wesen eine übernatürliche Begründung zu geben und um ihrer selbstsüchtigen
Interessen willen die Schranken zwischen den Berufen künstlich zu erhöhe". Sie
erklärten die Überordnung des erbweisheitvollen Priestertums selbst über die
Könige und Krieger als eine dem Geist dargebrachte Huldigung und als zu¬
verlässiges Mittel, Indien die führende Stellung in der Kultur der ganzen
Welt zu sichern. Sie stellten das dürftige Leben der Massen als gottgewollte
Vorbestimmuug hin und fanden für diese Lehre der Entsagung in der mitleids¬
vollen, träumerischen, weichen Gemütsart des Volks einen höchst fruchtbaren
Boden. Die indische Orthodoxie gab so dem Kastenwesen erst seinen tieferen
seelischen Inhalt, seine ethische Folie, aber auch seine unerbitterliche Härte
und Engherzigkeit: jetzt erst wurde den Angehörigen einer Kaste verboten,
mit Gliedern eines anderen Verbandes gemeinsam zu Tisch zu sitzen,


Das Aastensystem Indiens, sein Mosen und semo Bekänipfung

Töchtern Ehen mit den Unterworfenen nicht gestatteten. Wie streng gerade in
Indien diese Gesetze der „Endogmnie" von den arischen Eroberern beachtet
worden sind, erhellt daraus, daß noch jetzt die Bevölkerung von Kaschmir,
Nadschputcma und vom Pandschab keine Spur der Vermischung mit den farbigen
Drawidas erkennen läßt. Unvorschristsmäßige Verbindungen ließen sich indessen
natürlich nicht immer und namentlich dann nicht vermeiden, wenn es den
Eroberern selbst an Frauen fehlte; die aus solchen Ehen hervorgegangenen
Mischlinge stellten wieder eine besondere Volksschicht dar, die sich ihrer Rechts¬
stellung und ihren Sitten nach von den beiden anderen Gruppen wesentlich
unterschied. Sie ist nach Risico das Prototyp der Kaste, und ein noch heute
rein erhaltenes Vorbild einer solchen Kreuzungskaste stellen z. B. die Khas dar,
die Nachkommen eingewanderter Radschputs und mongolischer Frauen. Je mehr
die Zivilisation des Landes fortschritt, desto mehr machten sich natürlich die
Unterschiede der beruflichen Tätigkeit als trennendes Element innerhalb der drei
so geschaffenen Volksschichten geltend, eine Zersetzung und Gliederung, die aber
nach dem Zeugnis der Paliliteratur wiederum durchaus uicht nach den Normen
der indischen Theorie der Vierteilung erfolgte. Diese uralten Texte kennen
vielmehr bereits eine viel weitgehendere, anders geordnete und dabei weniger
exklusive Kastenordnung. Die oberste Kaste bildeten damals die Khattija, die
Minister, dann kamen die Amakki, die königlichen Beamten, dann erst die
Brahmanen, und unter diesen bildete wiederum der Stand der Asketen eine
abgeschlossene Gruppe für sich. Wann das Kastenwesen durch religiöse Reformatoren
nach dogmatischen Gesichtspunkten umgebildet wurde, läßt sich aus der Geschichte
nicht Kar erkennen. Die ursprüngliche reine Brahmälehre stand jedenfalls dem
Kastengeist fremd gegenüber, und der Buddhismus mit seiner esoterischen Welt¬
anschauung hatte erst recht weder den Ehrgeiz noch ein Interesse daran, die
Volksmassen durch hierarchischen Gesellschaftszwang sich gefügig zu machen.
Anders dachten die Brahmanen der nachklassischen Zeit. Ihre Metaphysik durch¬
dringt das Salz einer zwar ideal angelegten, dabei aber doch sehr realistische
Zwecke verfolgenden Philosophie. Sie benützten die Religion, um dem Kasten¬
wesen eine übernatürliche Begründung zu geben und um ihrer selbstsüchtigen
Interessen willen die Schranken zwischen den Berufen künstlich zu erhöhe«. Sie
erklärten die Überordnung des erbweisheitvollen Priestertums selbst über die
Könige und Krieger als eine dem Geist dargebrachte Huldigung und als zu¬
verlässiges Mittel, Indien die führende Stellung in der Kultur der ganzen
Welt zu sichern. Sie stellten das dürftige Leben der Massen als gottgewollte
Vorbestimmuug hin und fanden für diese Lehre der Entsagung in der mitleids¬
vollen, träumerischen, weichen Gemütsart des Volks einen höchst fruchtbaren
Boden. Die indische Orthodoxie gab so dem Kastenwesen erst seinen tieferen
seelischen Inhalt, seine ethische Folie, aber auch seine unerbitterliche Härte
und Engherzigkeit: jetzt erst wurde den Angehörigen einer Kaste verboten,
mit Gliedern eines anderen Verbandes gemeinsam zu Tisch zu sitzen,


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[0270] Das Aastensystem Indiens, sein Mosen und semo Bekänipfung Töchtern Ehen mit den Unterworfenen nicht gestatteten. Wie streng gerade in Indien diese Gesetze der „Endogmnie" von den arischen Eroberern beachtet worden sind, erhellt daraus, daß noch jetzt die Bevölkerung von Kaschmir, Nadschputcma und vom Pandschab keine Spur der Vermischung mit den farbigen Drawidas erkennen läßt. Unvorschristsmäßige Verbindungen ließen sich indessen natürlich nicht immer und namentlich dann nicht vermeiden, wenn es den Eroberern selbst an Frauen fehlte; die aus solchen Ehen hervorgegangenen Mischlinge stellten wieder eine besondere Volksschicht dar, die sich ihrer Rechts¬ stellung und ihren Sitten nach von den beiden anderen Gruppen wesentlich unterschied. Sie ist nach Risico das Prototyp der Kaste, und ein noch heute rein erhaltenes Vorbild einer solchen Kreuzungskaste stellen z. B. die Khas dar, die Nachkommen eingewanderter Radschputs und mongolischer Frauen. Je mehr die Zivilisation des Landes fortschritt, desto mehr machten sich natürlich die Unterschiede der beruflichen Tätigkeit als trennendes Element innerhalb der drei so geschaffenen Volksschichten geltend, eine Zersetzung und Gliederung, die aber nach dem Zeugnis der Paliliteratur wiederum durchaus uicht nach den Normen der indischen Theorie der Vierteilung erfolgte. Diese uralten Texte kennen vielmehr bereits eine viel weitgehendere, anders geordnete und dabei weniger exklusive Kastenordnung. Die oberste Kaste bildeten damals die Khattija, die Minister, dann kamen die Amakki, die königlichen Beamten, dann erst die Brahmanen, und unter diesen bildete wiederum der Stand der Asketen eine abgeschlossene Gruppe für sich. Wann das Kastenwesen durch religiöse Reformatoren nach dogmatischen Gesichtspunkten umgebildet wurde, läßt sich aus der Geschichte nicht Kar erkennen. Die ursprüngliche reine Brahmälehre stand jedenfalls dem Kastengeist fremd gegenüber, und der Buddhismus mit seiner esoterischen Welt¬ anschauung hatte erst recht weder den Ehrgeiz noch ein Interesse daran, die Volksmassen durch hierarchischen Gesellschaftszwang sich gefügig zu machen. Anders dachten die Brahmanen der nachklassischen Zeit. Ihre Metaphysik durch¬ dringt das Salz einer zwar ideal angelegten, dabei aber doch sehr realistische Zwecke verfolgenden Philosophie. Sie benützten die Religion, um dem Kasten¬ wesen eine übernatürliche Begründung zu geben und um ihrer selbstsüchtigen Interessen willen die Schranken zwischen den Berufen künstlich zu erhöhe«. Sie erklärten die Überordnung des erbweisheitvollen Priestertums selbst über die Könige und Krieger als eine dem Geist dargebrachte Huldigung und als zu¬ verlässiges Mittel, Indien die führende Stellung in der Kultur der ganzen Welt zu sichern. Sie stellten das dürftige Leben der Massen als gottgewollte Vorbestimmuug hin und fanden für diese Lehre der Entsagung in der mitleids¬ vollen, träumerischen, weichen Gemütsart des Volks einen höchst fruchtbaren Boden. Die indische Orthodoxie gab so dem Kastenwesen erst seinen tieferen seelischen Inhalt, seine ethische Folie, aber auch seine unerbitterliche Härte und Engherzigkeit: jetzt erst wurde den Angehörigen einer Kaste verboten, mit Gliedern eines anderen Verbandes gemeinsam zu Tisch zu sitzen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/270>, abgerufen am 26.06.2024.