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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Fideikommisse

Statistik durchführbar wäre und lohnend und vielleicht sogar überraschend und
schlagend für die Gegner des befestigten Besitzes. Für meine Heimat, für den
schönen Teil unseres Vaterlandes, den ich am besten überblicken kann, habe ich
Zweifel. Die Fideikommisse sind bei uns jung, selten über anderthalb Jahr¬
hunderte, die gemeinnützigen Einrichtungen meist viel älter, überwiegend viel¬
leicht geboren aus dem grauenvollen Elend, das die Religionskriege und ihre
Nachfolger bei uns hinterlassen hatten. Zeiten der Not erwecken die Gebete
der Menschen, aber sie erwecken auch mildtätige Herzen zur Hilfe. Keine Zelt
der letzten Jahrhunderte hat bei uns auf dem Lande so freigebig gestiftet une
die des endenden siebzehnten Jahrhunderts, niemals sonst hat der Großgruudbesttz
seine Hand so reich geöffnet zu milden Einrichtungen für das platte Land,
niemals sich so vor aller Welt als ein Organ der ^U8kleia äistnbutiva aus¬
gewiesen.

Soll ich Ihnen sagen, woran ich vor allem denke? Sie wissen, daß
geographisch die Volksschule des platten Landes noch bis um 1800 auf deu
Kirchspielen beruhte, und Sie wissen, welche Fülle von Dörfern und Gütern ber
uns ein einziges Kirchspiel zusammenfassen kann. Die Konfirmandenwege von
heute, die mit Recht so gefürchteten, waren einst die Schulwege der Kinder.
Welche Märsche oder welch lückenhafter Schulbesuch! Zahllos siud es damals,
als die nordische Welt wieder zu friedlichem Atem kam, zahllos sind es damals
die Gutsherren gewesen, die jeder auf seinem Gebiete elementare Schulen
errichteten, oft mehrere auf einem Gute, eine soziale Tat ersten Ranges und
das im "dunkelsten Mittelalter", in der Zeit vor 1790 und 1848, bis dies
dichte Netz eines Tages ohne ein Wort des Dankes der allmächtige Staat wie
ein Geschenk aus ihren Händen vergnügt entgegennahm. Wer denkt noch heute
an die längstverjährten Opfer, die ein prüfideikommifsarischer Grundbesitz hundert
oder zweihundert Jahre freiwillig für die Schulbildung seiner Hintersassen
gebracht hat; und mit den Armenstiftungen geht es noch schlimmer. Einst eine
vielgerühmte Wohltat für die Bedürftigen und Umhergestoßenen, finden sie heute
keine Beachtung mehr vor den anspruchsvollen Augen einer hochgespannter
Sozialpolitik und den veränderten Anschauungen über den Inhalt der Armen¬
pflege. Sie waren ein sozialer Segen, aber die Gegenwart hat ihn überholt
und politische Gegner überzeugen könnte eine Statistik nicht mehr, die sie in
die Bilanz der gemeinnützigen Leistungen des Großgrundbesitzes aufnähme trotz
aller Opfer, die für sie gebracht sind.

Was wir heute leisten, ist nur ausnahmsweise an die Formell einer Ein¬
richtung, einer Stiftung gebunden, schon die innere Verfassung unserer
abgeschlossenen Gebiete begünstigt die freie, fürchten wir das Wort acht. dre
pattiarchalische Form des Wirkens, und die Erfahrungen, die wir und den
festen Formen gemacht haben, ich meine mit der Versuchung für den Staat,
sie zu reglementieren und zu bevormunden, sie zu erfrieren und zu veröden,
haben uns mißtrauisch gemacht gegen rechtliche Bande, die uns nur noch Last


Fideikommisse

Statistik durchführbar wäre und lohnend und vielleicht sogar überraschend und
schlagend für die Gegner des befestigten Besitzes. Für meine Heimat, für den
schönen Teil unseres Vaterlandes, den ich am besten überblicken kann, habe ich
Zweifel. Die Fideikommisse sind bei uns jung, selten über anderthalb Jahr¬
hunderte, die gemeinnützigen Einrichtungen meist viel älter, überwiegend viel¬
leicht geboren aus dem grauenvollen Elend, das die Religionskriege und ihre
Nachfolger bei uns hinterlassen hatten. Zeiten der Not erwecken die Gebete
der Menschen, aber sie erwecken auch mildtätige Herzen zur Hilfe. Keine Zelt
der letzten Jahrhunderte hat bei uns auf dem Lande so freigebig gestiftet une
die des endenden siebzehnten Jahrhunderts, niemals sonst hat der Großgruudbesttz
seine Hand so reich geöffnet zu milden Einrichtungen für das platte Land,
niemals sich so vor aller Welt als ein Organ der ^U8kleia äistnbutiva aus¬
gewiesen.

Soll ich Ihnen sagen, woran ich vor allem denke? Sie wissen, daß
geographisch die Volksschule des platten Landes noch bis um 1800 auf deu
Kirchspielen beruhte, und Sie wissen, welche Fülle von Dörfern und Gütern ber
uns ein einziges Kirchspiel zusammenfassen kann. Die Konfirmandenwege von
heute, die mit Recht so gefürchteten, waren einst die Schulwege der Kinder.
Welche Märsche oder welch lückenhafter Schulbesuch! Zahllos siud es damals,
als die nordische Welt wieder zu friedlichem Atem kam, zahllos sind es damals
die Gutsherren gewesen, die jeder auf seinem Gebiete elementare Schulen
errichteten, oft mehrere auf einem Gute, eine soziale Tat ersten Ranges und
das im „dunkelsten Mittelalter", in der Zeit vor 1790 und 1848, bis dies
dichte Netz eines Tages ohne ein Wort des Dankes der allmächtige Staat wie
ein Geschenk aus ihren Händen vergnügt entgegennahm. Wer denkt noch heute
an die längstverjährten Opfer, die ein prüfideikommifsarischer Grundbesitz hundert
oder zweihundert Jahre freiwillig für die Schulbildung seiner Hintersassen
gebracht hat; und mit den Armenstiftungen geht es noch schlimmer. Einst eine
vielgerühmte Wohltat für die Bedürftigen und Umhergestoßenen, finden sie heute
keine Beachtung mehr vor den anspruchsvollen Augen einer hochgespannter
Sozialpolitik und den veränderten Anschauungen über den Inhalt der Armen¬
pflege. Sie waren ein sozialer Segen, aber die Gegenwart hat ihn überholt
und politische Gegner überzeugen könnte eine Statistik nicht mehr, die sie in
die Bilanz der gemeinnützigen Leistungen des Großgrundbesitzes aufnähme trotz
aller Opfer, die für sie gebracht sind.

Was wir heute leisten, ist nur ausnahmsweise an die Formell einer Ein¬
richtung, einer Stiftung gebunden, schon die innere Verfassung unserer
abgeschlossenen Gebiete begünstigt die freie, fürchten wir das Wort acht. dre
pattiarchalische Form des Wirkens, und die Erfahrungen, die wir und den
festen Formen gemacht haben, ich meine mit der Versuchung für den Staat,
sie zu reglementieren und zu bevormunden, sie zu erfrieren und zu veröden,
haben uns mißtrauisch gemacht gegen rechtliche Bande, die uns nur noch Last


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[0027] Fideikommisse Statistik durchführbar wäre und lohnend und vielleicht sogar überraschend und schlagend für die Gegner des befestigten Besitzes. Für meine Heimat, für den schönen Teil unseres Vaterlandes, den ich am besten überblicken kann, habe ich Zweifel. Die Fideikommisse sind bei uns jung, selten über anderthalb Jahr¬ hunderte, die gemeinnützigen Einrichtungen meist viel älter, überwiegend viel¬ leicht geboren aus dem grauenvollen Elend, das die Religionskriege und ihre Nachfolger bei uns hinterlassen hatten. Zeiten der Not erwecken die Gebete der Menschen, aber sie erwecken auch mildtätige Herzen zur Hilfe. Keine Zelt der letzten Jahrhunderte hat bei uns auf dem Lande so freigebig gestiftet une die des endenden siebzehnten Jahrhunderts, niemals sonst hat der Großgruudbesttz seine Hand so reich geöffnet zu milden Einrichtungen für das platte Land, niemals sich so vor aller Welt als ein Organ der ^U8kleia äistnbutiva aus¬ gewiesen. Soll ich Ihnen sagen, woran ich vor allem denke? Sie wissen, daß geographisch die Volksschule des platten Landes noch bis um 1800 auf deu Kirchspielen beruhte, und Sie wissen, welche Fülle von Dörfern und Gütern ber uns ein einziges Kirchspiel zusammenfassen kann. Die Konfirmandenwege von heute, die mit Recht so gefürchteten, waren einst die Schulwege der Kinder. Welche Märsche oder welch lückenhafter Schulbesuch! Zahllos siud es damals, als die nordische Welt wieder zu friedlichem Atem kam, zahllos sind es damals die Gutsherren gewesen, die jeder auf seinem Gebiete elementare Schulen errichteten, oft mehrere auf einem Gute, eine soziale Tat ersten Ranges und das im „dunkelsten Mittelalter", in der Zeit vor 1790 und 1848, bis dies dichte Netz eines Tages ohne ein Wort des Dankes der allmächtige Staat wie ein Geschenk aus ihren Händen vergnügt entgegennahm. Wer denkt noch heute an die längstverjährten Opfer, die ein prüfideikommifsarischer Grundbesitz hundert oder zweihundert Jahre freiwillig für die Schulbildung seiner Hintersassen gebracht hat; und mit den Armenstiftungen geht es noch schlimmer. Einst eine vielgerühmte Wohltat für die Bedürftigen und Umhergestoßenen, finden sie heute keine Beachtung mehr vor den anspruchsvollen Augen einer hochgespannter Sozialpolitik und den veränderten Anschauungen über den Inhalt der Armen¬ pflege. Sie waren ein sozialer Segen, aber die Gegenwart hat ihn überholt und politische Gegner überzeugen könnte eine Statistik nicht mehr, die sie in die Bilanz der gemeinnützigen Leistungen des Großgrundbesitzes aufnähme trotz aller Opfer, die für sie gebracht sind. Was wir heute leisten, ist nur ausnahmsweise an die Formell einer Ein¬ richtung, einer Stiftung gebunden, schon die innere Verfassung unserer abgeschlossenen Gebiete begünstigt die freie, fürchten wir das Wort acht. dre pattiarchalische Form des Wirkens, und die Erfahrungen, die wir und den festen Formen gemacht haben, ich meine mit der Versuchung für den Staat, sie zu reglementieren und zu bevormunden, sie zu erfrieren und zu veröden, haben uns mißtrauisch gemacht gegen rechtliche Bande, die uns nur noch Last

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/27>, abgerufen am 05.02.2025.