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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Liborius und Franziskus

die Goethe im Römischen Karneval beschreibt, der Mann mit den beiden
Gesichtern. Er sieht immer gleichzeitig nach Norden und nach Süden.

Franziskus. Ich glaube, ich weiß, wen du meinst, (du fürchtest doch
nicht, daß ich dir den Namen nenne und dir ein Ja oder Nein abluxe damit?)
Es war der, welcher dir vorwarf, deine Balladen seien zu äußerlich und lärmend.

Liborius. Siehst du, da hatte er recht! Sie sind sogar so äußerlich, daß
sie ihren Mangel an Innerlichkeit nicht einmal merken! Daß sie sich dessen
wohl gar rühmen! Eine innerliche Ballade ist ein Ding wie eine steinerne
Boiserie! Innerlich sind die Gefühle, -- die Tat aber ist nie anders als äußerlich.
Und Ballade ist das Tatgedicht. Darum hat jenes lyrische Licht, das so
betrüblich über den Mangel an Innerlichkeit meiner Balladen flackerte, völlig
recht. Wenn auch nicht mit dem Werturteil, so doch mit der Sonderbeobachtung.
Je besser eine Ballade ist, um so stärker ist in ihr alles Innerliche ins Äußerliche
(das ist das Hörbare. Sichtbare, Fühlbare) projiziert. Aber bitte, flicht mir
keinen Kranz daraus, wie neulich ein süddeutscher Professor tat: das ist nämlich
nicht meine Erfindung, fondern ist das Wesen der Ballade, wie ich sie vorfand.

Franziskus. Wirst du sie ebenso hinterlassen? Glaubst du, daß dir die
alte Form weiter zu bilden gelang?

Liborius. Lieber Freund, am Baume kannst du nicht von Jahr zu Jahr
den zugewachsenen Jähresring sehen -- das behaupten vielleicht die Quartaner,
aber die Gärtner lachen dabei. Wer will die Stämme der Kunst so scharf
beobachten können! Da gehören Jahrzehnte dazu, um sagen zu können: Hier
hat doch ein Wachstum stattgefunden und das verdanken wir dem und jenem.
Also lache ich über die kritischen Quartaner, die täglich ganz genau wissen, wie¬
viel Zuwachs ich der deutschen Ballade gebracht habe. Und lache ebenso über
die anderen Quartaner, die mit scharfen Augen schon heute sehen, daß die
Ballade unter meinen Händen nicht mehr zu wachsen scheint. Ich bin ein
Gärtnersmann und arbeite so still vor mich hin mit Roben und Gießen und
kann's im übrigen sehr geruhsam abwarten. Eigentlich ist die Entscheidung dieser
Frage ja auch gar nicht meine Sache, sondern fällt ins Ressort der Literatur¬
historiker. Erlaß mir's, ihnen ins Handwerk zu pfuschen, ich habe Angst, einer
von ihnen könnte aus Rache mit Dichten anfangen!


Franziskus.

Du bist nicht gut auf deine Kritiker zu sprechen!

Liborius. O Liebster, wie hast du meinen Scherz mißverstanden! Nein,
ich liebe sie sogar fast alle, wie man unbekannte Freunde liebt, -- ich habe doch
auch wahrlich keinen Grund zur Klage! Denn auch die kritischsten unter ihnen
waren meist noch milder im Urteile, als ich selbst es bin, wenn ich über mich
Gerichtstag abhalte. So hat mir noch keiner gesagt, was mein lebhaftester
Schmerz ist: daß meine Balladen seit sechs Jahren keine Entwicklung, keine
Änderung mehr zeigen. Stillstand ist Rückgang.

Franziskus. Nein, mein Verehrtester, bisher griff ich an, aber hier laß
mich verteidigen: Wenn Stillstand Rückgang ist, so ist es logisch möglich, den


Liborius und Franziskus

die Goethe im Römischen Karneval beschreibt, der Mann mit den beiden
Gesichtern. Er sieht immer gleichzeitig nach Norden und nach Süden.

Franziskus. Ich glaube, ich weiß, wen du meinst, (du fürchtest doch
nicht, daß ich dir den Namen nenne und dir ein Ja oder Nein abluxe damit?)
Es war der, welcher dir vorwarf, deine Balladen seien zu äußerlich und lärmend.

Liborius. Siehst du, da hatte er recht! Sie sind sogar so äußerlich, daß
sie ihren Mangel an Innerlichkeit nicht einmal merken! Daß sie sich dessen
wohl gar rühmen! Eine innerliche Ballade ist ein Ding wie eine steinerne
Boiserie! Innerlich sind die Gefühle, — die Tat aber ist nie anders als äußerlich.
Und Ballade ist das Tatgedicht. Darum hat jenes lyrische Licht, das so
betrüblich über den Mangel an Innerlichkeit meiner Balladen flackerte, völlig
recht. Wenn auch nicht mit dem Werturteil, so doch mit der Sonderbeobachtung.
Je besser eine Ballade ist, um so stärker ist in ihr alles Innerliche ins Äußerliche
(das ist das Hörbare. Sichtbare, Fühlbare) projiziert. Aber bitte, flicht mir
keinen Kranz daraus, wie neulich ein süddeutscher Professor tat: das ist nämlich
nicht meine Erfindung, fondern ist das Wesen der Ballade, wie ich sie vorfand.

Franziskus. Wirst du sie ebenso hinterlassen? Glaubst du, daß dir die
alte Form weiter zu bilden gelang?

Liborius. Lieber Freund, am Baume kannst du nicht von Jahr zu Jahr
den zugewachsenen Jähresring sehen — das behaupten vielleicht die Quartaner,
aber die Gärtner lachen dabei. Wer will die Stämme der Kunst so scharf
beobachten können! Da gehören Jahrzehnte dazu, um sagen zu können: Hier
hat doch ein Wachstum stattgefunden und das verdanken wir dem und jenem.
Also lache ich über die kritischen Quartaner, die täglich ganz genau wissen, wie¬
viel Zuwachs ich der deutschen Ballade gebracht habe. Und lache ebenso über
die anderen Quartaner, die mit scharfen Augen schon heute sehen, daß die
Ballade unter meinen Händen nicht mehr zu wachsen scheint. Ich bin ein
Gärtnersmann und arbeite so still vor mich hin mit Roben und Gießen und
kann's im übrigen sehr geruhsam abwarten. Eigentlich ist die Entscheidung dieser
Frage ja auch gar nicht meine Sache, sondern fällt ins Ressort der Literatur¬
historiker. Erlaß mir's, ihnen ins Handwerk zu pfuschen, ich habe Angst, einer
von ihnen könnte aus Rache mit Dichten anfangen!


Franziskus.

Du bist nicht gut auf deine Kritiker zu sprechen!

Liborius. O Liebster, wie hast du meinen Scherz mißverstanden! Nein,
ich liebe sie sogar fast alle, wie man unbekannte Freunde liebt, — ich habe doch
auch wahrlich keinen Grund zur Klage! Denn auch die kritischsten unter ihnen
waren meist noch milder im Urteile, als ich selbst es bin, wenn ich über mich
Gerichtstag abhalte. So hat mir noch keiner gesagt, was mein lebhaftester
Schmerz ist: daß meine Balladen seit sechs Jahren keine Entwicklung, keine
Änderung mehr zeigen. Stillstand ist Rückgang.

Franziskus. Nein, mein Verehrtester, bisher griff ich an, aber hier laß
mich verteidigen: Wenn Stillstand Rückgang ist, so ist es logisch möglich, den


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[0025] Liborius und Franziskus die Goethe im Römischen Karneval beschreibt, der Mann mit den beiden Gesichtern. Er sieht immer gleichzeitig nach Norden und nach Süden. Franziskus. Ich glaube, ich weiß, wen du meinst, (du fürchtest doch nicht, daß ich dir den Namen nenne und dir ein Ja oder Nein abluxe damit?) Es war der, welcher dir vorwarf, deine Balladen seien zu äußerlich und lärmend. Liborius. Siehst du, da hatte er recht! Sie sind sogar so äußerlich, daß sie ihren Mangel an Innerlichkeit nicht einmal merken! Daß sie sich dessen wohl gar rühmen! Eine innerliche Ballade ist ein Ding wie eine steinerne Boiserie! Innerlich sind die Gefühle, — die Tat aber ist nie anders als äußerlich. Und Ballade ist das Tatgedicht. Darum hat jenes lyrische Licht, das so betrüblich über den Mangel an Innerlichkeit meiner Balladen flackerte, völlig recht. Wenn auch nicht mit dem Werturteil, so doch mit der Sonderbeobachtung. Je besser eine Ballade ist, um so stärker ist in ihr alles Innerliche ins Äußerliche (das ist das Hörbare. Sichtbare, Fühlbare) projiziert. Aber bitte, flicht mir keinen Kranz daraus, wie neulich ein süddeutscher Professor tat: das ist nämlich nicht meine Erfindung, fondern ist das Wesen der Ballade, wie ich sie vorfand. Franziskus. Wirst du sie ebenso hinterlassen? Glaubst du, daß dir die alte Form weiter zu bilden gelang? Liborius. Lieber Freund, am Baume kannst du nicht von Jahr zu Jahr den zugewachsenen Jähresring sehen — das behaupten vielleicht die Quartaner, aber die Gärtner lachen dabei. Wer will die Stämme der Kunst so scharf beobachten können! Da gehören Jahrzehnte dazu, um sagen zu können: Hier hat doch ein Wachstum stattgefunden und das verdanken wir dem und jenem. Also lache ich über die kritischen Quartaner, die täglich ganz genau wissen, wie¬ viel Zuwachs ich der deutschen Ballade gebracht habe. Und lache ebenso über die anderen Quartaner, die mit scharfen Augen schon heute sehen, daß die Ballade unter meinen Händen nicht mehr zu wachsen scheint. Ich bin ein Gärtnersmann und arbeite so still vor mich hin mit Roben und Gießen und kann's im übrigen sehr geruhsam abwarten. Eigentlich ist die Entscheidung dieser Frage ja auch gar nicht meine Sache, sondern fällt ins Ressort der Literatur¬ historiker. Erlaß mir's, ihnen ins Handwerk zu pfuschen, ich habe Angst, einer von ihnen könnte aus Rache mit Dichten anfangen! Franziskus. Du bist nicht gut auf deine Kritiker zu sprechen! Liborius. O Liebster, wie hast du meinen Scherz mißverstanden! Nein, ich liebe sie sogar fast alle, wie man unbekannte Freunde liebt, — ich habe doch auch wahrlich keinen Grund zur Klage! Denn auch die kritischsten unter ihnen waren meist noch milder im Urteile, als ich selbst es bin, wenn ich über mich Gerichtstag abhalte. So hat mir noch keiner gesagt, was mein lebhaftester Schmerz ist: daß meine Balladen seit sechs Jahren keine Entwicklung, keine Änderung mehr zeigen. Stillstand ist Rückgang. Franziskus. Nein, mein Verehrtester, bisher griff ich an, aber hier laß mich verteidigen: Wenn Stillstand Rückgang ist, so ist es logisch möglich, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/25>, abgerufen am 02.10.2024.