Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches zarte Behandlung wird das Gemüt verweichlicht; und wir erleben es daher, daß Fehlt es bisher an gesetzlichen und Verwaltungsbestimmuugeu über die Eben lese ich in einer Tageszeitung, daß zufolge Verfügung eines Provinzial- Schließlich darf man die persönlichen Interessen der Lehrer auch nicht ganz Grenzboten II 1910 3"
Maßgebliches und Unmaßgebliches zarte Behandlung wird das Gemüt verweichlicht; und wir erleben es daher, daß Fehlt es bisher an gesetzlichen und Verwaltungsbestimmuugeu über die Eben lese ich in einer Tageszeitung, daß zufolge Verfügung eines Provinzial- Schließlich darf man die persönlichen Interessen der Lehrer auch nicht ganz Grenzboten II 1910 3»
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0245" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315884"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1373" prev="#ID_1372"> zarte Behandlung wird das Gemüt verweichlicht; und wir erleben es daher, daß<lb/> selbst ein scharfes, aber innerlich begründetes Wort des Tadels aus dem Munde<lb/> des Lehrers einen überspannten Schüler zum Selbstmorde treiben kann. — In<lb/> öffentlichen Schulen darf auch die Rücksichtnahme auf den einzelnen Schüler<lb/> nicht übertrieben werden. Gewiß soll das Streben der Lehrer dahin gehen, den<lb/> einzelnen Schüler möglichst in seiner Individualität zu erfassen und zu bilden.<lb/> Aber dieser Möglichkeit sind Grenzen durch den Gemeinschaftsuuterricht und die<lb/> durchschnittliche Befähigung der Lehrer gezogen. Selbst der befähigtste Lehrer<lb/> und Erzieher kann in einer stark bevölkerten Schulklasse leicht in die Lage kommen,<lb/> mit Strenge vorgehen zu müssen, noch viel leichter der mittelmäßig begabte Lehrer.<lb/> Gerade in der jetzigen Zeit, in der viele verderbliche Einflüsse ans ein Schwinden<lb/> der Autorität in fast alleu Lebenslagen hinarbeiten, ist es notwendig, in der Schule<lb/> die Autorität des Lehrers zu betonen und zu schützen. Und das gilt nicht nur<lb/> von den Volksschulen, sondern auch von den höheren Schulen, in denen jene<lb/> Kräfte herangebildet werden, die einst zur Leitung des Volkes bestimmt sind.<lb/> Gerade die Leiter des Volkes müssen in der Jugend Autorität erfahren, gehorchen<lb/> gelernt haben, damit sie selbst Gehorsam von anderen zu verlangen verstehen und<lb/> fähig sind, Autorität geltend zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1374"> Fehlt es bisher an gesetzlichen und Verwaltungsbestimmuugeu über die<lb/> Ausübung der Schulzucht in höheren Schulen, so wird es vielleicht Sache der<lb/> Unterrichtsverwaltung sein, entsprechende Verordnungen zu erlassen. Ich glaube,<lb/> die große Mehrzahl der deutschen Väter wird mir darin beistimmen, daß den<lb/> Lehrern das Recht körperlicher Züchtigung ausdrücklich eingeräumt werdeu muß.<lb/> In Englands Schulen dient der Stock als Erziehungsmittel bei Zöglingen bis zu<lb/> achtzehn Jahren. Sollte in Deutschland eine körperliche Züchtigung wirklich dem<lb/> Vierzehn- und Fünfzehnjähriger, selbst sechzehnjähriger — in geeigneten Fällei: —<lb/> Schaden bringen? Ich glaube es richti Das Ehrgefühl können Schläge nur<lb/> denn gefährlich treffen, wenn sie als etwas ganz Unerhörtes gelten. Das<lb/> ändert sich aber mit dem Augenblick, in dem sie dnrch die Schulordnung als<lb/> ordentliches Strafmittel eingeführt werden. Besäßen unsere höheren Schulen<lb/> irgendeine wirksame Schulstrafe, so könnte in nicht ganz seltenen Fällen von der<lb/> Anwendung anderer Abwehrmittel, insbesondere der Verweisung eines Schülers<lb/> von der Schule, abgesehen werdeu. Die mehr oder weniger rücksichtsvolle Hand¬<lb/> habung von gewissen Erziehungsgrundsätzen wirkt im späteren Leben der Schüler<lb/> sicherlich nach. Vielleicht bewirkt die weniger rücksichtsvolle Erziehung der jungen<lb/> Engländer, daß sie als Erwachsene im Leben nicht die Sentimentalität und Rücksicht¬<lb/> nahme kennen, welche die Deutschen — zum Schaden des Deutschen Reiches —<lb/> im allgemeinen auszeichnet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1375"> Eben lese ich in einer Tageszeitung, daß zufolge Verfügung eines Provinzial-<lb/> schulkolleginms (für höhere Schulen) auch Schüler der drei unteren Klassen nicht<lb/> ohne Wissen des Direktors und Ordinarius körperlich gezüchtigt werden dürfen<lb/> und daß Schläge an den Kopf unter allen Umständen verboten sind. Dem<lb/> letzteren Verbot wird mau unbedenklich zustimmen können. Daß aber eine<lb/> Erlaubnis des Direktors notwendig ist, wenn ein Lehrer es für angebracht hält,<lb/> einem Sextaner, Quintaner oder Quartaner einmal die Höschen stramm zu ziehen<lb/> — an einem Körperteil, an dem notorisch nicht leicht Schaden gestiftet wird —,<lb/> will wenig einleuchten. Es ist überhaupt verderblich, wenn Schüler wissen, daß<lb/> der „Herr Direktor" zwischen ihnen und dem Lehrer steht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1376" next="#ID_1377"> Schließlich darf man die persönlichen Interessen der Lehrer auch nicht ganz<lb/> außer acht lassen. Es fragt sich nämlich: Was soll und darf ein Lehrer tun,</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1910 3»</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0245]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
zarte Behandlung wird das Gemüt verweichlicht; und wir erleben es daher, daß
selbst ein scharfes, aber innerlich begründetes Wort des Tadels aus dem Munde
des Lehrers einen überspannten Schüler zum Selbstmorde treiben kann. — In
öffentlichen Schulen darf auch die Rücksichtnahme auf den einzelnen Schüler
nicht übertrieben werden. Gewiß soll das Streben der Lehrer dahin gehen, den
einzelnen Schüler möglichst in seiner Individualität zu erfassen und zu bilden.
Aber dieser Möglichkeit sind Grenzen durch den Gemeinschaftsuuterricht und die
durchschnittliche Befähigung der Lehrer gezogen. Selbst der befähigtste Lehrer
und Erzieher kann in einer stark bevölkerten Schulklasse leicht in die Lage kommen,
mit Strenge vorgehen zu müssen, noch viel leichter der mittelmäßig begabte Lehrer.
Gerade in der jetzigen Zeit, in der viele verderbliche Einflüsse ans ein Schwinden
der Autorität in fast alleu Lebenslagen hinarbeiten, ist es notwendig, in der Schule
die Autorität des Lehrers zu betonen und zu schützen. Und das gilt nicht nur
von den Volksschulen, sondern auch von den höheren Schulen, in denen jene
Kräfte herangebildet werden, die einst zur Leitung des Volkes bestimmt sind.
Gerade die Leiter des Volkes müssen in der Jugend Autorität erfahren, gehorchen
gelernt haben, damit sie selbst Gehorsam von anderen zu verlangen verstehen und
fähig sind, Autorität geltend zu machen.
Fehlt es bisher an gesetzlichen und Verwaltungsbestimmuugeu über die
Ausübung der Schulzucht in höheren Schulen, so wird es vielleicht Sache der
Unterrichtsverwaltung sein, entsprechende Verordnungen zu erlassen. Ich glaube,
die große Mehrzahl der deutschen Väter wird mir darin beistimmen, daß den
Lehrern das Recht körperlicher Züchtigung ausdrücklich eingeräumt werdeu muß.
In Englands Schulen dient der Stock als Erziehungsmittel bei Zöglingen bis zu
achtzehn Jahren. Sollte in Deutschland eine körperliche Züchtigung wirklich dem
Vierzehn- und Fünfzehnjähriger, selbst sechzehnjähriger — in geeigneten Fällei: —
Schaden bringen? Ich glaube es richti Das Ehrgefühl können Schläge nur
denn gefährlich treffen, wenn sie als etwas ganz Unerhörtes gelten. Das
ändert sich aber mit dem Augenblick, in dem sie dnrch die Schulordnung als
ordentliches Strafmittel eingeführt werden. Besäßen unsere höheren Schulen
irgendeine wirksame Schulstrafe, so könnte in nicht ganz seltenen Fällen von der
Anwendung anderer Abwehrmittel, insbesondere der Verweisung eines Schülers
von der Schule, abgesehen werdeu. Die mehr oder weniger rücksichtsvolle Hand¬
habung von gewissen Erziehungsgrundsätzen wirkt im späteren Leben der Schüler
sicherlich nach. Vielleicht bewirkt die weniger rücksichtsvolle Erziehung der jungen
Engländer, daß sie als Erwachsene im Leben nicht die Sentimentalität und Rücksicht¬
nahme kennen, welche die Deutschen — zum Schaden des Deutschen Reiches —
im allgemeinen auszeichnet.
Eben lese ich in einer Tageszeitung, daß zufolge Verfügung eines Provinzial-
schulkolleginms (für höhere Schulen) auch Schüler der drei unteren Klassen nicht
ohne Wissen des Direktors und Ordinarius körperlich gezüchtigt werden dürfen
und daß Schläge an den Kopf unter allen Umständen verboten sind. Dem
letzteren Verbot wird mau unbedenklich zustimmen können. Daß aber eine
Erlaubnis des Direktors notwendig ist, wenn ein Lehrer es für angebracht hält,
einem Sextaner, Quintaner oder Quartaner einmal die Höschen stramm zu ziehen
— an einem Körperteil, an dem notorisch nicht leicht Schaden gestiftet wird —,
will wenig einleuchten. Es ist überhaupt verderblich, wenn Schüler wissen, daß
der „Herr Direktor" zwischen ihnen und dem Lehrer steht.
Schließlich darf man die persönlichen Interessen der Lehrer auch nicht ganz
außer acht lassen. Es fragt sich nämlich: Was soll und darf ein Lehrer tun,
Grenzboten II 1910 3»
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