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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Im Kampf gegen die Übermacht

Und in ihrer Einsamkeit fühlte sie eine tiefe Furcht in ihrer Seele aufsteigen.
War er denn nicht der Mann, für den sie ihn gehalten hatte? War er nicht im
Grunde seines Wesens von der großen, ernsten und starken Art, die sich doch
schließlich, im Bunde mit dem ewigen Gott, hoch über die niedrigen und kleinlichen
Dinge dieser Welt erhoben?

Sie hatte gewartet -- und gewartet.

Zuerst die Trauung. Vielleicht war das die Schwelle, die er überschreiten
mußte, um ganz frei und ruhig er selbst zu werden. .. .

In stummer Enttäuschung hatte sie sich seinem Willen gebeugt und die
Trauung in der Nacht vor sich gehen lassen, wo niemand ihren Zustand sah,
dessen er sich schämte.

Dann das Kind. Ach, wenn das erst kam --!

Und es kam.

Sie wartete und wartete. Woche auf Woche. Dann fragte sie ihn eines
Tages -- mit zitternder Stimme, ob er nicht daran gedacht habe, daß das Kind
getauft werden müsse?

"Ja -- ja, Thorbarg, natürlich ---"

"Du meinst vielleicht, daß wir auch die Kindtaufe -- in der Nacht
abhalten sollen?"

"Nein, nein . . ."

Sie wartete und wartete. Und ihre Angst nahm zu. Hatte sie sich in ihm geirrt?

Oder -- war etwas in seinem Innern geknickt?--

Sie dankte ihm warm, als er eines Tages im August kam und ihr sagte,
daß er das Kind zur Taufe am nächsten Sonntag in der Kirche eingetragen habe.

Und der Sonntag kam als der erste strahlende Vollsommertag. Die Sonne
sengte und die Bucht lag warm und blau zwischen dem Strande und den grünen
Virkenhängen am gegenüberliegenden Ufer. In Familiengruppen kam die Eider¬
gans aus allen kleinen Buchten und Einschnitten zum Vorschein, der Kehlfisch
sprang und die Möwen flogen weiß und geräuschlos.

Die Glocke tönte vom Kirchturm herab, so weit ihr Klang reichte, in den
stillen, lauschenden Morgen hinein, und ein Boot nach dem andern mit Kirch¬
gängern glitt um die Fischerspitze und die Landzunge herum.

Und den Hügel hinauf kamen die Kirchgänger, langsam und in ihren besten
Kleidern, begrüßten einander und priesen das schöne Sommerwetter.

Aus dem Handelshause kam die ganze Familie Foksen mit Gästen. Es war
eine ganze Schar, hauptsächlich Frauen.

Herr Foksen sollte zusammen mit dem jungen Anton Just aus Kjelnäs
Gevatter stehen. Anton Just war am Tage vorher gekommen und wohnte bei
Foksens. Die beiden Männer waren im Pfarrhaus gewesen, und am Nachmittag
hatten sie sich einschreiben lassen. Wer die weiblichen Paten waren, hatten sie
nicht erfahren können.

(Fortsetzung folgt.)




Im Kampf gegen die Übermacht

Und in ihrer Einsamkeit fühlte sie eine tiefe Furcht in ihrer Seele aufsteigen.
War er denn nicht der Mann, für den sie ihn gehalten hatte? War er nicht im
Grunde seines Wesens von der großen, ernsten und starken Art, die sich doch
schließlich, im Bunde mit dem ewigen Gott, hoch über die niedrigen und kleinlichen
Dinge dieser Welt erhoben?

Sie hatte gewartet — und gewartet.

Zuerst die Trauung. Vielleicht war das die Schwelle, die er überschreiten
mußte, um ganz frei und ruhig er selbst zu werden. .. .

In stummer Enttäuschung hatte sie sich seinem Willen gebeugt und die
Trauung in der Nacht vor sich gehen lassen, wo niemand ihren Zustand sah,
dessen er sich schämte.

Dann das Kind. Ach, wenn das erst kam —!

Und es kam.

Sie wartete und wartete. Woche auf Woche. Dann fragte sie ihn eines
Tages — mit zitternder Stimme, ob er nicht daran gedacht habe, daß das Kind
getauft werden müsse?

„Ja — ja, Thorbarg, natürlich —-"

„Du meinst vielleicht, daß wir auch die Kindtaufe — in der Nacht
abhalten sollen?"

„Nein, nein . . ."

Sie wartete und wartete. Und ihre Angst nahm zu. Hatte sie sich in ihm geirrt?

Oder — war etwas in seinem Innern geknickt?--

Sie dankte ihm warm, als er eines Tages im August kam und ihr sagte,
daß er das Kind zur Taufe am nächsten Sonntag in der Kirche eingetragen habe.

Und der Sonntag kam als der erste strahlende Vollsommertag. Die Sonne
sengte und die Bucht lag warm und blau zwischen dem Strande und den grünen
Virkenhängen am gegenüberliegenden Ufer. In Familiengruppen kam die Eider¬
gans aus allen kleinen Buchten und Einschnitten zum Vorschein, der Kehlfisch
sprang und die Möwen flogen weiß und geräuschlos.

Die Glocke tönte vom Kirchturm herab, so weit ihr Klang reichte, in den
stillen, lauschenden Morgen hinein, und ein Boot nach dem andern mit Kirch¬
gängern glitt um die Fischerspitze und die Landzunge herum.

Und den Hügel hinauf kamen die Kirchgänger, langsam und in ihren besten
Kleidern, begrüßten einander und priesen das schöne Sommerwetter.

Aus dem Handelshause kam die ganze Familie Foksen mit Gästen. Es war
eine ganze Schar, hauptsächlich Frauen.

Herr Foksen sollte zusammen mit dem jungen Anton Just aus Kjelnäs
Gevatter stehen. Anton Just war am Tage vorher gekommen und wohnte bei
Foksens. Die beiden Männer waren im Pfarrhaus gewesen, und am Nachmittag
hatten sie sich einschreiben lassen. Wer die weiblichen Paten waren, hatten sie
nicht erfahren können.

(Fortsetzung folgt.)




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[0240] Im Kampf gegen die Übermacht Und in ihrer Einsamkeit fühlte sie eine tiefe Furcht in ihrer Seele aufsteigen. War er denn nicht der Mann, für den sie ihn gehalten hatte? War er nicht im Grunde seines Wesens von der großen, ernsten und starken Art, die sich doch schließlich, im Bunde mit dem ewigen Gott, hoch über die niedrigen und kleinlichen Dinge dieser Welt erhoben? Sie hatte gewartet — und gewartet. Zuerst die Trauung. Vielleicht war das die Schwelle, die er überschreiten mußte, um ganz frei und ruhig er selbst zu werden. .. . In stummer Enttäuschung hatte sie sich seinem Willen gebeugt und die Trauung in der Nacht vor sich gehen lassen, wo niemand ihren Zustand sah, dessen er sich schämte. Dann das Kind. Ach, wenn das erst kam —! Und es kam. Sie wartete und wartete. Woche auf Woche. Dann fragte sie ihn eines Tages — mit zitternder Stimme, ob er nicht daran gedacht habe, daß das Kind getauft werden müsse? „Ja — ja, Thorbarg, natürlich —-" „Du meinst vielleicht, daß wir auch die Kindtaufe — in der Nacht abhalten sollen?" „Nein, nein . . ." Sie wartete und wartete. Und ihre Angst nahm zu. Hatte sie sich in ihm geirrt? Oder — war etwas in seinem Innern geknickt?-- Sie dankte ihm warm, als er eines Tages im August kam und ihr sagte, daß er das Kind zur Taufe am nächsten Sonntag in der Kirche eingetragen habe. Und der Sonntag kam als der erste strahlende Vollsommertag. Die Sonne sengte und die Bucht lag warm und blau zwischen dem Strande und den grünen Virkenhängen am gegenüberliegenden Ufer. In Familiengruppen kam die Eider¬ gans aus allen kleinen Buchten und Einschnitten zum Vorschein, der Kehlfisch sprang und die Möwen flogen weiß und geräuschlos. Die Glocke tönte vom Kirchturm herab, so weit ihr Klang reichte, in den stillen, lauschenden Morgen hinein, und ein Boot nach dem andern mit Kirch¬ gängern glitt um die Fischerspitze und die Landzunge herum. Und den Hügel hinauf kamen die Kirchgänger, langsam und in ihren besten Kleidern, begrüßten einander und priesen das schöne Sommerwetter. Aus dem Handelshause kam die ganze Familie Foksen mit Gästen. Es war eine ganze Schar, hauptsächlich Frauen. Herr Foksen sollte zusammen mit dem jungen Anton Just aus Kjelnäs Gevatter stehen. Anton Just war am Tage vorher gekommen und wohnte bei Foksens. Die beiden Männer waren im Pfarrhaus gewesen, und am Nachmittag hatten sie sich einschreiben lassen. Wer die weiblichen Paten waren, hatten sie nicht erfahren können. (Fortsetzung folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/240>, abgerufen am 29.06.2024.