Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Bewegung des Pinsels ohne Kraft, das Kolorit flau, die Virtuosität konventionell.
Gewiß: es fehlen in dieser Sammlung die Arbeiten, die Zorns Ruhm geschaffen,
seine blendenden Akte, seine nicht auf Bestellung, sondern aus künstlerisch ein
Interesse gemalten Bildnisse -- die mit ihren: Kinde vom Strande ins Bad
gehende nackte Frau, das Porträt des Herrn Olsson geben nur grade eine
Ahnung davon --; aber man erhält doch durch das Nebeneinander von etwa
zwanzig Bildern dieses Malers, der keine Schwierigkeiten zu kennen scheint, den
Eindruck, daß man ihn weit überschätzt hat, daß Deutschland mehrere Maler
besitzt, die stärkere Künstler sind.

Überhaupt ist die Beteiligung des Auslandes an dieser Ausstellung
erfreulicherweise so gehalten, daß die deutsche Kunst dabei uicht ins Hintertreffen
gerät. Zugegeben, daß in Deutschland seit 1870 kein Historienbild von der
hohen künstlerischen Qualität der "Erschießung des Kaisers Maximilian" von
Edouard Manet entstanden ist! dafür haben aber die Franzosen weder einen
Menzel, noch einen Leiht. noch einen Böcklin. Die Gegenstücke zu Clcinde
Monets schönen drei Bildern findet man im Saale Trübners. Van Gogh,
dessen hier vorhandene "Eisenbahnbrücke" zu seinen besten Leistungen zählt, in
dein Durcheinander der Linien aber schon den Wahnsinn ahnen läßt, war el"
Phänomen; die schließlich indessen in dem angeborenen formalen Gefühl des
Romanen gipfelnde Kunst Cözannes, von der hier der "Bahndnrchstich bei Air"
ein ungewöhnlich lehrreiches Beispiel liefert, ist so ausschließlich französisch, wie
Schminds Bilder ausschließlich deutsch sind. Es zeugt für die Steigerung des
deutschen Knnstcmpfinoens, daß man erkennt, was Cözanne erstrebte und wie
felle er ist; doch sollte man um Himmels willen nicht versuchen, seine Absichten
in der deutschen Malerei verwirklichen zu wollen. Das würde deren Charakter
zerstören, ohne ihr einen wirklichen Gewinn zu verschaffen. Van Dongens in
ungeniertester Art auf einem Diwan liegende Frau in Schwarz -- übrigens
eines der besten Bilder der Ausstellung -- zeigt die Wirkung Cezcumes auf
das jüngere französische Malergeschlecht und ist in der Beherrschung des For¬
maten so französisch wie möglich. Bei aller Anerkennung für die Güte dieser
Arbeit wird man doch nie wünschen dürfen, daß so etwas in Deutschland nach¬
gemacht würde; denn das Beste daran ist eben der französische Geist, der für
den deutschen Maler ewig unerreichbar sein wird und -- was die Hauptsache
ist -- in Deutschland niemals volkstümlich werden kann und darf, wenn anders
das Volk nicht sein Eigenstes und Bestes aufgeben soll. Wieviel näher verwandt
ist dem deutschen Empfinden Ferdinand Hodler! Ganz grade geht er in dem
besten der hiesigen Werke, in der Studie des "Holzfällers", auf sein Ziel los.
in möglichst einfacher Weise das Wesentliche, die kraftvolle Bewegung, die
gewaltige Anstrengung des Mannes bei der Arbeit zu geben. Und wie wundervoll
hat er die Schönheit der Energie in einer Linie zusammengefaßt, die von der
Spitze der Art bis in den Fuß des Mannes sprühende Kraft ist und gegen die
eine zweite mehr federnde Linie als Kontrast spielt. Wucht, Größe. Einfachheit.


Bewegung des Pinsels ohne Kraft, das Kolorit flau, die Virtuosität konventionell.
Gewiß: es fehlen in dieser Sammlung die Arbeiten, die Zorns Ruhm geschaffen,
seine blendenden Akte, seine nicht auf Bestellung, sondern aus künstlerisch ein
Interesse gemalten Bildnisse — die mit ihren: Kinde vom Strande ins Bad
gehende nackte Frau, das Porträt des Herrn Olsson geben nur grade eine
Ahnung davon —; aber man erhält doch durch das Nebeneinander von etwa
zwanzig Bildern dieses Malers, der keine Schwierigkeiten zu kennen scheint, den
Eindruck, daß man ihn weit überschätzt hat, daß Deutschland mehrere Maler
besitzt, die stärkere Künstler sind.

Überhaupt ist die Beteiligung des Auslandes an dieser Ausstellung
erfreulicherweise so gehalten, daß die deutsche Kunst dabei uicht ins Hintertreffen
gerät. Zugegeben, daß in Deutschland seit 1870 kein Historienbild von der
hohen künstlerischen Qualität der „Erschießung des Kaisers Maximilian" von
Edouard Manet entstanden ist! dafür haben aber die Franzosen weder einen
Menzel, noch einen Leiht. noch einen Böcklin. Die Gegenstücke zu Clcinde
Monets schönen drei Bildern findet man im Saale Trübners. Van Gogh,
dessen hier vorhandene „Eisenbahnbrücke" zu seinen besten Leistungen zählt, in
dein Durcheinander der Linien aber schon den Wahnsinn ahnen läßt, war el»
Phänomen; die schließlich indessen in dem angeborenen formalen Gefühl des
Romanen gipfelnde Kunst Cözannes, von der hier der „Bahndnrchstich bei Air"
ein ungewöhnlich lehrreiches Beispiel liefert, ist so ausschließlich französisch, wie
Schminds Bilder ausschließlich deutsch sind. Es zeugt für die Steigerung des
deutschen Knnstcmpfinoens, daß man erkennt, was Cözanne erstrebte und wie
felle er ist; doch sollte man um Himmels willen nicht versuchen, seine Absichten
in der deutschen Malerei verwirklichen zu wollen. Das würde deren Charakter
zerstören, ohne ihr einen wirklichen Gewinn zu verschaffen. Van Dongens in
ungeniertester Art auf einem Diwan liegende Frau in Schwarz — übrigens
eines der besten Bilder der Ausstellung — zeigt die Wirkung Cezcumes auf
das jüngere französische Malergeschlecht und ist in der Beherrschung des For¬
maten so französisch wie möglich. Bei aller Anerkennung für die Güte dieser
Arbeit wird man doch nie wünschen dürfen, daß so etwas in Deutschland nach¬
gemacht würde; denn das Beste daran ist eben der französische Geist, der für
den deutschen Maler ewig unerreichbar sein wird und — was die Hauptsache
ist — in Deutschland niemals volkstümlich werden kann und darf, wenn anders
das Volk nicht sein Eigenstes und Bestes aufgeben soll. Wieviel näher verwandt
ist dem deutschen Empfinden Ferdinand Hodler! Ganz grade geht er in dem
besten der hiesigen Werke, in der Studie des „Holzfällers", auf sein Ziel los.
in möglichst einfacher Weise das Wesentliche, die kraftvolle Bewegung, die
gewaltige Anstrengung des Mannes bei der Arbeit zu geben. Und wie wundervoll
hat er die Schönheit der Energie in einer Linie zusammengefaßt, die von der
Spitze der Art bis in den Fuß des Mannes sprühende Kraft ist und gegen die
eine zweite mehr federnde Linie als Kontrast spielt. Wucht, Größe. Einfachheit.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0233" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315872"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1222" prev="#ID_1221"> Bewegung des Pinsels ohne Kraft, das Kolorit flau, die Virtuosität konventionell.<lb/>
Gewiß: es fehlen in dieser Sammlung die Arbeiten, die Zorns Ruhm geschaffen,<lb/>
seine blendenden Akte, seine nicht auf Bestellung, sondern aus künstlerisch ein<lb/>
Interesse gemalten Bildnisse &#x2014; die mit ihren: Kinde vom Strande ins Bad<lb/>
gehende nackte Frau, das Porträt des Herrn Olsson geben nur grade eine<lb/>
Ahnung davon &#x2014;; aber man erhält doch durch das Nebeneinander von etwa<lb/>
zwanzig Bildern dieses Malers, der keine Schwierigkeiten zu kennen scheint, den<lb/>
Eindruck, daß man ihn weit überschätzt hat, daß Deutschland mehrere Maler<lb/>
besitzt, die stärkere Künstler sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1223" next="#ID_1224"> Überhaupt ist die Beteiligung des Auslandes an dieser Ausstellung<lb/>
erfreulicherweise so gehalten, daß die deutsche Kunst dabei uicht ins Hintertreffen<lb/>
gerät. Zugegeben, daß in Deutschland seit 1870 kein Historienbild von der<lb/>
hohen künstlerischen Qualität der &#x201E;Erschießung des Kaisers Maximilian" von<lb/>
Edouard Manet entstanden ist! dafür haben aber die Franzosen weder einen<lb/>
Menzel, noch einen Leiht. noch einen Böcklin. Die Gegenstücke zu Clcinde<lb/>
Monets schönen drei Bildern findet man im Saale Trübners. Van Gogh,<lb/>
dessen hier vorhandene &#x201E;Eisenbahnbrücke" zu seinen besten Leistungen zählt, in<lb/>
dein Durcheinander der Linien aber schon den Wahnsinn ahnen läßt, war el»<lb/>
Phänomen; die schließlich indessen in dem angeborenen formalen Gefühl des<lb/>
Romanen gipfelnde Kunst Cözannes, von der hier der &#x201E;Bahndnrchstich bei Air"<lb/>
ein ungewöhnlich lehrreiches Beispiel liefert, ist so ausschließlich französisch, wie<lb/>
Schminds Bilder ausschließlich deutsch sind. Es zeugt für die Steigerung des<lb/>
deutschen Knnstcmpfinoens, daß man erkennt, was Cözanne erstrebte und wie<lb/>
felle er ist; doch sollte man um Himmels willen nicht versuchen, seine Absichten<lb/>
in der deutschen Malerei verwirklichen zu wollen. Das würde deren Charakter<lb/>
zerstören, ohne ihr einen wirklichen Gewinn zu verschaffen. Van Dongens in<lb/>
ungeniertester Art auf einem Diwan liegende Frau in Schwarz &#x2014; übrigens<lb/>
eines der besten Bilder der Ausstellung &#x2014; zeigt die Wirkung Cezcumes auf<lb/>
das jüngere französische Malergeschlecht und ist in der Beherrschung des For¬<lb/>
maten so französisch wie möglich. Bei aller Anerkennung für die Güte dieser<lb/>
Arbeit wird man doch nie wünschen dürfen, daß so etwas in Deutschland nach¬<lb/>
gemacht würde; denn das Beste daran ist eben der französische Geist, der für<lb/>
den deutschen Maler ewig unerreichbar sein wird und &#x2014; was die Hauptsache<lb/>
ist &#x2014; in Deutschland niemals volkstümlich werden kann und darf, wenn anders<lb/>
das Volk nicht sein Eigenstes und Bestes aufgeben soll. Wieviel näher verwandt<lb/>
ist dem deutschen Empfinden Ferdinand Hodler! Ganz grade geht er in dem<lb/>
besten der hiesigen Werke, in der Studie des &#x201E;Holzfällers", auf sein Ziel los.<lb/>
in möglichst einfacher Weise das Wesentliche, die kraftvolle Bewegung, die<lb/>
gewaltige Anstrengung des Mannes bei der Arbeit zu geben. Und wie wundervoll<lb/>
hat er die Schönheit der Energie in einer Linie zusammengefaßt, die von der<lb/>
Spitze der Art bis in den Fuß des Mannes sprühende Kraft ist und gegen die<lb/>
eine zweite mehr federnde Linie als Kontrast spielt. Wucht, Größe. Einfachheit.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0233] Bewegung des Pinsels ohne Kraft, das Kolorit flau, die Virtuosität konventionell. Gewiß: es fehlen in dieser Sammlung die Arbeiten, die Zorns Ruhm geschaffen, seine blendenden Akte, seine nicht auf Bestellung, sondern aus künstlerisch ein Interesse gemalten Bildnisse — die mit ihren: Kinde vom Strande ins Bad gehende nackte Frau, das Porträt des Herrn Olsson geben nur grade eine Ahnung davon —; aber man erhält doch durch das Nebeneinander von etwa zwanzig Bildern dieses Malers, der keine Schwierigkeiten zu kennen scheint, den Eindruck, daß man ihn weit überschätzt hat, daß Deutschland mehrere Maler besitzt, die stärkere Künstler sind. Überhaupt ist die Beteiligung des Auslandes an dieser Ausstellung erfreulicherweise so gehalten, daß die deutsche Kunst dabei uicht ins Hintertreffen gerät. Zugegeben, daß in Deutschland seit 1870 kein Historienbild von der hohen künstlerischen Qualität der „Erschießung des Kaisers Maximilian" von Edouard Manet entstanden ist! dafür haben aber die Franzosen weder einen Menzel, noch einen Leiht. noch einen Böcklin. Die Gegenstücke zu Clcinde Monets schönen drei Bildern findet man im Saale Trübners. Van Gogh, dessen hier vorhandene „Eisenbahnbrücke" zu seinen besten Leistungen zählt, in dein Durcheinander der Linien aber schon den Wahnsinn ahnen läßt, war el» Phänomen; die schließlich indessen in dem angeborenen formalen Gefühl des Romanen gipfelnde Kunst Cözannes, von der hier der „Bahndnrchstich bei Air" ein ungewöhnlich lehrreiches Beispiel liefert, ist so ausschließlich französisch, wie Schminds Bilder ausschließlich deutsch sind. Es zeugt für die Steigerung des deutschen Knnstcmpfinoens, daß man erkennt, was Cözanne erstrebte und wie felle er ist; doch sollte man um Himmels willen nicht versuchen, seine Absichten in der deutschen Malerei verwirklichen zu wollen. Das würde deren Charakter zerstören, ohne ihr einen wirklichen Gewinn zu verschaffen. Van Dongens in ungeniertester Art auf einem Diwan liegende Frau in Schwarz — übrigens eines der besten Bilder der Ausstellung — zeigt die Wirkung Cezcumes auf das jüngere französische Malergeschlecht und ist in der Beherrschung des For¬ maten so französisch wie möglich. Bei aller Anerkennung für die Güte dieser Arbeit wird man doch nie wünschen dürfen, daß so etwas in Deutschland nach¬ gemacht würde; denn das Beste daran ist eben der französische Geist, der für den deutschen Maler ewig unerreichbar sein wird und — was die Hauptsache ist — in Deutschland niemals volkstümlich werden kann und darf, wenn anders das Volk nicht sein Eigenstes und Bestes aufgeben soll. Wieviel näher verwandt ist dem deutschen Empfinden Ferdinand Hodler! Ganz grade geht er in dem besten der hiesigen Werke, in der Studie des „Holzfällers", auf sein Ziel los. in möglichst einfacher Weise das Wesentliche, die kraftvolle Bewegung, die gewaltige Anstrengung des Mannes bei der Arbeit zu geben. Und wie wundervoll hat er die Schönheit der Energie in einer Linie zusammengefaßt, die von der Spitze der Art bis in den Fuß des Mannes sprühende Kraft ist und gegen die eine zweite mehr federnde Linie als Kontrast spielt. Wucht, Größe. Einfachheit.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/233
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/233>, abgerufen am 29.06.2024.