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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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fremden Allschauungs- und Darstellungsweise von dem intelligenten Teil des
jungen Nachwuchses bald allgemein erkannt sein wird. Wenn nur auch unter
dem jüngeren Geschlechte der Mut zu dem Bekenntnisse wüchse, daß es schließlich
doch der Zweck der guten Malerei sei. etwas auszudrücken, Kunde von dem zu
geben, was Fühlen und Denken bewegt. Wer etwas zu sagen hat, der sage
es nur. Mit dem Mut allein, ohne die nötige?: Kenntnisse und Erfahrungen,
ist es freilich nicht getan, wie in der Ausstellung Max Beckmanns "Ausgießung
des heiligen Geistes" beweist, die eine verzweifelte Ähnlichkeit mit einer von
Betrunkenen aufgeführten Karnevalsszene besitzt und alle Wünsche an Komposition,
Gliederung und liebevolle Durchbildung unbefriedigt läßt. Die einzige bemerkens¬
werte Tat in dieser Richtung ist Max Slevogts "Hörselberg", eine Darstellung
des ungeheuren Liebestaumels im Zauberreiche der Venus. Ein Werk höchster
künstlerischer Energie, strotzend von malerischem Temperament und starker Sinn¬
lichkeit, wundervoll in der Absicht und in Einzelheiten, doch vielleicht ohne den
dämonischen Ausdruck, den die Idee verlangt. Sehr fein die im Reize unberührter
Jungfräulichkeit erscheinende, von Rosenduft umwallte nackte Göttin der Liebe,
prachtvoll die besinnungslose Begierde, mit der der sein Gewand vou sich schleudernde
Jüngling über liebeglühende Leiber fort in ihre Arme stürmt, glänzend die
Verkörperung des wildesten Genusses in den Gruppen verschlungener Gestalten;
aber es fehlt der lodernden Brunst doch ein wenig der Gegensatz, auch farbig,
so daß der rosige Schein, der die Göttin umwallt, süß macht, was als eine
Naturgewalt Grauen erregen sollte. Von einer Erscheinung wie Slevogt begehrt
man eben das Höchste, besonders da es sich um ein Werk handelt, das durch
seine kolossalen Maße und die darauf verwendete Arbeit die stärksten Ansprüche
herausfordert. Auch Corinth will das Bild mit Inhalt, doch bleiben seine
"Waffen des Mars" eine kühle Erfindung ohne Anziehungskraft; denn die
Farbe ist trübe und schmierig. Besser ist sein "Atelier eines Malers", ein
Familienbild, das seine bekannten Vorzüge zeigt.

Aus der Gruppe geschmackvoller Realisten ragt, wie immer, Liebermann
hervor mit neuen, stark farbigen und mit größter Weisheit komponierten
"Reitern am Strande" und zwei Bildnissen, dem des Dichters Dehmel und dem
des Pfarrers Naumann, woher der dem Maler im Temperament verwandte
Poet besser fortgekommen ist. Kalckreuth passiert nur grade mit einer "Alten
Liebe", und der verstorbene eigenartige Stuttgarter Landschafter Reiniger erschien
in der Gedächtnisausstellung bei Schulte sehr viel besser als hier. Den Gipfel
der guten deutschen Wirklichkeitsknnst aber repräsentieren innerhalb dieser Vor¬
führung die Sonderausstellungen vou Wilhelm Trübner und Hugo von Haber¬
mann. Dieser beeinflußt von Leiht, jener dessen berufener Nachfolger und
Fortsetzer. In beider Leistungen die höchste Summe von Können und hingebender
Arbeit. Beide Künstler höchst charakteristische Persönlichkeiten. Ist das Wesen
der Habermanuschen Malerei bestimmt durch einen erlesenen Farbengeschmack,
durch Neigung für eine kapriziöse, schwungvolle und lebendige Zeichnung, so ist


?le 2v, Ausstellung der berliner Sezession

fremden Allschauungs- und Darstellungsweise von dem intelligenten Teil des
jungen Nachwuchses bald allgemein erkannt sein wird. Wenn nur auch unter
dem jüngeren Geschlechte der Mut zu dem Bekenntnisse wüchse, daß es schließlich
doch der Zweck der guten Malerei sei. etwas auszudrücken, Kunde von dem zu
geben, was Fühlen und Denken bewegt. Wer etwas zu sagen hat, der sage
es nur. Mit dem Mut allein, ohne die nötige?: Kenntnisse und Erfahrungen,
ist es freilich nicht getan, wie in der Ausstellung Max Beckmanns „Ausgießung
des heiligen Geistes" beweist, die eine verzweifelte Ähnlichkeit mit einer von
Betrunkenen aufgeführten Karnevalsszene besitzt und alle Wünsche an Komposition,
Gliederung und liebevolle Durchbildung unbefriedigt läßt. Die einzige bemerkens¬
werte Tat in dieser Richtung ist Max Slevogts „Hörselberg", eine Darstellung
des ungeheuren Liebestaumels im Zauberreiche der Venus. Ein Werk höchster
künstlerischer Energie, strotzend von malerischem Temperament und starker Sinn¬
lichkeit, wundervoll in der Absicht und in Einzelheiten, doch vielleicht ohne den
dämonischen Ausdruck, den die Idee verlangt. Sehr fein die im Reize unberührter
Jungfräulichkeit erscheinende, von Rosenduft umwallte nackte Göttin der Liebe,
prachtvoll die besinnungslose Begierde, mit der der sein Gewand vou sich schleudernde
Jüngling über liebeglühende Leiber fort in ihre Arme stürmt, glänzend die
Verkörperung des wildesten Genusses in den Gruppen verschlungener Gestalten;
aber es fehlt der lodernden Brunst doch ein wenig der Gegensatz, auch farbig,
so daß der rosige Schein, der die Göttin umwallt, süß macht, was als eine
Naturgewalt Grauen erregen sollte. Von einer Erscheinung wie Slevogt begehrt
man eben das Höchste, besonders da es sich um ein Werk handelt, das durch
seine kolossalen Maße und die darauf verwendete Arbeit die stärksten Ansprüche
herausfordert. Auch Corinth will das Bild mit Inhalt, doch bleiben seine
„Waffen des Mars" eine kühle Erfindung ohne Anziehungskraft; denn die
Farbe ist trübe und schmierig. Besser ist sein „Atelier eines Malers", ein
Familienbild, das seine bekannten Vorzüge zeigt.

Aus der Gruppe geschmackvoller Realisten ragt, wie immer, Liebermann
hervor mit neuen, stark farbigen und mit größter Weisheit komponierten
„Reitern am Strande" und zwei Bildnissen, dem des Dichters Dehmel und dem
des Pfarrers Naumann, woher der dem Maler im Temperament verwandte
Poet besser fortgekommen ist. Kalckreuth passiert nur grade mit einer „Alten
Liebe", und der verstorbene eigenartige Stuttgarter Landschafter Reiniger erschien
in der Gedächtnisausstellung bei Schulte sehr viel besser als hier. Den Gipfel
der guten deutschen Wirklichkeitsknnst aber repräsentieren innerhalb dieser Vor¬
führung die Sonderausstellungen vou Wilhelm Trübner und Hugo von Haber¬
mann. Dieser beeinflußt von Leiht, jener dessen berufener Nachfolger und
Fortsetzer. In beider Leistungen die höchste Summe von Können und hingebender
Arbeit. Beide Künstler höchst charakteristische Persönlichkeiten. Ist das Wesen
der Habermanuschen Malerei bestimmt durch einen erlesenen Farbengeschmack,
durch Neigung für eine kapriziöse, schwungvolle und lebendige Zeichnung, so ist


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[0231] ?le 2v, Ausstellung der berliner Sezession fremden Allschauungs- und Darstellungsweise von dem intelligenten Teil des jungen Nachwuchses bald allgemein erkannt sein wird. Wenn nur auch unter dem jüngeren Geschlechte der Mut zu dem Bekenntnisse wüchse, daß es schließlich doch der Zweck der guten Malerei sei. etwas auszudrücken, Kunde von dem zu geben, was Fühlen und Denken bewegt. Wer etwas zu sagen hat, der sage es nur. Mit dem Mut allein, ohne die nötige?: Kenntnisse und Erfahrungen, ist es freilich nicht getan, wie in der Ausstellung Max Beckmanns „Ausgießung des heiligen Geistes" beweist, die eine verzweifelte Ähnlichkeit mit einer von Betrunkenen aufgeführten Karnevalsszene besitzt und alle Wünsche an Komposition, Gliederung und liebevolle Durchbildung unbefriedigt läßt. Die einzige bemerkens¬ werte Tat in dieser Richtung ist Max Slevogts „Hörselberg", eine Darstellung des ungeheuren Liebestaumels im Zauberreiche der Venus. Ein Werk höchster künstlerischer Energie, strotzend von malerischem Temperament und starker Sinn¬ lichkeit, wundervoll in der Absicht und in Einzelheiten, doch vielleicht ohne den dämonischen Ausdruck, den die Idee verlangt. Sehr fein die im Reize unberührter Jungfräulichkeit erscheinende, von Rosenduft umwallte nackte Göttin der Liebe, prachtvoll die besinnungslose Begierde, mit der der sein Gewand vou sich schleudernde Jüngling über liebeglühende Leiber fort in ihre Arme stürmt, glänzend die Verkörperung des wildesten Genusses in den Gruppen verschlungener Gestalten; aber es fehlt der lodernden Brunst doch ein wenig der Gegensatz, auch farbig, so daß der rosige Schein, der die Göttin umwallt, süß macht, was als eine Naturgewalt Grauen erregen sollte. Von einer Erscheinung wie Slevogt begehrt man eben das Höchste, besonders da es sich um ein Werk handelt, das durch seine kolossalen Maße und die darauf verwendete Arbeit die stärksten Ansprüche herausfordert. Auch Corinth will das Bild mit Inhalt, doch bleiben seine „Waffen des Mars" eine kühle Erfindung ohne Anziehungskraft; denn die Farbe ist trübe und schmierig. Besser ist sein „Atelier eines Malers", ein Familienbild, das seine bekannten Vorzüge zeigt. Aus der Gruppe geschmackvoller Realisten ragt, wie immer, Liebermann hervor mit neuen, stark farbigen und mit größter Weisheit komponierten „Reitern am Strande" und zwei Bildnissen, dem des Dichters Dehmel und dem des Pfarrers Naumann, woher der dem Maler im Temperament verwandte Poet besser fortgekommen ist. Kalckreuth passiert nur grade mit einer „Alten Liebe", und der verstorbene eigenartige Stuttgarter Landschafter Reiniger erschien in der Gedächtnisausstellung bei Schulte sehr viel besser als hier. Den Gipfel der guten deutschen Wirklichkeitsknnst aber repräsentieren innerhalb dieser Vor¬ führung die Sonderausstellungen vou Wilhelm Trübner und Hugo von Haber¬ mann. Dieser beeinflußt von Leiht, jener dessen berufener Nachfolger und Fortsetzer. In beider Leistungen die höchste Summe von Können und hingebender Arbeit. Beide Künstler höchst charakteristische Persönlichkeiten. Ist das Wesen der Habermanuschen Malerei bestimmt durch einen erlesenen Farbengeschmack, durch Neigung für eine kapriziöse, schwungvolle und lebendige Zeichnung, so ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/231>, abgerufen am 28.09.2024.