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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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erstrebt, so kaun sie nur unter ihrer Führung zustande kommen, und mein muß
wünschen, daß sie für diesen Fall eine Diktatur erklären, damit rücksichtslos mit
all den Schäden aufgeräumt werden kann, die sich herausgestellt haben, und
mit all den Nachahmern, Unfähigen und Dilettanten, deren Mitwirkung an
den Ausstellungen der Sezession deren Ansetzn schädigte und in dein künstlerischen
Nachwuchs die Meinung erwecken muß, es sei nicht mehr nötig, etwas zu lernen,
um ein großer Künstler oder doch von den berühmten Kollegen als solcher
angesehen zu werden.

Will die Sezession weiter die belebende Kraft im Berliner Kunstleben bleiben,
die sie ursprünglich war, so wird sie sich mit aller Energie von jenen Elementen
freimachen müssen, die das künstlerische Handwerk schänden, indem sie, ohne etwas
Positives zu bieten, neue Kunstgesetze aufstellen wollen. Von jenen Leuten,
die fortwährend vom Rhythmus der Linie und Farbe, von Raumaufteilung und
dergleichen sprechen und nicht imstande sind, sich persönlich mit irgendeinem
Natureindruck auseinanderzusetzen, sondern, weil sie weder ordentlich zeichnen
noch malen können, vom Raube an den Werken anderer leben. Wobei sie dann
in der Einbildung, ihre eigenen Leistungen seien so schwieriger zu kontrollieren,
sich mit Borliebe an die sehr freien Schöpfungen halten, mit denen ganz große
Künstler ihre Tätigkeit zu beschließen pflegen.

Auch die diesjährige Ausstellung der Berliner Sezession leidet teilweise
unter dem Übergewicht dieser unproduktiven Talente, die den Raum für die
Darbietungen der produktiven mit ihren so überflüssigen Erzeugnissen beschränken
und die Hängekommission zu einer ganz unstatthaften Überfüllung einzelner Säle
und zu einer beklagenswert geschmacklosen Behandlung ganzer Wände genötigt
haben. Hundert von diesen Entbehrlichkeiten weniger und die Ausstellung könnte
das Muster einer im höchsten Grade interessierenden Vorführung zeitgenössischer
Kunst sein; denn sie enthält eine große Zahl wirklich sehr hervorragender
Schöpfungen.

Wenn man nicht grade die immer mehr um sich greifende Neigung vieler
junger deutscher Maler, französische Künstler wie Cözanne, Matisse, Gauguin
und van Gogh nachzuahmen, für ein Symptom nehmen will, lassen neue Richtungs-
linien in der deutschen Kunst sich nicht wahrnehmen. Die Bewunderung für die
Franzosen hindert selbst die fortschrittlich Gesinnten, nach neuen Möglichkeiten
in der heimischen Art zu suchen. Die Vernünftigen halten sich damit aufrecht,
daß sie sich mit der Natur beschäftigen, und man muß feststellen, daß eine statt¬
liche Zahl von ihnen zu malerischen Ergebnissen gelangt ist, für die man die
höchste Achtung haben muß. Leistungen, wie sie Robert Breyer, Ulrich uno
Heinrich Hühner, Waldemar Rösler, Emil Pottner -- um nur einige der besten
zu nennen -- hier haben, brauchen keine Konkurrenz der Franzosen zu fürchten.
Und daß unter den neu an dieser Stelle erscheinenden jungen Künstlern sich
mehrere befinden, die auf dem gleichen Wege sind, erweckt die Hoffnung, daß
die Zwecklosigkeit der Nachahmung einer dem deutsche" Wesen vollkommen


erstrebt, so kaun sie nur unter ihrer Führung zustande kommen, und mein muß
wünschen, daß sie für diesen Fall eine Diktatur erklären, damit rücksichtslos mit
all den Schäden aufgeräumt werden kann, die sich herausgestellt haben, und
mit all den Nachahmern, Unfähigen und Dilettanten, deren Mitwirkung an
den Ausstellungen der Sezession deren Ansetzn schädigte und in dein künstlerischen
Nachwuchs die Meinung erwecken muß, es sei nicht mehr nötig, etwas zu lernen,
um ein großer Künstler oder doch von den berühmten Kollegen als solcher
angesehen zu werden.

Will die Sezession weiter die belebende Kraft im Berliner Kunstleben bleiben,
die sie ursprünglich war, so wird sie sich mit aller Energie von jenen Elementen
freimachen müssen, die das künstlerische Handwerk schänden, indem sie, ohne etwas
Positives zu bieten, neue Kunstgesetze aufstellen wollen. Von jenen Leuten,
die fortwährend vom Rhythmus der Linie und Farbe, von Raumaufteilung und
dergleichen sprechen und nicht imstande sind, sich persönlich mit irgendeinem
Natureindruck auseinanderzusetzen, sondern, weil sie weder ordentlich zeichnen
noch malen können, vom Raube an den Werken anderer leben. Wobei sie dann
in der Einbildung, ihre eigenen Leistungen seien so schwieriger zu kontrollieren,
sich mit Borliebe an die sehr freien Schöpfungen halten, mit denen ganz große
Künstler ihre Tätigkeit zu beschließen pflegen.

Auch die diesjährige Ausstellung der Berliner Sezession leidet teilweise
unter dem Übergewicht dieser unproduktiven Talente, die den Raum für die
Darbietungen der produktiven mit ihren so überflüssigen Erzeugnissen beschränken
und die Hängekommission zu einer ganz unstatthaften Überfüllung einzelner Säle
und zu einer beklagenswert geschmacklosen Behandlung ganzer Wände genötigt
haben. Hundert von diesen Entbehrlichkeiten weniger und die Ausstellung könnte
das Muster einer im höchsten Grade interessierenden Vorführung zeitgenössischer
Kunst sein; denn sie enthält eine große Zahl wirklich sehr hervorragender
Schöpfungen.

Wenn man nicht grade die immer mehr um sich greifende Neigung vieler
junger deutscher Maler, französische Künstler wie Cözanne, Matisse, Gauguin
und van Gogh nachzuahmen, für ein Symptom nehmen will, lassen neue Richtungs-
linien in der deutschen Kunst sich nicht wahrnehmen. Die Bewunderung für die
Franzosen hindert selbst die fortschrittlich Gesinnten, nach neuen Möglichkeiten
in der heimischen Art zu suchen. Die Vernünftigen halten sich damit aufrecht,
daß sie sich mit der Natur beschäftigen, und man muß feststellen, daß eine statt¬
liche Zahl von ihnen zu malerischen Ergebnissen gelangt ist, für die man die
höchste Achtung haben muß. Leistungen, wie sie Robert Breyer, Ulrich uno
Heinrich Hühner, Waldemar Rösler, Emil Pottner — um nur einige der besten
zu nennen — hier haben, brauchen keine Konkurrenz der Franzosen zu fürchten.
Und daß unter den neu an dieser Stelle erscheinenden jungen Künstlern sich
mehrere befinden, die auf dem gleichen Wege sind, erweckt die Hoffnung, daß
die Zwecklosigkeit der Nachahmung einer dem deutsche» Wesen vollkommen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/230>, abgerufen am 28.09.2024.