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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Das Reichs-llaligesetz

die Möglichkeit ließen, sich in einem großen Geschäftsgebiet des Syndikats fest¬
zusetzen, so fest, daß er ohne schwere Verluste für das Kalisyndikat nicht mehr
vertrieben werden konnte. Es genügt, die Tatsache festzuhalten, daß in der
Nacht zum 1. Juli 1909, als kurz nach Mitternacht die Erneuerung des alten
Kalisyndikats an dem üblichen hartnäckigen Quotenhandel gescheitert war, die
Vertreter der Schmidtmann-Werke, die Herren Waldemar Schmidtmann und
Dr. Greve, den Beratungssaal verlassen hatten, und am nächsten Morgen, als
die Einigungsverhandlungen fortgesetzt wurden, stand das alte Syndikat, das
noch bis 31. Dezember 1909 lief, vor der vollzogenen Tatsache eines gewaltigen
außersvndikatlichen Abschlusses, durch den die gesamte Produktion der Werke
Aschersleben und Sollstedt -- nahezu die doppelte Syndikatsquote dieser beiden
Werke -- zu halben Sundikatspreisen auf zwei Jahre mit der Option auf
weitere fünf Jahre an zwei amerikanische Düngertrusts verkauft war. Nun
trat noch ein drittes Werk, Einigkeit, das zu zwei Dritteln in amerikanischen Besitz
ist, gleichfalls aus dem Syndikat und überließ seine gesamte Produktion einem dritten
Düngertrust, so daß tatsächlich nahezu der gesamte amerikanische Markt dem Syndikat
entwunden war. Monatelang mühte man sich nun in fruchtlosen Einig nngs-
verhandlungen; es bildete sich ein zunächst einjähriges Rumpfspndikat mit Ausschluß
der genannten drei Werke; der Gedanke, den offenen Preiskampf gegen die Außenseiter
aufzunehmen, wurde bald wieder fallen gelassen, und nun erhoben sich die
Bemühungen, ein gesetzgeberisches Einschreiten herbeizuführen. Das preußische
Handelsministerium arbeitete einen Entwurf aus, der seine schärfste Spitze nicht
so sehr gegen die Schmidtmannschen Auslandsverkäufe, als vielmehr gegen die
angebliche "Überproduktion", gegen das Entstehen neuer Werke richtete und in
den betroffenen Kreisen -- namentlich in Hannover und Süddeutschland --
einen solchen Sturm entsandte, daß der Bundesrat diesen Entwurf preisgab
und sich auf einen zweiten einigte, der in: wesentlichen eine "Vertriebs¬
gemeinschaft", also ein Zwangssyndikat einführte. Aber auch damit hatte
man kein Glück; denn große Parteien des Reichstags, vor allem das Zentrum,
erklärten es mit ihren politischen Grundsätzen für unvereinbar, ein Zwangs-
svndikat, also eine Unternehmerkoalition gesetzlich zu stabilieren. Da aber der
zwingende Gedanke, eine nationale Produktion vor ausländischen Einbrüchen,
vor Raubbau und Preisschleudereien zum Nachteil der heimischen Landwirtschaft
zu schützen, nicht mehr von der Hand zu weisen war, so einigten sich Zentrum,
Konservative, Nationalliberale und Wirtschaftliche Vereinigung im Reichstag auf
einen Kompromißantrag, der die Billigung der verbündeten Regierungen fand
und nun nach einer langwierigen Kommissionsberatung vor der Verabschiedung
steht. Dieser Kompromißantrag läßt den Gedanken der Vertriebsgemeiuschaft
vollständig fallen; er bestimmt die Beschränkung der Produktion durch die
Kontingentierung des Absatzes nach dem bisherigen Quotenverhältnis der einzelnen
Werke und besteuert die Lieferung über das gesetzliche Kontingent, also die
Schmidtmannschen Massenverkäufe, mit einem Betrag, der jedes Nberkontingent


Das Reichs-llaligesetz

die Möglichkeit ließen, sich in einem großen Geschäftsgebiet des Syndikats fest¬
zusetzen, so fest, daß er ohne schwere Verluste für das Kalisyndikat nicht mehr
vertrieben werden konnte. Es genügt, die Tatsache festzuhalten, daß in der
Nacht zum 1. Juli 1909, als kurz nach Mitternacht die Erneuerung des alten
Kalisyndikats an dem üblichen hartnäckigen Quotenhandel gescheitert war, die
Vertreter der Schmidtmann-Werke, die Herren Waldemar Schmidtmann und
Dr. Greve, den Beratungssaal verlassen hatten, und am nächsten Morgen, als
die Einigungsverhandlungen fortgesetzt wurden, stand das alte Syndikat, das
noch bis 31. Dezember 1909 lief, vor der vollzogenen Tatsache eines gewaltigen
außersvndikatlichen Abschlusses, durch den die gesamte Produktion der Werke
Aschersleben und Sollstedt — nahezu die doppelte Syndikatsquote dieser beiden
Werke — zu halben Sundikatspreisen auf zwei Jahre mit der Option auf
weitere fünf Jahre an zwei amerikanische Düngertrusts verkauft war. Nun
trat noch ein drittes Werk, Einigkeit, das zu zwei Dritteln in amerikanischen Besitz
ist, gleichfalls aus dem Syndikat und überließ seine gesamte Produktion einem dritten
Düngertrust, so daß tatsächlich nahezu der gesamte amerikanische Markt dem Syndikat
entwunden war. Monatelang mühte man sich nun in fruchtlosen Einig nngs-
verhandlungen; es bildete sich ein zunächst einjähriges Rumpfspndikat mit Ausschluß
der genannten drei Werke; der Gedanke, den offenen Preiskampf gegen die Außenseiter
aufzunehmen, wurde bald wieder fallen gelassen, und nun erhoben sich die
Bemühungen, ein gesetzgeberisches Einschreiten herbeizuführen. Das preußische
Handelsministerium arbeitete einen Entwurf aus, der seine schärfste Spitze nicht
so sehr gegen die Schmidtmannschen Auslandsverkäufe, als vielmehr gegen die
angebliche „Überproduktion", gegen das Entstehen neuer Werke richtete und in
den betroffenen Kreisen — namentlich in Hannover und Süddeutschland —
einen solchen Sturm entsandte, daß der Bundesrat diesen Entwurf preisgab
und sich auf einen zweiten einigte, der in: wesentlichen eine „Vertriebs¬
gemeinschaft", also ein Zwangssyndikat einführte. Aber auch damit hatte
man kein Glück; denn große Parteien des Reichstags, vor allem das Zentrum,
erklärten es mit ihren politischen Grundsätzen für unvereinbar, ein Zwangs-
svndikat, also eine Unternehmerkoalition gesetzlich zu stabilieren. Da aber der
zwingende Gedanke, eine nationale Produktion vor ausländischen Einbrüchen,
vor Raubbau und Preisschleudereien zum Nachteil der heimischen Landwirtschaft
zu schützen, nicht mehr von der Hand zu weisen war, so einigten sich Zentrum,
Konservative, Nationalliberale und Wirtschaftliche Vereinigung im Reichstag auf
einen Kompromißantrag, der die Billigung der verbündeten Regierungen fand
und nun nach einer langwierigen Kommissionsberatung vor der Verabschiedung
steht. Dieser Kompromißantrag läßt den Gedanken der Vertriebsgemeiuschaft
vollständig fallen; er bestimmt die Beschränkung der Produktion durch die
Kontingentierung des Absatzes nach dem bisherigen Quotenverhältnis der einzelnen
Werke und besteuert die Lieferung über das gesetzliche Kontingent, also die
Schmidtmannschen Massenverkäufe, mit einem Betrag, der jedes Nberkontingent


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[0226] Das Reichs-llaligesetz die Möglichkeit ließen, sich in einem großen Geschäftsgebiet des Syndikats fest¬ zusetzen, so fest, daß er ohne schwere Verluste für das Kalisyndikat nicht mehr vertrieben werden konnte. Es genügt, die Tatsache festzuhalten, daß in der Nacht zum 1. Juli 1909, als kurz nach Mitternacht die Erneuerung des alten Kalisyndikats an dem üblichen hartnäckigen Quotenhandel gescheitert war, die Vertreter der Schmidtmann-Werke, die Herren Waldemar Schmidtmann und Dr. Greve, den Beratungssaal verlassen hatten, und am nächsten Morgen, als die Einigungsverhandlungen fortgesetzt wurden, stand das alte Syndikat, das noch bis 31. Dezember 1909 lief, vor der vollzogenen Tatsache eines gewaltigen außersvndikatlichen Abschlusses, durch den die gesamte Produktion der Werke Aschersleben und Sollstedt — nahezu die doppelte Syndikatsquote dieser beiden Werke — zu halben Sundikatspreisen auf zwei Jahre mit der Option auf weitere fünf Jahre an zwei amerikanische Düngertrusts verkauft war. Nun trat noch ein drittes Werk, Einigkeit, das zu zwei Dritteln in amerikanischen Besitz ist, gleichfalls aus dem Syndikat und überließ seine gesamte Produktion einem dritten Düngertrust, so daß tatsächlich nahezu der gesamte amerikanische Markt dem Syndikat entwunden war. Monatelang mühte man sich nun in fruchtlosen Einig nngs- verhandlungen; es bildete sich ein zunächst einjähriges Rumpfspndikat mit Ausschluß der genannten drei Werke; der Gedanke, den offenen Preiskampf gegen die Außenseiter aufzunehmen, wurde bald wieder fallen gelassen, und nun erhoben sich die Bemühungen, ein gesetzgeberisches Einschreiten herbeizuführen. Das preußische Handelsministerium arbeitete einen Entwurf aus, der seine schärfste Spitze nicht so sehr gegen die Schmidtmannschen Auslandsverkäufe, als vielmehr gegen die angebliche „Überproduktion", gegen das Entstehen neuer Werke richtete und in den betroffenen Kreisen — namentlich in Hannover und Süddeutschland — einen solchen Sturm entsandte, daß der Bundesrat diesen Entwurf preisgab und sich auf einen zweiten einigte, der in: wesentlichen eine „Vertriebs¬ gemeinschaft", also ein Zwangssyndikat einführte. Aber auch damit hatte man kein Glück; denn große Parteien des Reichstags, vor allem das Zentrum, erklärten es mit ihren politischen Grundsätzen für unvereinbar, ein Zwangs- svndikat, also eine Unternehmerkoalition gesetzlich zu stabilieren. Da aber der zwingende Gedanke, eine nationale Produktion vor ausländischen Einbrüchen, vor Raubbau und Preisschleudereien zum Nachteil der heimischen Landwirtschaft zu schützen, nicht mehr von der Hand zu weisen war, so einigten sich Zentrum, Konservative, Nationalliberale und Wirtschaftliche Vereinigung im Reichstag auf einen Kompromißantrag, der die Billigung der verbündeten Regierungen fand und nun nach einer langwierigen Kommissionsberatung vor der Verabschiedung steht. Dieser Kompromißantrag läßt den Gedanken der Vertriebsgemeiuschaft vollständig fallen; er bestimmt die Beschränkung der Produktion durch die Kontingentierung des Absatzes nach dem bisherigen Quotenverhältnis der einzelnen Werke und besteuert die Lieferung über das gesetzliche Kontingent, also die Schmidtmannschen Massenverkäufe, mit einem Betrag, der jedes Nberkontingent

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/226>, abgerufen am 29.06.2024.