Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Entwurf eines Stellenvormittlergesetzes

in ein laufendes Register eingetragen. Anderseits werden Nachfragen von
Arbeitgebern angenommen und registriert. Wenn tunlich erhält der Arbeiter
sofort eine Karte, mit der er sich bei der entsprechenden Arbeiter suchenden Firma
melden kann; andernfalls muß er häufiger kommen oder er erhält Benachrichtigung.
Die Beamten der ^abour exclmnM3 übernehmen keine Verantwortung betreffs
der Lohnverhältnisse, Arbeitsbedingungen usw. Sie haben sich auf die Mitteilung
der ihnen zugegangenen Informationen zu beschränken. Kein Arbeiter darf
dafür zur Rechenschaft gezogen werden, wenn er die ihm angewiesene Stelle
nicht annimmt; es ist besonders bestimmt, "daß kein Arbeitsuchender beim
Arbeitsnachweis ungünstiger gestellt werden darf, wenn er eine ihm nachgewiesene
Arbeit deshalb ablehnt, weil an der betreffenden Stelle ein Aufstand oder eine
Aussperrung im Gange ist, oder weil die Löhne niedriger sind, als es den
ortsüblichen Sätzen entspricht". Bei mehr als fünf englische Meilen (etwa acht
Kilometer) vom Arbeitsnachweis oder der Wohnung des Arbeiters entfernten
Arbeitsstellen kann dem Arbeiter nach Befinden des Beamten ein Reisevorschuß
(gewöhnlich Eisenbahnfahrkarte) gewährt werden. Nach den vom Handelsamt
erlassenen Ausführungsbestimmungen soll indes darauf geachtet werden, daß eine
ungebührliche Ermutigung ländlicher Arbeiter zur Abwanderung vom Lande in
die Städte möglichst vermieden wird. Die örtlichen Nachweise stehen mit den
Bezirksnachweisen und letztere mit dem Zentralamt in Verbindung, so daß ein
Überweisungsverkehr in und zwischen den Bezirken stattfinden kann. Es sind
zunächst etwa achthundert Beamte angestellt, ohne die oberen Chefs. ("Die Post"
vom 18. Februar 1910 Ur. 81.)

Die neue englische Einrichtung wird von manchen unserer Sozialpolitiker
sehr gelobt. So rühmt Stadtrat Dr. Flesch in Frankfurt a. M. im "Berliner
Tageblatt", daß der Arbeitsnachweis in England einheitlich, großzügig, als
staatliche Institution mit aller Autorität einer solchen ins Leben gerufen werden
solle. Aber er hat bei aller Befürwortung des öffentlichen Arbeitsnachweises
doch Bedenken dagegen, daß das englische Beispiel in Deutschland nachgeahmt
und der Arbeitsnachweis aus einer Organisation der Selbstverwaltung zu einer
rein staatlichen Anstalt würde.

Nach den Erklärungen des Staatssekretärs des Innern im Reichstage haben
die verbündeten Regierungen die Frage der Verstaatlichung bezw. Munizipalisierung
des Arbeitsnachweises in Deutschland eingehend geprüft, sind aber zu dem
Ergebnis gekommen, daß wir zurzeit noch nicht so weit sind, daß wir zu einer
Zwangsorganisation des gesamten Arbeitsnachweises als einer öffentlichen Ein¬
richtung mit paritätischer Verwaltung schreiten können. Auch die Reichstagsdebatte
vom 20. Januar d. Is. bei der Jnterpellation Trimborn über den Zechen-
Arbeitsnachweis im Ruhrgebiet hat erkennen lassen, daß eine solche Vorlage
keine Aussicht auf Annahme haben würde.

Wie der Staatssekretär in Übereinstimmung mit der Begründung zu dem
vorliegenden Gesetzentwürfe bei dessen erster Beratung im Plenum des Reichs-


Der Entwurf eines Stellenvormittlergesetzes

in ein laufendes Register eingetragen. Anderseits werden Nachfragen von
Arbeitgebern angenommen und registriert. Wenn tunlich erhält der Arbeiter
sofort eine Karte, mit der er sich bei der entsprechenden Arbeiter suchenden Firma
melden kann; andernfalls muß er häufiger kommen oder er erhält Benachrichtigung.
Die Beamten der ^abour exclmnM3 übernehmen keine Verantwortung betreffs
der Lohnverhältnisse, Arbeitsbedingungen usw. Sie haben sich auf die Mitteilung
der ihnen zugegangenen Informationen zu beschränken. Kein Arbeiter darf
dafür zur Rechenschaft gezogen werden, wenn er die ihm angewiesene Stelle
nicht annimmt; es ist besonders bestimmt, „daß kein Arbeitsuchender beim
Arbeitsnachweis ungünstiger gestellt werden darf, wenn er eine ihm nachgewiesene
Arbeit deshalb ablehnt, weil an der betreffenden Stelle ein Aufstand oder eine
Aussperrung im Gange ist, oder weil die Löhne niedriger sind, als es den
ortsüblichen Sätzen entspricht". Bei mehr als fünf englische Meilen (etwa acht
Kilometer) vom Arbeitsnachweis oder der Wohnung des Arbeiters entfernten
Arbeitsstellen kann dem Arbeiter nach Befinden des Beamten ein Reisevorschuß
(gewöhnlich Eisenbahnfahrkarte) gewährt werden. Nach den vom Handelsamt
erlassenen Ausführungsbestimmungen soll indes darauf geachtet werden, daß eine
ungebührliche Ermutigung ländlicher Arbeiter zur Abwanderung vom Lande in
die Städte möglichst vermieden wird. Die örtlichen Nachweise stehen mit den
Bezirksnachweisen und letztere mit dem Zentralamt in Verbindung, so daß ein
Überweisungsverkehr in und zwischen den Bezirken stattfinden kann. Es sind
zunächst etwa achthundert Beamte angestellt, ohne die oberen Chefs. („Die Post"
vom 18. Februar 1910 Ur. 81.)

Die neue englische Einrichtung wird von manchen unserer Sozialpolitiker
sehr gelobt. So rühmt Stadtrat Dr. Flesch in Frankfurt a. M. im „Berliner
Tageblatt", daß der Arbeitsnachweis in England einheitlich, großzügig, als
staatliche Institution mit aller Autorität einer solchen ins Leben gerufen werden
solle. Aber er hat bei aller Befürwortung des öffentlichen Arbeitsnachweises
doch Bedenken dagegen, daß das englische Beispiel in Deutschland nachgeahmt
und der Arbeitsnachweis aus einer Organisation der Selbstverwaltung zu einer
rein staatlichen Anstalt würde.

Nach den Erklärungen des Staatssekretärs des Innern im Reichstage haben
die verbündeten Regierungen die Frage der Verstaatlichung bezw. Munizipalisierung
des Arbeitsnachweises in Deutschland eingehend geprüft, sind aber zu dem
Ergebnis gekommen, daß wir zurzeit noch nicht so weit sind, daß wir zu einer
Zwangsorganisation des gesamten Arbeitsnachweises als einer öffentlichen Ein¬
richtung mit paritätischer Verwaltung schreiten können. Auch die Reichstagsdebatte
vom 20. Januar d. Is. bei der Jnterpellation Trimborn über den Zechen-
Arbeitsnachweis im Ruhrgebiet hat erkennen lassen, daß eine solche Vorlage
keine Aussicht auf Annahme haben würde.

Wie der Staatssekretär in Übereinstimmung mit der Begründung zu dem
vorliegenden Gesetzentwürfe bei dessen erster Beratung im Plenum des Reichs-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0220" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315859"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Entwurf eines Stellenvormittlergesetzes</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1183" prev="#ID_1182"> in ein laufendes Register eingetragen. Anderseits werden Nachfragen von<lb/>
Arbeitgebern angenommen und registriert. Wenn tunlich erhält der Arbeiter<lb/>
sofort eine Karte, mit der er sich bei der entsprechenden Arbeiter suchenden Firma<lb/>
melden kann; andernfalls muß er häufiger kommen oder er erhält Benachrichtigung.<lb/>
Die Beamten der ^abour exclmnM3 übernehmen keine Verantwortung betreffs<lb/>
der Lohnverhältnisse, Arbeitsbedingungen usw. Sie haben sich auf die Mitteilung<lb/>
der ihnen zugegangenen Informationen zu beschränken. Kein Arbeiter darf<lb/>
dafür zur Rechenschaft gezogen werden, wenn er die ihm angewiesene Stelle<lb/>
nicht annimmt; es ist besonders bestimmt, &#x201E;daß kein Arbeitsuchender beim<lb/>
Arbeitsnachweis ungünstiger gestellt werden darf, wenn er eine ihm nachgewiesene<lb/>
Arbeit deshalb ablehnt, weil an der betreffenden Stelle ein Aufstand oder eine<lb/>
Aussperrung im Gange ist, oder weil die Löhne niedriger sind, als es den<lb/>
ortsüblichen Sätzen entspricht". Bei mehr als fünf englische Meilen (etwa acht<lb/>
Kilometer) vom Arbeitsnachweis oder der Wohnung des Arbeiters entfernten<lb/>
Arbeitsstellen kann dem Arbeiter nach Befinden des Beamten ein Reisevorschuß<lb/>
(gewöhnlich Eisenbahnfahrkarte) gewährt werden. Nach den vom Handelsamt<lb/>
erlassenen Ausführungsbestimmungen soll indes darauf geachtet werden, daß eine<lb/>
ungebührliche Ermutigung ländlicher Arbeiter zur Abwanderung vom Lande in<lb/>
die Städte möglichst vermieden wird. Die örtlichen Nachweise stehen mit den<lb/>
Bezirksnachweisen und letztere mit dem Zentralamt in Verbindung, so daß ein<lb/>
Überweisungsverkehr in und zwischen den Bezirken stattfinden kann. Es sind<lb/>
zunächst etwa achthundert Beamte angestellt, ohne die oberen Chefs. (&#x201E;Die Post"<lb/>
vom 18. Februar 1910 Ur. 81.)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1184"> Die neue englische Einrichtung wird von manchen unserer Sozialpolitiker<lb/>
sehr gelobt. So rühmt Stadtrat Dr. Flesch in Frankfurt a. M. im &#x201E;Berliner<lb/>
Tageblatt", daß der Arbeitsnachweis in England einheitlich, großzügig, als<lb/>
staatliche Institution mit aller Autorität einer solchen ins Leben gerufen werden<lb/>
solle. Aber er hat bei aller Befürwortung des öffentlichen Arbeitsnachweises<lb/>
doch Bedenken dagegen, daß das englische Beispiel in Deutschland nachgeahmt<lb/>
und der Arbeitsnachweis aus einer Organisation der Selbstverwaltung zu einer<lb/>
rein staatlichen Anstalt würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1185"> Nach den Erklärungen des Staatssekretärs des Innern im Reichstage haben<lb/>
die verbündeten Regierungen die Frage der Verstaatlichung bezw. Munizipalisierung<lb/>
des Arbeitsnachweises in Deutschland eingehend geprüft, sind aber zu dem<lb/>
Ergebnis gekommen, daß wir zurzeit noch nicht so weit sind, daß wir zu einer<lb/>
Zwangsorganisation des gesamten Arbeitsnachweises als einer öffentlichen Ein¬<lb/>
richtung mit paritätischer Verwaltung schreiten können. Auch die Reichstagsdebatte<lb/>
vom 20. Januar d. Is. bei der Jnterpellation Trimborn über den Zechen-<lb/>
Arbeitsnachweis im Ruhrgebiet hat erkennen lassen, daß eine solche Vorlage<lb/>
keine Aussicht auf Annahme haben würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1186" next="#ID_1187"> Wie der Staatssekretär in Übereinstimmung mit der Begründung zu dem<lb/>
vorliegenden Gesetzentwürfe bei dessen erster Beratung im Plenum des Reichs-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0220] Der Entwurf eines Stellenvormittlergesetzes in ein laufendes Register eingetragen. Anderseits werden Nachfragen von Arbeitgebern angenommen und registriert. Wenn tunlich erhält der Arbeiter sofort eine Karte, mit der er sich bei der entsprechenden Arbeiter suchenden Firma melden kann; andernfalls muß er häufiger kommen oder er erhält Benachrichtigung. Die Beamten der ^abour exclmnM3 übernehmen keine Verantwortung betreffs der Lohnverhältnisse, Arbeitsbedingungen usw. Sie haben sich auf die Mitteilung der ihnen zugegangenen Informationen zu beschränken. Kein Arbeiter darf dafür zur Rechenschaft gezogen werden, wenn er die ihm angewiesene Stelle nicht annimmt; es ist besonders bestimmt, „daß kein Arbeitsuchender beim Arbeitsnachweis ungünstiger gestellt werden darf, wenn er eine ihm nachgewiesene Arbeit deshalb ablehnt, weil an der betreffenden Stelle ein Aufstand oder eine Aussperrung im Gange ist, oder weil die Löhne niedriger sind, als es den ortsüblichen Sätzen entspricht". Bei mehr als fünf englische Meilen (etwa acht Kilometer) vom Arbeitsnachweis oder der Wohnung des Arbeiters entfernten Arbeitsstellen kann dem Arbeiter nach Befinden des Beamten ein Reisevorschuß (gewöhnlich Eisenbahnfahrkarte) gewährt werden. Nach den vom Handelsamt erlassenen Ausführungsbestimmungen soll indes darauf geachtet werden, daß eine ungebührliche Ermutigung ländlicher Arbeiter zur Abwanderung vom Lande in die Städte möglichst vermieden wird. Die örtlichen Nachweise stehen mit den Bezirksnachweisen und letztere mit dem Zentralamt in Verbindung, so daß ein Überweisungsverkehr in und zwischen den Bezirken stattfinden kann. Es sind zunächst etwa achthundert Beamte angestellt, ohne die oberen Chefs. („Die Post" vom 18. Februar 1910 Ur. 81.) Die neue englische Einrichtung wird von manchen unserer Sozialpolitiker sehr gelobt. So rühmt Stadtrat Dr. Flesch in Frankfurt a. M. im „Berliner Tageblatt", daß der Arbeitsnachweis in England einheitlich, großzügig, als staatliche Institution mit aller Autorität einer solchen ins Leben gerufen werden solle. Aber er hat bei aller Befürwortung des öffentlichen Arbeitsnachweises doch Bedenken dagegen, daß das englische Beispiel in Deutschland nachgeahmt und der Arbeitsnachweis aus einer Organisation der Selbstverwaltung zu einer rein staatlichen Anstalt würde. Nach den Erklärungen des Staatssekretärs des Innern im Reichstage haben die verbündeten Regierungen die Frage der Verstaatlichung bezw. Munizipalisierung des Arbeitsnachweises in Deutschland eingehend geprüft, sind aber zu dem Ergebnis gekommen, daß wir zurzeit noch nicht so weit sind, daß wir zu einer Zwangsorganisation des gesamten Arbeitsnachweises als einer öffentlichen Ein¬ richtung mit paritätischer Verwaltung schreiten können. Auch die Reichstagsdebatte vom 20. Januar d. Is. bei der Jnterpellation Trimborn über den Zechen- Arbeitsnachweis im Ruhrgebiet hat erkennen lassen, daß eine solche Vorlage keine Aussicht auf Annahme haben würde. Wie der Staatssekretär in Übereinstimmung mit der Begründung zu dem vorliegenden Gesetzentwürfe bei dessen erster Beratung im Plenum des Reichs-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/220
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/220>, abgerufen am 28.09.2024.