Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Entwurf eines Stellenverinittlergesetzes

war die Aufmerksamkeit besonders auf die großen Arbeitgeber- und Arbeitnehmer¬
nachweise gerichtet. Die Kämpfe auf dem Arbeitsmarkt haben dazu geführt, daß
man versucht hat, den Arbeitsnachweis paritätisch zu organisieren. Es sind
Wünsche laut geworden, den ganzen Arbeitsnachweis als eine solche Ein¬
richtung obligatorisch und mit paritätischer Verwaltung zu organi¬
sieren. Es ist in dieser Beziehung namentlich von Arbeitnehmern des Gast¬
wirtgewerbes, welche besonders unter Ausbeutung durch Stellenvermittler leiden,
auf die französische Gesetzgebung (Gesetz vom 14. März 1904), die eine Aufhebung
der gewerblichen Vermittlerbureaus gegen Entschädigung ermöglicht, verwiesen
und insbesondre gefordert worden, den Arbeitsnachweis ganz dem privaten
Erwerbsinteresse zu entziehen und ausschließlich den gemeinnützigen öffentlichen
Arbeitsnachweis als Stellenvermittler zuzulassen. Die Entschädigungssummen,
die sür die Durchführung eines demi französischen ähnlichen Gesetzes aufzubringen
wären, sind für das Deutsche Reich auf 20 Millionen Mark berechnet
worden, wenn jeder Stellenvermittler mit der willkürlich gegriffenen Summe von
durchschnittlich nur 3000 Mark entschädigt würde. Die Entschädigungsfrage
würde demnach einer sofortigen Ausschaltung der gewerbsmäßigen Stellen¬
vermittler kaum unüberwindliche Hindernisse bereiten.

Auch im Mutterlande des Manchestertums, wo überhaupt der Staats¬
sozialismus an Stelle der früheren grundsätzlichen Nichteinmischung des Staates
rasche Fortschritte macht, ist soeben durch Gesetz vom 1. Februar d. Is. der
staatliche Arbeitsnachweis eingeführt worden. Das von: Handelsamt (IZoarä
01 tra.de) unter der Führerschaft des Ministers Churchill ausgegangene Gesetz,
die ^abour exclmnMZ betreffend, ist, wie die "Times" vom 31. Januar in
einem Leitartikel betont, ein "sehr interessanter Versuch", indem es ein ganz
neues System schafft. Wohl gab es bereits Ausweise und in einigen Ländern
seien sie allmählich in eine Art System gebracht, in England aber werde jetzt
mit einem Guß die Sache gemacht.

Es werden jetzt, wie der "Arbeitgeber" berichtet, 11 "vivisional clearinA
ki0usf8", je einer für die 11 industriellen Bezirke des Königreichs, eingerichtet;
40 Arbeitsnachweise erster Klasse in Städten über 100000 Einwohner, 30 zweiter
Klasse in Städten zwischen 50000 und 100000, und eine größere Menge dritter
Klasse für kleinere Orte. Im ganzen sind es zunächst etwa 150, man denkt,
daß es im Laufe dieses Jahres etwa 200 werden. Die Zentralstelle des
National clearmZ liouse ist in Westminster. Als jährliche Ausgabe sind
4 Millionen Mark vorgesehen. Alljährlich sollen nach Bedarf und Mitteln eigene
Häuser gebaut oder erworben werden; vorerst sind verschiedenartige Räumlich¬
keiten, alte Schulen, Dienstgebäude, Werkstätten usw. für den Gebrauch verwendet
worden.

Geschäftsgang und Einrichtung sind kurz folgende: Arbeitsuchende, die
innerhalb eines Unikreises von drei englischen Meilen von: Arbeitsnachweis
wohnen, sollen dort persönlich erscheinen. Namen, Beruf und Adressen werden


Der Entwurf eines Stellenverinittlergesetzes

war die Aufmerksamkeit besonders auf die großen Arbeitgeber- und Arbeitnehmer¬
nachweise gerichtet. Die Kämpfe auf dem Arbeitsmarkt haben dazu geführt, daß
man versucht hat, den Arbeitsnachweis paritätisch zu organisieren. Es sind
Wünsche laut geworden, den ganzen Arbeitsnachweis als eine solche Ein¬
richtung obligatorisch und mit paritätischer Verwaltung zu organi¬
sieren. Es ist in dieser Beziehung namentlich von Arbeitnehmern des Gast¬
wirtgewerbes, welche besonders unter Ausbeutung durch Stellenvermittler leiden,
auf die französische Gesetzgebung (Gesetz vom 14. März 1904), die eine Aufhebung
der gewerblichen Vermittlerbureaus gegen Entschädigung ermöglicht, verwiesen
und insbesondre gefordert worden, den Arbeitsnachweis ganz dem privaten
Erwerbsinteresse zu entziehen und ausschließlich den gemeinnützigen öffentlichen
Arbeitsnachweis als Stellenvermittler zuzulassen. Die Entschädigungssummen,
die sür die Durchführung eines demi französischen ähnlichen Gesetzes aufzubringen
wären, sind für das Deutsche Reich auf 20 Millionen Mark berechnet
worden, wenn jeder Stellenvermittler mit der willkürlich gegriffenen Summe von
durchschnittlich nur 3000 Mark entschädigt würde. Die Entschädigungsfrage
würde demnach einer sofortigen Ausschaltung der gewerbsmäßigen Stellen¬
vermittler kaum unüberwindliche Hindernisse bereiten.

Auch im Mutterlande des Manchestertums, wo überhaupt der Staats¬
sozialismus an Stelle der früheren grundsätzlichen Nichteinmischung des Staates
rasche Fortschritte macht, ist soeben durch Gesetz vom 1. Februar d. Is. der
staatliche Arbeitsnachweis eingeführt worden. Das von: Handelsamt (IZoarä
01 tra.de) unter der Führerschaft des Ministers Churchill ausgegangene Gesetz,
die ^abour exclmnMZ betreffend, ist, wie die „Times" vom 31. Januar in
einem Leitartikel betont, ein „sehr interessanter Versuch", indem es ein ganz
neues System schafft. Wohl gab es bereits Ausweise und in einigen Ländern
seien sie allmählich in eine Art System gebracht, in England aber werde jetzt
mit einem Guß die Sache gemacht.

Es werden jetzt, wie der „Arbeitgeber" berichtet, 11 „vivisional clearinA
ki0usf8", je einer für die 11 industriellen Bezirke des Königreichs, eingerichtet;
40 Arbeitsnachweise erster Klasse in Städten über 100000 Einwohner, 30 zweiter
Klasse in Städten zwischen 50000 und 100000, und eine größere Menge dritter
Klasse für kleinere Orte. Im ganzen sind es zunächst etwa 150, man denkt,
daß es im Laufe dieses Jahres etwa 200 werden. Die Zentralstelle des
National clearmZ liouse ist in Westminster. Als jährliche Ausgabe sind
4 Millionen Mark vorgesehen. Alljährlich sollen nach Bedarf und Mitteln eigene
Häuser gebaut oder erworben werden; vorerst sind verschiedenartige Räumlich¬
keiten, alte Schulen, Dienstgebäude, Werkstätten usw. für den Gebrauch verwendet
worden.

Geschäftsgang und Einrichtung sind kurz folgende: Arbeitsuchende, die
innerhalb eines Unikreises von drei englischen Meilen von: Arbeitsnachweis
wohnen, sollen dort persönlich erscheinen. Namen, Beruf und Adressen werden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0219" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315858"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Entwurf eines Stellenverinittlergesetzes</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1179" prev="#ID_1178"> war die Aufmerksamkeit besonders auf die großen Arbeitgeber- und Arbeitnehmer¬<lb/>
nachweise gerichtet. Die Kämpfe auf dem Arbeitsmarkt haben dazu geführt, daß<lb/>
man versucht hat, den Arbeitsnachweis paritätisch zu organisieren. Es sind<lb/>
Wünsche laut geworden, den ganzen Arbeitsnachweis als eine solche Ein¬<lb/>
richtung obligatorisch und mit paritätischer Verwaltung zu organi¬<lb/>
sieren. Es ist in dieser Beziehung namentlich von Arbeitnehmern des Gast¬<lb/>
wirtgewerbes, welche besonders unter Ausbeutung durch Stellenvermittler leiden,<lb/>
auf die französische Gesetzgebung (Gesetz vom 14. März 1904), die eine Aufhebung<lb/>
der gewerblichen Vermittlerbureaus gegen Entschädigung ermöglicht, verwiesen<lb/>
und insbesondre gefordert worden, den Arbeitsnachweis ganz dem privaten<lb/>
Erwerbsinteresse zu entziehen und ausschließlich den gemeinnützigen öffentlichen<lb/>
Arbeitsnachweis als Stellenvermittler zuzulassen. Die Entschädigungssummen,<lb/>
die sür die Durchführung eines demi französischen ähnlichen Gesetzes aufzubringen<lb/>
wären, sind für das Deutsche Reich auf 20 Millionen Mark berechnet<lb/>
worden, wenn jeder Stellenvermittler mit der willkürlich gegriffenen Summe von<lb/>
durchschnittlich nur 3000 Mark entschädigt würde. Die Entschädigungsfrage<lb/>
würde demnach einer sofortigen Ausschaltung der gewerbsmäßigen Stellen¬<lb/>
vermittler kaum unüberwindliche Hindernisse bereiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1180"> Auch im Mutterlande des Manchestertums, wo überhaupt der Staats¬<lb/>
sozialismus an Stelle der früheren grundsätzlichen Nichteinmischung des Staates<lb/>
rasche Fortschritte macht, ist soeben durch Gesetz vom 1. Februar d. Is. der<lb/>
staatliche Arbeitsnachweis eingeführt worden. Das von: Handelsamt (IZoarä<lb/>
01 tra.de) unter der Führerschaft des Ministers Churchill ausgegangene Gesetz,<lb/>
die ^abour exclmnMZ betreffend, ist, wie die &#x201E;Times" vom 31. Januar in<lb/>
einem Leitartikel betont, ein &#x201E;sehr interessanter Versuch", indem es ein ganz<lb/>
neues System schafft. Wohl gab es bereits Ausweise und in einigen Ländern<lb/>
seien sie allmählich in eine Art System gebracht, in England aber werde jetzt<lb/>
mit einem Guß die Sache gemacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1181"> Es werden jetzt, wie der &#x201E;Arbeitgeber" berichtet, 11 &#x201E;vivisional clearinA<lb/>
ki0usf8", je einer für die 11 industriellen Bezirke des Königreichs, eingerichtet;<lb/>
40 Arbeitsnachweise erster Klasse in Städten über 100000 Einwohner, 30 zweiter<lb/>
Klasse in Städten zwischen 50000 und 100000, und eine größere Menge dritter<lb/>
Klasse für kleinere Orte. Im ganzen sind es zunächst etwa 150, man denkt,<lb/>
daß es im Laufe dieses Jahres etwa 200 werden. Die Zentralstelle des<lb/>
National clearmZ liouse ist in Westminster. Als jährliche Ausgabe sind<lb/>
4 Millionen Mark vorgesehen. Alljährlich sollen nach Bedarf und Mitteln eigene<lb/>
Häuser gebaut oder erworben werden; vorerst sind verschiedenartige Räumlich¬<lb/>
keiten, alte Schulen, Dienstgebäude, Werkstätten usw. für den Gebrauch verwendet<lb/>
worden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1182" next="#ID_1183"> Geschäftsgang und Einrichtung sind kurz folgende: Arbeitsuchende, die<lb/>
innerhalb eines Unikreises von drei englischen Meilen von: Arbeitsnachweis<lb/>
wohnen, sollen dort persönlich erscheinen. Namen, Beruf und Adressen werden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0219] Der Entwurf eines Stellenverinittlergesetzes war die Aufmerksamkeit besonders auf die großen Arbeitgeber- und Arbeitnehmer¬ nachweise gerichtet. Die Kämpfe auf dem Arbeitsmarkt haben dazu geführt, daß man versucht hat, den Arbeitsnachweis paritätisch zu organisieren. Es sind Wünsche laut geworden, den ganzen Arbeitsnachweis als eine solche Ein¬ richtung obligatorisch und mit paritätischer Verwaltung zu organi¬ sieren. Es ist in dieser Beziehung namentlich von Arbeitnehmern des Gast¬ wirtgewerbes, welche besonders unter Ausbeutung durch Stellenvermittler leiden, auf die französische Gesetzgebung (Gesetz vom 14. März 1904), die eine Aufhebung der gewerblichen Vermittlerbureaus gegen Entschädigung ermöglicht, verwiesen und insbesondre gefordert worden, den Arbeitsnachweis ganz dem privaten Erwerbsinteresse zu entziehen und ausschließlich den gemeinnützigen öffentlichen Arbeitsnachweis als Stellenvermittler zuzulassen. Die Entschädigungssummen, die sür die Durchführung eines demi französischen ähnlichen Gesetzes aufzubringen wären, sind für das Deutsche Reich auf 20 Millionen Mark berechnet worden, wenn jeder Stellenvermittler mit der willkürlich gegriffenen Summe von durchschnittlich nur 3000 Mark entschädigt würde. Die Entschädigungsfrage würde demnach einer sofortigen Ausschaltung der gewerbsmäßigen Stellen¬ vermittler kaum unüberwindliche Hindernisse bereiten. Auch im Mutterlande des Manchestertums, wo überhaupt der Staats¬ sozialismus an Stelle der früheren grundsätzlichen Nichteinmischung des Staates rasche Fortschritte macht, ist soeben durch Gesetz vom 1. Februar d. Is. der staatliche Arbeitsnachweis eingeführt worden. Das von: Handelsamt (IZoarä 01 tra.de) unter der Führerschaft des Ministers Churchill ausgegangene Gesetz, die ^abour exclmnMZ betreffend, ist, wie die „Times" vom 31. Januar in einem Leitartikel betont, ein „sehr interessanter Versuch", indem es ein ganz neues System schafft. Wohl gab es bereits Ausweise und in einigen Ländern seien sie allmählich in eine Art System gebracht, in England aber werde jetzt mit einem Guß die Sache gemacht. Es werden jetzt, wie der „Arbeitgeber" berichtet, 11 „vivisional clearinA ki0usf8", je einer für die 11 industriellen Bezirke des Königreichs, eingerichtet; 40 Arbeitsnachweise erster Klasse in Städten über 100000 Einwohner, 30 zweiter Klasse in Städten zwischen 50000 und 100000, und eine größere Menge dritter Klasse für kleinere Orte. Im ganzen sind es zunächst etwa 150, man denkt, daß es im Laufe dieses Jahres etwa 200 werden. Die Zentralstelle des National clearmZ liouse ist in Westminster. Als jährliche Ausgabe sind 4 Millionen Mark vorgesehen. Alljährlich sollen nach Bedarf und Mitteln eigene Häuser gebaut oder erworben werden; vorerst sind verschiedenartige Räumlich¬ keiten, alte Schulen, Dienstgebäude, Werkstätten usw. für den Gebrauch verwendet worden. Geschäftsgang und Einrichtung sind kurz folgende: Arbeitsuchende, die innerhalb eines Unikreises von drei englischen Meilen von: Arbeitsnachweis wohnen, sollen dort persönlich erscheinen. Namen, Beruf und Adressen werden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/219
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/219>, abgerufen am 29.06.2024.