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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Liborius und Franziskus

weil er nur Monumentalist ist, Lenbach, der nur Bildnisse schuf, Lenau, den
Spezialisten eines schiefgesehenen Ungartumes, Heine. . .


Franziskus
lachend.

Halt ein, du sagst ja die ganze Literatur kaput < . .1

Liborius. Alle Urteile natürlich im Sinne jenes Goethescher Satzes
gesprochen, daß jeder Dichter alle Töne beherrschen soll! Man könnte auch
Dante angreifen, weil seine Liebeslieder so arg ledern und nur die Komödie
lesbar ist, oder Homer, weil er nur Epen schrieb!

Du hältst dich also für den Homer des Adels?


Franziskus.

Liborius. Ich könnte dir, da du so gerne lachst, jetzt keinen größeren
Gefallen tun, als mit einem recht patzigen Ja! Aber laß uns das schöne
Thema nicht in Neckereien verzetteln, es könnte wie eine Flucht von mir aus¬
sehen, und ich denke den Sieg in der Hand zu haben.

Franziskus. Also im Ernst: Ich sehe ein, daß du recht hast: Wenn
man dies, Postulat der Vielseitigkeit nicht mehr Postulat sein ließe, sondern es
zum Kriterium machte, blieben nur die ganz Großen unzerpflückt. Wirklich
Ludwig Richter. . .


Liborius.

Gesegnet sein lieber Name!

J Franziskus. a, aber eine Manier ist auch in seiner Kunst nicht völlig
zu leugnen.

Liborius. Laß mich gegen Goethe den Satz aufstellen: In jedem liegt
die Möglichkeit vieler Töne, aber nur der wird Wahrhaftiges leisten, der die
anschlägt, die ihm seiner ganzen Anlage nach liegen. Ich habe als Junge
Zigeunerlieder geschrieben und Vagantenlieder, habe den Asphalt und die
großen Maschinen besungen, aber da ich nun mal weder Zigeuner noch Land¬
streicher oder Fabrikarbeiter bin, waren jene Gedichte unwahrhaftig^ Du kennst
sie ja und wirst sie nicht loben wollen.

Franziskus. Ich werde mich doch nicht um dein Vertrauen lügen! Sie
sind schlecht!

Liborius. Ja, sie sind sogar herzhaft schlecht. Nun höre: Ich habe
etwa fünfzehnhundert Gedichte geschrieben und es sind wahrhaftig ebenso viel
demokratische dabei wie konservative, gottlose wie fromme, unanständige wie
Sittenstrenge, alberne wie tiefsinnige. Als es aber ans Sichten ging, da fand
nicht ich, sondern ein feinsinniger Freund (der unadlich und in vielem mein
Antipode ist) zuerst heraus, daß die adlichen just die guten waren. So hab'
ich von den fünfzehnhundert nur hundertfunfzig veröffentlicht, nicht weil sie die
adlichen, sondern weil sie die guten waren. Was soll mir Goethes Befehl
also! Ich habe, wie jeder Künstler im Anfange tut, jahrelang nach ihm gearbeitet,
aber -- ich war eben kein Goethe, dem alles gelang! Mir mutete der gelesenste
Romanschriftsteller unserer Zeit einmal zu, die Ballade des deutschen Bauern
zu schaffe". Ich versprach es ihm, wenn er, der ein Landpfarrer war, den
Roman des deutschen Adels schreiben wollte.


Franziskus.

So soll man nur schreiben, was man selber ist?


Liborius und Franziskus

weil er nur Monumentalist ist, Lenbach, der nur Bildnisse schuf, Lenau, den
Spezialisten eines schiefgesehenen Ungartumes, Heine. . .


Franziskus
lachend.

Halt ein, du sagst ja die ganze Literatur kaput < . .1

Liborius. Alle Urteile natürlich im Sinne jenes Goethescher Satzes
gesprochen, daß jeder Dichter alle Töne beherrschen soll! Man könnte auch
Dante angreifen, weil seine Liebeslieder so arg ledern und nur die Komödie
lesbar ist, oder Homer, weil er nur Epen schrieb!

Du hältst dich also für den Homer des Adels?


Franziskus.

Liborius. Ich könnte dir, da du so gerne lachst, jetzt keinen größeren
Gefallen tun, als mit einem recht patzigen Ja! Aber laß uns das schöne
Thema nicht in Neckereien verzetteln, es könnte wie eine Flucht von mir aus¬
sehen, und ich denke den Sieg in der Hand zu haben.

Franziskus. Also im Ernst: Ich sehe ein, daß du recht hast: Wenn
man dies, Postulat der Vielseitigkeit nicht mehr Postulat sein ließe, sondern es
zum Kriterium machte, blieben nur die ganz Großen unzerpflückt. Wirklich
Ludwig Richter. . .


Liborius.

Gesegnet sein lieber Name!

J Franziskus. a, aber eine Manier ist auch in seiner Kunst nicht völlig
zu leugnen.

Liborius. Laß mich gegen Goethe den Satz aufstellen: In jedem liegt
die Möglichkeit vieler Töne, aber nur der wird Wahrhaftiges leisten, der die
anschlägt, die ihm seiner ganzen Anlage nach liegen. Ich habe als Junge
Zigeunerlieder geschrieben und Vagantenlieder, habe den Asphalt und die
großen Maschinen besungen, aber da ich nun mal weder Zigeuner noch Land¬
streicher oder Fabrikarbeiter bin, waren jene Gedichte unwahrhaftig^ Du kennst
sie ja und wirst sie nicht loben wollen.

Franziskus. Ich werde mich doch nicht um dein Vertrauen lügen! Sie
sind schlecht!

Liborius. Ja, sie sind sogar herzhaft schlecht. Nun höre: Ich habe
etwa fünfzehnhundert Gedichte geschrieben und es sind wahrhaftig ebenso viel
demokratische dabei wie konservative, gottlose wie fromme, unanständige wie
Sittenstrenge, alberne wie tiefsinnige. Als es aber ans Sichten ging, da fand
nicht ich, sondern ein feinsinniger Freund (der unadlich und in vielem mein
Antipode ist) zuerst heraus, daß die adlichen just die guten waren. So hab'
ich von den fünfzehnhundert nur hundertfunfzig veröffentlicht, nicht weil sie die
adlichen, sondern weil sie die guten waren. Was soll mir Goethes Befehl
also! Ich habe, wie jeder Künstler im Anfange tut, jahrelang nach ihm gearbeitet,
aber — ich war eben kein Goethe, dem alles gelang! Mir mutete der gelesenste
Romanschriftsteller unserer Zeit einmal zu, die Ballade des deutschen Bauern
zu schaffe«. Ich versprach es ihm, wenn er, der ein Landpfarrer war, den
Roman des deutschen Adels schreiben wollte.


Franziskus.

So soll man nur schreiben, was man selber ist?


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[0022] Liborius und Franziskus weil er nur Monumentalist ist, Lenbach, der nur Bildnisse schuf, Lenau, den Spezialisten eines schiefgesehenen Ungartumes, Heine. . . Franziskus lachend. Halt ein, du sagst ja die ganze Literatur kaput < . .1 Liborius. Alle Urteile natürlich im Sinne jenes Goethescher Satzes gesprochen, daß jeder Dichter alle Töne beherrschen soll! Man könnte auch Dante angreifen, weil seine Liebeslieder so arg ledern und nur die Komödie lesbar ist, oder Homer, weil er nur Epen schrieb! Du hältst dich also für den Homer des Adels? Franziskus. Liborius. Ich könnte dir, da du so gerne lachst, jetzt keinen größeren Gefallen tun, als mit einem recht patzigen Ja! Aber laß uns das schöne Thema nicht in Neckereien verzetteln, es könnte wie eine Flucht von mir aus¬ sehen, und ich denke den Sieg in der Hand zu haben. Franziskus. Also im Ernst: Ich sehe ein, daß du recht hast: Wenn man dies, Postulat der Vielseitigkeit nicht mehr Postulat sein ließe, sondern es zum Kriterium machte, blieben nur die ganz Großen unzerpflückt. Wirklich Ludwig Richter. . . Liborius. Gesegnet sein lieber Name! J Franziskus. a, aber eine Manier ist auch in seiner Kunst nicht völlig zu leugnen. Liborius. Laß mich gegen Goethe den Satz aufstellen: In jedem liegt die Möglichkeit vieler Töne, aber nur der wird Wahrhaftiges leisten, der die anschlägt, die ihm seiner ganzen Anlage nach liegen. Ich habe als Junge Zigeunerlieder geschrieben und Vagantenlieder, habe den Asphalt und die großen Maschinen besungen, aber da ich nun mal weder Zigeuner noch Land¬ streicher oder Fabrikarbeiter bin, waren jene Gedichte unwahrhaftig^ Du kennst sie ja und wirst sie nicht loben wollen. Franziskus. Ich werde mich doch nicht um dein Vertrauen lügen! Sie sind schlecht! Liborius. Ja, sie sind sogar herzhaft schlecht. Nun höre: Ich habe etwa fünfzehnhundert Gedichte geschrieben und es sind wahrhaftig ebenso viel demokratische dabei wie konservative, gottlose wie fromme, unanständige wie Sittenstrenge, alberne wie tiefsinnige. Als es aber ans Sichten ging, da fand nicht ich, sondern ein feinsinniger Freund (der unadlich und in vielem mein Antipode ist) zuerst heraus, daß die adlichen just die guten waren. So hab' ich von den fünfzehnhundert nur hundertfunfzig veröffentlicht, nicht weil sie die adlichen, sondern weil sie die guten waren. Was soll mir Goethes Befehl also! Ich habe, wie jeder Künstler im Anfange tut, jahrelang nach ihm gearbeitet, aber — ich war eben kein Goethe, dem alles gelang! Mir mutete der gelesenste Romanschriftsteller unserer Zeit einmal zu, die Ballade des deutschen Bauern zu schaffe«. Ich versprach es ihm, wenn er, der ein Landpfarrer war, den Roman des deutschen Adels schreiben wollte. Franziskus. So soll man nur schreiben, was man selber ist?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/22>, abgerufen am 05.02.2025.