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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Liborius und Franziskus

Franziskus. Hör nur und erfahre, daß es diesmal paßt! 1826 sagt
Goethe: Ein Dichter muß auch in den Tönen zu singen lernen, die nicht in
seiner Kehle liegen; er muß sie eben lernen, so schwer sie ihm anfangs sind.
Solange er bloß seine wenigen subjektiven Empfindungen ausspricht, ist er noch
kein Dichter zu nennen. Aber sobald er die Welt sich anzueignen und aus¬
zusprechen weiß, ist er ein Poet. Und dann ist er unerschöpflich und kann
immer neu sein, wogegen eine subjektive Natur ihr bißchen Inneres bald
ausgesprochen hat und zuletzt in Manier zugrunde geht. -- So heißen die
Worte bei Eckermann.

Liborius. Lieber Freund, hast du nicht auch schou die Erfahrung gemacht,
daß man bei Goethe für jegliche Ansicht einen Beleg findet? Ich habe heute
nicht im Eckermann gelesen, aber ich könnte mir denken, daß ich zufällig zu
gleicher Zeit an anderer Stelle das Gegenteil bewiesen gefunden hätte!

Franziskus. Laß das und nimm den Satz, wie er dasteht! Deine
Balladen und Lieder sind ohne Zweifel ein Schulbeispiel für diese Goethe¬
weisheit. Du hast dich in den Balladen ganz auf das Heldische gelegt und
hast gar in deinen lyrischen Sachen dies Heldische zum Mdlichen spezialisiert.
Ohne Frage bist du an hundert Stellen damit manieriert geworden. Was
nicht hindert, daß ich zweihundert andere für vortrefflich halte.

Liborius. Glaubst du, ich sehe das nicht auch? Vielleicht deutlicher als
du, weil bei mir die Frage nicht wie bei dir Thema eines Oskar Wildeschen
Dialoges, sondern leider viel mehr als das ist! Ja. auch ich kenne diese
hundert Stellen, -- und ich leide an ihnen.

Franziskus Ich

nach einer Pause.
antworte noch nicht, weil ich auf den
Nachsatz warte.

Liborius. Welchen Nachsatz? Soll ich mich entschuldigen? Ich will
doch nicht die Vortrefflichkeit meiner Verse ("meiner göttlichen Gedichte" sagte
Heine) hier proklamieren!

Franziskus. Ich bitte dich, es zu tun. Es ist ganz ausgeschlossen, daß
ein Künstler, so wie du es eben tatest, unumwunden von den Hauptfehlern
seiner Kunst spricht, ohne dabei in seinen Gedanken die Erklärung zu haben,
die, mindestens für ihn, auch die Entschuldigung bedeutet.

Liborius. Wie du willst! Nun also: Goethes Satz ist berechtigt für
sein Kaliber und gilt außer sür ihn nur noch für drei, vier andre Götter neben
ihm. Du wirst aber zugeben, daß die Welt langweilig wäre, wenn nicht auch
die minorss Muths ihre all hätten, wenn es neben den Göttern nicht auch
Halbgötter, ja Viertelgötter gäbe.


Franziskus.

Sicher.

Liborius. Nun also: Goethes Satz verurteilt nicht nur mich, weil ich
in vielen Tönen schweige, um in einem ganz voll zu klingen. Er verurteilt
auch Ludwig Richter, den Manieristen der deutschen Innigkeit, Franz Stuck,


Grenzboten II t910 2
Liborius und Franziskus

Franziskus. Hör nur und erfahre, daß es diesmal paßt! 1826 sagt
Goethe: Ein Dichter muß auch in den Tönen zu singen lernen, die nicht in
seiner Kehle liegen; er muß sie eben lernen, so schwer sie ihm anfangs sind.
Solange er bloß seine wenigen subjektiven Empfindungen ausspricht, ist er noch
kein Dichter zu nennen. Aber sobald er die Welt sich anzueignen und aus¬
zusprechen weiß, ist er ein Poet. Und dann ist er unerschöpflich und kann
immer neu sein, wogegen eine subjektive Natur ihr bißchen Inneres bald
ausgesprochen hat und zuletzt in Manier zugrunde geht. — So heißen die
Worte bei Eckermann.

Liborius. Lieber Freund, hast du nicht auch schou die Erfahrung gemacht,
daß man bei Goethe für jegliche Ansicht einen Beleg findet? Ich habe heute
nicht im Eckermann gelesen, aber ich könnte mir denken, daß ich zufällig zu
gleicher Zeit an anderer Stelle das Gegenteil bewiesen gefunden hätte!

Franziskus. Laß das und nimm den Satz, wie er dasteht! Deine
Balladen und Lieder sind ohne Zweifel ein Schulbeispiel für diese Goethe¬
weisheit. Du hast dich in den Balladen ganz auf das Heldische gelegt und
hast gar in deinen lyrischen Sachen dies Heldische zum Mdlichen spezialisiert.
Ohne Frage bist du an hundert Stellen damit manieriert geworden. Was
nicht hindert, daß ich zweihundert andere für vortrefflich halte.

Liborius. Glaubst du, ich sehe das nicht auch? Vielleicht deutlicher als
du, weil bei mir die Frage nicht wie bei dir Thema eines Oskar Wildeschen
Dialoges, sondern leider viel mehr als das ist! Ja. auch ich kenne diese
hundert Stellen, — und ich leide an ihnen.

Franziskus Ich

nach einer Pause.
antworte noch nicht, weil ich auf den
Nachsatz warte.

Liborius. Welchen Nachsatz? Soll ich mich entschuldigen? Ich will
doch nicht die Vortrefflichkeit meiner Verse („meiner göttlichen Gedichte" sagte
Heine) hier proklamieren!

Franziskus. Ich bitte dich, es zu tun. Es ist ganz ausgeschlossen, daß
ein Künstler, so wie du es eben tatest, unumwunden von den Hauptfehlern
seiner Kunst spricht, ohne dabei in seinen Gedanken die Erklärung zu haben,
die, mindestens für ihn, auch die Entschuldigung bedeutet.

Liborius. Wie du willst! Nun also: Goethes Satz ist berechtigt für
sein Kaliber und gilt außer sür ihn nur noch für drei, vier andre Götter neben
ihm. Du wirst aber zugeben, daß die Welt langweilig wäre, wenn nicht auch
die minorss Muths ihre all hätten, wenn es neben den Göttern nicht auch
Halbgötter, ja Viertelgötter gäbe.


Franziskus.

Sicher.

Liborius. Nun also: Goethes Satz verurteilt nicht nur mich, weil ich
in vielen Tönen schweige, um in einem ganz voll zu klingen. Er verurteilt
auch Ludwig Richter, den Manieristen der deutschen Innigkeit, Franz Stuck,


Grenzboten II t910 2
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[0021] Liborius und Franziskus Franziskus. Hör nur und erfahre, daß es diesmal paßt! 1826 sagt Goethe: Ein Dichter muß auch in den Tönen zu singen lernen, die nicht in seiner Kehle liegen; er muß sie eben lernen, so schwer sie ihm anfangs sind. Solange er bloß seine wenigen subjektiven Empfindungen ausspricht, ist er noch kein Dichter zu nennen. Aber sobald er die Welt sich anzueignen und aus¬ zusprechen weiß, ist er ein Poet. Und dann ist er unerschöpflich und kann immer neu sein, wogegen eine subjektive Natur ihr bißchen Inneres bald ausgesprochen hat und zuletzt in Manier zugrunde geht. — So heißen die Worte bei Eckermann. Liborius. Lieber Freund, hast du nicht auch schou die Erfahrung gemacht, daß man bei Goethe für jegliche Ansicht einen Beleg findet? Ich habe heute nicht im Eckermann gelesen, aber ich könnte mir denken, daß ich zufällig zu gleicher Zeit an anderer Stelle das Gegenteil bewiesen gefunden hätte! Franziskus. Laß das und nimm den Satz, wie er dasteht! Deine Balladen und Lieder sind ohne Zweifel ein Schulbeispiel für diese Goethe¬ weisheit. Du hast dich in den Balladen ganz auf das Heldische gelegt und hast gar in deinen lyrischen Sachen dies Heldische zum Mdlichen spezialisiert. Ohne Frage bist du an hundert Stellen damit manieriert geworden. Was nicht hindert, daß ich zweihundert andere für vortrefflich halte. Liborius. Glaubst du, ich sehe das nicht auch? Vielleicht deutlicher als du, weil bei mir die Frage nicht wie bei dir Thema eines Oskar Wildeschen Dialoges, sondern leider viel mehr als das ist! Ja. auch ich kenne diese hundert Stellen, — und ich leide an ihnen. Franziskus Ich nach einer Pause. antworte noch nicht, weil ich auf den Nachsatz warte. Liborius. Welchen Nachsatz? Soll ich mich entschuldigen? Ich will doch nicht die Vortrefflichkeit meiner Verse („meiner göttlichen Gedichte" sagte Heine) hier proklamieren! Franziskus. Ich bitte dich, es zu tun. Es ist ganz ausgeschlossen, daß ein Künstler, so wie du es eben tatest, unumwunden von den Hauptfehlern seiner Kunst spricht, ohne dabei in seinen Gedanken die Erklärung zu haben, die, mindestens für ihn, auch die Entschuldigung bedeutet. Liborius. Wie du willst! Nun also: Goethes Satz ist berechtigt für sein Kaliber und gilt außer sür ihn nur noch für drei, vier andre Götter neben ihm. Du wirst aber zugeben, daß die Welt langweilig wäre, wenn nicht auch die minorss Muths ihre all hätten, wenn es neben den Göttern nicht auch Halbgötter, ja Viertelgötter gäbe. Franziskus. Sicher. Liborius. Nun also: Goethes Satz verurteilt nicht nur mich, weil ich in vielen Tönen schweige, um in einem ganz voll zu klingen. Er verurteilt auch Ludwig Richter, den Manieristen der deutschen Innigkeit, Franz Stuck, Grenzboten II t910 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/21>, abgerufen am 29.06.2024.