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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Liborius und Franziskus

haben inzwischen über eine halbe Milliarde Mark ausgegeben, um die Ostmark
deutsch zu erhalten, aber wir haben nicht durchgesetzt, daß die führenden Unter¬
nehmer in Oberschlesien ihre polnischen Arbeiter im deutschen Sinne erziehn.
Im Gegenteil, wir erkennen von Jahr zu Jahr mehr, wie das Interesse des
deutscheu Arbeitgebers mit dem des polnischen Arbeitnehmers zusammenfließt.
Vorderhand ist Oberschlesien bedroht -- aber auch in Westfalen begünstigt die
Gesamtentwicklung die Polen, weil sie Arbeitnehmer sind. Die Gemeinsamkeit
der Interessen zwischen deutschen Unternehmern und polnischen Arbeitnehmern
muß wachsen in dem Maße, wie sich unsere Beteiligung an der Weltwirtschaft
entwickelt und wie infolgedessen die Zahl der polnischen Arbeiter in der deutschen
Exportindustrie und der Landwirtschaft zunimmt. Das Zusammenstreben der
Interessen zu verhindern ist heute nicht mehr möglich ohne bei der allgemeinen
Tendenz unserer Entwicklung ein nationales Unglück heraufzubeschwören, aber die
wirtschaftliche" Interessen sind auch nicht so allmächtig, daß wir der Entwicklung mit
gefalteten Händen wie etwa der Bewegung eines Lavastromes zuzusehen brauchen.
Darum bringen wir die Frage auch zur Erörterung ehe es zu spät wird.

Der Grundgedanke unserer Ausführungen gipfelt in der Auffassung, daß
unsere wirtschaftliche Entwicklung zu einer Unterminierung des in der Ent¬
wicklung stecken gebliebenen Nationalstaates durch benachbarte Nationalitäten
treibt. Es ergibt sich somit die Frage ob es Möglichkeiten gibt, die oben
gekeimzeichneten Gegensätze zu unserem Vorteil ausgleichen? Wir meinen: ja!
und werden die Frage in den "Grenzboten" allgemach entwickeln" Wer sich an
ihrer Lösung in positivem Sinne beteiligen will, ist dazu hiermit eingeladen.


G. Lleiuow


Liborius und Franziskus
von Bdrries, Freiherr" von Münchhausen

Wer soll ritzen unsre Runen,
So wir es nicht selber kunt

Es ist Spätnachmittag. Im Lindengänge gehen auf und ab Liborius, ein
Dichter, und Frnnziskus, sein Freund.

I ranziskus. ch las heute bei Eckermann einen Satz, der mir
so unheimlich gegen dich zu sprechen schien, daß ich ihn mir genau
merkte, -- denn man soll seinen Freunden nichts ersparenl

Liborius. Ein Goethescher Ausspruch? Weshalb trägst
du die üble Angewohnheit jeder Hühneraugenanpreisung, jedes
Aufsätzchens über den Wert des Stallmists nun noch in unsere Gespräche?
Denn heute fängt man immer mit einem Goethezitat an. wenn man hernach
über ganz etwas anderes reden willt


Liborius und Franziskus

haben inzwischen über eine halbe Milliarde Mark ausgegeben, um die Ostmark
deutsch zu erhalten, aber wir haben nicht durchgesetzt, daß die führenden Unter¬
nehmer in Oberschlesien ihre polnischen Arbeiter im deutschen Sinne erziehn.
Im Gegenteil, wir erkennen von Jahr zu Jahr mehr, wie das Interesse des
deutscheu Arbeitgebers mit dem des polnischen Arbeitnehmers zusammenfließt.
Vorderhand ist Oberschlesien bedroht — aber auch in Westfalen begünstigt die
Gesamtentwicklung die Polen, weil sie Arbeitnehmer sind. Die Gemeinsamkeit
der Interessen zwischen deutschen Unternehmern und polnischen Arbeitnehmern
muß wachsen in dem Maße, wie sich unsere Beteiligung an der Weltwirtschaft
entwickelt und wie infolgedessen die Zahl der polnischen Arbeiter in der deutschen
Exportindustrie und der Landwirtschaft zunimmt. Das Zusammenstreben der
Interessen zu verhindern ist heute nicht mehr möglich ohne bei der allgemeinen
Tendenz unserer Entwicklung ein nationales Unglück heraufzubeschwören, aber die
wirtschaftliche» Interessen sind auch nicht so allmächtig, daß wir der Entwicklung mit
gefalteten Händen wie etwa der Bewegung eines Lavastromes zuzusehen brauchen.
Darum bringen wir die Frage auch zur Erörterung ehe es zu spät wird.

Der Grundgedanke unserer Ausführungen gipfelt in der Auffassung, daß
unsere wirtschaftliche Entwicklung zu einer Unterminierung des in der Ent¬
wicklung stecken gebliebenen Nationalstaates durch benachbarte Nationalitäten
treibt. Es ergibt sich somit die Frage ob es Möglichkeiten gibt, die oben
gekeimzeichneten Gegensätze zu unserem Vorteil ausgleichen? Wir meinen: ja!
und werden die Frage in den „Grenzboten" allgemach entwickeln» Wer sich an
ihrer Lösung in positivem Sinne beteiligen will, ist dazu hiermit eingeladen.


G. Lleiuow


Liborius und Franziskus
von Bdrries, Freiherr» von Münchhausen

Wer soll ritzen unsre Runen,
So wir es nicht selber kunt

Es ist Spätnachmittag. Im Lindengänge gehen auf und ab Liborius, ein
Dichter, und Frnnziskus, sein Freund.

I ranziskus. ch las heute bei Eckermann einen Satz, der mir
so unheimlich gegen dich zu sprechen schien, daß ich ihn mir genau
merkte, — denn man soll seinen Freunden nichts ersparenl

Liborius. Ein Goethescher Ausspruch? Weshalb trägst
du die üble Angewohnheit jeder Hühneraugenanpreisung, jedes
Aufsätzchens über den Wert des Stallmists nun noch in unsere Gespräche?
Denn heute fängt man immer mit einem Goethezitat an. wenn man hernach
über ganz etwas anderes reden willt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/20>, abgerufen am 05.02.2025.