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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Ibsen-Schriften

des Dichters fast übersehen. Als Denker sei der große Norweger Bramante zu
vergleichen, den man it Maestro Kovirmnte, den Meister Niederreißer, nannte, weil
er ganze Stadtviertel niederreißen ließ, um für seine Bauten Platz zu schaffen.
Ibsen sei, durchaus nicht bloß im schlimmen Sinne, ein /Viaestro Kovirmnte, denn
mit seiner Gesellschaftskritik habe er fast immer nur allzu recht. Brauchbare Pläne
für Neubauten zu liefern, habe freilich seine Kraft nicht hingereicht; indes würde
es unbillig sein, von einem Dichter zu verlangen, was bisher auch die Berufeneren:
Philosophen und Staatsmänner, nicht zu leisten vermocht haben. Zudem habe
Ibsen selbst sein Gebiet mit den Worten abgegrenzt: "Meine Aufgabe ist Fragen,
nicht Bescheidgeben." Dagegen habe sich Ibsen, der Künstler, der Dichter, als
ein wirklicher Baumeister bewährt, und zwar wird seine Kunst als dramatische
Schachspielkunst beschrieben; sie bestehe darin, daß Figuren, deren jede ihre eigene,
Läufern oder Springern ähnliche Gangart habe, in eine Ansangstellung gebracht
würden, die so konstruiert sei, daß sich daraus das "Matt in so oder so viel Zügen"
mit Notwendigkeit ergebe. Daß er als katholischer Ordensgeistlicher Ibsen
anerkennt und empfiehlt, rechtfertigt der Pater mit Berufung auf Markus 9. Der
Apostel Johannes, heißt es da, berichtete von einem Menschen, der Teufel auftrieb
in Jesu Namen; dem hätten sie es gewehrt, weil er sich ihnen, den Aposteln, nicht
angeschlossen habe; darauf erwiderte Jesus; "Wehret es ihm nicht, wer nicht wider
euch ist, der ist für euch". Von dieser Erzählung macht der Pater die Anwendung:
"Ibsen hat das Christentum nie richtig erfaßt -- darüber haben wir nicht zu
richten; aber den Gedanken sittlicher Vervollkommnung hat er verfochten wie kaum
ein Zweiter, und manchen bösen Geist der Unwahrheit und Halbheit hat er aus¬
getrieben. Ich kann mich nicht entschließen, es ihm wehren zu wollen, wenn er
auch nicht ganz auf meinem Boden steht. Ich kann nur wünschen, daß sein
Wirken ein recht tiefgreifendes sei, damit die Helden vom Adel des Charakters, die
jetzt noch dünn genug gesät sind, immer zahlreicher werden. Ungefähr so sagt's
der Pfarrer auch, nur mit ein bißchen andern Worten. Mir ist nie viel am Worte
gelegen, aber immer sehr viel an der Sache. Selten aber ist mir eine Sache höher
erschienen als das sittliche Streben nach einem echt adligen Charakter, und darum
hab' ich mich nicht gescheut, auch bei dieser Gelegenheit und an dieser Stelle zu
sprechen." Der Vortrag, dessen Schluß diese Sätze bilden, wurde am 24. Mai 1898
gehalten als Einleitung zu den Festspielen der Ibsen-Vereinigung im Düsseldorfer
Schauspielhause. Ich muß gestehen, daß mir der Pater Exgeditus den Zweifel
erregt hat, ob ich nicht vielleicht in den Ibsen-Artikeln des Jahrgangs 1900 der
"Grenzboten" (im 2. und 3. Bande) hie und da ungerecht geworden bin gegen
den großen Dichter.


Carl Icntsch


Ibsen-Schriften

des Dichters fast übersehen. Als Denker sei der große Norweger Bramante zu
vergleichen, den man it Maestro Kovirmnte, den Meister Niederreißer, nannte, weil
er ganze Stadtviertel niederreißen ließ, um für seine Bauten Platz zu schaffen.
Ibsen sei, durchaus nicht bloß im schlimmen Sinne, ein /Viaestro Kovirmnte, denn
mit seiner Gesellschaftskritik habe er fast immer nur allzu recht. Brauchbare Pläne
für Neubauten zu liefern, habe freilich seine Kraft nicht hingereicht; indes würde
es unbillig sein, von einem Dichter zu verlangen, was bisher auch die Berufeneren:
Philosophen und Staatsmänner, nicht zu leisten vermocht haben. Zudem habe
Ibsen selbst sein Gebiet mit den Worten abgegrenzt: „Meine Aufgabe ist Fragen,
nicht Bescheidgeben." Dagegen habe sich Ibsen, der Künstler, der Dichter, als
ein wirklicher Baumeister bewährt, und zwar wird seine Kunst als dramatische
Schachspielkunst beschrieben; sie bestehe darin, daß Figuren, deren jede ihre eigene,
Läufern oder Springern ähnliche Gangart habe, in eine Ansangstellung gebracht
würden, die so konstruiert sei, daß sich daraus das „Matt in so oder so viel Zügen"
mit Notwendigkeit ergebe. Daß er als katholischer Ordensgeistlicher Ibsen
anerkennt und empfiehlt, rechtfertigt der Pater mit Berufung auf Markus 9. Der
Apostel Johannes, heißt es da, berichtete von einem Menschen, der Teufel auftrieb
in Jesu Namen; dem hätten sie es gewehrt, weil er sich ihnen, den Aposteln, nicht
angeschlossen habe; darauf erwiderte Jesus; „Wehret es ihm nicht, wer nicht wider
euch ist, der ist für euch". Von dieser Erzählung macht der Pater die Anwendung:
„Ibsen hat das Christentum nie richtig erfaßt — darüber haben wir nicht zu
richten; aber den Gedanken sittlicher Vervollkommnung hat er verfochten wie kaum
ein Zweiter, und manchen bösen Geist der Unwahrheit und Halbheit hat er aus¬
getrieben. Ich kann mich nicht entschließen, es ihm wehren zu wollen, wenn er
auch nicht ganz auf meinem Boden steht. Ich kann nur wünschen, daß sein
Wirken ein recht tiefgreifendes sei, damit die Helden vom Adel des Charakters, die
jetzt noch dünn genug gesät sind, immer zahlreicher werden. Ungefähr so sagt's
der Pfarrer auch, nur mit ein bißchen andern Worten. Mir ist nie viel am Worte
gelegen, aber immer sehr viel an der Sache. Selten aber ist mir eine Sache höher
erschienen als das sittliche Streben nach einem echt adligen Charakter, und darum
hab' ich mich nicht gescheut, auch bei dieser Gelegenheit und an dieser Stelle zu
sprechen." Der Vortrag, dessen Schluß diese Sätze bilden, wurde am 24. Mai 1898
gehalten als Einleitung zu den Festspielen der Ibsen-Vereinigung im Düsseldorfer
Schauspielhause. Ich muß gestehen, daß mir der Pater Exgeditus den Zweifel
erregt hat, ob ich nicht vielleicht in den Ibsen-Artikeln des Jahrgangs 1900 der
„Grenzboten" (im 2. und 3. Bande) hie und da ungerecht geworden bin gegen
den großen Dichter.


Carl Icntsch


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[0203] Ibsen-Schriften des Dichters fast übersehen. Als Denker sei der große Norweger Bramante zu vergleichen, den man it Maestro Kovirmnte, den Meister Niederreißer, nannte, weil er ganze Stadtviertel niederreißen ließ, um für seine Bauten Platz zu schaffen. Ibsen sei, durchaus nicht bloß im schlimmen Sinne, ein /Viaestro Kovirmnte, denn mit seiner Gesellschaftskritik habe er fast immer nur allzu recht. Brauchbare Pläne für Neubauten zu liefern, habe freilich seine Kraft nicht hingereicht; indes würde es unbillig sein, von einem Dichter zu verlangen, was bisher auch die Berufeneren: Philosophen und Staatsmänner, nicht zu leisten vermocht haben. Zudem habe Ibsen selbst sein Gebiet mit den Worten abgegrenzt: „Meine Aufgabe ist Fragen, nicht Bescheidgeben." Dagegen habe sich Ibsen, der Künstler, der Dichter, als ein wirklicher Baumeister bewährt, und zwar wird seine Kunst als dramatische Schachspielkunst beschrieben; sie bestehe darin, daß Figuren, deren jede ihre eigene, Läufern oder Springern ähnliche Gangart habe, in eine Ansangstellung gebracht würden, die so konstruiert sei, daß sich daraus das „Matt in so oder so viel Zügen" mit Notwendigkeit ergebe. Daß er als katholischer Ordensgeistlicher Ibsen anerkennt und empfiehlt, rechtfertigt der Pater mit Berufung auf Markus 9. Der Apostel Johannes, heißt es da, berichtete von einem Menschen, der Teufel auftrieb in Jesu Namen; dem hätten sie es gewehrt, weil er sich ihnen, den Aposteln, nicht angeschlossen habe; darauf erwiderte Jesus; „Wehret es ihm nicht, wer nicht wider euch ist, der ist für euch". Von dieser Erzählung macht der Pater die Anwendung: „Ibsen hat das Christentum nie richtig erfaßt — darüber haben wir nicht zu richten; aber den Gedanken sittlicher Vervollkommnung hat er verfochten wie kaum ein Zweiter, und manchen bösen Geist der Unwahrheit und Halbheit hat er aus¬ getrieben. Ich kann mich nicht entschließen, es ihm wehren zu wollen, wenn er auch nicht ganz auf meinem Boden steht. Ich kann nur wünschen, daß sein Wirken ein recht tiefgreifendes sei, damit die Helden vom Adel des Charakters, die jetzt noch dünn genug gesät sind, immer zahlreicher werden. Ungefähr so sagt's der Pfarrer auch, nur mit ein bißchen andern Worten. Mir ist nie viel am Worte gelegen, aber immer sehr viel an der Sache. Selten aber ist mir eine Sache höher erschienen als das sittliche Streben nach einem echt adligen Charakter, und darum hab' ich mich nicht gescheut, auch bei dieser Gelegenheit und an dieser Stelle zu sprechen." Der Vortrag, dessen Schluß diese Sätze bilden, wurde am 24. Mai 1898 gehalten als Einleitung zu den Festspielen der Ibsen-Vereinigung im Düsseldorfer Schauspielhause. Ich muß gestehen, daß mir der Pater Exgeditus den Zweifel erregt hat, ob ich nicht vielleicht in den Ibsen-Artikeln des Jahrgangs 1900 der „Grenzboten" (im 2. und 3. Bande) hie und da ungerecht geworden bin gegen den großen Dichter. Carl Icntsch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/203>, abgerufen am 29.06.2024.