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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Auswahl der Arbeit soll in erster Linie Selbstbeschäftignng stehen und nur,
wenn es der Hastgefangene daran fehlen läßt, Zuweisung von Arbeit erfolge",
wobei gleichfalls auf seine billigen Wünsche und seinen Beruf Rücksicht zu
nehmen ist. Ausnehmen will der Entwurf nur Arbeiten, die mit dem Strafort und
Strafzweck nicht zu vereinbaren sind. Als Beispiel bringt er Übungen eines
Virtuosen auf dem Instrument, eines Akrobaten u. tgi. Der Entwurf fordert
die Beaufsichtigung der Beschäftigung mit nützlicher Arbeit, schon um festzustellen,
daß wirklich eine Beschäftigung stattfindet und nicht bloß vorgetäuscht wird.
So sympathisch diese Bestimmungen im allgemeinen berühren, so liegt doch in
ihnen der Kein: für Schwierigkeiten, deren Beseitigung man den Verwaltungs¬
organen allein kaum anvertrauen kann.

Soweit es sich um Beaufsichtigung der den Haftgefangenen zugewiesenen
Arbeit handelt, soll die Beaufsichtigung durch Erfordern einer bestimmten
Arbeitsleistung erfolgen. Dies ist wohl unbedenklich. Die Anstaltsleitung wird
ohne weiteres in der Lage sein, die den Gefangenen zugewiesenen Arbeiten zu
prüfen und die Leistung zu beurteilen. Erhebliche Schwierigkeiten dürften indessen
bei Beaufsichtigung der Selbstbeschäftigung entstehen. Als angemessene Beschäftigung
für Personen gebildeter Kreise wird wohl ausschließlich geistige Arbeit in Frage
kommen. Diese aber kann bei den meisten Menschen nicht in produktiver, sondern
nur in rezeptiver Arbeit bestehen. Der Kaufmann, der Gutsbesitzer, der Beamte,
der Arzt, kurz jeder im praktischen Leben stehende Durchschnittsmensch, der seinem
praktischen Beruf in Haft naturgemäß nicht nachgehen kann, wird, wenn er sich
angemessen beschäftigen soll, meist nichts anderes tun können, als Lektüre aus
dem Gebiete seines Spezialfaches zu treiben.

Sehr gering ist die Zahl derjenigen, die veranlagt genng sind, ihre Kenntnisse
schriftstellerisch zu verwerten. Wie aber will man Selbstbeschäftignng derjenigen
Haftgefangenen, die nichts weiter wollen oder können als fachwissenschaftliche
Lektüre zu treiben, beaufsichtigen? Will mau sie wie Schüler überhören? Oder
sollen sie gezwungen sein, über das Gelesene Aufsätze zu schreiben?

Ebenso schwierig wird die Frage,- wenn zufällig einmal ein Gelehrter oder
Schriftsteller in Haft sitzt, der wirklich produktiv arbeiten null. Daß eine
Kontrolle politischer Haftgefangenen notwendig ist, um zu verhindern, daß die
Muße der Haft zur Abfassung staatsfeindlicher Pamphlete benutzt wird, ist
selbstverständlich. Diese Kontrolle aber weiter auszudehnen, als zur Erreichung
des gedachten Ziels unumgänglich nötig ist, heißt von der Anstaltsleitmig
Unmögliches verlangen. Wer soll die Beschäftigung eines Mathematikers, eines
Sanskritforschers oder Philosophen beaufsichtigen?

Diese Leute haben aber nach dem Gesetz das Recht, sich in Haft mit ihrem
Fach zu beschäftigen, und sollen dieses Recht haben. Es wäre eine vom Gesetze
gewiß nicht gewollte büreaukratische Engherzigkeit und zudem eine überflüssige
Grausamkeit gegen den ganz in seinem Fach aufgehenden Gelehrten, wollte man
die Beschäftigung eines Gelehrten mit seinem Spezialfnch nur deshalb verbieten,


Auswahl der Arbeit soll in erster Linie Selbstbeschäftignng stehen und nur,
wenn es der Hastgefangene daran fehlen läßt, Zuweisung von Arbeit erfolge»,
wobei gleichfalls auf seine billigen Wünsche und seinen Beruf Rücksicht zu
nehmen ist. Ausnehmen will der Entwurf nur Arbeiten, die mit dem Strafort und
Strafzweck nicht zu vereinbaren sind. Als Beispiel bringt er Übungen eines
Virtuosen auf dem Instrument, eines Akrobaten u. tgi. Der Entwurf fordert
die Beaufsichtigung der Beschäftigung mit nützlicher Arbeit, schon um festzustellen,
daß wirklich eine Beschäftigung stattfindet und nicht bloß vorgetäuscht wird.
So sympathisch diese Bestimmungen im allgemeinen berühren, so liegt doch in
ihnen der Kein: für Schwierigkeiten, deren Beseitigung man den Verwaltungs¬
organen allein kaum anvertrauen kann.

Soweit es sich um Beaufsichtigung der den Haftgefangenen zugewiesenen
Arbeit handelt, soll die Beaufsichtigung durch Erfordern einer bestimmten
Arbeitsleistung erfolgen. Dies ist wohl unbedenklich. Die Anstaltsleitung wird
ohne weiteres in der Lage sein, die den Gefangenen zugewiesenen Arbeiten zu
prüfen und die Leistung zu beurteilen. Erhebliche Schwierigkeiten dürften indessen
bei Beaufsichtigung der Selbstbeschäftigung entstehen. Als angemessene Beschäftigung
für Personen gebildeter Kreise wird wohl ausschließlich geistige Arbeit in Frage
kommen. Diese aber kann bei den meisten Menschen nicht in produktiver, sondern
nur in rezeptiver Arbeit bestehen. Der Kaufmann, der Gutsbesitzer, der Beamte,
der Arzt, kurz jeder im praktischen Leben stehende Durchschnittsmensch, der seinem
praktischen Beruf in Haft naturgemäß nicht nachgehen kann, wird, wenn er sich
angemessen beschäftigen soll, meist nichts anderes tun können, als Lektüre aus
dem Gebiete seines Spezialfaches zu treiben.

Sehr gering ist die Zahl derjenigen, die veranlagt genng sind, ihre Kenntnisse
schriftstellerisch zu verwerten. Wie aber will man Selbstbeschäftignng derjenigen
Haftgefangenen, die nichts weiter wollen oder können als fachwissenschaftliche
Lektüre zu treiben, beaufsichtigen? Will mau sie wie Schüler überhören? Oder
sollen sie gezwungen sein, über das Gelesene Aufsätze zu schreiben?

Ebenso schwierig wird die Frage,- wenn zufällig einmal ein Gelehrter oder
Schriftsteller in Haft sitzt, der wirklich produktiv arbeiten null. Daß eine
Kontrolle politischer Haftgefangenen notwendig ist, um zu verhindern, daß die
Muße der Haft zur Abfassung staatsfeindlicher Pamphlete benutzt wird, ist
selbstverständlich. Diese Kontrolle aber weiter auszudehnen, als zur Erreichung
des gedachten Ziels unumgänglich nötig ist, heißt von der Anstaltsleitmig
Unmögliches verlangen. Wer soll die Beschäftigung eines Mathematikers, eines
Sanskritforschers oder Philosophen beaufsichtigen?

Diese Leute haben aber nach dem Gesetz das Recht, sich in Haft mit ihrem
Fach zu beschäftigen, und sollen dieses Recht haben. Es wäre eine vom Gesetze
gewiß nicht gewollte büreaukratische Engherzigkeit und zudem eine überflüssige
Grausamkeit gegen den ganz in seinem Fach aufgehenden Gelehrten, wollte man
die Beschäftigung eines Gelehrten mit seinem Spezialfnch nur deshalb verbieten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/178>, abgerufen am 29.06.2024.