Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bedeutung und Vollzug der Haftstrafe

weil die Anstalt nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen kam:, ob der Haft¬
gefangene wirklich über seine wissenschaftlichen Probleme nachsinnt oder etwas
anderes denkt, weil also die von: Gesetze auch bei Selbstbeschäftigung vorgeschriebene
Beaufsichtigung nicht ausgeübt werden kaun.

Fassen wir diese Betrachtungen zusammen, so scheint die Haststrafe in der
vom Vorentwnrf gewollten Form nicht als geeignet, die bisherige Festungshaft
zu ersetzen. Sie wird dem Volke nicht als eine die bürgerliche Geltung unberührt
lassende Strafe erscheinen. Der Grund liegt in erster Linie darin, daß zu viele
ganz verschiedene und aus den verschiedensten Motiven entspringende Taten mit
derselben Strafart bestraft werden.

Man kann den Journalisten, der sich durch einen politischen Zeitungsartikel
strafbar gemacht hat, nicht bestrafen wie einen Landstreicher. Man kann für
fahrlässige Beschädigung eines Wehres oder einer Schleuse (Z 181 des Voreutivurfs)
nicht dieselbe Strafart eintreten lassen wie für wissentliche Verleumdung und
falsche Anschuldigung (ß 171 des Voreutivurfs). Man kann den in seinem Berufe
grau gewordenen Schiffskapitän, der durch eine vorübergehende Unachtsamkeit die
Strandung seines Schiffes verursacht (H 191 des Voreutwurfs), nicht auf eine
Stufe stellen mit einen: Mädchenhändler (Z 237 des Vorentwnrfs).

Tut man dies, so heftet man Personen, die etwas strafbares getan haben,
aber nichts Unehrenhaftes, einen schweren Makel an und der Wille des Gesetz¬
gebers, sie mit einer ihre bürgerliche Geltung unberührt lassenden Strafe zu
bestrafen, bleibt auf dem Papier stehen. Nach unserm Erachten gibt es mir
ein Mittel, diesen Übelstand zu beseitigen.

Man lasse die Haft wie bisher als Ubertretungsstrnfe bestehen und schaffe,
null Ulan die Festungshaft durchaus beseitigen, eine ihr analoge Strnfart.
Alsdann trete man mit dem entfachen Empfinden des Gentleman ein das Problem
serait. Mail scheide aus der Fülle der nach dem Se. G.B. zu bestrafenden
Handlungen diejenigen aus, deren Begehung bei aller Strafbarkeit keine" Rück¬
schluß auf unehrenhafte Gesinnung des Täters gestattet, und nur diese bestrafe
man mit der an Stelle der Festungshaft tretenden Strafe. Solche Taten aber,
dereii Begehung normalerweise auf unehrenhafte Gesinnung schließen läßt,
zeichne man nicht dadurch aus, daß man sie mit einer Strafe belegt, die nach
dein Willen des Gesetzgebers die bürgerliche Geltung des Bestraften nicht
berühren soll.

Ferner aber ist es notwendig, den Vollzug der an Stelle der Festungshaft
tretenden Strafe dem Strafzweck analog auszugestalten. Daß eine vollständige
räumliche Trennung der zum Strafvollzug dienenden Anstalt von andern Straf¬
anstalten, besonders von Gefängnissen notwendig ist, habe ich oben scholl aus¬
geführt. Da die Zahl der dann noch in Frage kommenden Straftaten, mag
sie anch noch immer ziemlich groß bleiben, doch wesentlich geringer sein wird
als die Zahl der nach dem Vorentwurf mit Haft zu sühnenden Delikte, so
wird sich wohl auch die pekuniäre Seite, die ich oben schon streifte, lösen lassen,


Bedeutung und Vollzug der Haftstrafe

weil die Anstalt nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen kam:, ob der Haft¬
gefangene wirklich über seine wissenschaftlichen Probleme nachsinnt oder etwas
anderes denkt, weil also die von: Gesetze auch bei Selbstbeschäftigung vorgeschriebene
Beaufsichtigung nicht ausgeübt werden kaun.

Fassen wir diese Betrachtungen zusammen, so scheint die Haststrafe in der
vom Vorentwnrf gewollten Form nicht als geeignet, die bisherige Festungshaft
zu ersetzen. Sie wird dem Volke nicht als eine die bürgerliche Geltung unberührt
lassende Strafe erscheinen. Der Grund liegt in erster Linie darin, daß zu viele
ganz verschiedene und aus den verschiedensten Motiven entspringende Taten mit
derselben Strafart bestraft werden.

Man kann den Journalisten, der sich durch einen politischen Zeitungsartikel
strafbar gemacht hat, nicht bestrafen wie einen Landstreicher. Man kann für
fahrlässige Beschädigung eines Wehres oder einer Schleuse (Z 181 des Voreutivurfs)
nicht dieselbe Strafart eintreten lassen wie für wissentliche Verleumdung und
falsche Anschuldigung (ß 171 des Voreutivurfs). Man kann den in seinem Berufe
grau gewordenen Schiffskapitän, der durch eine vorübergehende Unachtsamkeit die
Strandung seines Schiffes verursacht (H 191 des Voreutwurfs), nicht auf eine
Stufe stellen mit einen: Mädchenhändler (Z 237 des Vorentwnrfs).

Tut man dies, so heftet man Personen, die etwas strafbares getan haben,
aber nichts Unehrenhaftes, einen schweren Makel an und der Wille des Gesetz¬
gebers, sie mit einer ihre bürgerliche Geltung unberührt lassenden Strafe zu
bestrafen, bleibt auf dem Papier stehen. Nach unserm Erachten gibt es mir
ein Mittel, diesen Übelstand zu beseitigen.

Man lasse die Haft wie bisher als Ubertretungsstrnfe bestehen und schaffe,
null Ulan die Festungshaft durchaus beseitigen, eine ihr analoge Strnfart.
Alsdann trete man mit dem entfachen Empfinden des Gentleman ein das Problem
serait. Mail scheide aus der Fülle der nach dem Se. G.B. zu bestrafenden
Handlungen diejenigen aus, deren Begehung bei aller Strafbarkeit keine» Rück¬
schluß auf unehrenhafte Gesinnung des Täters gestattet, und nur diese bestrafe
man mit der an Stelle der Festungshaft tretenden Strafe. Solche Taten aber,
dereii Begehung normalerweise auf unehrenhafte Gesinnung schließen läßt,
zeichne man nicht dadurch aus, daß man sie mit einer Strafe belegt, die nach
dein Willen des Gesetzgebers die bürgerliche Geltung des Bestraften nicht
berühren soll.

Ferner aber ist es notwendig, den Vollzug der an Stelle der Festungshaft
tretenden Strafe dem Strafzweck analog auszugestalten. Daß eine vollständige
räumliche Trennung der zum Strafvollzug dienenden Anstalt von andern Straf¬
anstalten, besonders von Gefängnissen notwendig ist, habe ich oben scholl aus¬
geführt. Da die Zahl der dann noch in Frage kommenden Straftaten, mag
sie anch noch immer ziemlich groß bleiben, doch wesentlich geringer sein wird
als die Zahl der nach dem Vorentwurf mit Haft zu sühnenden Delikte, so
wird sich wohl auch die pekuniäre Seite, die ich oben schon streifte, lösen lassen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0179" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315818"/>
          <fw type="header" place="top"> Bedeutung und Vollzug der Haftstrafe</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_924" prev="#ID_923"> weil die Anstalt nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen kam:, ob der Haft¬<lb/>
gefangene wirklich über seine wissenschaftlichen Probleme nachsinnt oder etwas<lb/>
anderes denkt, weil also die von: Gesetze auch bei Selbstbeschäftigung vorgeschriebene<lb/>
Beaufsichtigung nicht ausgeübt werden kaun.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_925"> Fassen wir diese Betrachtungen zusammen, so scheint die Haststrafe in der<lb/>
vom Vorentwnrf gewollten Form nicht als geeignet, die bisherige Festungshaft<lb/>
zu ersetzen. Sie wird dem Volke nicht als eine die bürgerliche Geltung unberührt<lb/>
lassende Strafe erscheinen. Der Grund liegt in erster Linie darin, daß zu viele<lb/>
ganz verschiedene und aus den verschiedensten Motiven entspringende Taten mit<lb/>
derselben Strafart bestraft werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_926"> Man kann den Journalisten, der sich durch einen politischen Zeitungsartikel<lb/>
strafbar gemacht hat, nicht bestrafen wie einen Landstreicher. Man kann für<lb/>
fahrlässige Beschädigung eines Wehres oder einer Schleuse (Z 181 des Voreutivurfs)<lb/>
nicht dieselbe Strafart eintreten lassen wie für wissentliche Verleumdung und<lb/>
falsche Anschuldigung (ß 171 des Voreutivurfs). Man kann den in seinem Berufe<lb/>
grau gewordenen Schiffskapitän, der durch eine vorübergehende Unachtsamkeit die<lb/>
Strandung seines Schiffes verursacht (H 191 des Voreutwurfs), nicht auf eine<lb/>
Stufe stellen mit einen: Mädchenhändler (Z 237 des Vorentwnrfs).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_927"> Tut man dies, so heftet man Personen, die etwas strafbares getan haben,<lb/>
aber nichts Unehrenhaftes, einen schweren Makel an und der Wille des Gesetz¬<lb/>
gebers, sie mit einer ihre bürgerliche Geltung unberührt lassenden Strafe zu<lb/>
bestrafen, bleibt auf dem Papier stehen. Nach unserm Erachten gibt es mir<lb/>
ein Mittel, diesen Übelstand zu beseitigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_928"> Man lasse die Haft wie bisher als Ubertretungsstrnfe bestehen und schaffe,<lb/>
null Ulan die Festungshaft durchaus beseitigen, eine ihr analoge Strnfart.<lb/>
Alsdann trete man mit dem entfachen Empfinden des Gentleman ein das Problem<lb/>
serait. Mail scheide aus der Fülle der nach dem Se. G.B. zu bestrafenden<lb/>
Handlungen diejenigen aus, deren Begehung bei aller Strafbarkeit keine» Rück¬<lb/>
schluß auf unehrenhafte Gesinnung des Täters gestattet, und nur diese bestrafe<lb/>
man mit der an Stelle der Festungshaft tretenden Strafe. Solche Taten aber,<lb/>
dereii Begehung normalerweise auf unehrenhafte Gesinnung schließen läßt,<lb/>
zeichne man nicht dadurch aus, daß man sie mit einer Strafe belegt, die nach<lb/>
dein Willen des Gesetzgebers die bürgerliche Geltung des Bestraften nicht<lb/>
berühren soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_929" next="#ID_930"> Ferner aber ist es notwendig, den Vollzug der an Stelle der Festungshaft<lb/>
tretenden Strafe dem Strafzweck analog auszugestalten. Daß eine vollständige<lb/>
räumliche Trennung der zum Strafvollzug dienenden Anstalt von andern Straf¬<lb/>
anstalten, besonders von Gefängnissen notwendig ist, habe ich oben scholl aus¬<lb/>
geführt. Da die Zahl der dann noch in Frage kommenden Straftaten, mag<lb/>
sie anch noch immer ziemlich groß bleiben, doch wesentlich geringer sein wird<lb/>
als die Zahl der nach dem Vorentwurf mit Haft zu sühnenden Delikte, so<lb/>
wird sich wohl auch die pekuniäre Seite, die ich oben schon streifte, lösen lassen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0179] Bedeutung und Vollzug der Haftstrafe weil die Anstalt nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen kam:, ob der Haft¬ gefangene wirklich über seine wissenschaftlichen Probleme nachsinnt oder etwas anderes denkt, weil also die von: Gesetze auch bei Selbstbeschäftigung vorgeschriebene Beaufsichtigung nicht ausgeübt werden kaun. Fassen wir diese Betrachtungen zusammen, so scheint die Haststrafe in der vom Vorentwnrf gewollten Form nicht als geeignet, die bisherige Festungshaft zu ersetzen. Sie wird dem Volke nicht als eine die bürgerliche Geltung unberührt lassende Strafe erscheinen. Der Grund liegt in erster Linie darin, daß zu viele ganz verschiedene und aus den verschiedensten Motiven entspringende Taten mit derselben Strafart bestraft werden. Man kann den Journalisten, der sich durch einen politischen Zeitungsartikel strafbar gemacht hat, nicht bestrafen wie einen Landstreicher. Man kann für fahrlässige Beschädigung eines Wehres oder einer Schleuse (Z 181 des Voreutivurfs) nicht dieselbe Strafart eintreten lassen wie für wissentliche Verleumdung und falsche Anschuldigung (ß 171 des Voreutivurfs). Man kann den in seinem Berufe grau gewordenen Schiffskapitän, der durch eine vorübergehende Unachtsamkeit die Strandung seines Schiffes verursacht (H 191 des Voreutwurfs), nicht auf eine Stufe stellen mit einen: Mädchenhändler (Z 237 des Vorentwnrfs). Tut man dies, so heftet man Personen, die etwas strafbares getan haben, aber nichts Unehrenhaftes, einen schweren Makel an und der Wille des Gesetz¬ gebers, sie mit einer ihre bürgerliche Geltung unberührt lassenden Strafe zu bestrafen, bleibt auf dem Papier stehen. Nach unserm Erachten gibt es mir ein Mittel, diesen Übelstand zu beseitigen. Man lasse die Haft wie bisher als Ubertretungsstrnfe bestehen und schaffe, null Ulan die Festungshaft durchaus beseitigen, eine ihr analoge Strnfart. Alsdann trete man mit dem entfachen Empfinden des Gentleman ein das Problem serait. Mail scheide aus der Fülle der nach dem Se. G.B. zu bestrafenden Handlungen diejenigen aus, deren Begehung bei aller Strafbarkeit keine» Rück¬ schluß auf unehrenhafte Gesinnung des Täters gestattet, und nur diese bestrafe man mit der an Stelle der Festungshaft tretenden Strafe. Solche Taten aber, dereii Begehung normalerweise auf unehrenhafte Gesinnung schließen läßt, zeichne man nicht dadurch aus, daß man sie mit einer Strafe belegt, die nach dein Willen des Gesetzgebers die bürgerliche Geltung des Bestraften nicht berühren soll. Ferner aber ist es notwendig, den Vollzug der an Stelle der Festungshaft tretenden Strafe dem Strafzweck analog auszugestalten. Daß eine vollständige räumliche Trennung der zum Strafvollzug dienenden Anstalt von andern Straf¬ anstalten, besonders von Gefängnissen notwendig ist, habe ich oben scholl aus¬ geführt. Da die Zahl der dann noch in Frage kommenden Straftaten, mag sie anch noch immer ziemlich groß bleiben, doch wesentlich geringer sein wird als die Zahl der nach dem Vorentwurf mit Haft zu sühnenden Delikte, so wird sich wohl auch die pekuniäre Seite, die ich oben schon streifte, lösen lassen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/179
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/179>, abgerufen am 29.06.2024.