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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Bedeutung und Vollzug der Haftstrafe nach dem
Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch
von öl-, jur. Bolko von Ratte

er Voreutwurf zu einem Strafgesetzbuch strebt danach, die Haftstrafe
auf dem Gebiete der Vergehen erheblich auszudehnen und die
bisherige Festungshaft durch sie zu ersetzen*).

Es ist für deu philosophisch denkenden Menschen ohne weiteres
klar, daß niemals die Strafe, sondern immer die vollbrachte Tat
das Entehrende ist. Ebenso sicher ist es aber, daß in der Achtung der Mitmenschen
mir sehr selten die straflose Tat, fast immer aber die ausgesprochene und vollstreckte
Strafe dem von ihr Betroffenen einen Makel anheftet.

Daß die Ehrminderung, die der Mensch durch eine gegen ihn vollstreckte
Strafe erleidet, je nach der Art der Strafe verschieden beurteilt wird, daß
Geldstrafen in vielen Fällen die Achtung, die der Mensch unter seinem Mitmenschen
genießt, nur sehr unerheblich oder gar uicht mindert und daß bei Freiheitsstrafen
die Strafart (nach dem bisherigen System Zuchthaus, Gefängnis, Festung, Haft)
für die Ehrminderung, die der von der Strafe Betroffene erleidet, von weit¬
gehendster Bedeutung ist, beruht auf historischer Entwicklung.

Die Schätzung der Straftat, uicht uur im Bewußtsein des Volkes, sondern
auch in dem der gebildeten Schichten, tritt dem Gesetzgeber bei Bestimmung der
Strafen als gegebene Größe entgegen. Er muß mit ihr rechnen und tut es
auch tatsächlich. Die bestehende Gesetzgebung, wie auch der Vorentwurf, haben
es mit vollem Recht als ein Gebot der Gerechtigkeit anerkannt, Straftaten, die
nicht aus ehrloser Gesinnung hervorgegangen sind, aber nach ihrer Schwere zur
Sühne durch bloße Geldopfer nicht geeignet sind, mit Freiheitsstrafen zu belegen,
die eine Minderung des Ansehens, das der Bestrafte unter seinen Mitmenschen
genießt, uach ihrem Vollzuge nicht zur Folge haben. Im geltenden Rechte
erfüllt die Festungsstrafe diese Ausgabe, uach dem Vorentwurf soll es die Haft¬
strafe tun.

Die Begründung des Entwurfs sagt wörtlich!



") Vqs. Bojinmdunq zum Bomitwurf, Ad. I, S. 83.


Bedeutung und Vollzug der Haftstrafe nach dem
Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch
von öl-, jur. Bolko von Ratte

er Voreutwurf zu einem Strafgesetzbuch strebt danach, die Haftstrafe
auf dem Gebiete der Vergehen erheblich auszudehnen und die
bisherige Festungshaft durch sie zu ersetzen*).

Es ist für deu philosophisch denkenden Menschen ohne weiteres
klar, daß niemals die Strafe, sondern immer die vollbrachte Tat
das Entehrende ist. Ebenso sicher ist es aber, daß in der Achtung der Mitmenschen
mir sehr selten die straflose Tat, fast immer aber die ausgesprochene und vollstreckte
Strafe dem von ihr Betroffenen einen Makel anheftet.

Daß die Ehrminderung, die der Mensch durch eine gegen ihn vollstreckte
Strafe erleidet, je nach der Art der Strafe verschieden beurteilt wird, daß
Geldstrafen in vielen Fällen die Achtung, die der Mensch unter seinem Mitmenschen
genießt, nur sehr unerheblich oder gar uicht mindert und daß bei Freiheitsstrafen
die Strafart (nach dem bisherigen System Zuchthaus, Gefängnis, Festung, Haft)
für die Ehrminderung, die der von der Strafe Betroffene erleidet, von weit¬
gehendster Bedeutung ist, beruht auf historischer Entwicklung.

Die Schätzung der Straftat, uicht uur im Bewußtsein des Volkes, sondern
auch in dem der gebildeten Schichten, tritt dem Gesetzgeber bei Bestimmung der
Strafen als gegebene Größe entgegen. Er muß mit ihr rechnen und tut es
auch tatsächlich. Die bestehende Gesetzgebung, wie auch der Vorentwurf, haben
es mit vollem Recht als ein Gebot der Gerechtigkeit anerkannt, Straftaten, die
nicht aus ehrloser Gesinnung hervorgegangen sind, aber nach ihrer Schwere zur
Sühne durch bloße Geldopfer nicht geeignet sind, mit Freiheitsstrafen zu belegen,
die eine Minderung des Ansehens, das der Bestrafte unter seinen Mitmenschen
genießt, uach ihrem Vollzuge nicht zur Folge haben. Im geltenden Rechte
erfüllt die Festungsstrafe diese Ausgabe, uach dem Vorentwurf soll es die Haft¬
strafe tun.

Die Begründung des Entwurfs sagt wörtlich!



") Vqs. Bojinmdunq zum Bomitwurf, Ad. I, S. 83.
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[0175] [Abbildung] Bedeutung und Vollzug der Haftstrafe nach dem Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch von öl-, jur. Bolko von Ratte er Voreutwurf zu einem Strafgesetzbuch strebt danach, die Haftstrafe auf dem Gebiete der Vergehen erheblich auszudehnen und die bisherige Festungshaft durch sie zu ersetzen*). Es ist für deu philosophisch denkenden Menschen ohne weiteres klar, daß niemals die Strafe, sondern immer die vollbrachte Tat das Entehrende ist. Ebenso sicher ist es aber, daß in der Achtung der Mitmenschen mir sehr selten die straflose Tat, fast immer aber die ausgesprochene und vollstreckte Strafe dem von ihr Betroffenen einen Makel anheftet. Daß die Ehrminderung, die der Mensch durch eine gegen ihn vollstreckte Strafe erleidet, je nach der Art der Strafe verschieden beurteilt wird, daß Geldstrafen in vielen Fällen die Achtung, die der Mensch unter seinem Mitmenschen genießt, nur sehr unerheblich oder gar uicht mindert und daß bei Freiheitsstrafen die Strafart (nach dem bisherigen System Zuchthaus, Gefängnis, Festung, Haft) für die Ehrminderung, die der von der Strafe Betroffene erleidet, von weit¬ gehendster Bedeutung ist, beruht auf historischer Entwicklung. Die Schätzung der Straftat, uicht uur im Bewußtsein des Volkes, sondern auch in dem der gebildeten Schichten, tritt dem Gesetzgeber bei Bestimmung der Strafen als gegebene Größe entgegen. Er muß mit ihr rechnen und tut es auch tatsächlich. Die bestehende Gesetzgebung, wie auch der Vorentwurf, haben es mit vollem Recht als ein Gebot der Gerechtigkeit anerkannt, Straftaten, die nicht aus ehrloser Gesinnung hervorgegangen sind, aber nach ihrer Schwere zur Sühne durch bloße Geldopfer nicht geeignet sind, mit Freiheitsstrafen zu belegen, die eine Minderung des Ansehens, das der Bestrafte unter seinen Mitmenschen genießt, uach ihrem Vollzuge nicht zur Folge haben. Im geltenden Rechte erfüllt die Festungsstrafe diese Ausgabe, uach dem Vorentwurf soll es die Haft¬ strafe tun. Die Begründung des Entwurfs sagt wörtlich! ") Vqs. Bojinmdunq zum Bomitwurf, Ad. I, S. 83.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/175>, abgerufen am 29.06.2024.