Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.Das Aulturproblcm und die Religion Erleben darf dann kein unmittelbares Zutrauen zu sich selber haben, sondern Wir Hütten hier noch manch anderes zu bemerken, aber wir befragen schnell Das Aulturproblcm und die Religion Erleben darf dann kein unmittelbares Zutrauen zu sich selber haben, sondern Wir Hütten hier noch manch anderes zu bemerken, aber wir befragen schnell <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0171" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315810"/> <fw type="header" place="top"> Das Aulturproblcm und die Religion</fw><lb/> <p xml:id="ID_889" prev="#ID_888"> Erleben darf dann kein unmittelbares Zutrauen zu sich selber haben, sondern<lb/> muß, ehe es an sich glauben darf, erst unter die Brille des Intellektes genommen<lb/> und von dem Professor begutachtet werden. Und was sich dann nicht kausal<lb/> einfangen und erklären läßt, dem wird die Existenzberechtigung abgesprochen;<lb/> es wird, wenn man es auch am Existieren nicht hindern kann, wenigstens in<lb/> das Reich der schönen Illusionen verwiesen. Und in dieses Reich der zwar<lb/> schönen, aber leeren Einbildungen muß dann alles Edelste unserer Seele ab¬<lb/> geschoben werden, einfach weil alle Liebe, alles Ästhetische, Moralische und<lb/> Religiöse, will es leben, seines subjektiv-irrationalen Charakters nie entkleidet<lb/> werden darf. Wird dem allen aber lediglich ein subjektiv-illusorischer Charakter<lb/> zugesprochen, dann neigen die in Mißtrauen gegen sich selbst geratenen Seelen<lb/> dazu, dieses ihr Eigenes und Bestes zurückzustellen gegenüber der Welt des<lb/> Reellen und Materiellen. Der praktische Materialismus ist noch immer die<lb/> Massenfolge des theoretischen Materialismus gewesen. Fällt der Schwerpunkt<lb/> des Lebens nicht mehr nach innen, so muß er ja im Leben und Handeln nach<lb/> außen fallen und auf die Sinuenseite. Und das war in Deutschland in den<lb/> Gründerjahren in bedauerlichsten Maße der Fall, und der damals großgewordene<lb/> Geist des Protzentums und öden Scheinenwollens hemmt auch heute noch den<lb/> Vorwärtsgang einer verinnerlichten und beseelten Kultur.</p><lb/> <p xml:id="ID_890" next="#ID_891"> Wir Hütten hier noch manch anderes zu bemerken, aber wir befragen schnell<lb/> weiter den ästhetischen Trieb, ob er, losgelöst von den anderen und auf sich<lb/> selbst gestellt, Leben erhalten und gestalten kann. Der ästhetische Trieb möchte<lb/> in seiner Übertreibung die ganze Welt nur als ästhetisches Phänomen gelten<lb/> lassen, genießen, beurteilen, gestalten. Aber wenn es richtig ist, daß wir alles<lb/> und jedes, wie wissenschaftlich so auch ästhetisch nehmen können und auch sollen,<lb/> so ist es doch ein Fluch für das Leben und das ästhetische Schaffen selbst, wenn<lb/> wir es nur so oder möglichst nur so nehmen wollen. Ibsen schreibt einmal<lb/> an Björnson: „Wenn ich in diesem Augenblicke bekennen sollte, worin die<lb/> wesentliche Ausbeute meiner Reise besteht, so würde ich sagen, sie besteht darin,<lb/> daß ich das Ästhetische aus mir selbst ausgetrieben habe, sowie es früher Macht<lb/> über mich hatte: nämlich isoliert und mit dem Anspruch, für sich selbst Geltung<lb/> zu haben. Ästhetik in diesem Sinne scheint mir jetzt ebensosehr ein Fluch für<lb/> die Poesie zu sein, wie die Theologie es für die Religion ist." Das ist vor¬<lb/> züglich und trifft den Nagel auf den Kopf. Denn die Theologie wird der<lb/> Religion deshalb so leicht zum Fluche, weil sie ihre Gedanken und Wissenschaft¬<lb/> lichkeiten über Religion so leicht mit der Religion selber verwechselt und dann<lb/> statt innerer Bewegungen den Menschenseelen nichts als Kopfdinge vermittelt.<lb/> Und die Ästhetik wird für die Poesie und Kunst zum Fluche, sobald sie, isoliert<lb/> von den anderen Kräften, die Erscheinungen des Lebens fassen und beurteilen<lb/> will. Denn jedes isolierte ästhetische Interesse geht allemal nur auf den Schein<lb/> der Dinge. Aber die Dinge und wir selber sind nicht um des Scheines willen,<lb/> noch dazu da, um nur auf den Schein hin betrachtet, genossen, zergliedert,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0171]
Das Aulturproblcm und die Religion
Erleben darf dann kein unmittelbares Zutrauen zu sich selber haben, sondern
muß, ehe es an sich glauben darf, erst unter die Brille des Intellektes genommen
und von dem Professor begutachtet werden. Und was sich dann nicht kausal
einfangen und erklären läßt, dem wird die Existenzberechtigung abgesprochen;
es wird, wenn man es auch am Existieren nicht hindern kann, wenigstens in
das Reich der schönen Illusionen verwiesen. Und in dieses Reich der zwar
schönen, aber leeren Einbildungen muß dann alles Edelste unserer Seele ab¬
geschoben werden, einfach weil alle Liebe, alles Ästhetische, Moralische und
Religiöse, will es leben, seines subjektiv-irrationalen Charakters nie entkleidet
werden darf. Wird dem allen aber lediglich ein subjektiv-illusorischer Charakter
zugesprochen, dann neigen die in Mißtrauen gegen sich selbst geratenen Seelen
dazu, dieses ihr Eigenes und Bestes zurückzustellen gegenüber der Welt des
Reellen und Materiellen. Der praktische Materialismus ist noch immer die
Massenfolge des theoretischen Materialismus gewesen. Fällt der Schwerpunkt
des Lebens nicht mehr nach innen, so muß er ja im Leben und Handeln nach
außen fallen und auf die Sinuenseite. Und das war in Deutschland in den
Gründerjahren in bedauerlichsten Maße der Fall, und der damals großgewordene
Geist des Protzentums und öden Scheinenwollens hemmt auch heute noch den
Vorwärtsgang einer verinnerlichten und beseelten Kultur.
Wir Hütten hier noch manch anderes zu bemerken, aber wir befragen schnell
weiter den ästhetischen Trieb, ob er, losgelöst von den anderen und auf sich
selbst gestellt, Leben erhalten und gestalten kann. Der ästhetische Trieb möchte
in seiner Übertreibung die ganze Welt nur als ästhetisches Phänomen gelten
lassen, genießen, beurteilen, gestalten. Aber wenn es richtig ist, daß wir alles
und jedes, wie wissenschaftlich so auch ästhetisch nehmen können und auch sollen,
so ist es doch ein Fluch für das Leben und das ästhetische Schaffen selbst, wenn
wir es nur so oder möglichst nur so nehmen wollen. Ibsen schreibt einmal
an Björnson: „Wenn ich in diesem Augenblicke bekennen sollte, worin die
wesentliche Ausbeute meiner Reise besteht, so würde ich sagen, sie besteht darin,
daß ich das Ästhetische aus mir selbst ausgetrieben habe, sowie es früher Macht
über mich hatte: nämlich isoliert und mit dem Anspruch, für sich selbst Geltung
zu haben. Ästhetik in diesem Sinne scheint mir jetzt ebensosehr ein Fluch für
die Poesie zu sein, wie die Theologie es für die Religion ist." Das ist vor¬
züglich und trifft den Nagel auf den Kopf. Denn die Theologie wird der
Religion deshalb so leicht zum Fluche, weil sie ihre Gedanken und Wissenschaft¬
lichkeiten über Religion so leicht mit der Religion selber verwechselt und dann
statt innerer Bewegungen den Menschenseelen nichts als Kopfdinge vermittelt.
Und die Ästhetik wird für die Poesie und Kunst zum Fluche, sobald sie, isoliert
von den anderen Kräften, die Erscheinungen des Lebens fassen und beurteilen
will. Denn jedes isolierte ästhetische Interesse geht allemal nur auf den Schein
der Dinge. Aber die Dinge und wir selber sind nicht um des Scheines willen,
noch dazu da, um nur auf den Schein hin betrachtet, genossen, zergliedert,
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