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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Das Alllturproblom und die Religion

die Religion, zu autoritativer Gesetzlichkeit erhoben, alles zwangsweise geeint und
mit kultureller Einheit durchdrungen, so hub jetzt die freie Konkurrenz der Kräfte
an, und es ward ein Krieg aller gegen alle. Das war wohl nötig und ist
auch insofern gut und heilsam gewesen, als nur das völlig sreie Sichausleben
der Einzelkraft ihr selber zeigen konnte, wie weit sie mit sich selber und ohne
das Ganze der Seele kommt.

Aber nun sehen wir's ja wohl, wie weit wir damit gekommen sind!
Seele, als organische innere Einheit und letzten Sinn und Zweck all unseres
äußeren Getriebes, gab es schließlich überhaupt nicht mehr. Zum mindesten nicht
als etwas, um deswillen alles andere sei, und alles Einzelne zu arbeiten und
sich zu bilden habe. Alles Einzelne ward Selbstzweck. Dem Intellektuellen
wurde die Jntellektnalisierung, dem Ästheten die Ästhetisierung, dem Geldmann
die Kapitalbildung, dem Moralisten die Moralisieruug, dem Kirchenmanue die
Verkirchlichung alles Lebens und Geschehens der Endzweck. Selbst das Innerste
und Tiefste und Zarteste seelischer Regungen ward schließlich nichts anderes als
ein interessantes Phänomen intellektueller Neugierde, artistischer Verarbeitung,
moralisierender Betrachtung. Das Leben war selbst in seinen heiligsten Quellen
uicht mehr da, um zu leben und zu quellen und sich immer reiner und schöner
und harmonischer ins Licht zu erheben. Es war vielmehr dazu da, um beklopft,
behorcht, zerklärt, zerpflückt, ästhetisch verwertet, pädagogisch behandelt, moralisch
beurteilt und bepredigt zu werden.

Da jede Teiltätigkeit um ihrer selbst willen geschah, und jede Teilkraft sich
um ihrer selbst willen übte, und alles und jedes nur als Reckstange und
Sprungbrett für sich betrachtete, so mußte das Ganze entwertet und der Mensch
in seiner Totalität, zentralen Lebenskraft und Lebenseinheit auf das schwerste
gefährdet werden. Denn alles Einzelne kann ja gesund nur aus dem Grunde
des Ganzen leben. Am kleinsten Grashalm muß die ganze Schöpfung arbeiten,
und in der Teiltätigkeit muß immer der ganze Mensch lebendig sein als ihr
Grund und als ihr Ziel. Andernfalls verdirbt mit unerbittlicher Notwendigkeit
das Teilschaffen sich selbst und das Ganze, den Menschen und seine Schöpfung.

Und wie hat unser Leben und unsere Kultur unter dieser Verfeindung der
Seelenkräfte und unter dem Wegfall der seelisch-persönlichen Einheit gelitten!
Machen wir uns doch nur, um aus dieser Sinnlosigkeit ein für allemal
herauszukommen, im einzelnen klar, was die unentrinnbare Folge einer
Emanzipation der an sich guten und edlen Einzelkräfte von: Ganzen der Seele
war und sein muß.


, (>.

Wenn der wissenschaftliche Intellekt nur sich gelten lassen und nichts
weiter, als die ihm möglichen Verarbeitungen des Lebens, als "wahr" anerkennen
will, dann folgt daraus mit Notwendigkeit, daß der höchste Sinn und Zweck
der Welt ausgesucht nur der ist, daß sie untersucht, erklärt und in eine Ursachen¬
kette verwandelt, also verwissenschaftlicht werde. Selbst das tiefste und innerlichste


Das Alllturproblom und die Religion

die Religion, zu autoritativer Gesetzlichkeit erhoben, alles zwangsweise geeint und
mit kultureller Einheit durchdrungen, so hub jetzt die freie Konkurrenz der Kräfte
an, und es ward ein Krieg aller gegen alle. Das war wohl nötig und ist
auch insofern gut und heilsam gewesen, als nur das völlig sreie Sichausleben
der Einzelkraft ihr selber zeigen konnte, wie weit sie mit sich selber und ohne
das Ganze der Seele kommt.

Aber nun sehen wir's ja wohl, wie weit wir damit gekommen sind!
Seele, als organische innere Einheit und letzten Sinn und Zweck all unseres
äußeren Getriebes, gab es schließlich überhaupt nicht mehr. Zum mindesten nicht
als etwas, um deswillen alles andere sei, und alles Einzelne zu arbeiten und
sich zu bilden habe. Alles Einzelne ward Selbstzweck. Dem Intellektuellen
wurde die Jntellektnalisierung, dem Ästheten die Ästhetisierung, dem Geldmann
die Kapitalbildung, dem Moralisten die Moralisieruug, dem Kirchenmanue die
Verkirchlichung alles Lebens und Geschehens der Endzweck. Selbst das Innerste
und Tiefste und Zarteste seelischer Regungen ward schließlich nichts anderes als
ein interessantes Phänomen intellektueller Neugierde, artistischer Verarbeitung,
moralisierender Betrachtung. Das Leben war selbst in seinen heiligsten Quellen
uicht mehr da, um zu leben und zu quellen und sich immer reiner und schöner
und harmonischer ins Licht zu erheben. Es war vielmehr dazu da, um beklopft,
behorcht, zerklärt, zerpflückt, ästhetisch verwertet, pädagogisch behandelt, moralisch
beurteilt und bepredigt zu werden.

Da jede Teiltätigkeit um ihrer selbst willen geschah, und jede Teilkraft sich
um ihrer selbst willen übte, und alles und jedes nur als Reckstange und
Sprungbrett für sich betrachtete, so mußte das Ganze entwertet und der Mensch
in seiner Totalität, zentralen Lebenskraft und Lebenseinheit auf das schwerste
gefährdet werden. Denn alles Einzelne kann ja gesund nur aus dem Grunde
des Ganzen leben. Am kleinsten Grashalm muß die ganze Schöpfung arbeiten,
und in der Teiltätigkeit muß immer der ganze Mensch lebendig sein als ihr
Grund und als ihr Ziel. Andernfalls verdirbt mit unerbittlicher Notwendigkeit
das Teilschaffen sich selbst und das Ganze, den Menschen und seine Schöpfung.

Und wie hat unser Leben und unsere Kultur unter dieser Verfeindung der
Seelenkräfte und unter dem Wegfall der seelisch-persönlichen Einheit gelitten!
Machen wir uns doch nur, um aus dieser Sinnlosigkeit ein für allemal
herauszukommen, im einzelnen klar, was die unentrinnbare Folge einer
Emanzipation der an sich guten und edlen Einzelkräfte von: Ganzen der Seele
war und sein muß.


, (>.

Wenn der wissenschaftliche Intellekt nur sich gelten lassen und nichts
weiter, als die ihm möglichen Verarbeitungen des Lebens, als „wahr" anerkennen
will, dann folgt daraus mit Notwendigkeit, daß der höchste Sinn und Zweck
der Welt ausgesucht nur der ist, daß sie untersucht, erklärt und in eine Ursachen¬
kette verwandelt, also verwissenschaftlicht werde. Selbst das tiefste und innerlichste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/170>, abgerufen am 29.06.2024.