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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Das Rulturxroblem und die Religion

Wir wollen einen ganz unverdächtigen Zeugen dafür namhaft machen, den
Nationalökonomen Werner Sombart. Er sagte vor nicht langer Zeit in einem
Vortrage: "Alle die Möglichkeiten, die der Dämon des Erfindungsgeistes uns
gegeben hat, lösen sich, wenn wir die Frage stellen, was sie uns denn
wirklich bringen, in nichts auf. Wozu brauchen wir so viel Licht in der Welt?
Weil wir in den Städten zusammengepfercht wohnen, und weil wir abends zu
Hunderttausenden durcheinanderlanfen, was natürlich beleuchtet werden muß.
Wozu brauchen wir in der Luft herumzufliegen? Was brauchen wir das
Telephon, welchen Sinn hat die Erfindung des Grammophons? Eine geschmack¬
volle Zeit würde einen Mann, der das Grammophon erfindet, mit lebensläng¬
lichem Zuchthaus bestrafen. Um unser Wohlbefinden kümmert sich der Dämon
Erfindungsgeist nicht, er liefert uns bloß den Lärm und Gestank, und -- da er
materielle Güter schafft, die wieder zur Bevölkerungszunahme führen -- liefert
er uns die Masse. Zweifellos hat sich die Wissenschaft, wo sie der Technik
genützt hat, als sehr fruchtbar erwiesen, aber unsere wirklichen Einsichten in das
Wesen der Dinge sind heute um keinen Deut größer, als es früher der Fall
war. Nichts hat die moderne Kultur für unser inneres Leben, für unser Glück,
unsere Zufriedenheit, unsere Tiefe geleistet."

So spricht ein Mann, dem man zum mindesten das eine zugestehen muß,
daß er, wie nur einer, die wirtschaftlich-technische Seite unserer Kultur studiert
hat. Aber das persönliche Fazit ist trübster Pessimismus: Da wohnt kein
Glück, keine Zufriedenheit, keine Tiefe, nichts, wodurch das innere Leben bereichert
würde I

Nun, wir stimmen Sombart höchstens so weit zu, daß wir ein "noch nicht"
an Stelle seines "nicht" setzen. Aber selbst durch das letzte und sehr ernste Buch
eines so innerlich und religiös fundamentierten Kulturkämpfers, wie Heinrich
Diesmans einer ist, klingt doch auch leise ein müder Kulturpessimismus.
Wenigstens insofern, als auch er es vergißt, die starken und lebenschaffenden
Werte unserer wissenschaftlich-technischen Kultur zu betonen und scharf die Not¬
wendigkeit dieses ganzen Prozesses herauszuheben. Wir unserseits bejahen
diesen Prozeß, aber wir halten seine Versittlichung und Beseelung nicht nur für
nötig, sondern auch für möglich und des Schweißes aller Edlen wert.

Denn dieser ganze Prozeß arbeitet von selber und gerade durch den Druck
und Zwang und die nervöse Friedlosigkeit, in die er uns gebracht hat, entweder
auf eine neue Versittlichung und Beseelung durch uns hin, oder wir resignieren
und lassen uns durch ihn zerbrechen. Aber alle Zeichen der Zeit deuten darauf
hin, daß wir dazu nicht die mindeste Lust verspüren. Druck durch Gegen¬
druck überwinden, das wird auch hier unsere Parole.

Aber sie kann nur dann Erfolg haben, wenn wir zunächst einmal in aller
Deutlichkeit empfinden, wo uns eigentlich der Schuh drückt, und warum er
uns, so wie er ist, auch drücken muß.


Grenzboten II 191020
Das Rulturxroblem und die Religion

Wir wollen einen ganz unverdächtigen Zeugen dafür namhaft machen, den
Nationalökonomen Werner Sombart. Er sagte vor nicht langer Zeit in einem
Vortrage: „Alle die Möglichkeiten, die der Dämon des Erfindungsgeistes uns
gegeben hat, lösen sich, wenn wir die Frage stellen, was sie uns denn
wirklich bringen, in nichts auf. Wozu brauchen wir so viel Licht in der Welt?
Weil wir in den Städten zusammengepfercht wohnen, und weil wir abends zu
Hunderttausenden durcheinanderlanfen, was natürlich beleuchtet werden muß.
Wozu brauchen wir in der Luft herumzufliegen? Was brauchen wir das
Telephon, welchen Sinn hat die Erfindung des Grammophons? Eine geschmack¬
volle Zeit würde einen Mann, der das Grammophon erfindet, mit lebensläng¬
lichem Zuchthaus bestrafen. Um unser Wohlbefinden kümmert sich der Dämon
Erfindungsgeist nicht, er liefert uns bloß den Lärm und Gestank, und — da er
materielle Güter schafft, die wieder zur Bevölkerungszunahme führen — liefert
er uns die Masse. Zweifellos hat sich die Wissenschaft, wo sie der Technik
genützt hat, als sehr fruchtbar erwiesen, aber unsere wirklichen Einsichten in das
Wesen der Dinge sind heute um keinen Deut größer, als es früher der Fall
war. Nichts hat die moderne Kultur für unser inneres Leben, für unser Glück,
unsere Zufriedenheit, unsere Tiefe geleistet."

So spricht ein Mann, dem man zum mindesten das eine zugestehen muß,
daß er, wie nur einer, die wirtschaftlich-technische Seite unserer Kultur studiert
hat. Aber das persönliche Fazit ist trübster Pessimismus: Da wohnt kein
Glück, keine Zufriedenheit, keine Tiefe, nichts, wodurch das innere Leben bereichert
würde I

Nun, wir stimmen Sombart höchstens so weit zu, daß wir ein „noch nicht"
an Stelle seines „nicht" setzen. Aber selbst durch das letzte und sehr ernste Buch
eines so innerlich und religiös fundamentierten Kulturkämpfers, wie Heinrich
Diesmans einer ist, klingt doch auch leise ein müder Kulturpessimismus.
Wenigstens insofern, als auch er es vergißt, die starken und lebenschaffenden
Werte unserer wissenschaftlich-technischen Kultur zu betonen und scharf die Not¬
wendigkeit dieses ganzen Prozesses herauszuheben. Wir unserseits bejahen
diesen Prozeß, aber wir halten seine Versittlichung und Beseelung nicht nur für
nötig, sondern auch für möglich und des Schweißes aller Edlen wert.

Denn dieser ganze Prozeß arbeitet von selber und gerade durch den Druck
und Zwang und die nervöse Friedlosigkeit, in die er uns gebracht hat, entweder
auf eine neue Versittlichung und Beseelung durch uns hin, oder wir resignieren
und lassen uns durch ihn zerbrechen. Aber alle Zeichen der Zeit deuten darauf
hin, daß wir dazu nicht die mindeste Lust verspüren. Druck durch Gegen¬
druck überwinden, das wird auch hier unsere Parole.

Aber sie kann nur dann Erfolg haben, wenn wir zunächst einmal in aller
Deutlichkeit empfinden, wo uns eigentlich der Schuh drückt, und warum er
uns, so wie er ist, auch drücken muß.


Grenzboten II 191020
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[0165] Das Rulturxroblem und die Religion Wir wollen einen ganz unverdächtigen Zeugen dafür namhaft machen, den Nationalökonomen Werner Sombart. Er sagte vor nicht langer Zeit in einem Vortrage: „Alle die Möglichkeiten, die der Dämon des Erfindungsgeistes uns gegeben hat, lösen sich, wenn wir die Frage stellen, was sie uns denn wirklich bringen, in nichts auf. Wozu brauchen wir so viel Licht in der Welt? Weil wir in den Städten zusammengepfercht wohnen, und weil wir abends zu Hunderttausenden durcheinanderlanfen, was natürlich beleuchtet werden muß. Wozu brauchen wir in der Luft herumzufliegen? Was brauchen wir das Telephon, welchen Sinn hat die Erfindung des Grammophons? Eine geschmack¬ volle Zeit würde einen Mann, der das Grammophon erfindet, mit lebensläng¬ lichem Zuchthaus bestrafen. Um unser Wohlbefinden kümmert sich der Dämon Erfindungsgeist nicht, er liefert uns bloß den Lärm und Gestank, und — da er materielle Güter schafft, die wieder zur Bevölkerungszunahme führen — liefert er uns die Masse. Zweifellos hat sich die Wissenschaft, wo sie der Technik genützt hat, als sehr fruchtbar erwiesen, aber unsere wirklichen Einsichten in das Wesen der Dinge sind heute um keinen Deut größer, als es früher der Fall war. Nichts hat die moderne Kultur für unser inneres Leben, für unser Glück, unsere Zufriedenheit, unsere Tiefe geleistet." So spricht ein Mann, dem man zum mindesten das eine zugestehen muß, daß er, wie nur einer, die wirtschaftlich-technische Seite unserer Kultur studiert hat. Aber das persönliche Fazit ist trübster Pessimismus: Da wohnt kein Glück, keine Zufriedenheit, keine Tiefe, nichts, wodurch das innere Leben bereichert würde I Nun, wir stimmen Sombart höchstens so weit zu, daß wir ein „noch nicht" an Stelle seines „nicht" setzen. Aber selbst durch das letzte und sehr ernste Buch eines so innerlich und religiös fundamentierten Kulturkämpfers, wie Heinrich Diesmans einer ist, klingt doch auch leise ein müder Kulturpessimismus. Wenigstens insofern, als auch er es vergißt, die starken und lebenschaffenden Werte unserer wissenschaftlich-technischen Kultur zu betonen und scharf die Not¬ wendigkeit dieses ganzen Prozesses herauszuheben. Wir unserseits bejahen diesen Prozeß, aber wir halten seine Versittlichung und Beseelung nicht nur für nötig, sondern auch für möglich und des Schweißes aller Edlen wert. Denn dieser ganze Prozeß arbeitet von selber und gerade durch den Druck und Zwang und die nervöse Friedlosigkeit, in die er uns gebracht hat, entweder auf eine neue Versittlichung und Beseelung durch uns hin, oder wir resignieren und lassen uns durch ihn zerbrechen. Aber alle Zeichen der Zeit deuten darauf hin, daß wir dazu nicht die mindeste Lust verspüren. Druck durch Gegen¬ druck überwinden, das wird auch hier unsere Parole. Aber sie kann nur dann Erfolg haben, wenn wir zunächst einmal in aller Deutlichkeit empfinden, wo uns eigentlich der Schuh drückt, und warum er uns, so wie er ist, auch drücken muß. Grenzboten II 191020

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/165>, abgerufen am 29.06.2024.