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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gedanken über Llsaß-Lothringen

seine Wünsche in der Verfassungsfrage geltend zu machen, auch dann wird man
Gefahr laufen, noch dieselben schädigenden Tendenzen in Elsaß-Lothringen
wirken zu sehen, die heute ihr so unheilvolles Spiel treiben. Die Frage ist
sicherlich der reiflicher Überlegung wert, ob es denn überhaupt notwendig sei,
einen neuen deutschen Kleinstaat zu schaffen. Freilich beruht der Grundgedanke
des Deutschen Reichs auf der Zusammenfassung der selbständigen Bundesstaaten
zu einem machtvollen Ganzen. Diesen: Prinzip wird aber nichts genommen,
wenn man Elsaß-Lothringen unter die größeren der Bundesstaaten zur Auf¬
teilung bringt. Lothringen würde sich seiner Bevölkerung nach vorzüglich zu
einer Assimilation mit Preußen eignen, das Unter-Elsaß könnte ohne Schwierig¬
keiten mit der Pfalz, das Ober-Elsaß zur Hälfte mit Württemberg, zur Hälfte
mit Baden vereinigt werden. Waren doch auch zu französischen Zeiten die
heute Elsaß-Lothringen ausmachenden Länderteile in der Verwaltung gänzlich
voneinander getrennt. Sie zerfielen in mehrere Departements, welche direkt
untereinander nichts gemein hatten, die ihre Weisungen vielmehr von Paris
empfingen und von Paris aus regiert wurden; und man muß immer bedenken,
daß es für die französische Regierung viel schwerer war, vor zweihundert Jahren
in diesen Länderteilen Fuß zu fassen, weil nur in wenigen, eng begrenzten
Gegenden Französisch als Volkssprache gelten konnte, das ganze Elsaß vielmehr
bis auf geringfügige Ausnahmen und zwei Drittel von Lothringen in Sprache
und Sitten rein deutsch waren. Wenn damals unter so schwierigen Umständen
ein fremder Staat es fertig gebracht hat, diese Provinzen eng an sich zu
schließen auf Grund einer Verwaltungsorganisation, die das kluge Wort
"ctiviäs et impera" zur Geltung brachte, warum sollte es unmöglich sein, ein
erst vierzig Jahre lang bestehendes künstliches Gebilde, das noch nichts weiter
fertig gebracht hat, als es einer Oberschicht von Notablen möglich zu machen,
für sich möglichst viele Vorteile herauszuschlagen und das Land möglichst von
Deutschland getrennt zu halten, wieder auszuteilen und durch die Anziehungs¬
kraft der großen deutschen Staatengebilde allmählich mit deutscher Kultur
und deutschem Wesen viel inniger zu durchdringen, als dies bisher
möglich war.

Heutzutage hält der Depute Vogt im Landesausschuß eine Brandrede gegen
die eingewanderten Beamten, die er gewissermaßen als Schmarotzer bezeichnet.
In französischen Zeiten war es selbstverständlich, daß aus allen Gegenden Frank¬
reichs Beamte nach Elsaß-Lothringen versetzt wurden, und niemand hat damals
darüber geklagt. Ebenso selbstverständlich war es damals allerdings, daß Elsaß-
Lothringer, welche in den Staatsdienst traten oder die Offizierskarriere ergriffen,
kein Recht darauf hatten, in ihrer engeren Heimat zu bleiben, sondern daß sie
es sich gefallen lassen mußten, in das Innere Frankreichs versetzt zu werden.
Gerade dadurch aber wurde die gegenseitige Annäherung und Verschmelzung
auf das beste gefördert. Dieses Mittels haben wir uns bisher in Elsaß-Loth¬
ringen nicht bedient. Wenn der Landesausschuß sich beklagt, daß die Söhne


Gedanken über Llsaß-Lothringen

seine Wünsche in der Verfassungsfrage geltend zu machen, auch dann wird man
Gefahr laufen, noch dieselben schädigenden Tendenzen in Elsaß-Lothringen
wirken zu sehen, die heute ihr so unheilvolles Spiel treiben. Die Frage ist
sicherlich der reiflicher Überlegung wert, ob es denn überhaupt notwendig sei,
einen neuen deutschen Kleinstaat zu schaffen. Freilich beruht der Grundgedanke
des Deutschen Reichs auf der Zusammenfassung der selbständigen Bundesstaaten
zu einem machtvollen Ganzen. Diesen: Prinzip wird aber nichts genommen,
wenn man Elsaß-Lothringen unter die größeren der Bundesstaaten zur Auf¬
teilung bringt. Lothringen würde sich seiner Bevölkerung nach vorzüglich zu
einer Assimilation mit Preußen eignen, das Unter-Elsaß könnte ohne Schwierig¬
keiten mit der Pfalz, das Ober-Elsaß zur Hälfte mit Württemberg, zur Hälfte
mit Baden vereinigt werden. Waren doch auch zu französischen Zeiten die
heute Elsaß-Lothringen ausmachenden Länderteile in der Verwaltung gänzlich
voneinander getrennt. Sie zerfielen in mehrere Departements, welche direkt
untereinander nichts gemein hatten, die ihre Weisungen vielmehr von Paris
empfingen und von Paris aus regiert wurden; und man muß immer bedenken,
daß es für die französische Regierung viel schwerer war, vor zweihundert Jahren
in diesen Länderteilen Fuß zu fassen, weil nur in wenigen, eng begrenzten
Gegenden Französisch als Volkssprache gelten konnte, das ganze Elsaß vielmehr
bis auf geringfügige Ausnahmen und zwei Drittel von Lothringen in Sprache
und Sitten rein deutsch waren. Wenn damals unter so schwierigen Umständen
ein fremder Staat es fertig gebracht hat, diese Provinzen eng an sich zu
schließen auf Grund einer Verwaltungsorganisation, die das kluge Wort
„ctiviäs et impera" zur Geltung brachte, warum sollte es unmöglich sein, ein
erst vierzig Jahre lang bestehendes künstliches Gebilde, das noch nichts weiter
fertig gebracht hat, als es einer Oberschicht von Notablen möglich zu machen,
für sich möglichst viele Vorteile herauszuschlagen und das Land möglichst von
Deutschland getrennt zu halten, wieder auszuteilen und durch die Anziehungs¬
kraft der großen deutschen Staatengebilde allmählich mit deutscher Kultur
und deutschem Wesen viel inniger zu durchdringen, als dies bisher
möglich war.

Heutzutage hält der Depute Vogt im Landesausschuß eine Brandrede gegen
die eingewanderten Beamten, die er gewissermaßen als Schmarotzer bezeichnet.
In französischen Zeiten war es selbstverständlich, daß aus allen Gegenden Frank¬
reichs Beamte nach Elsaß-Lothringen versetzt wurden, und niemand hat damals
darüber geklagt. Ebenso selbstverständlich war es damals allerdings, daß Elsaß-
Lothringer, welche in den Staatsdienst traten oder die Offizierskarriere ergriffen,
kein Recht darauf hatten, in ihrer engeren Heimat zu bleiben, sondern daß sie
es sich gefallen lassen mußten, in das Innere Frankreichs versetzt zu werden.
Gerade dadurch aber wurde die gegenseitige Annäherung und Verschmelzung
auf das beste gefördert. Dieses Mittels haben wir uns bisher in Elsaß-Loth¬
ringen nicht bedient. Wenn der Landesausschuß sich beklagt, daß die Söhne


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[0161] Gedanken über Llsaß-Lothringen seine Wünsche in der Verfassungsfrage geltend zu machen, auch dann wird man Gefahr laufen, noch dieselben schädigenden Tendenzen in Elsaß-Lothringen wirken zu sehen, die heute ihr so unheilvolles Spiel treiben. Die Frage ist sicherlich der reiflicher Überlegung wert, ob es denn überhaupt notwendig sei, einen neuen deutschen Kleinstaat zu schaffen. Freilich beruht der Grundgedanke des Deutschen Reichs auf der Zusammenfassung der selbständigen Bundesstaaten zu einem machtvollen Ganzen. Diesen: Prinzip wird aber nichts genommen, wenn man Elsaß-Lothringen unter die größeren der Bundesstaaten zur Auf¬ teilung bringt. Lothringen würde sich seiner Bevölkerung nach vorzüglich zu einer Assimilation mit Preußen eignen, das Unter-Elsaß könnte ohne Schwierig¬ keiten mit der Pfalz, das Ober-Elsaß zur Hälfte mit Württemberg, zur Hälfte mit Baden vereinigt werden. Waren doch auch zu französischen Zeiten die heute Elsaß-Lothringen ausmachenden Länderteile in der Verwaltung gänzlich voneinander getrennt. Sie zerfielen in mehrere Departements, welche direkt untereinander nichts gemein hatten, die ihre Weisungen vielmehr von Paris empfingen und von Paris aus regiert wurden; und man muß immer bedenken, daß es für die französische Regierung viel schwerer war, vor zweihundert Jahren in diesen Länderteilen Fuß zu fassen, weil nur in wenigen, eng begrenzten Gegenden Französisch als Volkssprache gelten konnte, das ganze Elsaß vielmehr bis auf geringfügige Ausnahmen und zwei Drittel von Lothringen in Sprache und Sitten rein deutsch waren. Wenn damals unter so schwierigen Umständen ein fremder Staat es fertig gebracht hat, diese Provinzen eng an sich zu schließen auf Grund einer Verwaltungsorganisation, die das kluge Wort „ctiviäs et impera" zur Geltung brachte, warum sollte es unmöglich sein, ein erst vierzig Jahre lang bestehendes künstliches Gebilde, das noch nichts weiter fertig gebracht hat, als es einer Oberschicht von Notablen möglich zu machen, für sich möglichst viele Vorteile herauszuschlagen und das Land möglichst von Deutschland getrennt zu halten, wieder auszuteilen und durch die Anziehungs¬ kraft der großen deutschen Staatengebilde allmählich mit deutscher Kultur und deutschem Wesen viel inniger zu durchdringen, als dies bisher möglich war. Heutzutage hält der Depute Vogt im Landesausschuß eine Brandrede gegen die eingewanderten Beamten, die er gewissermaßen als Schmarotzer bezeichnet. In französischen Zeiten war es selbstverständlich, daß aus allen Gegenden Frank¬ reichs Beamte nach Elsaß-Lothringen versetzt wurden, und niemand hat damals darüber geklagt. Ebenso selbstverständlich war es damals allerdings, daß Elsaß- Lothringer, welche in den Staatsdienst traten oder die Offizierskarriere ergriffen, kein Recht darauf hatten, in ihrer engeren Heimat zu bleiben, sondern daß sie es sich gefallen lassen mußten, in das Innere Frankreichs versetzt zu werden. Gerade dadurch aber wurde die gegenseitige Annäherung und Verschmelzung auf das beste gefördert. Dieses Mittels haben wir uns bisher in Elsaß-Loth¬ ringen nicht bedient. Wenn der Landesausschuß sich beklagt, daß die Söhne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/161>, abgerufen am 28.09.2024.