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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gedanken über Llsaß-Lothringen

des Landes keine Gelegenheit haben, im Staatsdienst auszurücken, wenn er
fordert, daß für jede freie Stelle Elsaß-Lothringer den Altdeutschen vorgezogen
werden, so erhält diese Forderung nur dadurch eine gewisse Berechtigung, weil
darauf hingewiesen werden kann, daß die deutschen Bundesstaaten in echtem
deutschen Partikularismus ihrerseits sich dem Elsaß-Lothringer ebenfalls ver¬
schließen. Würde Lothringen preußische Provinz sein, so wäre es selbstverständlich,
daß die preußischen Landräte in Lothringen aus allen preußischen Gebietsteilen
kommen würden. Auf der anderen Seite stände aber auch dem jungen
Lothringer, der in die Verwaltungslaufbahn übergehen will, die Möglichkeit
offen, seinen Weg durch die Regierungen aller preußischen Provinzen bis
zu den Berliner Ministerien zu machen. Eine solche Karriere würde manchen
anlocken, der heute dein Staatsdienst den Rücken kehrt, sich irgendwo als
Rechtsanwalt oder Notar niederläßt und dann, um ein Feld sür seinen
Tätigkeitsdrang und Ehrgeiz zu finden, in Poulet macht und elsaß-lothringischer
Nationalist wird.

Was für Preußen und Lothringen gilt, gilt in ähnlichem Maße für Bayern,
Baden, Württemberg und das Elsaß. Wenn diese Staaten auch an Größe
dem preußischen Riesen nicht gleichkommen, so ersetzen sie dessen Assimilations¬
kraft durch eine ausgeglichene echt deutsche Kultur und durch ihre Wesens¬
verwandtschaft als süddeutsche Staaten mit dem Elsaß.

Man behaupte nicht, durch eine solche Teilung Elsaß-Lothringens werde
die Bevölkerung vergewaltigt, denn wie gesagt wird damit nur der bis zum
Jahre 1870 herrschende Zustand wieder hergestellt, und serner erhält ja die
Bevölkerung eines jeden der so entstehenden Teile in dem betreffenden Bundesstaat
volle Gleichberechtigung. Die Lothringer gelten dann als Preußen, wählen
zum preußischen Landtag, können in Preußen Beamte werden usw. Dann gibt
es eben keinen Grund mehr, über eine Zurücksetzung gegenüber den übrigen
deutschen Staatsangehörigen zu klagen, und infolge der sich viel rascher voll¬
ziehenden Assimilation werden die heute im Vollgenuß unbegründeter Vorrechte
stehenden Notabeln in verhältnismäßig kurzer Zeit von der ihnen erbauten Platt¬
form verschwinden müssen. Jedenfalls wird die Entwickelung dann bedeutend
rascher zugunsten des Deutschtums weitergehen, als dies bisher im mehr oder
weniger selbständigen Reichsland der Fall war.

Bei einer solchen Lösung erübrigt es sich, über die äußerst schwierigen
staatsrechtlichen Fragen nachzudenken, welche durch die für Elsaß-Lothringen
geforderte Autonomie entstehen. Man denke an die Verteilung der Stimmen
im Bundesrat, insbesondere an die für das Reichsland zu findende Staatsform
(Monarchie oder Republik, Sekundogenitur oder lebenslänglicher Statthalter,
Ein- oder Zweikammersystem usf.). Man denke aber auch an die Besetzung der
Bischosstühle in Straßburg und Metz, an das Recht der deutschen Gliedstaaten,
Gesandte zu ernennen und zu empfangen. Soll darüber etwa in Straßburg von einer
nach Frankreich neigenden, aus Notabeln bestehenden Regierung befunden werden?


Gedanken über Llsaß-Lothringen

des Landes keine Gelegenheit haben, im Staatsdienst auszurücken, wenn er
fordert, daß für jede freie Stelle Elsaß-Lothringer den Altdeutschen vorgezogen
werden, so erhält diese Forderung nur dadurch eine gewisse Berechtigung, weil
darauf hingewiesen werden kann, daß die deutschen Bundesstaaten in echtem
deutschen Partikularismus ihrerseits sich dem Elsaß-Lothringer ebenfalls ver¬
schließen. Würde Lothringen preußische Provinz sein, so wäre es selbstverständlich,
daß die preußischen Landräte in Lothringen aus allen preußischen Gebietsteilen
kommen würden. Auf der anderen Seite stände aber auch dem jungen
Lothringer, der in die Verwaltungslaufbahn übergehen will, die Möglichkeit
offen, seinen Weg durch die Regierungen aller preußischen Provinzen bis
zu den Berliner Ministerien zu machen. Eine solche Karriere würde manchen
anlocken, der heute dein Staatsdienst den Rücken kehrt, sich irgendwo als
Rechtsanwalt oder Notar niederläßt und dann, um ein Feld sür seinen
Tätigkeitsdrang und Ehrgeiz zu finden, in Poulet macht und elsaß-lothringischer
Nationalist wird.

Was für Preußen und Lothringen gilt, gilt in ähnlichem Maße für Bayern,
Baden, Württemberg und das Elsaß. Wenn diese Staaten auch an Größe
dem preußischen Riesen nicht gleichkommen, so ersetzen sie dessen Assimilations¬
kraft durch eine ausgeglichene echt deutsche Kultur und durch ihre Wesens¬
verwandtschaft als süddeutsche Staaten mit dem Elsaß.

Man behaupte nicht, durch eine solche Teilung Elsaß-Lothringens werde
die Bevölkerung vergewaltigt, denn wie gesagt wird damit nur der bis zum
Jahre 1870 herrschende Zustand wieder hergestellt, und serner erhält ja die
Bevölkerung eines jeden der so entstehenden Teile in dem betreffenden Bundesstaat
volle Gleichberechtigung. Die Lothringer gelten dann als Preußen, wählen
zum preußischen Landtag, können in Preußen Beamte werden usw. Dann gibt
es eben keinen Grund mehr, über eine Zurücksetzung gegenüber den übrigen
deutschen Staatsangehörigen zu klagen, und infolge der sich viel rascher voll¬
ziehenden Assimilation werden die heute im Vollgenuß unbegründeter Vorrechte
stehenden Notabeln in verhältnismäßig kurzer Zeit von der ihnen erbauten Platt¬
form verschwinden müssen. Jedenfalls wird die Entwickelung dann bedeutend
rascher zugunsten des Deutschtums weitergehen, als dies bisher im mehr oder
weniger selbständigen Reichsland der Fall war.

Bei einer solchen Lösung erübrigt es sich, über die äußerst schwierigen
staatsrechtlichen Fragen nachzudenken, welche durch die für Elsaß-Lothringen
geforderte Autonomie entstehen. Man denke an die Verteilung der Stimmen
im Bundesrat, insbesondere an die für das Reichsland zu findende Staatsform
(Monarchie oder Republik, Sekundogenitur oder lebenslänglicher Statthalter,
Ein- oder Zweikammersystem usf.). Man denke aber auch an die Besetzung der
Bischosstühle in Straßburg und Metz, an das Recht der deutschen Gliedstaaten,
Gesandte zu ernennen und zu empfangen. Soll darüber etwa in Straßburg von einer
nach Frankreich neigenden, aus Notabeln bestehenden Regierung befunden werden?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/162>, abgerufen am 29.06.2024.