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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gedanken über Llsaß-Lothringen

ein stets neugespeister Strom von kräftigen jungen Söhnen der Mutter Germania
in die Provinzen, die vielen von ihnen dann eine zweite Heimat wurden.
Große Industriezweige wurden durch deutschen Unternehmungsgeist belebt oder
neu gegründet; man denke nur an die gewaltige Montanindustrie in Lothringen.
So kam es, daß der alte, seit den Tagen der Gallier und Römer heiß umstrittene
Grenzstaat wieder mehr und mehr mit deutscher Kultur und deutscher Bevölkerung
erfüllt wurde, nachdem vorher mehrere Jahrhunderte lang in umgekehrter
Richtung die Stoßkraft des früher als Deutschland geeinten französischen National¬
staates gegangen war.*)

Aber trotz dieser erfreulichen Erscheinungen, trotzdem man Städte wie
Straßburg und Metz heute in der Hauptsache als deutsche Städte bezeichnen
kann, hat man es sertig gebracht, gerade durch die Isolierung der beiden
Provinzen auf sich selbst und durch ein erschwertes Wahlrecht für die Volks¬
vertretung (wenn man den Landesausschuß so nennen darf) die alteingesessene
Oberschicht der Bevölkerung, die, in französischen Zeiten sranzösisiert, in
hartnäckiger Weise an dem fremden Firnis festhält, zur eigentlich herrschenden
Schicht in Elsaß-Lothringen zu machen. Die Kühnheit dieser kleinen, aber
mächtigen Minorität drückt sich heute aus in dem Ruf "Elsaß-Lothringen den
Elsaß-Lothringern". Was darunter verstanden wird, wird von ihnen verschieden
angegeben, wenn sie aber unter sich sind, nennen sie einen echten Elsaß-
Lothringer nur einen solchen, der den bekannten Großvater vor 1870 im Lande
gehabt hat. Zu französischen Zeiten freilich hatten sie ein ganz anderes Prinzip,
Heute kommt es noch in ihren Zeitungen dann und wann zum Durchbruch, wenn
es ihren nach Westen gerichteten Sympathien entspricht, nämlich wenn sie von
ihren "LompatnotöZ en ?>anLL" sprechen. Damit meinen sie dann jeden
französischen Beamten- oder Offizierssohn, dessen Vater, vielleicht aus der Picardie
oder von den Pyrenäen stammend, einmal zwei oder drei Jahre in Diedenhofen
oder Colmar stand und dem hier der Sohn geboren wurde. Ein solcher Voll¬
blutfranzose gilt als Elsaß-Lothringer, nicht aber der stammverwandte Pfälzer,
dessen Sprache und Sitten von denen des Elsäfsers kaun: zu unterscheiden
sind, der, im Lande geboren, von einem vor vierzig Jahren eingewanderten
Bater abstammt; dieser Pfälzer ist ein "Schwob" und Fremdkörper. Freilich
hüten sich die Nationalisten in Elsaß-Lothringen schwer, das öffentlich ein¬
zugestehen, aber sie bekunden es hundertfach durch ihre Taten. Gesellschaftlich
schließen sie sich überall ab gegen solche, auf die ihr Stempel des Elsaß-Lothringers
nicht paßt. Sie gründen französische Sportvereine, Theaterklubs usw. und betätigen
in allen Beziehungen, seien es politische oder wirtschaftliche, bei allen Wahlen, sowohl
zmnLandesausschuß wie zu den Kreis-und Bezirkstagen, in l^ommunalverwaltungen,
Handelskammern, Jnteressenvereinigungen usw., das Bestreben, unter sich zu
bleiben und jeden Anfang einer Verschmelzung mit den Altdeutschen abzulehnen.



") Hier sei uns unsern Artikel "Das Elsaß" in Rummer 10 hingewiesen.
Gedanken über Llsaß-Lothringen

ein stets neugespeister Strom von kräftigen jungen Söhnen der Mutter Germania
in die Provinzen, die vielen von ihnen dann eine zweite Heimat wurden.
Große Industriezweige wurden durch deutschen Unternehmungsgeist belebt oder
neu gegründet; man denke nur an die gewaltige Montanindustrie in Lothringen.
So kam es, daß der alte, seit den Tagen der Gallier und Römer heiß umstrittene
Grenzstaat wieder mehr und mehr mit deutscher Kultur und deutscher Bevölkerung
erfüllt wurde, nachdem vorher mehrere Jahrhunderte lang in umgekehrter
Richtung die Stoßkraft des früher als Deutschland geeinten französischen National¬
staates gegangen war.*)

Aber trotz dieser erfreulichen Erscheinungen, trotzdem man Städte wie
Straßburg und Metz heute in der Hauptsache als deutsche Städte bezeichnen
kann, hat man es sertig gebracht, gerade durch die Isolierung der beiden
Provinzen auf sich selbst und durch ein erschwertes Wahlrecht für die Volks¬
vertretung (wenn man den Landesausschuß so nennen darf) die alteingesessene
Oberschicht der Bevölkerung, die, in französischen Zeiten sranzösisiert, in
hartnäckiger Weise an dem fremden Firnis festhält, zur eigentlich herrschenden
Schicht in Elsaß-Lothringen zu machen. Die Kühnheit dieser kleinen, aber
mächtigen Minorität drückt sich heute aus in dem Ruf „Elsaß-Lothringen den
Elsaß-Lothringern". Was darunter verstanden wird, wird von ihnen verschieden
angegeben, wenn sie aber unter sich sind, nennen sie einen echten Elsaß-
Lothringer nur einen solchen, der den bekannten Großvater vor 1870 im Lande
gehabt hat. Zu französischen Zeiten freilich hatten sie ein ganz anderes Prinzip,
Heute kommt es noch in ihren Zeitungen dann und wann zum Durchbruch, wenn
es ihren nach Westen gerichteten Sympathien entspricht, nämlich wenn sie von
ihren „LompatnotöZ en ?>anLL" sprechen. Damit meinen sie dann jeden
französischen Beamten- oder Offizierssohn, dessen Vater, vielleicht aus der Picardie
oder von den Pyrenäen stammend, einmal zwei oder drei Jahre in Diedenhofen
oder Colmar stand und dem hier der Sohn geboren wurde. Ein solcher Voll¬
blutfranzose gilt als Elsaß-Lothringer, nicht aber der stammverwandte Pfälzer,
dessen Sprache und Sitten von denen des Elsäfsers kaun: zu unterscheiden
sind, der, im Lande geboren, von einem vor vierzig Jahren eingewanderten
Bater abstammt; dieser Pfälzer ist ein „Schwob" und Fremdkörper. Freilich
hüten sich die Nationalisten in Elsaß-Lothringen schwer, das öffentlich ein¬
zugestehen, aber sie bekunden es hundertfach durch ihre Taten. Gesellschaftlich
schließen sie sich überall ab gegen solche, auf die ihr Stempel des Elsaß-Lothringers
nicht paßt. Sie gründen französische Sportvereine, Theaterklubs usw. und betätigen
in allen Beziehungen, seien es politische oder wirtschaftliche, bei allen Wahlen, sowohl
zmnLandesausschuß wie zu den Kreis-und Bezirkstagen, in l^ommunalverwaltungen,
Handelskammern, Jnteressenvereinigungen usw., das Bestreben, unter sich zu
bleiben und jeden Anfang einer Verschmelzung mit den Altdeutschen abzulehnen.



") Hier sei uns unsern Artikel „Das Elsaß" in Rummer 10 hingewiesen.
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[0159] Gedanken über Llsaß-Lothringen ein stets neugespeister Strom von kräftigen jungen Söhnen der Mutter Germania in die Provinzen, die vielen von ihnen dann eine zweite Heimat wurden. Große Industriezweige wurden durch deutschen Unternehmungsgeist belebt oder neu gegründet; man denke nur an die gewaltige Montanindustrie in Lothringen. So kam es, daß der alte, seit den Tagen der Gallier und Römer heiß umstrittene Grenzstaat wieder mehr und mehr mit deutscher Kultur und deutscher Bevölkerung erfüllt wurde, nachdem vorher mehrere Jahrhunderte lang in umgekehrter Richtung die Stoßkraft des früher als Deutschland geeinten französischen National¬ staates gegangen war.*) Aber trotz dieser erfreulichen Erscheinungen, trotzdem man Städte wie Straßburg und Metz heute in der Hauptsache als deutsche Städte bezeichnen kann, hat man es sertig gebracht, gerade durch die Isolierung der beiden Provinzen auf sich selbst und durch ein erschwertes Wahlrecht für die Volks¬ vertretung (wenn man den Landesausschuß so nennen darf) die alteingesessene Oberschicht der Bevölkerung, die, in französischen Zeiten sranzösisiert, in hartnäckiger Weise an dem fremden Firnis festhält, zur eigentlich herrschenden Schicht in Elsaß-Lothringen zu machen. Die Kühnheit dieser kleinen, aber mächtigen Minorität drückt sich heute aus in dem Ruf „Elsaß-Lothringen den Elsaß-Lothringern". Was darunter verstanden wird, wird von ihnen verschieden angegeben, wenn sie aber unter sich sind, nennen sie einen echten Elsaß- Lothringer nur einen solchen, der den bekannten Großvater vor 1870 im Lande gehabt hat. Zu französischen Zeiten freilich hatten sie ein ganz anderes Prinzip, Heute kommt es noch in ihren Zeitungen dann und wann zum Durchbruch, wenn es ihren nach Westen gerichteten Sympathien entspricht, nämlich wenn sie von ihren „LompatnotöZ en ?>anLL" sprechen. Damit meinen sie dann jeden französischen Beamten- oder Offizierssohn, dessen Vater, vielleicht aus der Picardie oder von den Pyrenäen stammend, einmal zwei oder drei Jahre in Diedenhofen oder Colmar stand und dem hier der Sohn geboren wurde. Ein solcher Voll¬ blutfranzose gilt als Elsaß-Lothringer, nicht aber der stammverwandte Pfälzer, dessen Sprache und Sitten von denen des Elsäfsers kaun: zu unterscheiden sind, der, im Lande geboren, von einem vor vierzig Jahren eingewanderten Bater abstammt; dieser Pfälzer ist ein „Schwob" und Fremdkörper. Freilich hüten sich die Nationalisten in Elsaß-Lothringen schwer, das öffentlich ein¬ zugestehen, aber sie bekunden es hundertfach durch ihre Taten. Gesellschaftlich schließen sie sich überall ab gegen solche, auf die ihr Stempel des Elsaß-Lothringers nicht paßt. Sie gründen französische Sportvereine, Theaterklubs usw. und betätigen in allen Beziehungen, seien es politische oder wirtschaftliche, bei allen Wahlen, sowohl zmnLandesausschuß wie zu den Kreis-und Bezirkstagen, in l^ommunalverwaltungen, Handelskammern, Jnteressenvereinigungen usw., das Bestreben, unter sich zu bleiben und jeden Anfang einer Verschmelzung mit den Altdeutschen abzulehnen. ") Hier sei uns unsern Artikel „Das Elsaß" in Rummer 10 hingewiesen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/159>, abgerufen am 28.09.2024.