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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Gedanken über Elsaß-Lothringen

Überlegenheit Preußens als Großstaat in allen Fragen des vielseitigen Staats¬
lebens, in Politik und Kultur, in Handel und Wandel so in die Augen springend,
daß es einer Unterhaltung darüber nicht mehr bedarf.

Wenn man zu dieser Überzeugung gekommen ist, so wird man aus ganz
prinzipiellen Gründen heraus sich entschieden dagegen verwahren müssen, die in
der Zeit der Eisenbahnen, des Luftschiffes und der drahtlosen Telegraphie überall
sichtbare Tendenz der immer größeren Zusammenballung von Bevölkerungs¬
einheiten zu großen gewaltigen National-, ja zu Weltstaaten gewissermaßen
dadurch in das Gegenteil zu verkehren, daß man künstlich kleine verkümmerte
Staatengebilde schafft, niemand zur Freude, allen zum Leide.

Ein solches Staatengebilde wäre der autonome Bundesstaat Elsaß-Lothringen.
Dieser Bundesstaat würde aus zwei Teilen bestehen, die miteinander gar
nichts zu tun haben und in ihrer Art grundverschieden voneinander sind, aus
dem allemannischen Elsaß, belegen im fruchtbaren, sonnigen Rheintal, und aus
dem stillen, etwas melancholischen und doch für den empfindenden Menschen mit
feinen Reizen ausgestatteten Lothringen. Dort ein lebhafter, aufgeregter Menschen¬
schlag, der sich in nichts von anderen süddeutschen Stämmen unterscheidet, ins¬
besondere auch nicht in puncto Abneigung gegen Preußen; in Lothringen, sowohl
in den: größeren rein deutschen Teil wie in dem kleineren französischen Teil,
dagegen eine nüchterne, konservativ gesinnte, sparsame Bevölkerung, welche in
der Saargegend den gleichen Charakter zeigt wie die Bevölkerung der preußischen
Gebietsteile, und die im nördlichen Teil, an der Mosel, dem Charakter der
Eifeler Bevölkerung sehr nahe kommt.

Auch wirtschaftlich haben die beiden Provinzen fast nichts miteinander
gemein. Das Elsaß verlangt die Schiffbarmachung des Oberrheins, in Loth¬
ringen ruft man dagegen nach der Kanalisiernng der Mosel. Im Elsaß blüht
die Textilindustrie, Lothringens wirtschaftliches Gedeihen ist mehr und mehr
auf die Entwickelung der Eisenindustrie, des Erz- und Kohlenbergbaus abgestellt.

Und diese beiden grundverschiedenen Lünderstriche hat man ganz wider¬
natürlich in einem langen schmalen Bande längs der gesamten deutsch-französischen
Grenze zu einem modernen Austrasien, zu einem, wie ich mich ausdrücken möchte,
total unwirtschaftlichen Zweckverband vereinigt.

Aber nicht nur hierin liegen begangene Fehler. Auch vom Standpunkt der
Angliederung und Asstmilierung an das große deutsche Vaterland war die
Isolierung beider Provinzen ein schwerer Fehler. Man hat den Chauvinismus
der Elsaß-Lothringer künstlich dadurch bewahrt, indem man ihm nicht nur
erlaubte, soudern ihn es sogar nötigte, sich in Reinkultur zu erhalten.

Das erste Bestreben Deutschlands nach der Wiedergewinnung von Elsaß-
Lothringen mußte sein, die so günstige Gelegenheit der Ausfüllung der durch
die Auswanderung nach Frankreich entstandenen Bcvölkerungslücken kräftig
auszunutzen. Das ist ja nun auch teilweise geschehen. Tausende von
deutschen Beamten strömten ins Land; durch die starken Garnisonen ergoß sich


Gedanken über Elsaß-Lothringen

Überlegenheit Preußens als Großstaat in allen Fragen des vielseitigen Staats¬
lebens, in Politik und Kultur, in Handel und Wandel so in die Augen springend,
daß es einer Unterhaltung darüber nicht mehr bedarf.

Wenn man zu dieser Überzeugung gekommen ist, so wird man aus ganz
prinzipiellen Gründen heraus sich entschieden dagegen verwahren müssen, die in
der Zeit der Eisenbahnen, des Luftschiffes und der drahtlosen Telegraphie überall
sichtbare Tendenz der immer größeren Zusammenballung von Bevölkerungs¬
einheiten zu großen gewaltigen National-, ja zu Weltstaaten gewissermaßen
dadurch in das Gegenteil zu verkehren, daß man künstlich kleine verkümmerte
Staatengebilde schafft, niemand zur Freude, allen zum Leide.

Ein solches Staatengebilde wäre der autonome Bundesstaat Elsaß-Lothringen.
Dieser Bundesstaat würde aus zwei Teilen bestehen, die miteinander gar
nichts zu tun haben und in ihrer Art grundverschieden voneinander sind, aus
dem allemannischen Elsaß, belegen im fruchtbaren, sonnigen Rheintal, und aus
dem stillen, etwas melancholischen und doch für den empfindenden Menschen mit
feinen Reizen ausgestatteten Lothringen. Dort ein lebhafter, aufgeregter Menschen¬
schlag, der sich in nichts von anderen süddeutschen Stämmen unterscheidet, ins¬
besondere auch nicht in puncto Abneigung gegen Preußen; in Lothringen, sowohl
in den: größeren rein deutschen Teil wie in dem kleineren französischen Teil,
dagegen eine nüchterne, konservativ gesinnte, sparsame Bevölkerung, welche in
der Saargegend den gleichen Charakter zeigt wie die Bevölkerung der preußischen
Gebietsteile, und die im nördlichen Teil, an der Mosel, dem Charakter der
Eifeler Bevölkerung sehr nahe kommt.

Auch wirtschaftlich haben die beiden Provinzen fast nichts miteinander
gemein. Das Elsaß verlangt die Schiffbarmachung des Oberrheins, in Loth¬
ringen ruft man dagegen nach der Kanalisiernng der Mosel. Im Elsaß blüht
die Textilindustrie, Lothringens wirtschaftliches Gedeihen ist mehr und mehr
auf die Entwickelung der Eisenindustrie, des Erz- und Kohlenbergbaus abgestellt.

Und diese beiden grundverschiedenen Lünderstriche hat man ganz wider¬
natürlich in einem langen schmalen Bande längs der gesamten deutsch-französischen
Grenze zu einem modernen Austrasien, zu einem, wie ich mich ausdrücken möchte,
total unwirtschaftlichen Zweckverband vereinigt.

Aber nicht nur hierin liegen begangene Fehler. Auch vom Standpunkt der
Angliederung und Asstmilierung an das große deutsche Vaterland war die
Isolierung beider Provinzen ein schwerer Fehler. Man hat den Chauvinismus
der Elsaß-Lothringer künstlich dadurch bewahrt, indem man ihm nicht nur
erlaubte, soudern ihn es sogar nötigte, sich in Reinkultur zu erhalten.

Das erste Bestreben Deutschlands nach der Wiedergewinnung von Elsaß-
Lothringen mußte sein, die so günstige Gelegenheit der Ausfüllung der durch
die Auswanderung nach Frankreich entstandenen Bcvölkerungslücken kräftig
auszunutzen. Das ist ja nun auch teilweise geschehen. Tausende von
deutschen Beamten strömten ins Land; durch die starken Garnisonen ergoß sich


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[0158] Gedanken über Elsaß-Lothringen Überlegenheit Preußens als Großstaat in allen Fragen des vielseitigen Staats¬ lebens, in Politik und Kultur, in Handel und Wandel so in die Augen springend, daß es einer Unterhaltung darüber nicht mehr bedarf. Wenn man zu dieser Überzeugung gekommen ist, so wird man aus ganz prinzipiellen Gründen heraus sich entschieden dagegen verwahren müssen, die in der Zeit der Eisenbahnen, des Luftschiffes und der drahtlosen Telegraphie überall sichtbare Tendenz der immer größeren Zusammenballung von Bevölkerungs¬ einheiten zu großen gewaltigen National-, ja zu Weltstaaten gewissermaßen dadurch in das Gegenteil zu verkehren, daß man künstlich kleine verkümmerte Staatengebilde schafft, niemand zur Freude, allen zum Leide. Ein solches Staatengebilde wäre der autonome Bundesstaat Elsaß-Lothringen. Dieser Bundesstaat würde aus zwei Teilen bestehen, die miteinander gar nichts zu tun haben und in ihrer Art grundverschieden voneinander sind, aus dem allemannischen Elsaß, belegen im fruchtbaren, sonnigen Rheintal, und aus dem stillen, etwas melancholischen und doch für den empfindenden Menschen mit feinen Reizen ausgestatteten Lothringen. Dort ein lebhafter, aufgeregter Menschen¬ schlag, der sich in nichts von anderen süddeutschen Stämmen unterscheidet, ins¬ besondere auch nicht in puncto Abneigung gegen Preußen; in Lothringen, sowohl in den: größeren rein deutschen Teil wie in dem kleineren französischen Teil, dagegen eine nüchterne, konservativ gesinnte, sparsame Bevölkerung, welche in der Saargegend den gleichen Charakter zeigt wie die Bevölkerung der preußischen Gebietsteile, und die im nördlichen Teil, an der Mosel, dem Charakter der Eifeler Bevölkerung sehr nahe kommt. Auch wirtschaftlich haben die beiden Provinzen fast nichts miteinander gemein. Das Elsaß verlangt die Schiffbarmachung des Oberrheins, in Loth¬ ringen ruft man dagegen nach der Kanalisiernng der Mosel. Im Elsaß blüht die Textilindustrie, Lothringens wirtschaftliches Gedeihen ist mehr und mehr auf die Entwickelung der Eisenindustrie, des Erz- und Kohlenbergbaus abgestellt. Und diese beiden grundverschiedenen Lünderstriche hat man ganz wider¬ natürlich in einem langen schmalen Bande längs der gesamten deutsch-französischen Grenze zu einem modernen Austrasien, zu einem, wie ich mich ausdrücken möchte, total unwirtschaftlichen Zweckverband vereinigt. Aber nicht nur hierin liegen begangene Fehler. Auch vom Standpunkt der Angliederung und Asstmilierung an das große deutsche Vaterland war die Isolierung beider Provinzen ein schwerer Fehler. Man hat den Chauvinismus der Elsaß-Lothringer künstlich dadurch bewahrt, indem man ihm nicht nur erlaubte, soudern ihn es sogar nötigte, sich in Reinkultur zu erhalten. Das erste Bestreben Deutschlands nach der Wiedergewinnung von Elsaß- Lothringen mußte sein, die so günstige Gelegenheit der Ausfüllung der durch die Auswanderung nach Frankreich entstandenen Bcvölkerungslücken kräftig auszunutzen. Das ist ja nun auch teilweise geschehen. Tausende von deutschen Beamten strömten ins Land; durch die starken Garnisonen ergoß sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/158>, abgerufen am 29.06.2024.