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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die preußische vcnvciltungsorganisation jetzt

Aber weder Freiherr von Zedlitz noch einer seiner Gesinnungsgenossen haben
diesen Nachweis geliefert.

Überdies ist die Zentralisation als solche doch nicht ohne weiteres ver¬
werflich; sie hat vielmehr zweifellos auch ihre Vorzüge. Oberpräsident v. Ernst¬
hausen weist in seinen Erinnerungen z. B. darauf hin, daß sie sich in Frank¬
reich während des letzten großen Krieges gut bewährt und einen wesentlichen
Anteil an den anerkennenswerten Leistungen der französischen Landesverteidigung
gehabt habe.

Jedenfalls kann ich also nicht zugeben, daß die Stellung der Reformgesetze
gegenüber der Selbstverwaltung und Dezentralisation einen grundsätzlichen Mangel'
dieser Gesetzgebung darstellt. Höchstens kann es sich darum handeln, daß sie
auf einzelnen Gebieten nicht so weit gegangen ist, wie es von: praktischen Stand¬
punkt aus erwünscht gewesen wäre. Außerdem scheint mir grade für uns eine
zu weit ausgedehnte Dezentralisation und Selbstverwaltung politisch bedenklich
zu sein. Freiherr von Zedlitz meint zwar, daß der preußische Staat längst so
fest zusammengewachsen sei, daß er in einem kräftigen provinziellen Leben keine
Gefahr mehr, sondern eine Quelle der Kraft zu erkennen habe. Das dürfte
aber doch etwas zu vertrauensselig sein. Wir haben vielmehr anscheinend allen
Grund, auch das äußere Staatsgefüge nicht unnötig zu lockern. Das fordert
schon unsere Lage nach außen; aber auch Erscheinungen im Innern sprechen
dafür. Ich erinnere an die großen wirtschaftlichen Gegensätze zwischen dem
Osten und' dem Westen, die schon manches Mal ein einheitliches Vorgehn
in wichtigen Fragen des Staatslebens mindestens erschwert haben. Aber auch
rein politische Gegensätze sind noch keineswegs überwunden, scheinen sich viel¬
mehr im Gegenteil fortgesetzt zu verstärken. Ich habe dabei nicht allein das
Welfentum oder ähnliche Richtungen im Auge. Auch außerhalb dieser Kreise
wächst hier und da ein Partikularismus empor, der um so bedenklicher ist, weil
er sich als Ausfluß einer angenehm berührenden Heimatliebe gibt, während er
in Wirklichkeit der Ausdruck eines tiefen innern Gegensatzes zum preußischen
Staat ist. Die Beobachtung, daß an solchen Erscheinungen hauptsächlich die
Schwäche oder sonstige Unzulänglichkeiten der Bureaukratie schuld sind, kann
uns von der Verpflichtung nicht entbinden, alles zu vermeiden, was dazu dienen
könnte, jene Erscheinungen noch zu fördern.

Ein weiterer grundsätzlicher Vorwurf gegen die Reform geht dahin, daß
sie die Einheit der Verwaltung überhaupt, und, wie Lotz hinzufügt, auch die
Universalität der Regierungen zerstört habe.

Dies soll hauptsächlich durch die große Zahl der neuen Behörden verschuldet
worden sein. In: einzelnen soll mitgewirkt haben, daß die Oberpräsidenten und
die Landräte ein eignes Imperium erhalten hätten, sowie, daß die Ober¬
präsidenten als Zwischeninstanz jetzt stärker hervortraten, indem sie eine Be¬
schwerdeinstanz über den Regierungspräsidenten und Regierungen geworden
seien. Da anderseits die Bezirksregierung nicht aufgehört habe, entscheidende


Die preußische vcnvciltungsorganisation jetzt

Aber weder Freiherr von Zedlitz noch einer seiner Gesinnungsgenossen haben
diesen Nachweis geliefert.

Überdies ist die Zentralisation als solche doch nicht ohne weiteres ver¬
werflich; sie hat vielmehr zweifellos auch ihre Vorzüge. Oberpräsident v. Ernst¬
hausen weist in seinen Erinnerungen z. B. darauf hin, daß sie sich in Frank¬
reich während des letzten großen Krieges gut bewährt und einen wesentlichen
Anteil an den anerkennenswerten Leistungen der französischen Landesverteidigung
gehabt habe.

Jedenfalls kann ich also nicht zugeben, daß die Stellung der Reformgesetze
gegenüber der Selbstverwaltung und Dezentralisation einen grundsätzlichen Mangel'
dieser Gesetzgebung darstellt. Höchstens kann es sich darum handeln, daß sie
auf einzelnen Gebieten nicht so weit gegangen ist, wie es von: praktischen Stand¬
punkt aus erwünscht gewesen wäre. Außerdem scheint mir grade für uns eine
zu weit ausgedehnte Dezentralisation und Selbstverwaltung politisch bedenklich
zu sein. Freiherr von Zedlitz meint zwar, daß der preußische Staat längst so
fest zusammengewachsen sei, daß er in einem kräftigen provinziellen Leben keine
Gefahr mehr, sondern eine Quelle der Kraft zu erkennen habe. Das dürfte
aber doch etwas zu vertrauensselig sein. Wir haben vielmehr anscheinend allen
Grund, auch das äußere Staatsgefüge nicht unnötig zu lockern. Das fordert
schon unsere Lage nach außen; aber auch Erscheinungen im Innern sprechen
dafür. Ich erinnere an die großen wirtschaftlichen Gegensätze zwischen dem
Osten und' dem Westen, die schon manches Mal ein einheitliches Vorgehn
in wichtigen Fragen des Staatslebens mindestens erschwert haben. Aber auch
rein politische Gegensätze sind noch keineswegs überwunden, scheinen sich viel¬
mehr im Gegenteil fortgesetzt zu verstärken. Ich habe dabei nicht allein das
Welfentum oder ähnliche Richtungen im Auge. Auch außerhalb dieser Kreise
wächst hier und da ein Partikularismus empor, der um so bedenklicher ist, weil
er sich als Ausfluß einer angenehm berührenden Heimatliebe gibt, während er
in Wirklichkeit der Ausdruck eines tiefen innern Gegensatzes zum preußischen
Staat ist. Die Beobachtung, daß an solchen Erscheinungen hauptsächlich die
Schwäche oder sonstige Unzulänglichkeiten der Bureaukratie schuld sind, kann
uns von der Verpflichtung nicht entbinden, alles zu vermeiden, was dazu dienen
könnte, jene Erscheinungen noch zu fördern.

Ein weiterer grundsätzlicher Vorwurf gegen die Reform geht dahin, daß
sie die Einheit der Verwaltung überhaupt, und, wie Lotz hinzufügt, auch die
Universalität der Regierungen zerstört habe.

Dies soll hauptsächlich durch die große Zahl der neuen Behörden verschuldet
worden sein. In: einzelnen soll mitgewirkt haben, daß die Oberpräsidenten und
die Landräte ein eignes Imperium erhalten hätten, sowie, daß die Ober¬
präsidenten als Zwischeninstanz jetzt stärker hervortraten, indem sie eine Be¬
schwerdeinstanz über den Regierungspräsidenten und Regierungen geworden
seien. Da anderseits die Bezirksregierung nicht aufgehört habe, entscheidende


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[0129] Die preußische vcnvciltungsorganisation jetzt Aber weder Freiherr von Zedlitz noch einer seiner Gesinnungsgenossen haben diesen Nachweis geliefert. Überdies ist die Zentralisation als solche doch nicht ohne weiteres ver¬ werflich; sie hat vielmehr zweifellos auch ihre Vorzüge. Oberpräsident v. Ernst¬ hausen weist in seinen Erinnerungen z. B. darauf hin, daß sie sich in Frank¬ reich während des letzten großen Krieges gut bewährt und einen wesentlichen Anteil an den anerkennenswerten Leistungen der französischen Landesverteidigung gehabt habe. Jedenfalls kann ich also nicht zugeben, daß die Stellung der Reformgesetze gegenüber der Selbstverwaltung und Dezentralisation einen grundsätzlichen Mangel' dieser Gesetzgebung darstellt. Höchstens kann es sich darum handeln, daß sie auf einzelnen Gebieten nicht so weit gegangen ist, wie es von: praktischen Stand¬ punkt aus erwünscht gewesen wäre. Außerdem scheint mir grade für uns eine zu weit ausgedehnte Dezentralisation und Selbstverwaltung politisch bedenklich zu sein. Freiherr von Zedlitz meint zwar, daß der preußische Staat längst so fest zusammengewachsen sei, daß er in einem kräftigen provinziellen Leben keine Gefahr mehr, sondern eine Quelle der Kraft zu erkennen habe. Das dürfte aber doch etwas zu vertrauensselig sein. Wir haben vielmehr anscheinend allen Grund, auch das äußere Staatsgefüge nicht unnötig zu lockern. Das fordert schon unsere Lage nach außen; aber auch Erscheinungen im Innern sprechen dafür. Ich erinnere an die großen wirtschaftlichen Gegensätze zwischen dem Osten und' dem Westen, die schon manches Mal ein einheitliches Vorgehn in wichtigen Fragen des Staatslebens mindestens erschwert haben. Aber auch rein politische Gegensätze sind noch keineswegs überwunden, scheinen sich viel¬ mehr im Gegenteil fortgesetzt zu verstärken. Ich habe dabei nicht allein das Welfentum oder ähnliche Richtungen im Auge. Auch außerhalb dieser Kreise wächst hier und da ein Partikularismus empor, der um so bedenklicher ist, weil er sich als Ausfluß einer angenehm berührenden Heimatliebe gibt, während er in Wirklichkeit der Ausdruck eines tiefen innern Gegensatzes zum preußischen Staat ist. Die Beobachtung, daß an solchen Erscheinungen hauptsächlich die Schwäche oder sonstige Unzulänglichkeiten der Bureaukratie schuld sind, kann uns von der Verpflichtung nicht entbinden, alles zu vermeiden, was dazu dienen könnte, jene Erscheinungen noch zu fördern. Ein weiterer grundsätzlicher Vorwurf gegen die Reform geht dahin, daß sie die Einheit der Verwaltung überhaupt, und, wie Lotz hinzufügt, auch die Universalität der Regierungen zerstört habe. Dies soll hauptsächlich durch die große Zahl der neuen Behörden verschuldet worden sein. In: einzelnen soll mitgewirkt haben, daß die Oberpräsidenten und die Landräte ein eignes Imperium erhalten hätten, sowie, daß die Ober¬ präsidenten als Zwischeninstanz jetzt stärker hervortraten, indem sie eine Be¬ schwerdeinstanz über den Regierungspräsidenten und Regierungen geworden seien. Da anderseits die Bezirksregierung nicht aufgehört habe, entscheidende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/129>, abgerufen am 03.07.2024.