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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die preußische venvaltmigsorganisation jetzt

Staatsbehörden und der darin begründete Instanzenzug für den Stadtkreis
Berlin geordnet.

Alle Kritiker sind darin einig, daß diese neue Organisation mangelhaft ist;
im einzelnen sind ihre Ansichten aber geteilt: Freiherr von Zedlitz, Lotz, Schwarz
und Graf Huc de Grals finden die Mängel in der Zahl, der Gliederung und
dem Aufbau der Behörden, während die andern, von Massow, Klonau und
von Arnstedt nur die Verteilung der Geschäfte auf die einzelnen Behörden,
also die Regelung der Zuständigkeit, für falsch halten.

Der allgemeinste Vorwurf gegen die heutige Organisation im Sinne der
an erster Stelle genannten vier Kritiker ist der, daß man die Hauptaufgaben
der Reform, die Selbstverwaltung und Dezentralisation, nicht weit genug durch¬
geführt habe. "Wie man sieht," so schließt Freiherr von Zedlitz seine
Schilderung der Veränderungen, die die Reform gebracht hat, "sind auf der
gauzen Linie bedeutungsvolle Ansätze zur Umwandlung der Verwaltungs-
einrichtuug auf der Grundlage der Selbstverwaltung und Dezentralisation
gemacht, aber nirgends ist der Abschluß erreicht, überall ist man auf halbem
Wege stehen geblieben."

Daraus spricht offenbar die Auffassung, daß Selbstverwaltung und Dezen¬
tralisation uicht nur dem Wesen, sondern auch dem Umfang oder der Aus¬
dehnung nach ein für allemal fest bestimmt, also Glaubenssätze oder Selbst¬
wahrheiten sind. Wenigstens können nur so die Wendungen, es sei ein "Ansatz
gemacht", aber nirgends ein "Abschluß erreicht", man sei überall "auf halbem
Wege stehen geblieben", einen verständigen Sinn haben. Diese Auffassung
würde dann verwandt sein mit der früher zurückgewiesenen über das Verhältnis
des Staats zu den Gemeinden überhaupt. Ju Wirklichkeit ist aber Selbst¬
verwaltung nichts andres als die Erledigung des Aufgabenkreises, den der
Staat den einzelnen Gemeindeverbänden zugeteilt hat, also mit andern Worten
Staatsverwaltung, die nur aus bestimmten Gründen nicht von unmittelbaren
Staatsbehörden ausgeübt wird. Die Frage, ob und in welchen: Umfang Selbst¬
verwaltung angebracht sei, kann nicht theoretisch und allgemein gültig, sondern
nur praktisch für den einzelnen Fall gelöst werden. Sie ist keine Frage der
Theorie oder Doktrin, sondern der Praxis, der Vcrwaltungsmethode oder der
Verwaltungstechnik oder schließlich der Politik. Bei ihrer Entscheidung können
nur maßgebend sein das Bedürfnis und der Vorteil des Staats, nicht
der Nutzen des Gemeindeverbands, sofern beides nicht zusammenfällt, was
meistens so sein wird. Alles dies gilt selbstverständlich erst recht von der
Dezentralisation, die darin besteht, daß einer untern Staatsbehörde Staats¬
geschäfte übertragen werden, die bisher von einer höhern Staatsbehörde
zu verwalten waren. Es scheint mir deshalb unzulässig zu sein, allgemein
der heutigen Verwaltungsorganisation vorzuwerfen, daß sie bedeutungsvolle
Ansätze zur Selbstverwaltung und Dezentralisation enthalte, aber nirgends den
Abschluß erreicht habe. Das müßte doch erst im einzelnen nachgewiesen werden.


Die preußische venvaltmigsorganisation jetzt

Staatsbehörden und der darin begründete Instanzenzug für den Stadtkreis
Berlin geordnet.

Alle Kritiker sind darin einig, daß diese neue Organisation mangelhaft ist;
im einzelnen sind ihre Ansichten aber geteilt: Freiherr von Zedlitz, Lotz, Schwarz
und Graf Huc de Grals finden die Mängel in der Zahl, der Gliederung und
dem Aufbau der Behörden, während die andern, von Massow, Klonau und
von Arnstedt nur die Verteilung der Geschäfte auf die einzelnen Behörden,
also die Regelung der Zuständigkeit, für falsch halten.

Der allgemeinste Vorwurf gegen die heutige Organisation im Sinne der
an erster Stelle genannten vier Kritiker ist der, daß man die Hauptaufgaben
der Reform, die Selbstverwaltung und Dezentralisation, nicht weit genug durch¬
geführt habe. „Wie man sieht," so schließt Freiherr von Zedlitz seine
Schilderung der Veränderungen, die die Reform gebracht hat, „sind auf der
gauzen Linie bedeutungsvolle Ansätze zur Umwandlung der Verwaltungs-
einrichtuug auf der Grundlage der Selbstverwaltung und Dezentralisation
gemacht, aber nirgends ist der Abschluß erreicht, überall ist man auf halbem
Wege stehen geblieben."

Daraus spricht offenbar die Auffassung, daß Selbstverwaltung und Dezen¬
tralisation uicht nur dem Wesen, sondern auch dem Umfang oder der Aus¬
dehnung nach ein für allemal fest bestimmt, also Glaubenssätze oder Selbst¬
wahrheiten sind. Wenigstens können nur so die Wendungen, es sei ein „Ansatz
gemacht", aber nirgends ein „Abschluß erreicht", man sei überall „auf halbem
Wege stehen geblieben", einen verständigen Sinn haben. Diese Auffassung
würde dann verwandt sein mit der früher zurückgewiesenen über das Verhältnis
des Staats zu den Gemeinden überhaupt. Ju Wirklichkeit ist aber Selbst¬
verwaltung nichts andres als die Erledigung des Aufgabenkreises, den der
Staat den einzelnen Gemeindeverbänden zugeteilt hat, also mit andern Worten
Staatsverwaltung, die nur aus bestimmten Gründen nicht von unmittelbaren
Staatsbehörden ausgeübt wird. Die Frage, ob und in welchen: Umfang Selbst¬
verwaltung angebracht sei, kann nicht theoretisch und allgemein gültig, sondern
nur praktisch für den einzelnen Fall gelöst werden. Sie ist keine Frage der
Theorie oder Doktrin, sondern der Praxis, der Vcrwaltungsmethode oder der
Verwaltungstechnik oder schließlich der Politik. Bei ihrer Entscheidung können
nur maßgebend sein das Bedürfnis und der Vorteil des Staats, nicht
der Nutzen des Gemeindeverbands, sofern beides nicht zusammenfällt, was
meistens so sein wird. Alles dies gilt selbstverständlich erst recht von der
Dezentralisation, die darin besteht, daß einer untern Staatsbehörde Staats¬
geschäfte übertragen werden, die bisher von einer höhern Staatsbehörde
zu verwalten waren. Es scheint mir deshalb unzulässig zu sein, allgemein
der heutigen Verwaltungsorganisation vorzuwerfen, daß sie bedeutungsvolle
Ansätze zur Selbstverwaltung und Dezentralisation enthalte, aber nirgends den
Abschluß erreicht habe. Das müßte doch erst im einzelnen nachgewiesen werden.


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[0128] Die preußische venvaltmigsorganisation jetzt Staatsbehörden und der darin begründete Instanzenzug für den Stadtkreis Berlin geordnet. Alle Kritiker sind darin einig, daß diese neue Organisation mangelhaft ist; im einzelnen sind ihre Ansichten aber geteilt: Freiherr von Zedlitz, Lotz, Schwarz und Graf Huc de Grals finden die Mängel in der Zahl, der Gliederung und dem Aufbau der Behörden, während die andern, von Massow, Klonau und von Arnstedt nur die Verteilung der Geschäfte auf die einzelnen Behörden, also die Regelung der Zuständigkeit, für falsch halten. Der allgemeinste Vorwurf gegen die heutige Organisation im Sinne der an erster Stelle genannten vier Kritiker ist der, daß man die Hauptaufgaben der Reform, die Selbstverwaltung und Dezentralisation, nicht weit genug durch¬ geführt habe. „Wie man sieht," so schließt Freiherr von Zedlitz seine Schilderung der Veränderungen, die die Reform gebracht hat, „sind auf der gauzen Linie bedeutungsvolle Ansätze zur Umwandlung der Verwaltungs- einrichtuug auf der Grundlage der Selbstverwaltung und Dezentralisation gemacht, aber nirgends ist der Abschluß erreicht, überall ist man auf halbem Wege stehen geblieben." Daraus spricht offenbar die Auffassung, daß Selbstverwaltung und Dezen¬ tralisation uicht nur dem Wesen, sondern auch dem Umfang oder der Aus¬ dehnung nach ein für allemal fest bestimmt, also Glaubenssätze oder Selbst¬ wahrheiten sind. Wenigstens können nur so die Wendungen, es sei ein „Ansatz gemacht", aber nirgends ein „Abschluß erreicht", man sei überall „auf halbem Wege stehen geblieben", einen verständigen Sinn haben. Diese Auffassung würde dann verwandt sein mit der früher zurückgewiesenen über das Verhältnis des Staats zu den Gemeinden überhaupt. Ju Wirklichkeit ist aber Selbst¬ verwaltung nichts andres als die Erledigung des Aufgabenkreises, den der Staat den einzelnen Gemeindeverbänden zugeteilt hat, also mit andern Worten Staatsverwaltung, die nur aus bestimmten Gründen nicht von unmittelbaren Staatsbehörden ausgeübt wird. Die Frage, ob und in welchen: Umfang Selbst¬ verwaltung angebracht sei, kann nicht theoretisch und allgemein gültig, sondern nur praktisch für den einzelnen Fall gelöst werden. Sie ist keine Frage der Theorie oder Doktrin, sondern der Praxis, der Vcrwaltungsmethode oder der Verwaltungstechnik oder schließlich der Politik. Bei ihrer Entscheidung können nur maßgebend sein das Bedürfnis und der Vorteil des Staats, nicht der Nutzen des Gemeindeverbands, sofern beides nicht zusammenfällt, was meistens so sein wird. Alles dies gilt selbstverständlich erst recht von der Dezentralisation, die darin besteht, daß einer untern Staatsbehörde Staats¬ geschäfte übertragen werden, die bisher von einer höhern Staatsbehörde zu verwalten waren. Es scheint mir deshalb unzulässig zu sein, allgemein der heutigen Verwaltungsorganisation vorzuwerfen, daß sie bedeutungsvolle Ansätze zur Selbstverwaltung und Dezentralisation enthalte, aber nirgends den Abschluß erreicht habe. Das müßte doch erst im einzelnen nachgewiesen werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/128>, abgerufen am 01.07.2024.