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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die'Verwaltung der geistigen Güter

daß auch eine solche Kommission von Sachverständigen niemals das Unrecht
gegen den wirklichen Urheber beseitigen würde. Wenn man aber der Sach¬
verständigenkommission nichts weiter vorzuwerfen hat, als daß sie niemals ganz
das Unrecht beseitigen wird, so wirst man ihr schließlich nur vor, was man in
dieser unvollkommenen Welt jeder einzelnen Institution vorwerfen muß und
was also aufhört, ein besonderer Vorwurf zu sein. Wie immer die Kommission
auszeichnen möge, ihre Auszeichnung und ihre Zusammensetzung würden der
Kritik der ganzen Nation unterliegen und gegen den Richter, der heute ent¬
scheidet, würde sie ein Sendbote der Gerechtigkeit sein. Denn heute entscheidet
das Platteste und Roheste, was diese Erde überhaupt trägt -- der Beifall
der breiten Menge.

Die grundsätzliche Reform, die durchgeführt werden muß, ist damit dar¬
gestellt. Avenarius macht dann noch eine Reihe besonderer Vorschläge, die dem
Gesetz leicht eingefügt werden könnten und manchen Übelstand beseitigen würden;
auch ein bestehender Urheberschatz würde sie meines Erachtens nicht überflüssig
machen. Wenn der Weg durch das Beispiel nach dem lateinischen Sprichwort
kurz ist, können wir nichts Besseres tun, als ein Beispiel zu erzählen, das
Avenarius dem wirklichen Leben entnommen hat und das wenigstens für unser
Gefühl eine geradezu aufreizende Sprache redet. "Ein Maler, dessen Namen
wir heute alle mit tiefster Ehrfurcht nennen, rang sich aus Verkanntheit und
Spott allmählich zum Haupt wenigstens einer kleinen Gemeinde durch. Da
erbot sich ein Kunstverleger, ein ehrlich für Kunst begeisterter Mann, ihm beim
Bekanntwerden zu helfen, indem er Photographien seiner Werke verbreitete. Der
Künstler war bei dem Gedanken glücklich, denn was ersehnte er mehr, als endlich
zu seinen: Volk zu sprechen -- er trat den: Verleger sein Urheberrecht ab und
es verstand sich bei dem Risiko des Unternehmens beiden Teilen ganz von
selbst, daß keine Entschädigung dafür gezahlt wurde. Die Photographien wurden
auch nur ganz wenig verkauft. Einige Jahre darauf trieb es den Künstler in
den Tod. Wieder ein paar Jahre später starb der Verleger. Jetzt aber sind
die ihrer Zeit geschenkten Urheberrechte die Quelle behaglichen Reichtums von
jenes Verlegers Erben. Den Erben des Künstlers gehören sie ja nicht mehr,
die sind arm. Die Verleger-Erben geben ihnen nichts. Wohl aber verhindern
sie jeden Versuch, die Kunst jenes Großen nach dessen eigenem Sehnen durch
billige Reproduktionen im Volk zu verbreiten durch Verweigerung ihrer
"Genehmigung". Nämlich: Sie würden dann von den teueren Blättern
weniger absetzen, an denen sie jetzt dreihundert Prozent der Herstellungskosten
verdienen."

Es ist natürlich durchaus richtig, daß Avenarius seine Beispiele in einer
Form erzählt, welche die Originale nicht erkennen läßt. In diesem Falle aber
will ich mich gern zu einer lebhaften Sehnsucht nach der persönlichen Bekannt¬
schaft mit dieser Kunsthändlerfamilie bekennen -- ich möchte lediglich feststellen,
wie sie sich wohl ausnehmen würde, wenn man sie an der Seite eines italienischen


Die'Verwaltung der geistigen Güter

daß auch eine solche Kommission von Sachverständigen niemals das Unrecht
gegen den wirklichen Urheber beseitigen würde. Wenn man aber der Sach¬
verständigenkommission nichts weiter vorzuwerfen hat, als daß sie niemals ganz
das Unrecht beseitigen wird, so wirst man ihr schließlich nur vor, was man in
dieser unvollkommenen Welt jeder einzelnen Institution vorwerfen muß und
was also aufhört, ein besonderer Vorwurf zu sein. Wie immer die Kommission
auszeichnen möge, ihre Auszeichnung und ihre Zusammensetzung würden der
Kritik der ganzen Nation unterliegen und gegen den Richter, der heute ent¬
scheidet, würde sie ein Sendbote der Gerechtigkeit sein. Denn heute entscheidet
das Platteste und Roheste, was diese Erde überhaupt trägt — der Beifall
der breiten Menge.

Die grundsätzliche Reform, die durchgeführt werden muß, ist damit dar¬
gestellt. Avenarius macht dann noch eine Reihe besonderer Vorschläge, die dem
Gesetz leicht eingefügt werden könnten und manchen Übelstand beseitigen würden;
auch ein bestehender Urheberschatz würde sie meines Erachtens nicht überflüssig
machen. Wenn der Weg durch das Beispiel nach dem lateinischen Sprichwort
kurz ist, können wir nichts Besseres tun, als ein Beispiel zu erzählen, das
Avenarius dem wirklichen Leben entnommen hat und das wenigstens für unser
Gefühl eine geradezu aufreizende Sprache redet. „Ein Maler, dessen Namen
wir heute alle mit tiefster Ehrfurcht nennen, rang sich aus Verkanntheit und
Spott allmählich zum Haupt wenigstens einer kleinen Gemeinde durch. Da
erbot sich ein Kunstverleger, ein ehrlich für Kunst begeisterter Mann, ihm beim
Bekanntwerden zu helfen, indem er Photographien seiner Werke verbreitete. Der
Künstler war bei dem Gedanken glücklich, denn was ersehnte er mehr, als endlich
zu seinen: Volk zu sprechen — er trat den: Verleger sein Urheberrecht ab und
es verstand sich bei dem Risiko des Unternehmens beiden Teilen ganz von
selbst, daß keine Entschädigung dafür gezahlt wurde. Die Photographien wurden
auch nur ganz wenig verkauft. Einige Jahre darauf trieb es den Künstler in
den Tod. Wieder ein paar Jahre später starb der Verleger. Jetzt aber sind
die ihrer Zeit geschenkten Urheberrechte die Quelle behaglichen Reichtums von
jenes Verlegers Erben. Den Erben des Künstlers gehören sie ja nicht mehr,
die sind arm. Die Verleger-Erben geben ihnen nichts. Wohl aber verhindern
sie jeden Versuch, die Kunst jenes Großen nach dessen eigenem Sehnen durch
billige Reproduktionen im Volk zu verbreiten durch Verweigerung ihrer
„Genehmigung". Nämlich: Sie würden dann von den teueren Blättern
weniger absetzen, an denen sie jetzt dreihundert Prozent der Herstellungskosten
verdienen."

Es ist natürlich durchaus richtig, daß Avenarius seine Beispiele in einer
Form erzählt, welche die Originale nicht erkennen läßt. In diesem Falle aber
will ich mich gern zu einer lebhaften Sehnsucht nach der persönlichen Bekannt¬
schaft mit dieser Kunsthändlerfamilie bekennen — ich möchte lediglich feststellen,
wie sie sich wohl ausnehmen würde, wenn man sie an der Seite eines italienischen


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[0124] Die'Verwaltung der geistigen Güter daß auch eine solche Kommission von Sachverständigen niemals das Unrecht gegen den wirklichen Urheber beseitigen würde. Wenn man aber der Sach¬ verständigenkommission nichts weiter vorzuwerfen hat, als daß sie niemals ganz das Unrecht beseitigen wird, so wirst man ihr schließlich nur vor, was man in dieser unvollkommenen Welt jeder einzelnen Institution vorwerfen muß und was also aufhört, ein besonderer Vorwurf zu sein. Wie immer die Kommission auszeichnen möge, ihre Auszeichnung und ihre Zusammensetzung würden der Kritik der ganzen Nation unterliegen und gegen den Richter, der heute ent¬ scheidet, würde sie ein Sendbote der Gerechtigkeit sein. Denn heute entscheidet das Platteste und Roheste, was diese Erde überhaupt trägt — der Beifall der breiten Menge. Die grundsätzliche Reform, die durchgeführt werden muß, ist damit dar¬ gestellt. Avenarius macht dann noch eine Reihe besonderer Vorschläge, die dem Gesetz leicht eingefügt werden könnten und manchen Übelstand beseitigen würden; auch ein bestehender Urheberschatz würde sie meines Erachtens nicht überflüssig machen. Wenn der Weg durch das Beispiel nach dem lateinischen Sprichwort kurz ist, können wir nichts Besseres tun, als ein Beispiel zu erzählen, das Avenarius dem wirklichen Leben entnommen hat und das wenigstens für unser Gefühl eine geradezu aufreizende Sprache redet. „Ein Maler, dessen Namen wir heute alle mit tiefster Ehrfurcht nennen, rang sich aus Verkanntheit und Spott allmählich zum Haupt wenigstens einer kleinen Gemeinde durch. Da erbot sich ein Kunstverleger, ein ehrlich für Kunst begeisterter Mann, ihm beim Bekanntwerden zu helfen, indem er Photographien seiner Werke verbreitete. Der Künstler war bei dem Gedanken glücklich, denn was ersehnte er mehr, als endlich zu seinen: Volk zu sprechen — er trat den: Verleger sein Urheberrecht ab und es verstand sich bei dem Risiko des Unternehmens beiden Teilen ganz von selbst, daß keine Entschädigung dafür gezahlt wurde. Die Photographien wurden auch nur ganz wenig verkauft. Einige Jahre darauf trieb es den Künstler in den Tod. Wieder ein paar Jahre später starb der Verleger. Jetzt aber sind die ihrer Zeit geschenkten Urheberrechte die Quelle behaglichen Reichtums von jenes Verlegers Erben. Den Erben des Künstlers gehören sie ja nicht mehr, die sind arm. Die Verleger-Erben geben ihnen nichts. Wohl aber verhindern sie jeden Versuch, die Kunst jenes Großen nach dessen eigenem Sehnen durch billige Reproduktionen im Volk zu verbreiten durch Verweigerung ihrer „Genehmigung". Nämlich: Sie würden dann von den teueren Blättern weniger absetzen, an denen sie jetzt dreihundert Prozent der Herstellungskosten verdienen." Es ist natürlich durchaus richtig, daß Avenarius seine Beispiele in einer Form erzählt, welche die Originale nicht erkennen läßt. In diesem Falle aber will ich mich gern zu einer lebhaften Sehnsucht nach der persönlichen Bekannt¬ schaft mit dieser Kunsthändlerfamilie bekennen — ich möchte lediglich feststellen, wie sie sich wohl ausnehmen würde, wenn man sie an der Seite eines italienischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/124>, abgerufen am 03.07.2024.