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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Verwaltung der geistigen Güter

Gewinnen einen geringfügigen Prozentsatz abgeben sollen, um dadurch die Kultur
zu erhalten, aus der sie ihre Renten ziehen, so verlangt er damit nur etwas,
was moralisch wie geschäftlich gleich einwandsfrei ist. Das jammervolle Geschrei,
das sich immer zu erheben pflegt, wenn irgendein kapitalistischer Profit um
Haaresbreite geschmälert werden soll, braucht uns keinen Pfifferling zu kümmern.
Die Herren sind immer noch die Beschenkten und zwar die reich Beschenkten --
sie allein und ausschließlich.

Mit dem Verleihen der Rente an den Urheber geht dann sein Werk in
den Besitz des Urheberschatzes über, der es nun zum Herstellungspreis, also zu
einem unerhört billigen Preis, ins Volk wirft. Damit würde dem schnöden
Übelstand abgeholfen sein, daß einerseits der Urheber kein Geld und anderseits
die mittellose Bildung kein Buch erhalten kann. So sehr das nun auch zu
erstreben ist, so sehr glaube ich doch, daß Avenarius hier idealer ist, als im
praktischen Leben gut tut. Setzt man einen solchen Urheberschatz voraus, so
werden seine Entschließungen von der Kritik der ganzen deutschen Presse begleitet
werden, auf ein derart erworbenes Buch oder Bild würde ein Licht der
Öffentlichkeit fallen, so blendend hell, daß wir es heute nur schwer plastisch
anschaulich machen können, und damit würde ein Absatz (sei es auch nur an
die liebe Neugierde) erreicht werden können, der auch bei einem ganz minimalen
Preisaufschlag eine erkleckliche Summe in den Urheberschatz liefern könnte. Eine
bis jetzt nicht erhörte Billigkeit könnte durch den vergrößerten Betrieb auch dann
noch erreicht werden. Wenn man die Gedanken der letzten Zeilen durchdenkt, wird
man finden, daß wir mit dem Urheberschatz gleichzeitig eine Teilnahme der
Nation an kulturellen Dingen wecken würden, gegen die die heutige Teilnahme
nur ein armseliges Gewächs ist.

Schwieriger und in ihrer tiefsten Tiefe unlösbar ist nun leider die Frage,
welchen Urhebern die Auszeichnung des Urheberschatzes zugute kommen sollte.
Es würde in der Welt der realen Möglichkeiten nur übrig bleiben, eine
Kommission einzusetzen, und dann am besten eine Kommission aus den angesehensten
Sachverständigen der Zeit. Selbst aber die angesehensten Sachverständigen
würden an einer bestimmten Borniertheit leiden, die im Begriff des Sach¬
verständnisses liegt. Wer in der Kunst sachverständig ist. ist in ganz bestimmten
Anschauungen befangen und kann darum einer neuen Kunst gegenüber blind
sein, während der Laie sehend jubelt. Die sachverständigen Theologen des
Alten Testaments nagelten den Heiland bekanntlich ans Kreuz, aber die Kuh¬
hirten beugten vor ihm die Knie. Man braucht nur an das sachverständige
Urteil zu denken, das der Philosoph Schopenhauer bei den Fachkollegen seiner
Zeit fand, oder an das Schicksal, das der sachverständige Schopenhauer wiederum
dem Kollegen Hegel bereitete; man braucht nur an Heines sachverständiges
Urteil über Platen, an Schillers sachverständiges Urteil über Bürger, an das
sachverständige Urteil der Romantiker über Schiller, an das Urteil Spielhagens
oder Wilhelm Raabes über Ibsen zu denken -- und man sieht in klarer Schrift,


Die Verwaltung der geistigen Güter

Gewinnen einen geringfügigen Prozentsatz abgeben sollen, um dadurch die Kultur
zu erhalten, aus der sie ihre Renten ziehen, so verlangt er damit nur etwas,
was moralisch wie geschäftlich gleich einwandsfrei ist. Das jammervolle Geschrei,
das sich immer zu erheben pflegt, wenn irgendein kapitalistischer Profit um
Haaresbreite geschmälert werden soll, braucht uns keinen Pfifferling zu kümmern.
Die Herren sind immer noch die Beschenkten und zwar die reich Beschenkten —
sie allein und ausschließlich.

Mit dem Verleihen der Rente an den Urheber geht dann sein Werk in
den Besitz des Urheberschatzes über, der es nun zum Herstellungspreis, also zu
einem unerhört billigen Preis, ins Volk wirft. Damit würde dem schnöden
Übelstand abgeholfen sein, daß einerseits der Urheber kein Geld und anderseits
die mittellose Bildung kein Buch erhalten kann. So sehr das nun auch zu
erstreben ist, so sehr glaube ich doch, daß Avenarius hier idealer ist, als im
praktischen Leben gut tut. Setzt man einen solchen Urheberschatz voraus, so
werden seine Entschließungen von der Kritik der ganzen deutschen Presse begleitet
werden, auf ein derart erworbenes Buch oder Bild würde ein Licht der
Öffentlichkeit fallen, so blendend hell, daß wir es heute nur schwer plastisch
anschaulich machen können, und damit würde ein Absatz (sei es auch nur an
die liebe Neugierde) erreicht werden können, der auch bei einem ganz minimalen
Preisaufschlag eine erkleckliche Summe in den Urheberschatz liefern könnte. Eine
bis jetzt nicht erhörte Billigkeit könnte durch den vergrößerten Betrieb auch dann
noch erreicht werden. Wenn man die Gedanken der letzten Zeilen durchdenkt, wird
man finden, daß wir mit dem Urheberschatz gleichzeitig eine Teilnahme der
Nation an kulturellen Dingen wecken würden, gegen die die heutige Teilnahme
nur ein armseliges Gewächs ist.

Schwieriger und in ihrer tiefsten Tiefe unlösbar ist nun leider die Frage,
welchen Urhebern die Auszeichnung des Urheberschatzes zugute kommen sollte.
Es würde in der Welt der realen Möglichkeiten nur übrig bleiben, eine
Kommission einzusetzen, und dann am besten eine Kommission aus den angesehensten
Sachverständigen der Zeit. Selbst aber die angesehensten Sachverständigen
würden an einer bestimmten Borniertheit leiden, die im Begriff des Sach¬
verständnisses liegt. Wer in der Kunst sachverständig ist. ist in ganz bestimmten
Anschauungen befangen und kann darum einer neuen Kunst gegenüber blind
sein, während der Laie sehend jubelt. Die sachverständigen Theologen des
Alten Testaments nagelten den Heiland bekanntlich ans Kreuz, aber die Kuh¬
hirten beugten vor ihm die Knie. Man braucht nur an das sachverständige
Urteil zu denken, das der Philosoph Schopenhauer bei den Fachkollegen seiner
Zeit fand, oder an das Schicksal, das der sachverständige Schopenhauer wiederum
dem Kollegen Hegel bereitete; man braucht nur an Heines sachverständiges
Urteil über Platen, an Schillers sachverständiges Urteil über Bürger, an das
sachverständige Urteil der Romantiker über Schiller, an das Urteil Spielhagens
oder Wilhelm Raabes über Ibsen zu denken — und man sieht in klarer Schrift,


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[0123] Die Verwaltung der geistigen Güter Gewinnen einen geringfügigen Prozentsatz abgeben sollen, um dadurch die Kultur zu erhalten, aus der sie ihre Renten ziehen, so verlangt er damit nur etwas, was moralisch wie geschäftlich gleich einwandsfrei ist. Das jammervolle Geschrei, das sich immer zu erheben pflegt, wenn irgendein kapitalistischer Profit um Haaresbreite geschmälert werden soll, braucht uns keinen Pfifferling zu kümmern. Die Herren sind immer noch die Beschenkten und zwar die reich Beschenkten — sie allein und ausschließlich. Mit dem Verleihen der Rente an den Urheber geht dann sein Werk in den Besitz des Urheberschatzes über, der es nun zum Herstellungspreis, also zu einem unerhört billigen Preis, ins Volk wirft. Damit würde dem schnöden Übelstand abgeholfen sein, daß einerseits der Urheber kein Geld und anderseits die mittellose Bildung kein Buch erhalten kann. So sehr das nun auch zu erstreben ist, so sehr glaube ich doch, daß Avenarius hier idealer ist, als im praktischen Leben gut tut. Setzt man einen solchen Urheberschatz voraus, so werden seine Entschließungen von der Kritik der ganzen deutschen Presse begleitet werden, auf ein derart erworbenes Buch oder Bild würde ein Licht der Öffentlichkeit fallen, so blendend hell, daß wir es heute nur schwer plastisch anschaulich machen können, und damit würde ein Absatz (sei es auch nur an die liebe Neugierde) erreicht werden können, der auch bei einem ganz minimalen Preisaufschlag eine erkleckliche Summe in den Urheberschatz liefern könnte. Eine bis jetzt nicht erhörte Billigkeit könnte durch den vergrößerten Betrieb auch dann noch erreicht werden. Wenn man die Gedanken der letzten Zeilen durchdenkt, wird man finden, daß wir mit dem Urheberschatz gleichzeitig eine Teilnahme der Nation an kulturellen Dingen wecken würden, gegen die die heutige Teilnahme nur ein armseliges Gewächs ist. Schwieriger und in ihrer tiefsten Tiefe unlösbar ist nun leider die Frage, welchen Urhebern die Auszeichnung des Urheberschatzes zugute kommen sollte. Es würde in der Welt der realen Möglichkeiten nur übrig bleiben, eine Kommission einzusetzen, und dann am besten eine Kommission aus den angesehensten Sachverständigen der Zeit. Selbst aber die angesehensten Sachverständigen würden an einer bestimmten Borniertheit leiden, die im Begriff des Sach¬ verständnisses liegt. Wer in der Kunst sachverständig ist. ist in ganz bestimmten Anschauungen befangen und kann darum einer neuen Kunst gegenüber blind sein, während der Laie sehend jubelt. Die sachverständigen Theologen des Alten Testaments nagelten den Heiland bekanntlich ans Kreuz, aber die Kuh¬ hirten beugten vor ihm die Knie. Man braucht nur an das sachverständige Urteil zu denken, das der Philosoph Schopenhauer bei den Fachkollegen seiner Zeit fand, oder an das Schicksal, das der sachverständige Schopenhauer wiederum dem Kollegen Hegel bereitete; man braucht nur an Heines sachverständiges Urteil über Platen, an Schillers sachverständiges Urteil über Bürger, an das sachverständige Urteil der Romantiker über Schiller, an das Urteil Spielhagens oder Wilhelm Raabes über Ibsen zu denken — und man sieht in klarer Schrift,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/123>, abgerufen am 22.07.2024.