Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der proletarische Alasscnkamxf

planvollster Produktion und Verteilung ein- und untergehen. Keine Einzel-
experimentc von organisierten Berufsvereinen (ProduMvgeuossenschasten) oder
von sozialistischen Gemeinden, wie sie Owen und Thompson ins Leben gerufen
hatten, denn deren wahrscheinliche Fehlschläge tragen nichts zur Propaganda des
Sozialismus bei. Auch keine Versuche mehr, mit dem friedlichen Weitertragen
humaner Welt-Verbesserungspläne für den Sozialismus zu wirken. Nein, das
Beispiel des britischen Chartismus, der die Straße erobert, mit sinnenfälligen
Lockmitteln die Massen gewinnt und die politische Praxis, die Einwirkung auf
den Staat, allein gelten läßt, wird bestimmend. Das Proletariat soll zur
Klassenbewegung fortgerissen werden, um die ökonomische Befreiung der Arbeiter¬
klasse zugleich mit der Eroberung der politischen Macht zu erreichen. Nichts
ist nach dieser Praxis und Auffassung zu erwarten von der Einsicht der Unter¬
nehmer und Reichen, nichts von der Einsicht des von diesen Schichten beherrschten
Staates, nichts von den Predigten der Intellektuellen und Menschenfreunde,
nichts von Liebe und Ausgleich, sondern alles vom politischen und sozialen Kampf,
dnrch den das Proletariat siegreich hindurchgehen muß.

Die deutsche sozialdemokratische Partei hat zwei mächtige Triebkräfte zur
Verfügung, die gewerkschaftliche Organisation, die täglich und stündlich mit
anderen Kräften ringt, um den Arbeitern schon innerhalb der heutigen Wirtschafts¬
ordnung bessere Zeiten zu verschaffen, und die politisch-transzendentale Bewegung,
die der Ansicht lebt, daß innerhalb der gegebenen Wirtschaftsordnung eine der
Bedeutung des Arbeiterstandes entsprechende Hebung der Arbeiterklassen aus¬
geschlossen ist. Diese will über die "heutige Misere" hinweg einer in weiter
Ferne kommenden Generation das Heil bringen und verkündet unausgesetzt die
"Emanzipation des Proletariats von der Herrschaft des Kapitalismus". Karl
Marx verkündet den Lehrsatz, daß im wesentlichen nur die Arbeiterschaft neue
Werte hervorbringt, und daß ihr der Mehrwert gehört: "Mit der Einführung
des Privatkapitals hört die Äquivalenz des Wertes der Arbeitskraft mit dem
Werte des Produktes der Arbeitskraft auf und kommt der Unterschied den?
Besitzer des Kapitals zugute. Der auf den Anteil des Kapitals entfallende
Ertrag ist mehr wert als das in der Erzielung des Ertrages aufgezehrte Kapital,
und ans die Art beuten die (ardens-)freien Kapitalisten die (besitz-)freien Arbeiter
aus." Zur Abstellung dieser "Ausbeutung" organisiert sich die Arbeiterschaft
politisch.

Die Ausbeutungstheorie ist so ziemlich noch das einzige, ums sich von den
wissenschaftlich-politischen Argumenten des Sozialismus am Leben erhalten hat.
Zuerst fielen Konzentrattons- und Verelendungstheorie. Aus dem Lager der
Sozialdemokratie selbst erstanden ihre Gegner, die nachwiesen, daß nur die ersten
Schritte des Kapitalismus die Lage der Arbeiterklasse verschlechtert, die weiteren
aber den Arbeitern Nutzen gebracht hätten. Die kapitalistische Produktionsweise
hat die Produktivität der Arbeit gesteigert und die Möglichkeit zum Steigen des
Arbeitslohnes geboten. Die Hebung und Festigung der Arbeiterklasse wird also


Grenzboten I 191S 69
Der proletarische Alasscnkamxf

planvollster Produktion und Verteilung ein- und untergehen. Keine Einzel-
experimentc von organisierten Berufsvereinen (ProduMvgeuossenschasten) oder
von sozialistischen Gemeinden, wie sie Owen und Thompson ins Leben gerufen
hatten, denn deren wahrscheinliche Fehlschläge tragen nichts zur Propaganda des
Sozialismus bei. Auch keine Versuche mehr, mit dem friedlichen Weitertragen
humaner Welt-Verbesserungspläne für den Sozialismus zu wirken. Nein, das
Beispiel des britischen Chartismus, der die Straße erobert, mit sinnenfälligen
Lockmitteln die Massen gewinnt und die politische Praxis, die Einwirkung auf
den Staat, allein gelten läßt, wird bestimmend. Das Proletariat soll zur
Klassenbewegung fortgerissen werden, um die ökonomische Befreiung der Arbeiter¬
klasse zugleich mit der Eroberung der politischen Macht zu erreichen. Nichts
ist nach dieser Praxis und Auffassung zu erwarten von der Einsicht der Unter¬
nehmer und Reichen, nichts von der Einsicht des von diesen Schichten beherrschten
Staates, nichts von den Predigten der Intellektuellen und Menschenfreunde,
nichts von Liebe und Ausgleich, sondern alles vom politischen und sozialen Kampf,
dnrch den das Proletariat siegreich hindurchgehen muß.

Die deutsche sozialdemokratische Partei hat zwei mächtige Triebkräfte zur
Verfügung, die gewerkschaftliche Organisation, die täglich und stündlich mit
anderen Kräften ringt, um den Arbeitern schon innerhalb der heutigen Wirtschafts¬
ordnung bessere Zeiten zu verschaffen, und die politisch-transzendentale Bewegung,
die der Ansicht lebt, daß innerhalb der gegebenen Wirtschaftsordnung eine der
Bedeutung des Arbeiterstandes entsprechende Hebung der Arbeiterklassen aus¬
geschlossen ist. Diese will über die „heutige Misere" hinweg einer in weiter
Ferne kommenden Generation das Heil bringen und verkündet unausgesetzt die
„Emanzipation des Proletariats von der Herrschaft des Kapitalismus". Karl
Marx verkündet den Lehrsatz, daß im wesentlichen nur die Arbeiterschaft neue
Werte hervorbringt, und daß ihr der Mehrwert gehört: „Mit der Einführung
des Privatkapitals hört die Äquivalenz des Wertes der Arbeitskraft mit dem
Werte des Produktes der Arbeitskraft auf und kommt der Unterschied den?
Besitzer des Kapitals zugute. Der auf den Anteil des Kapitals entfallende
Ertrag ist mehr wert als das in der Erzielung des Ertrages aufgezehrte Kapital,
und ans die Art beuten die (ardens-)freien Kapitalisten die (besitz-)freien Arbeiter
aus." Zur Abstellung dieser „Ausbeutung" organisiert sich die Arbeiterschaft
politisch.

Die Ausbeutungstheorie ist so ziemlich noch das einzige, ums sich von den
wissenschaftlich-politischen Argumenten des Sozialismus am Leben erhalten hat.
Zuerst fielen Konzentrattons- und Verelendungstheorie. Aus dem Lager der
Sozialdemokratie selbst erstanden ihre Gegner, die nachwiesen, daß nur die ersten
Schritte des Kapitalismus die Lage der Arbeiterklasse verschlechtert, die weiteren
aber den Arbeitern Nutzen gebracht hätten. Die kapitalistische Produktionsweise
hat die Produktivität der Arbeit gesteigert und die Möglichkeit zum Steigen des
Arbeitslohnes geboten. Die Hebung und Festigung der Arbeiterklasse wird also


Grenzboten I 191S 69
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0557" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315554"/>
          <fw type="header" place="top"> Der proletarische Alasscnkamxf</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2500" prev="#ID_2499"> planvollster Produktion und Verteilung ein- und untergehen. Keine Einzel-<lb/>
experimentc von organisierten Berufsvereinen (ProduMvgeuossenschasten) oder<lb/>
von sozialistischen Gemeinden, wie sie Owen und Thompson ins Leben gerufen<lb/>
hatten, denn deren wahrscheinliche Fehlschläge tragen nichts zur Propaganda des<lb/>
Sozialismus bei. Auch keine Versuche mehr, mit dem friedlichen Weitertragen<lb/>
humaner Welt-Verbesserungspläne für den Sozialismus zu wirken. Nein, das<lb/>
Beispiel des britischen Chartismus, der die Straße erobert, mit sinnenfälligen<lb/>
Lockmitteln die Massen gewinnt und die politische Praxis, die Einwirkung auf<lb/>
den Staat, allein gelten läßt, wird bestimmend. Das Proletariat soll zur<lb/>
Klassenbewegung fortgerissen werden, um die ökonomische Befreiung der Arbeiter¬<lb/>
klasse zugleich mit der Eroberung der politischen Macht zu erreichen. Nichts<lb/>
ist nach dieser Praxis und Auffassung zu erwarten von der Einsicht der Unter¬<lb/>
nehmer und Reichen, nichts von der Einsicht des von diesen Schichten beherrschten<lb/>
Staates, nichts von den Predigten der Intellektuellen und Menschenfreunde,<lb/>
nichts von Liebe und Ausgleich, sondern alles vom politischen und sozialen Kampf,<lb/>
dnrch den das Proletariat siegreich hindurchgehen muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2501"> Die deutsche sozialdemokratische Partei hat zwei mächtige Triebkräfte zur<lb/>
Verfügung, die gewerkschaftliche Organisation, die täglich und stündlich mit<lb/>
anderen Kräften ringt, um den Arbeitern schon innerhalb der heutigen Wirtschafts¬<lb/>
ordnung bessere Zeiten zu verschaffen, und die politisch-transzendentale Bewegung,<lb/>
die der Ansicht lebt, daß innerhalb der gegebenen Wirtschaftsordnung eine der<lb/>
Bedeutung des Arbeiterstandes entsprechende Hebung der Arbeiterklassen aus¬<lb/>
geschlossen ist. Diese will über die &#x201E;heutige Misere" hinweg einer in weiter<lb/>
Ferne kommenden Generation das Heil bringen und verkündet unausgesetzt die<lb/>
&#x201E;Emanzipation des Proletariats von der Herrschaft des Kapitalismus". Karl<lb/>
Marx verkündet den Lehrsatz, daß im wesentlichen nur die Arbeiterschaft neue<lb/>
Werte hervorbringt, und daß ihr der Mehrwert gehört: &#x201E;Mit der Einführung<lb/>
des Privatkapitals hört die Äquivalenz des Wertes der Arbeitskraft mit dem<lb/>
Werte des Produktes der Arbeitskraft auf und kommt der Unterschied den?<lb/>
Besitzer des Kapitals zugute. Der auf den Anteil des Kapitals entfallende<lb/>
Ertrag ist mehr wert als das in der Erzielung des Ertrages aufgezehrte Kapital,<lb/>
und ans die Art beuten die (ardens-)freien Kapitalisten die (besitz-)freien Arbeiter<lb/>
aus." Zur Abstellung dieser &#x201E;Ausbeutung" organisiert sich die Arbeiterschaft<lb/>
politisch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2502" next="#ID_2503"> Die Ausbeutungstheorie ist so ziemlich noch das einzige, ums sich von den<lb/>
wissenschaftlich-politischen Argumenten des Sozialismus am Leben erhalten hat.<lb/>
Zuerst fielen Konzentrattons- und Verelendungstheorie. Aus dem Lager der<lb/>
Sozialdemokratie selbst erstanden ihre Gegner, die nachwiesen, daß nur die ersten<lb/>
Schritte des Kapitalismus die Lage der Arbeiterklasse verschlechtert, die weiteren<lb/>
aber den Arbeitern Nutzen gebracht hätten. Die kapitalistische Produktionsweise<lb/>
hat die Produktivität der Arbeit gesteigert und die Möglichkeit zum Steigen des<lb/>
Arbeitslohnes geboten. Die Hebung und Festigung der Arbeiterklasse wird also</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 191S 69</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0557] Der proletarische Alasscnkamxf planvollster Produktion und Verteilung ein- und untergehen. Keine Einzel- experimentc von organisierten Berufsvereinen (ProduMvgeuossenschasten) oder von sozialistischen Gemeinden, wie sie Owen und Thompson ins Leben gerufen hatten, denn deren wahrscheinliche Fehlschläge tragen nichts zur Propaganda des Sozialismus bei. Auch keine Versuche mehr, mit dem friedlichen Weitertragen humaner Welt-Verbesserungspläne für den Sozialismus zu wirken. Nein, das Beispiel des britischen Chartismus, der die Straße erobert, mit sinnenfälligen Lockmitteln die Massen gewinnt und die politische Praxis, die Einwirkung auf den Staat, allein gelten läßt, wird bestimmend. Das Proletariat soll zur Klassenbewegung fortgerissen werden, um die ökonomische Befreiung der Arbeiter¬ klasse zugleich mit der Eroberung der politischen Macht zu erreichen. Nichts ist nach dieser Praxis und Auffassung zu erwarten von der Einsicht der Unter¬ nehmer und Reichen, nichts von der Einsicht des von diesen Schichten beherrschten Staates, nichts von den Predigten der Intellektuellen und Menschenfreunde, nichts von Liebe und Ausgleich, sondern alles vom politischen und sozialen Kampf, dnrch den das Proletariat siegreich hindurchgehen muß. Die deutsche sozialdemokratische Partei hat zwei mächtige Triebkräfte zur Verfügung, die gewerkschaftliche Organisation, die täglich und stündlich mit anderen Kräften ringt, um den Arbeitern schon innerhalb der heutigen Wirtschafts¬ ordnung bessere Zeiten zu verschaffen, und die politisch-transzendentale Bewegung, die der Ansicht lebt, daß innerhalb der gegebenen Wirtschaftsordnung eine der Bedeutung des Arbeiterstandes entsprechende Hebung der Arbeiterklassen aus¬ geschlossen ist. Diese will über die „heutige Misere" hinweg einer in weiter Ferne kommenden Generation das Heil bringen und verkündet unausgesetzt die „Emanzipation des Proletariats von der Herrschaft des Kapitalismus". Karl Marx verkündet den Lehrsatz, daß im wesentlichen nur die Arbeiterschaft neue Werte hervorbringt, und daß ihr der Mehrwert gehört: „Mit der Einführung des Privatkapitals hört die Äquivalenz des Wertes der Arbeitskraft mit dem Werte des Produktes der Arbeitskraft auf und kommt der Unterschied den? Besitzer des Kapitals zugute. Der auf den Anteil des Kapitals entfallende Ertrag ist mehr wert als das in der Erzielung des Ertrages aufgezehrte Kapital, und ans die Art beuten die (ardens-)freien Kapitalisten die (besitz-)freien Arbeiter aus." Zur Abstellung dieser „Ausbeutung" organisiert sich die Arbeiterschaft politisch. Die Ausbeutungstheorie ist so ziemlich noch das einzige, ums sich von den wissenschaftlich-politischen Argumenten des Sozialismus am Leben erhalten hat. Zuerst fielen Konzentrattons- und Verelendungstheorie. Aus dem Lager der Sozialdemokratie selbst erstanden ihre Gegner, die nachwiesen, daß nur die ersten Schritte des Kapitalismus die Lage der Arbeiterklasse verschlechtert, die weiteren aber den Arbeitern Nutzen gebracht hätten. Die kapitalistische Produktionsweise hat die Produktivität der Arbeit gesteigert und die Möglichkeit zum Steigen des Arbeitslohnes geboten. Die Hebung und Festigung der Arbeiterklasse wird also Grenzboten I 191S 69

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/557
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/557>, abgerufen am 04.07.2024.