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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Zins dein englischen Parlament

Die Bedeutung des Jnselreiches ist, wie jeder weiß, mit der Schiffahrt
aufs engste verbunden. Ein wesentlicher Teil der verschifften Ladungen besteht ans
fremden Waren, die von England weiterverkauft sind, und aus Durchgangsgütern.
Der Tonnengehalt der jährlichen Verschiffungen von England ist größer als der
der ganzen übrigen Welt zusammengenommen.

Die Gegner des Freihandels appellieren an den Patriotismus ihrer Volks¬
genossen. Die überseeischen Kolonien sind begierig -- so sagen sie -- mit dem
Mutterland in intimere Handelsbeziehungen zu treten. Ist es nicht Pflicht eines
jeden braven Patrioten, die ausgestreckte Hand zu ergreifen? ist es nicht Pflicht,
die eigenen verwandten Kolonien günstiger zu stellen als fremde Länder, ihnen
Vorzugsbedingungen einzuräumen? Der kühne Finanzminister, der Versasser
des verhängnisvollen Budgets, gibt in seiner treffenden Weise die beste Antwort
daraus: Hat man je einen Kaufmann gesehen, der ein Plakat an seine Tür
hängt: Ich handle vorzugsweise mit meinen Verwandten!? Es drängt sich weiter
die Frage auf: sind sich diese Enthusiasten nicht bewußt, daß ein schutzzöllnerisches
England, das gewissen Ländern Vorzugsbedingungeil einräumt, des Vorteils
verlustig geht, deu es überall sür seinen Export als meist begünstigtste Nation
genießt? Ist dieser Export nach Ländern, die keine englischen Kolonien sind, so
unbedeutend, daß man ihm keine Rechnung zu tragen braucht?

Die wissenschaftliche Lösung der Frage ist durchaus zugunsten der Frei¬
händler. Im Welthandel geschieht die Regulierung durch Austausch von Waren.
Je größer der Import ist, desto größer ist der Export, und die künstliche Ein¬
schränkung des Imports, sei es durch Zolltarif oder andere Maßregeln, hat ein
Zurückgehen des Exports im Gefolge, und umgekehrt. Warum, so fragen die
Gegner des Freihandels, haben andere Länder Schutzzölle? Warum sollen unsere
Waren mit Zoll belegt werden, während jeder Fremde seine Artikel zollfrei bei
uns einführen kann? Die Antwort darauf ist folgende: Der Handel in diesen
mit Zoll belegten Ländern, speziell in Deutschland, das sich erst allmählich nach
den siebziger Jahren zu einer Weltmacht aufschwingen konnte, ist nicht so fest
fundiert wie der des Jnselreichs, das seit Jahrhunderten keine inneren Kriege
durchzumachen hatte, die seinen Entwicklungsgang unterbrochen hätten. Die
Einführung von Schutzzöllen hatte den ursprünglichen Grund, der einheimischen
Produktion" gegenüber der weit leistungsfähigeren Konkurrenz auf die Beine zu
helfen, und ein Land, das diesen Schutz genießt, bezahlt den Tribut dafür
aus eigener Tasche. Beweis: Von günstiger gestellten Anßenhändlern könnte
es bei zollfreier Einfuhr seine Waren billiger erhalten, und soweit es auf fremde
Waren angewiesen ist oder solche vorzieht, bezahlt es den Zoll selbst. Die
Abschaffung eines Tarifs ist aber mit den größten Schwierigkeiten verknüpft.
Alle bestehenden Handelsverträge sind aus ihn Aufgebaut. Der Fiskus rechnet
seit Jahren mit den Einkünften, die ihm aus dieser Besteuerung erwachsen, und
die Einführung eines neuen Systems würde auf lange Zeit hinaus eine bedenkliche
Störung, in der Staatsmaschine wie im Handel selbst, hervorrufen. Als großer


Zins dein englischen Parlament

Die Bedeutung des Jnselreiches ist, wie jeder weiß, mit der Schiffahrt
aufs engste verbunden. Ein wesentlicher Teil der verschifften Ladungen besteht ans
fremden Waren, die von England weiterverkauft sind, und aus Durchgangsgütern.
Der Tonnengehalt der jährlichen Verschiffungen von England ist größer als der
der ganzen übrigen Welt zusammengenommen.

Die Gegner des Freihandels appellieren an den Patriotismus ihrer Volks¬
genossen. Die überseeischen Kolonien sind begierig — so sagen sie — mit dem
Mutterland in intimere Handelsbeziehungen zu treten. Ist es nicht Pflicht eines
jeden braven Patrioten, die ausgestreckte Hand zu ergreifen? ist es nicht Pflicht,
die eigenen verwandten Kolonien günstiger zu stellen als fremde Länder, ihnen
Vorzugsbedingungen einzuräumen? Der kühne Finanzminister, der Versasser
des verhängnisvollen Budgets, gibt in seiner treffenden Weise die beste Antwort
daraus: Hat man je einen Kaufmann gesehen, der ein Plakat an seine Tür
hängt: Ich handle vorzugsweise mit meinen Verwandten!? Es drängt sich weiter
die Frage auf: sind sich diese Enthusiasten nicht bewußt, daß ein schutzzöllnerisches
England, das gewissen Ländern Vorzugsbedingungeil einräumt, des Vorteils
verlustig geht, deu es überall sür seinen Export als meist begünstigtste Nation
genießt? Ist dieser Export nach Ländern, die keine englischen Kolonien sind, so
unbedeutend, daß man ihm keine Rechnung zu tragen braucht?

Die wissenschaftliche Lösung der Frage ist durchaus zugunsten der Frei¬
händler. Im Welthandel geschieht die Regulierung durch Austausch von Waren.
Je größer der Import ist, desto größer ist der Export, und die künstliche Ein¬
schränkung des Imports, sei es durch Zolltarif oder andere Maßregeln, hat ein
Zurückgehen des Exports im Gefolge, und umgekehrt. Warum, so fragen die
Gegner des Freihandels, haben andere Länder Schutzzölle? Warum sollen unsere
Waren mit Zoll belegt werden, während jeder Fremde seine Artikel zollfrei bei
uns einführen kann? Die Antwort darauf ist folgende: Der Handel in diesen
mit Zoll belegten Ländern, speziell in Deutschland, das sich erst allmählich nach
den siebziger Jahren zu einer Weltmacht aufschwingen konnte, ist nicht so fest
fundiert wie der des Jnselreichs, das seit Jahrhunderten keine inneren Kriege
durchzumachen hatte, die seinen Entwicklungsgang unterbrochen hätten. Die
Einführung von Schutzzöllen hatte den ursprünglichen Grund, der einheimischen
Produktion» gegenüber der weit leistungsfähigeren Konkurrenz auf die Beine zu
helfen, und ein Land, das diesen Schutz genießt, bezahlt den Tribut dafür
aus eigener Tasche. Beweis: Von günstiger gestellten Anßenhändlern könnte
es bei zollfreier Einfuhr seine Waren billiger erhalten, und soweit es auf fremde
Waren angewiesen ist oder solche vorzieht, bezahlt es den Zoll selbst. Die
Abschaffung eines Tarifs ist aber mit den größten Schwierigkeiten verknüpft.
Alle bestehenden Handelsverträge sind aus ihn Aufgebaut. Der Fiskus rechnet
seit Jahren mit den Einkünften, die ihm aus dieser Besteuerung erwachsen, und
die Einführung eines neuen Systems würde auf lange Zeit hinaus eine bedenkliche
Störung, in der Staatsmaschine wie im Handel selbst, hervorrufen. Als großer


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[0546] Zins dein englischen Parlament Die Bedeutung des Jnselreiches ist, wie jeder weiß, mit der Schiffahrt aufs engste verbunden. Ein wesentlicher Teil der verschifften Ladungen besteht ans fremden Waren, die von England weiterverkauft sind, und aus Durchgangsgütern. Der Tonnengehalt der jährlichen Verschiffungen von England ist größer als der der ganzen übrigen Welt zusammengenommen. Die Gegner des Freihandels appellieren an den Patriotismus ihrer Volks¬ genossen. Die überseeischen Kolonien sind begierig — so sagen sie — mit dem Mutterland in intimere Handelsbeziehungen zu treten. Ist es nicht Pflicht eines jeden braven Patrioten, die ausgestreckte Hand zu ergreifen? ist es nicht Pflicht, die eigenen verwandten Kolonien günstiger zu stellen als fremde Länder, ihnen Vorzugsbedingungen einzuräumen? Der kühne Finanzminister, der Versasser des verhängnisvollen Budgets, gibt in seiner treffenden Weise die beste Antwort daraus: Hat man je einen Kaufmann gesehen, der ein Plakat an seine Tür hängt: Ich handle vorzugsweise mit meinen Verwandten!? Es drängt sich weiter die Frage auf: sind sich diese Enthusiasten nicht bewußt, daß ein schutzzöllnerisches England, das gewissen Ländern Vorzugsbedingungeil einräumt, des Vorteils verlustig geht, deu es überall sür seinen Export als meist begünstigtste Nation genießt? Ist dieser Export nach Ländern, die keine englischen Kolonien sind, so unbedeutend, daß man ihm keine Rechnung zu tragen braucht? Die wissenschaftliche Lösung der Frage ist durchaus zugunsten der Frei¬ händler. Im Welthandel geschieht die Regulierung durch Austausch von Waren. Je größer der Import ist, desto größer ist der Export, und die künstliche Ein¬ schränkung des Imports, sei es durch Zolltarif oder andere Maßregeln, hat ein Zurückgehen des Exports im Gefolge, und umgekehrt. Warum, so fragen die Gegner des Freihandels, haben andere Länder Schutzzölle? Warum sollen unsere Waren mit Zoll belegt werden, während jeder Fremde seine Artikel zollfrei bei uns einführen kann? Die Antwort darauf ist folgende: Der Handel in diesen mit Zoll belegten Ländern, speziell in Deutschland, das sich erst allmählich nach den siebziger Jahren zu einer Weltmacht aufschwingen konnte, ist nicht so fest fundiert wie der des Jnselreichs, das seit Jahrhunderten keine inneren Kriege durchzumachen hatte, die seinen Entwicklungsgang unterbrochen hätten. Die Einführung von Schutzzöllen hatte den ursprünglichen Grund, der einheimischen Produktion» gegenüber der weit leistungsfähigeren Konkurrenz auf die Beine zu helfen, und ein Land, das diesen Schutz genießt, bezahlt den Tribut dafür aus eigener Tasche. Beweis: Von günstiger gestellten Anßenhändlern könnte es bei zollfreier Einfuhr seine Waren billiger erhalten, und soweit es auf fremde Waren angewiesen ist oder solche vorzieht, bezahlt es den Zoll selbst. Die Abschaffung eines Tarifs ist aber mit den größten Schwierigkeiten verknüpft. Alle bestehenden Handelsverträge sind aus ihn Aufgebaut. Der Fiskus rechnet seit Jahren mit den Einkünften, die ihm aus dieser Besteuerung erwachsen, und die Einführung eines neuen Systems würde auf lange Zeit hinaus eine bedenkliche Störung, in der Staatsmaschine wie im Handel selbst, hervorrufen. Als großer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/546>, abgerufen am 22.12.2024.