Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus dem englischen Parlament

Nachteil von Zöllen muß ferner hervorgehoben werden, daß sich, wie wir es
besonders in Amerika, aber auch in Deutschland finden, unter den Gro߬
industriellen des betreffenden Landes gar zu leicht Kartelle bilden, die den Preis
ihrer Waren genau auf dem Niveau halten, der die fremden ausschließt, und
sich so auf Kosten der Genreinschaft einen unverhältnismäßig hohen Gewinn
sichern.

Auf alle sonstigen irrigen und kurzsichtigen Äußerungen, die in den Wahl¬
agitationen in Verbindung mit Welthandel und Entledigung unliebsamer aus¬
ländischer Konkurrenz gefallen sind, gab der deutsche Gesandte in London, Graf
Wolff-Metternich, auf einer patriotischen Festversammlung seiner Landsleute
anläßlich des Geburtstags des Kaisers die treffende und würdige Antwort,
die durch die Tagespresse seinerzeit bekannt gegeben worden ist. Mit dem
Sieg der Liberalen besteht kaum ein Zweifel, daß das Budget nach einigen
Anfechtungen siegreich das House of Commons passieren und bei Wiedervorlegung
vom House of Lords sanktioniert wird.

Die Regierungspartei will sich jedoch mit dieser Satisfaktion nicht zufrieden
geben, sondern verlangt, um die demokratischen Prinzipien des Landes sicher zu
stellen, eilte Abänderung der Konstitution, welche ein für allemal die Anerkennung
der Beschlüsse der Volksvertreter gewährleistet, nicht nur mit Bezug auf Finanzen,
sondern in allen Vorlagen, die durch Abstimmung die Genehmigung des Unter¬
hauses gefunden haben. Dieser Vorschlag, der eine wesentliche Einschränkung
der Rechte des Oberhauses bedeutet, wird bei einer Diskussion im House of
Commons auf alle Fälle vou den Konservativen aufs energischste bekämpft
werden, da sie erfahrungsgemäß besonders als Oppositionspartei in einem macht¬
vollen Oberhaus eine wertvolle Stütze haben. Es wird daher mit allgemeiner
Spannung erwartet, welche Schritte die Liberalen unternehmen werden, um ihr
Ziel zu erreichen.

Im übrigen hat sich die Gruppierung der Parteien durch die Neuwahlen
ganz bedeutend zugunsten der Konservativen verändert. Die Liberalen haben
keine unbedingte Majorität mehr, sondern sind auf die Arbeiterpartei und die
Nationalisten angewiesen. Beide werden natürlich die willkommene Gelegenheit
benutzen, ihre eigenen Interessen in den Vordergrund zu schieben. Eine
Förderung sozialdemokratischer Bestrebungen bedeutete jedoch den unmittelbaren
Sturz der Liberalen, während zu weit gehende Konzessionen an Irland ihre
Anhängerzahl wesentlich verringern würden.

Unter so schwierigen Verhältnissen ist es nicht unwahrscheinlich, daß die
neue Regierungsperiode von kurzer Dauer sein wird, und das Ringen der
beiden großen Parteien um die Oberhand in absehbarer Zeit nochmals in
offenem Kampf und mit erneuerter Wucht zum Ausbruch kommt.




Aus dem englischen Parlament

Nachteil von Zöllen muß ferner hervorgehoben werden, daß sich, wie wir es
besonders in Amerika, aber auch in Deutschland finden, unter den Gro߬
industriellen des betreffenden Landes gar zu leicht Kartelle bilden, die den Preis
ihrer Waren genau auf dem Niveau halten, der die fremden ausschließt, und
sich so auf Kosten der Genreinschaft einen unverhältnismäßig hohen Gewinn
sichern.

Auf alle sonstigen irrigen und kurzsichtigen Äußerungen, die in den Wahl¬
agitationen in Verbindung mit Welthandel und Entledigung unliebsamer aus¬
ländischer Konkurrenz gefallen sind, gab der deutsche Gesandte in London, Graf
Wolff-Metternich, auf einer patriotischen Festversammlung seiner Landsleute
anläßlich des Geburtstags des Kaisers die treffende und würdige Antwort,
die durch die Tagespresse seinerzeit bekannt gegeben worden ist. Mit dem
Sieg der Liberalen besteht kaum ein Zweifel, daß das Budget nach einigen
Anfechtungen siegreich das House of Commons passieren und bei Wiedervorlegung
vom House of Lords sanktioniert wird.

Die Regierungspartei will sich jedoch mit dieser Satisfaktion nicht zufrieden
geben, sondern verlangt, um die demokratischen Prinzipien des Landes sicher zu
stellen, eilte Abänderung der Konstitution, welche ein für allemal die Anerkennung
der Beschlüsse der Volksvertreter gewährleistet, nicht nur mit Bezug auf Finanzen,
sondern in allen Vorlagen, die durch Abstimmung die Genehmigung des Unter¬
hauses gefunden haben. Dieser Vorschlag, der eine wesentliche Einschränkung
der Rechte des Oberhauses bedeutet, wird bei einer Diskussion im House of
Commons auf alle Fälle vou den Konservativen aufs energischste bekämpft
werden, da sie erfahrungsgemäß besonders als Oppositionspartei in einem macht¬
vollen Oberhaus eine wertvolle Stütze haben. Es wird daher mit allgemeiner
Spannung erwartet, welche Schritte die Liberalen unternehmen werden, um ihr
Ziel zu erreichen.

Im übrigen hat sich die Gruppierung der Parteien durch die Neuwahlen
ganz bedeutend zugunsten der Konservativen verändert. Die Liberalen haben
keine unbedingte Majorität mehr, sondern sind auf die Arbeiterpartei und die
Nationalisten angewiesen. Beide werden natürlich die willkommene Gelegenheit
benutzen, ihre eigenen Interessen in den Vordergrund zu schieben. Eine
Förderung sozialdemokratischer Bestrebungen bedeutete jedoch den unmittelbaren
Sturz der Liberalen, während zu weit gehende Konzessionen an Irland ihre
Anhängerzahl wesentlich verringern würden.

Unter so schwierigen Verhältnissen ist es nicht unwahrscheinlich, daß die
neue Regierungsperiode von kurzer Dauer sein wird, und das Ringen der
beiden großen Parteien um die Oberhand in absehbarer Zeit nochmals in
offenem Kampf und mit erneuerter Wucht zum Ausbruch kommt.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0547" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315544"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus dem englischen Parlament</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2459" prev="#ID_2458"> Nachteil von Zöllen muß ferner hervorgehoben werden, daß sich, wie wir es<lb/>
besonders in Amerika, aber auch in Deutschland finden, unter den Gro߬<lb/>
industriellen des betreffenden Landes gar zu leicht Kartelle bilden, die den Preis<lb/>
ihrer Waren genau auf dem Niveau halten, der die fremden ausschließt, und<lb/>
sich so auf Kosten der Genreinschaft einen unverhältnismäßig hohen Gewinn<lb/>
sichern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2460"> Auf alle sonstigen irrigen und kurzsichtigen Äußerungen, die in den Wahl¬<lb/>
agitationen in Verbindung mit Welthandel und Entledigung unliebsamer aus¬<lb/>
ländischer Konkurrenz gefallen sind, gab der deutsche Gesandte in London, Graf<lb/>
Wolff-Metternich, auf einer patriotischen Festversammlung seiner Landsleute<lb/>
anläßlich des Geburtstags des Kaisers die treffende und würdige Antwort,<lb/>
die durch die Tagespresse seinerzeit bekannt gegeben worden ist. Mit dem<lb/>
Sieg der Liberalen besteht kaum ein Zweifel, daß das Budget nach einigen<lb/>
Anfechtungen siegreich das House of Commons passieren und bei Wiedervorlegung<lb/>
vom House of Lords sanktioniert wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2461"> Die Regierungspartei will sich jedoch mit dieser Satisfaktion nicht zufrieden<lb/>
geben, sondern verlangt, um die demokratischen Prinzipien des Landes sicher zu<lb/>
stellen, eilte Abänderung der Konstitution, welche ein für allemal die Anerkennung<lb/>
der Beschlüsse der Volksvertreter gewährleistet, nicht nur mit Bezug auf Finanzen,<lb/>
sondern in allen Vorlagen, die durch Abstimmung die Genehmigung des Unter¬<lb/>
hauses gefunden haben. Dieser Vorschlag, der eine wesentliche Einschränkung<lb/>
der Rechte des Oberhauses bedeutet, wird bei einer Diskussion im House of<lb/>
Commons auf alle Fälle vou den Konservativen aufs energischste bekämpft<lb/>
werden, da sie erfahrungsgemäß besonders als Oppositionspartei in einem macht¬<lb/>
vollen Oberhaus eine wertvolle Stütze haben. Es wird daher mit allgemeiner<lb/>
Spannung erwartet, welche Schritte die Liberalen unternehmen werden, um ihr<lb/>
Ziel zu erreichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2462"> Im übrigen hat sich die Gruppierung der Parteien durch die Neuwahlen<lb/>
ganz bedeutend zugunsten der Konservativen verändert. Die Liberalen haben<lb/>
keine unbedingte Majorität mehr, sondern sind auf die Arbeiterpartei und die<lb/>
Nationalisten angewiesen. Beide werden natürlich die willkommene Gelegenheit<lb/>
benutzen, ihre eigenen Interessen in den Vordergrund zu schieben. Eine<lb/>
Förderung sozialdemokratischer Bestrebungen bedeutete jedoch den unmittelbaren<lb/>
Sturz der Liberalen, während zu weit gehende Konzessionen an Irland ihre<lb/>
Anhängerzahl wesentlich verringern würden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2463"> Unter so schwierigen Verhältnissen ist es nicht unwahrscheinlich, daß die<lb/>
neue Regierungsperiode von kurzer Dauer sein wird, und das Ringen der<lb/>
beiden großen Parteien um die Oberhand in absehbarer Zeit nochmals in<lb/>
offenem Kampf und mit erneuerter Wucht zum Ausbruch kommt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0547] Aus dem englischen Parlament Nachteil von Zöllen muß ferner hervorgehoben werden, daß sich, wie wir es besonders in Amerika, aber auch in Deutschland finden, unter den Gro߬ industriellen des betreffenden Landes gar zu leicht Kartelle bilden, die den Preis ihrer Waren genau auf dem Niveau halten, der die fremden ausschließt, und sich so auf Kosten der Genreinschaft einen unverhältnismäßig hohen Gewinn sichern. Auf alle sonstigen irrigen und kurzsichtigen Äußerungen, die in den Wahl¬ agitationen in Verbindung mit Welthandel und Entledigung unliebsamer aus¬ ländischer Konkurrenz gefallen sind, gab der deutsche Gesandte in London, Graf Wolff-Metternich, auf einer patriotischen Festversammlung seiner Landsleute anläßlich des Geburtstags des Kaisers die treffende und würdige Antwort, die durch die Tagespresse seinerzeit bekannt gegeben worden ist. Mit dem Sieg der Liberalen besteht kaum ein Zweifel, daß das Budget nach einigen Anfechtungen siegreich das House of Commons passieren und bei Wiedervorlegung vom House of Lords sanktioniert wird. Die Regierungspartei will sich jedoch mit dieser Satisfaktion nicht zufrieden geben, sondern verlangt, um die demokratischen Prinzipien des Landes sicher zu stellen, eilte Abänderung der Konstitution, welche ein für allemal die Anerkennung der Beschlüsse der Volksvertreter gewährleistet, nicht nur mit Bezug auf Finanzen, sondern in allen Vorlagen, die durch Abstimmung die Genehmigung des Unter¬ hauses gefunden haben. Dieser Vorschlag, der eine wesentliche Einschränkung der Rechte des Oberhauses bedeutet, wird bei einer Diskussion im House of Commons auf alle Fälle vou den Konservativen aufs energischste bekämpft werden, da sie erfahrungsgemäß besonders als Oppositionspartei in einem macht¬ vollen Oberhaus eine wertvolle Stütze haben. Es wird daher mit allgemeiner Spannung erwartet, welche Schritte die Liberalen unternehmen werden, um ihr Ziel zu erreichen. Im übrigen hat sich die Gruppierung der Parteien durch die Neuwahlen ganz bedeutend zugunsten der Konservativen verändert. Die Liberalen haben keine unbedingte Majorität mehr, sondern sind auf die Arbeiterpartei und die Nationalisten angewiesen. Beide werden natürlich die willkommene Gelegenheit benutzen, ihre eigenen Interessen in den Vordergrund zu schieben. Eine Förderung sozialdemokratischer Bestrebungen bedeutete jedoch den unmittelbaren Sturz der Liberalen, während zu weit gehende Konzessionen an Irland ihre Anhängerzahl wesentlich verringern würden. Unter so schwierigen Verhältnissen ist es nicht unwahrscheinlich, daß die neue Regierungsperiode von kurzer Dauer sein wird, und das Ringen der beiden großen Parteien um die Oberhand in absehbarer Zeit nochmals in offenem Kampf und mit erneuerter Wucht zum Ausbruch kommt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/547
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/547>, abgerufen am 21.12.2024.