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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Die deutschen Schiffahrtsabgaben und das Ausland

Schiffahrt bezügliche Änderung, also auch die Frage der Schiffahrtsabgaben, falls
diese zur internationalen Verhandlung gebracht werden sollte, an die Internationale
Rheinkommission verweisen. Angesichts dieser Unistände gewinnt die neuerlich wieder
aufgegriffene Erzählung vom "Briefe des Deutschen Kaisers" ganz besondere
Beachtung.

Die "norddeutsche Allgemeine Zeitung" hat halbamtlich erklärt, daß eine
"einseitige Lösung" der Frage über die Erhebung von Schiffahrtsabgaben nicht
beabsichtigt sei und auch in der Begründung zu Artikel V des preußischen Gesetz¬
entwurfs vom 13. Mürz 1909 heißt es, daß deu für Österreich und die Nieder¬
lande aus internationalen Vertragsbestimmungen hervorgehenden Rechten "selbst¬
verständlich nicht vorgegriffen" werden solle. Die hier in Betracht kommenden
Staatsverträge sind der Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bunde und Österreich
wegen Aufhebung des Elbzolles vom 22. Juni 1870 und die revidierte Rhein¬
schiffahrtsakte vom 17. Oktober 1868. Soweit mit dem österreichischen und
holländischen Standpunkt zu rechnen ist, stehen beide Abkommen der Einführung
von Abgaben auf Elbe und Rhein entgegen (Laband, Piloty und O. Mayer).
Diesen Standpunkt teilt auch die preußische Staatsregierung, da den Rechten
dritter Staaten "selbstverständlich nicht vorgegriffen" werden soll. Nach der
Gesetzwerduug des preußischen Entwurfs über die Schiffahrtsabgabeu würde es
also einer Änderung des gegenwärtigen durch die Verträge vom 22. Juni 1870
und 17. Oktober 1868 bedingten Rechtszustands bedürfen. Durch etwaige
Kündigung seitens des Reichs können diese Verträge jedoch nicht abgeändert
werden, wie nur Ullrich (Preußische Verkehrspolitik und Staatsfinanzen S. 72)
fälschlich meint. Denn es handelt sich um politische, nicht aber um soziale Staats¬
verträge, die in beiden Fällen eine Kündigungsklausel nicht enthalten, also auf
"ewige Zeiten" abgeschlossen sind und nur auf dem Wege buudesfreundlicher
Verhandlungen abgeändert bezw. aufgehoben werden können. Besonders haben
die Niederlande von jeher die Unkündbarkeit der Rheinschiffahrtsakte betont.
So vor allein durch deu Minister des Auswärtigen in der Sitzung der Zweiten
Kammer vom 12. Dezember 1904, wenn er sagte: "Durch Annahme dieses
Artikels (3 der Rheinschiffahrtsakte, welcher eine Abgabe auf dem Rhein und
dessen Nebenflüssen verbietet) ist die Schiffahrt auf dem Rhein für alle
Zeiten gegen die Möglichkeit einer Erhebung von Zöllen gesichert, so daß eine
Veränderung in dem gegenwärtigen Zustand des Rheins nicht ohne Zustimmung
von Holland stattfinden kann." Bezeichnend für die Stimmung in holländischen
Abgeordnetenkreisen war, daß man in jener vorerwähnten Kammersitzung von
den Zöllen als einem "Überbleibsel aus der Zeit der Raubritter" sprach, die
nicht nur verderblich für Handel und Schiffahrt, sondern gleichzeitig ein zum
Himmel schreiendes Unrecht feien. Eine amtliche Auslassung der österreichischen
Erklärung über die Unkündbarkeit des Elbzollvertrages liegt allerdings noch
nicht vor, erübrigt sich auch durch die einstimmige Ansicht der namhaftesten
Staatsrechtsschriststeller. In einer Auslassung der "Neuen Freien Presse" vom


Die deutschen Schiffahrtsabgaben und das Ausland

Schiffahrt bezügliche Änderung, also auch die Frage der Schiffahrtsabgaben, falls
diese zur internationalen Verhandlung gebracht werden sollte, an die Internationale
Rheinkommission verweisen. Angesichts dieser Unistände gewinnt die neuerlich wieder
aufgegriffene Erzählung vom „Briefe des Deutschen Kaisers" ganz besondere
Beachtung.

Die „norddeutsche Allgemeine Zeitung" hat halbamtlich erklärt, daß eine
„einseitige Lösung" der Frage über die Erhebung von Schiffahrtsabgaben nicht
beabsichtigt sei und auch in der Begründung zu Artikel V des preußischen Gesetz¬
entwurfs vom 13. Mürz 1909 heißt es, daß deu für Österreich und die Nieder¬
lande aus internationalen Vertragsbestimmungen hervorgehenden Rechten „selbst¬
verständlich nicht vorgegriffen" werden solle. Die hier in Betracht kommenden
Staatsverträge sind der Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bunde und Österreich
wegen Aufhebung des Elbzolles vom 22. Juni 1870 und die revidierte Rhein¬
schiffahrtsakte vom 17. Oktober 1868. Soweit mit dem österreichischen und
holländischen Standpunkt zu rechnen ist, stehen beide Abkommen der Einführung
von Abgaben auf Elbe und Rhein entgegen (Laband, Piloty und O. Mayer).
Diesen Standpunkt teilt auch die preußische Staatsregierung, da den Rechten
dritter Staaten „selbstverständlich nicht vorgegriffen" werden soll. Nach der
Gesetzwerduug des preußischen Entwurfs über die Schiffahrtsabgabeu würde es
also einer Änderung des gegenwärtigen durch die Verträge vom 22. Juni 1870
und 17. Oktober 1868 bedingten Rechtszustands bedürfen. Durch etwaige
Kündigung seitens des Reichs können diese Verträge jedoch nicht abgeändert
werden, wie nur Ullrich (Preußische Verkehrspolitik und Staatsfinanzen S. 72)
fälschlich meint. Denn es handelt sich um politische, nicht aber um soziale Staats¬
verträge, die in beiden Fällen eine Kündigungsklausel nicht enthalten, also auf
„ewige Zeiten" abgeschlossen sind und nur auf dem Wege buudesfreundlicher
Verhandlungen abgeändert bezw. aufgehoben werden können. Besonders haben
die Niederlande von jeher die Unkündbarkeit der Rheinschiffahrtsakte betont.
So vor allein durch deu Minister des Auswärtigen in der Sitzung der Zweiten
Kammer vom 12. Dezember 1904, wenn er sagte: „Durch Annahme dieses
Artikels (3 der Rheinschiffahrtsakte, welcher eine Abgabe auf dem Rhein und
dessen Nebenflüssen verbietet) ist die Schiffahrt auf dem Rhein für alle
Zeiten gegen die Möglichkeit einer Erhebung von Zöllen gesichert, so daß eine
Veränderung in dem gegenwärtigen Zustand des Rheins nicht ohne Zustimmung
von Holland stattfinden kann." Bezeichnend für die Stimmung in holländischen
Abgeordnetenkreisen war, daß man in jener vorerwähnten Kammersitzung von
den Zöllen als einem „Überbleibsel aus der Zeit der Raubritter" sprach, die
nicht nur verderblich für Handel und Schiffahrt, sondern gleichzeitig ein zum
Himmel schreiendes Unrecht feien. Eine amtliche Auslassung der österreichischen
Erklärung über die Unkündbarkeit des Elbzollvertrages liegt allerdings noch
nicht vor, erübrigt sich auch durch die einstimmige Ansicht der namhaftesten
Staatsrechtsschriststeller. In einer Auslassung der „Neuen Freien Presse" vom


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[0521] Die deutschen Schiffahrtsabgaben und das Ausland Schiffahrt bezügliche Änderung, also auch die Frage der Schiffahrtsabgaben, falls diese zur internationalen Verhandlung gebracht werden sollte, an die Internationale Rheinkommission verweisen. Angesichts dieser Unistände gewinnt die neuerlich wieder aufgegriffene Erzählung vom „Briefe des Deutschen Kaisers" ganz besondere Beachtung. Die „norddeutsche Allgemeine Zeitung" hat halbamtlich erklärt, daß eine „einseitige Lösung" der Frage über die Erhebung von Schiffahrtsabgaben nicht beabsichtigt sei und auch in der Begründung zu Artikel V des preußischen Gesetz¬ entwurfs vom 13. Mürz 1909 heißt es, daß deu für Österreich und die Nieder¬ lande aus internationalen Vertragsbestimmungen hervorgehenden Rechten „selbst¬ verständlich nicht vorgegriffen" werden solle. Die hier in Betracht kommenden Staatsverträge sind der Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bunde und Österreich wegen Aufhebung des Elbzolles vom 22. Juni 1870 und die revidierte Rhein¬ schiffahrtsakte vom 17. Oktober 1868. Soweit mit dem österreichischen und holländischen Standpunkt zu rechnen ist, stehen beide Abkommen der Einführung von Abgaben auf Elbe und Rhein entgegen (Laband, Piloty und O. Mayer). Diesen Standpunkt teilt auch die preußische Staatsregierung, da den Rechten dritter Staaten „selbstverständlich nicht vorgegriffen" werden soll. Nach der Gesetzwerduug des preußischen Entwurfs über die Schiffahrtsabgabeu würde es also einer Änderung des gegenwärtigen durch die Verträge vom 22. Juni 1870 und 17. Oktober 1868 bedingten Rechtszustands bedürfen. Durch etwaige Kündigung seitens des Reichs können diese Verträge jedoch nicht abgeändert werden, wie nur Ullrich (Preußische Verkehrspolitik und Staatsfinanzen S. 72) fälschlich meint. Denn es handelt sich um politische, nicht aber um soziale Staats¬ verträge, die in beiden Fällen eine Kündigungsklausel nicht enthalten, also auf „ewige Zeiten" abgeschlossen sind und nur auf dem Wege buudesfreundlicher Verhandlungen abgeändert bezw. aufgehoben werden können. Besonders haben die Niederlande von jeher die Unkündbarkeit der Rheinschiffahrtsakte betont. So vor allein durch deu Minister des Auswärtigen in der Sitzung der Zweiten Kammer vom 12. Dezember 1904, wenn er sagte: „Durch Annahme dieses Artikels (3 der Rheinschiffahrtsakte, welcher eine Abgabe auf dem Rhein und dessen Nebenflüssen verbietet) ist die Schiffahrt auf dem Rhein für alle Zeiten gegen die Möglichkeit einer Erhebung von Zöllen gesichert, so daß eine Veränderung in dem gegenwärtigen Zustand des Rheins nicht ohne Zustimmung von Holland stattfinden kann." Bezeichnend für die Stimmung in holländischen Abgeordnetenkreisen war, daß man in jener vorerwähnten Kammersitzung von den Zöllen als einem „Überbleibsel aus der Zeit der Raubritter" sprach, die nicht nur verderblich für Handel und Schiffahrt, sondern gleichzeitig ein zum Himmel schreiendes Unrecht feien. Eine amtliche Auslassung der österreichischen Erklärung über die Unkündbarkeit des Elbzollvertrages liegt allerdings noch nicht vor, erübrigt sich auch durch die einstimmige Ansicht der namhaftesten Staatsrechtsschriststeller. In einer Auslassung der „Neuen Freien Presse" vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/521>, abgerufen am 24.07.2024.