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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Deutschtum und Schweiz

getränkten Verstand unserer Beamten eine schwere Nuß zu knacken geben. Aber
sie haben es ja doch zuweilen fertig gebracht, fünf gerade sein zu lassen zuungunsten
des Deutschtums. Sollte thuen da das Kunststück nicht auch einmal zugunsten
unseres Volkstums gelingen?

Aber freilich, man muß Verständnis für die ganze Angelegenheit haben.
Und wie gering dies Verständnis selbst in Kreisen ist, die es angeht, das mag
folgendes Beispiel lehren. Im Winter 1895 auf 1896 besprach die "Neue Züricher
Zeitung" die fünfundzwanzigste Auflage von Robert Königs Deutscher Literatur¬
geschichte und beschwerte sich darüber, daß auch dieses Werk die Literatur der
deutschen Schweiz nicht mehr berücksichtige. "Wir haben," so sagte die "N. Z. Z.",
"angesichts der wahrhaft großartigen Bücher- und Zeitschrifteneinfuhr aus Deutsch¬
land das Recht, zu verlangen, daß man unser deutsches Stammesleben gerade
so gut würdige wie das irgendeines politisch deutschen Landesteiles."

Wohl ebenso wichtig, wie das Zusammenhalten in wissenschaftlichen Dillgen
und im Schrifttum überhaupt, wäre ein freundliches Verhältnis zur Schweiz auf
dem Gebiete der Wirtschaftspolitik. Sind die Wirkungen hier vielleicht weniger
tief und dauernd, so sind sie dafür um fo stärker durch die große Zahl der
unmittelbar Beteiligten. Wir müssen es einer berufenerer Feder überlassen zu
entscheiden, ob in dem Mehlstreit und neuerdings im Weinstreit das Deutsche
Reich zu seinem wahren Vorteil gehandelt hat. Aber das darf doch auch ein
Nichtkanfmann sagen, daß das Reich und die Schweiz jetzt nach dem Grundsatz
verfahren: Haust du meine Müller, hau' ich deine Wurstler, von Gotha und
Göttingen, und daß diese gegenseitigen zöllnerischen Nadelstiche für das Gefühl
völkischer Zusammengehörigkeit ein sehr unzweckmäßiger Ausdruck sind.

Endlich ist noch ein dritter Umstand zu besprechen, der nicht Sache der
Behörden oder gar der Reichsregierung, sondern so recht eigentlich Sache des
deutschen Volkes, mindestens einer breiten Schicht des deutschen Volkes ist.

Jahraus jahrein flutet ein ganzer Strom von Reichsdeutschen in die Schweiz,
früher nur im Sommer, neuerdings, seit das Schneeschuhlaufen und Schindeln
üblich geworden, auch im Winter. Man sollte meinen, dieses Heer von Reichs¬
deutschen würde das Deutschtum der Schweizer stützen und stärken. Leider ist
das durchaus nicht der Fall. Im Gegenteil, zu unserer tiefsten Beschämung,
aber der Wahrheit zur Ehre, müssen wir es aussprechen, die reichsdeutschen
Sommer- und Winterfrischler tragen geradezu dazu bei, der deutschen
Schweiz ein welsches Gepräge zu geben. Die Reichsdeutschen, die sich eine
Schweizerreise leisten können, gehören nämlich meistens zu den ausgesprochenen
"Bildungsschwindlern", d. h. zu den Leuten, die ihre Bildung danach abschätzen,
wie geläufig sie ihre Gedanken und Wünsche in einer oder womöglich in mehreren
fremden Sprachen ausdrücken können. Wenn diese guten Leute in Zürich oder
Bern französisch angeredet werden, eine französische Speisekarte oder Rechnung
vorgelegt bekommen, so regt sich in ihnen nicht deutsche Galle ob der Zurück¬
setzung ihrer Sprache, sondern ein Lächeln befriedigter Eitelkeit huscht über ihr


Deutschtum und Schweiz

getränkten Verstand unserer Beamten eine schwere Nuß zu knacken geben. Aber
sie haben es ja doch zuweilen fertig gebracht, fünf gerade sein zu lassen zuungunsten
des Deutschtums. Sollte thuen da das Kunststück nicht auch einmal zugunsten
unseres Volkstums gelingen?

Aber freilich, man muß Verständnis für die ganze Angelegenheit haben.
Und wie gering dies Verständnis selbst in Kreisen ist, die es angeht, das mag
folgendes Beispiel lehren. Im Winter 1895 auf 1896 besprach die „Neue Züricher
Zeitung" die fünfundzwanzigste Auflage von Robert Königs Deutscher Literatur¬
geschichte und beschwerte sich darüber, daß auch dieses Werk die Literatur der
deutschen Schweiz nicht mehr berücksichtige. „Wir haben," so sagte die „N. Z. Z.",
„angesichts der wahrhaft großartigen Bücher- und Zeitschrifteneinfuhr aus Deutsch¬
land das Recht, zu verlangen, daß man unser deutsches Stammesleben gerade
so gut würdige wie das irgendeines politisch deutschen Landesteiles."

Wohl ebenso wichtig, wie das Zusammenhalten in wissenschaftlichen Dillgen
und im Schrifttum überhaupt, wäre ein freundliches Verhältnis zur Schweiz auf
dem Gebiete der Wirtschaftspolitik. Sind die Wirkungen hier vielleicht weniger
tief und dauernd, so sind sie dafür um fo stärker durch die große Zahl der
unmittelbar Beteiligten. Wir müssen es einer berufenerer Feder überlassen zu
entscheiden, ob in dem Mehlstreit und neuerdings im Weinstreit das Deutsche
Reich zu seinem wahren Vorteil gehandelt hat. Aber das darf doch auch ein
Nichtkanfmann sagen, daß das Reich und die Schweiz jetzt nach dem Grundsatz
verfahren: Haust du meine Müller, hau' ich deine Wurstler, von Gotha und
Göttingen, und daß diese gegenseitigen zöllnerischen Nadelstiche für das Gefühl
völkischer Zusammengehörigkeit ein sehr unzweckmäßiger Ausdruck sind.

Endlich ist noch ein dritter Umstand zu besprechen, der nicht Sache der
Behörden oder gar der Reichsregierung, sondern so recht eigentlich Sache des
deutschen Volkes, mindestens einer breiten Schicht des deutschen Volkes ist.

Jahraus jahrein flutet ein ganzer Strom von Reichsdeutschen in die Schweiz,
früher nur im Sommer, neuerdings, seit das Schneeschuhlaufen und Schindeln
üblich geworden, auch im Winter. Man sollte meinen, dieses Heer von Reichs¬
deutschen würde das Deutschtum der Schweizer stützen und stärken. Leider ist
das durchaus nicht der Fall. Im Gegenteil, zu unserer tiefsten Beschämung,
aber der Wahrheit zur Ehre, müssen wir es aussprechen, die reichsdeutschen
Sommer- und Winterfrischler tragen geradezu dazu bei, der deutschen
Schweiz ein welsches Gepräge zu geben. Die Reichsdeutschen, die sich eine
Schweizerreise leisten können, gehören nämlich meistens zu den ausgesprochenen
„Bildungsschwindlern", d. h. zu den Leuten, die ihre Bildung danach abschätzen,
wie geläufig sie ihre Gedanken und Wünsche in einer oder womöglich in mehreren
fremden Sprachen ausdrücken können. Wenn diese guten Leute in Zürich oder
Bern französisch angeredet werden, eine französische Speisekarte oder Rechnung
vorgelegt bekommen, so regt sich in ihnen nicht deutsche Galle ob der Zurück¬
setzung ihrer Sprache, sondern ein Lächeln befriedigter Eitelkeit huscht über ihr


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[0518] Deutschtum und Schweiz getränkten Verstand unserer Beamten eine schwere Nuß zu knacken geben. Aber sie haben es ja doch zuweilen fertig gebracht, fünf gerade sein zu lassen zuungunsten des Deutschtums. Sollte thuen da das Kunststück nicht auch einmal zugunsten unseres Volkstums gelingen? Aber freilich, man muß Verständnis für die ganze Angelegenheit haben. Und wie gering dies Verständnis selbst in Kreisen ist, die es angeht, das mag folgendes Beispiel lehren. Im Winter 1895 auf 1896 besprach die „Neue Züricher Zeitung" die fünfundzwanzigste Auflage von Robert Königs Deutscher Literatur¬ geschichte und beschwerte sich darüber, daß auch dieses Werk die Literatur der deutschen Schweiz nicht mehr berücksichtige. „Wir haben," so sagte die „N. Z. Z.", „angesichts der wahrhaft großartigen Bücher- und Zeitschrifteneinfuhr aus Deutsch¬ land das Recht, zu verlangen, daß man unser deutsches Stammesleben gerade so gut würdige wie das irgendeines politisch deutschen Landesteiles." Wohl ebenso wichtig, wie das Zusammenhalten in wissenschaftlichen Dillgen und im Schrifttum überhaupt, wäre ein freundliches Verhältnis zur Schweiz auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik. Sind die Wirkungen hier vielleicht weniger tief und dauernd, so sind sie dafür um fo stärker durch die große Zahl der unmittelbar Beteiligten. Wir müssen es einer berufenerer Feder überlassen zu entscheiden, ob in dem Mehlstreit und neuerdings im Weinstreit das Deutsche Reich zu seinem wahren Vorteil gehandelt hat. Aber das darf doch auch ein Nichtkanfmann sagen, daß das Reich und die Schweiz jetzt nach dem Grundsatz verfahren: Haust du meine Müller, hau' ich deine Wurstler, von Gotha und Göttingen, und daß diese gegenseitigen zöllnerischen Nadelstiche für das Gefühl völkischer Zusammengehörigkeit ein sehr unzweckmäßiger Ausdruck sind. Endlich ist noch ein dritter Umstand zu besprechen, der nicht Sache der Behörden oder gar der Reichsregierung, sondern so recht eigentlich Sache des deutschen Volkes, mindestens einer breiten Schicht des deutschen Volkes ist. Jahraus jahrein flutet ein ganzer Strom von Reichsdeutschen in die Schweiz, früher nur im Sommer, neuerdings, seit das Schneeschuhlaufen und Schindeln üblich geworden, auch im Winter. Man sollte meinen, dieses Heer von Reichs¬ deutschen würde das Deutschtum der Schweizer stützen und stärken. Leider ist das durchaus nicht der Fall. Im Gegenteil, zu unserer tiefsten Beschämung, aber der Wahrheit zur Ehre, müssen wir es aussprechen, die reichsdeutschen Sommer- und Winterfrischler tragen geradezu dazu bei, der deutschen Schweiz ein welsches Gepräge zu geben. Die Reichsdeutschen, die sich eine Schweizerreise leisten können, gehören nämlich meistens zu den ausgesprochenen „Bildungsschwindlern", d. h. zu den Leuten, die ihre Bildung danach abschätzen, wie geläufig sie ihre Gedanken und Wünsche in einer oder womöglich in mehreren fremden Sprachen ausdrücken können. Wenn diese guten Leute in Zürich oder Bern französisch angeredet werden, eine französische Speisekarte oder Rechnung vorgelegt bekommen, so regt sich in ihnen nicht deutsche Galle ob der Zurück¬ setzung ihrer Sprache, sondern ein Lächeln befriedigter Eitelkeit huscht über ihr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/518>, abgerufen am 24.07.2024.