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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Deutschtum und Schweiz

Bewerber. Die beratende Behörde suchte die zwei geeignetsten heraus und nannte
sie der Regierung; der eine war Schweizer, der andere ein seit fünfzehn Jahren in
der Schweiz ansässiger Reichsdeutscher. Die Wahl der Regierung fiel auf den
Schweizer. Nun will ich nicht einmal behaupten, daß die wissenschaftlichen
Verdienste des Reichsdeutschen größer gewesen wären als die des Schweizers.
Aber das will ich behaupten, daß, wenn sie es auch gewesen wären, die
Regierung den Reichsdeutschen doch nicht angestellt hätte. Denn die öffentliche
Meinung hatte schon vor den Bewerbungen, sofort beim Freiwerden der Stelle
"Vorpfahl geschlagen", indem sie, in Gestalt einer Ärztegesellschaft, den Beschluß
gefaßt und in die Öffentlichkeit gebracht hatte, die Stelle dürfe nur mit
einem Schweizer besetzt werden. Wenn die Herren eine schweizerische
"Nation" erstreben, dann haben sie vollkommen sachgemäß gehandelt. Wenn
wir Reichsdeutsche die Deutschschweizer bei unserem Volke festhalten wollen,
dann müssen wir bei ähnlichen Gelegenheiten gerade umgekehrt verfahren.
Alle durch Fähigkeiten und Leistungen hervorragenden Deutschschweizer sollten
nur "entdecken" und nach Deutschland berufen, selbst auf die Gefahr hin, daß
sich einmal ein Reichsdeutscher gekränkt und übergangen fühlte und gezwungen
wäre, um in der deutschen Schweiz einen Wirkungskreis zu suchen.

Leider scheint man bei uus neuerdings nicht mehr in diesen: Sinne zu
verfahren, sondern im Gegenteil den entstehenden Graben zwischen der Schweiz
und dem Reich noch vertiefen zu wollen. Noch zu meiner Studentenzeit durften
wir Reichsdeutschen auf den drei deutschen Hochschulen der Schweiz nach Belieben
studieren, d. h. bei den Prüfungen wurden die in Bern. Zürich oder Basel
zugebrachten Halbjahre uus ebenso angerechnet wie die im Reiche verbrachten;
das ist jetzt anders. Jetzt "darf ausnahmsweise" (!) die Studienzeit an
einer ausländischen Hochschule "ganz oder teilweise angerechnet werden". Früher
konnte ein Reichsdeutscher in der Schweiz die ärztliche Staatsprüfung machen
ans Grund einer reichsdeutschen Vorprüfung C?sntamen pu^sinum) und der
Reichsdeutschen Reifeprüfung. Jetzt ist das anders. Jetzt werden von den Schweizer
Behörden die im Reich abgelegten Prüfungen einfach als Luft behandelt. Als ich über
diese sachlich doch sicher recht unbegründete Neuerung einmal eine mißbilligende
Äußerung tat, erfuhr ich, daß diese Maßregel nur eine Wiedervergeltung von feiten
der Schweiz sei, daß das Reich mit dieser Art von Schutzzoll den Anfang
gemacht habe.

Die Hochschulen des Reiches sind vielfach überfüllt. Um den Landeskindern
uicht durch 'Ausländer die Plätze wegnehmen zu lassen, ist mancherorts die
Einrichtung getroffen worden, daß der Ausländer erst einige Wochen nach
Beginn der Vorlesungen belegen darf, was an Platz noch übrig ist. Die
Maßregel ist durchaus vernünftig. Nur sollte sie dahin abgeändert werden,
daß Deutschschweizer (und selbswerständlich Deutschösterreicher auch) wie Inländer
"u behandeln seien, und zwar ganz gleichgültig, ob die Schweiz Gegenrecht übt
"der nicht. Gewiß, eine solche Bestimmung würde dem in Rechtsgelahrtheit


Gronzvoten l 1910 64
Deutschtum und Schweiz

Bewerber. Die beratende Behörde suchte die zwei geeignetsten heraus und nannte
sie der Regierung; der eine war Schweizer, der andere ein seit fünfzehn Jahren in
der Schweiz ansässiger Reichsdeutscher. Die Wahl der Regierung fiel auf den
Schweizer. Nun will ich nicht einmal behaupten, daß die wissenschaftlichen
Verdienste des Reichsdeutschen größer gewesen wären als die des Schweizers.
Aber das will ich behaupten, daß, wenn sie es auch gewesen wären, die
Regierung den Reichsdeutschen doch nicht angestellt hätte. Denn die öffentliche
Meinung hatte schon vor den Bewerbungen, sofort beim Freiwerden der Stelle
„Vorpfahl geschlagen", indem sie, in Gestalt einer Ärztegesellschaft, den Beschluß
gefaßt und in die Öffentlichkeit gebracht hatte, die Stelle dürfe nur mit
einem Schweizer besetzt werden. Wenn die Herren eine schweizerische
„Nation" erstreben, dann haben sie vollkommen sachgemäß gehandelt. Wenn
wir Reichsdeutsche die Deutschschweizer bei unserem Volke festhalten wollen,
dann müssen wir bei ähnlichen Gelegenheiten gerade umgekehrt verfahren.
Alle durch Fähigkeiten und Leistungen hervorragenden Deutschschweizer sollten
nur „entdecken" und nach Deutschland berufen, selbst auf die Gefahr hin, daß
sich einmal ein Reichsdeutscher gekränkt und übergangen fühlte und gezwungen
wäre, um in der deutschen Schweiz einen Wirkungskreis zu suchen.

Leider scheint man bei uus neuerdings nicht mehr in diesen: Sinne zu
verfahren, sondern im Gegenteil den entstehenden Graben zwischen der Schweiz
und dem Reich noch vertiefen zu wollen. Noch zu meiner Studentenzeit durften
wir Reichsdeutschen auf den drei deutschen Hochschulen der Schweiz nach Belieben
studieren, d. h. bei den Prüfungen wurden die in Bern. Zürich oder Basel
zugebrachten Halbjahre uus ebenso angerechnet wie die im Reiche verbrachten;
das ist jetzt anders. Jetzt „darf ausnahmsweise" (!) die Studienzeit an
einer ausländischen Hochschule „ganz oder teilweise angerechnet werden". Früher
konnte ein Reichsdeutscher in der Schweiz die ärztliche Staatsprüfung machen
ans Grund einer reichsdeutschen Vorprüfung C?sntamen pu^sinum) und der
Reichsdeutschen Reifeprüfung. Jetzt ist das anders. Jetzt werden von den Schweizer
Behörden die im Reich abgelegten Prüfungen einfach als Luft behandelt. Als ich über
diese sachlich doch sicher recht unbegründete Neuerung einmal eine mißbilligende
Äußerung tat, erfuhr ich, daß diese Maßregel nur eine Wiedervergeltung von feiten
der Schweiz sei, daß das Reich mit dieser Art von Schutzzoll den Anfang
gemacht habe.

Die Hochschulen des Reiches sind vielfach überfüllt. Um den Landeskindern
uicht durch 'Ausländer die Plätze wegnehmen zu lassen, ist mancherorts die
Einrichtung getroffen worden, daß der Ausländer erst einige Wochen nach
Beginn der Vorlesungen belegen darf, was an Platz noch übrig ist. Die
Maßregel ist durchaus vernünftig. Nur sollte sie dahin abgeändert werden,
daß Deutschschweizer (und selbswerständlich Deutschösterreicher auch) wie Inländer
»u behandeln seien, und zwar ganz gleichgültig, ob die Schweiz Gegenrecht übt
"der nicht. Gewiß, eine solche Bestimmung würde dem in Rechtsgelahrtheit


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[0517] Deutschtum und Schweiz Bewerber. Die beratende Behörde suchte die zwei geeignetsten heraus und nannte sie der Regierung; der eine war Schweizer, der andere ein seit fünfzehn Jahren in der Schweiz ansässiger Reichsdeutscher. Die Wahl der Regierung fiel auf den Schweizer. Nun will ich nicht einmal behaupten, daß die wissenschaftlichen Verdienste des Reichsdeutschen größer gewesen wären als die des Schweizers. Aber das will ich behaupten, daß, wenn sie es auch gewesen wären, die Regierung den Reichsdeutschen doch nicht angestellt hätte. Denn die öffentliche Meinung hatte schon vor den Bewerbungen, sofort beim Freiwerden der Stelle „Vorpfahl geschlagen", indem sie, in Gestalt einer Ärztegesellschaft, den Beschluß gefaßt und in die Öffentlichkeit gebracht hatte, die Stelle dürfe nur mit einem Schweizer besetzt werden. Wenn die Herren eine schweizerische „Nation" erstreben, dann haben sie vollkommen sachgemäß gehandelt. Wenn wir Reichsdeutsche die Deutschschweizer bei unserem Volke festhalten wollen, dann müssen wir bei ähnlichen Gelegenheiten gerade umgekehrt verfahren. Alle durch Fähigkeiten und Leistungen hervorragenden Deutschschweizer sollten nur „entdecken" und nach Deutschland berufen, selbst auf die Gefahr hin, daß sich einmal ein Reichsdeutscher gekränkt und übergangen fühlte und gezwungen wäre, um in der deutschen Schweiz einen Wirkungskreis zu suchen. Leider scheint man bei uus neuerdings nicht mehr in diesen: Sinne zu verfahren, sondern im Gegenteil den entstehenden Graben zwischen der Schweiz und dem Reich noch vertiefen zu wollen. Noch zu meiner Studentenzeit durften wir Reichsdeutschen auf den drei deutschen Hochschulen der Schweiz nach Belieben studieren, d. h. bei den Prüfungen wurden die in Bern. Zürich oder Basel zugebrachten Halbjahre uus ebenso angerechnet wie die im Reiche verbrachten; das ist jetzt anders. Jetzt „darf ausnahmsweise" (!) die Studienzeit an einer ausländischen Hochschule „ganz oder teilweise angerechnet werden". Früher konnte ein Reichsdeutscher in der Schweiz die ärztliche Staatsprüfung machen ans Grund einer reichsdeutschen Vorprüfung C?sntamen pu^sinum) und der Reichsdeutschen Reifeprüfung. Jetzt ist das anders. Jetzt werden von den Schweizer Behörden die im Reich abgelegten Prüfungen einfach als Luft behandelt. Als ich über diese sachlich doch sicher recht unbegründete Neuerung einmal eine mißbilligende Äußerung tat, erfuhr ich, daß diese Maßregel nur eine Wiedervergeltung von feiten der Schweiz sei, daß das Reich mit dieser Art von Schutzzoll den Anfang gemacht habe. Die Hochschulen des Reiches sind vielfach überfüllt. Um den Landeskindern uicht durch 'Ausländer die Plätze wegnehmen zu lassen, ist mancherorts die Einrichtung getroffen worden, daß der Ausländer erst einige Wochen nach Beginn der Vorlesungen belegen darf, was an Platz noch übrig ist. Die Maßregel ist durchaus vernünftig. Nur sollte sie dahin abgeändert werden, daß Deutschschweizer (und selbswerständlich Deutschösterreicher auch) wie Inländer »u behandeln seien, und zwar ganz gleichgültig, ob die Schweiz Gegenrecht übt "der nicht. Gewiß, eine solche Bestimmung würde dem in Rechtsgelahrtheit Gronzvoten l 1910 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/517>, abgerufen am 04.07.2024.