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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Berliner Salonleben

Vorkämpfern: der Frauenbewegung. Die vier Töchter von Hedwig Dohm waren
damals gerade herangewachsen, jede in Erscheinung, Denkweise und Charakter
gleich interessant und doch von Grund aus verschieden.

Diese Montage bildeten eine gesellschaftliche Verbindung zwischen dem
alten und dem neuen Berlin, den Zeiten des "tollen Jahres", aus denen
der "Kladderadatsch" hervorgegangen war, und der modernen Weltstadt. Alt
und jung betrat das Haus in der Potsdamer Straße nahe der Brücke, das
schon längst einem Reuben gewichen ist, in erwartungsvoller und gehobener
Stimmung. Die Treppen ächzten unter den Füßen, wenn man die drei Stock¬
werke zu der Wohnung emporstieg, die wahrlich nichts Überflüssiges oder
Luxuriöses enthielt und durch die Zimmer eines befreundeten Nachbarn für
diese Empfangsabende erweitert wurde. Die Kleiderablage war so beschränkt,
daß sich die Überzieher der Herren an den Wandhäken zu riesigen Ballen auf¬
bauschten, unter denen es manchmal nicht leicht war beim Nachhausegehen sein
Eigentum herauszusuchen. Die Zahl der Besucher erreichte gelegentlich eine
solche Höhe, daß einige von ihnen im Vorzimmer wie eingekeilt standen. Die
Korridortür ließ sich dann nur schwer nach innen öffnen und man mußte vor¬
sichtig sein, um den Drücker einer europäischen Berühmtheit, die in diesen
Engpaß geraten war und weder vorwärts noch rückwärts konnte, nicht in den
Rücken zu stoßen.

In diesem Hause verschwanden alle Unterschiede des Standes und Besitzes,
des Alters und der Jugend, der geistigen Bedeutung und der natürlichen Vor¬
züge von Schönheit und Anmut vor der "Sitten Freundlichkeit", die im
beständigen Wechsel von interessanten Persönlichkeiten die Räume an frostigen
Winterabenden in geradezu einziger Weise erwärmte. Es blieb allen ein
Rätsel, wie in dieses fortwährende Gewirr und Gewühl um die neunte Stunde
plötzlich Ordnung und Ruhe hineinkämen. Die Gäste, die sich solange stehend
unterhalten hatten, fanden an kleinen schnell hereingetragenen Tischen Platz,
bedienten die Damen, und während die Teller klapperten und die Gläser klirrten,
entwickelte sich in der ungezwungensten und angenehmsten Stimmung eine Unter¬
haltung, die keinen Augenblick stockte oder schwerfällig wurde, sondern wie auf
der Wand einer Kinematographenbühne immer neue Bilder schnell vorüber¬
ziehen ließ. An diesen Dohmschen Montagen feierten Geist und Schönheit
wirkliche Triumphe. Die Gäste bewegten sich im Gefühl völliger Freiheit und
Unabhängigkeit. Niemand dachte daran, Einfluß oder Förderung durch diese
Besuche in Anspruch zu nehmen. Man erschien in diesen schlicht bürgerlichen
Räumen, weil man sich von dem Austausch der Meinungen und der Begegnung
mit interessanten Menschen mit Recht eine Fülle geistiger Anregung versprach.

Diesem Beispiel folgten andere Schriftsteller, die sich damals auf der
Höhe ihres Schaffens und ihrer Erfolge befanden. Friedrich Spielhagen zeigte
sich auch an seinen Gesellschaftsabenden als der schneidige Kavalier, Freund
des Komforts und der interessanten Gesellschaft, der aus seinen Romanen zu


Berliner Salonleben

Vorkämpfern: der Frauenbewegung. Die vier Töchter von Hedwig Dohm waren
damals gerade herangewachsen, jede in Erscheinung, Denkweise und Charakter
gleich interessant und doch von Grund aus verschieden.

Diese Montage bildeten eine gesellschaftliche Verbindung zwischen dem
alten und dem neuen Berlin, den Zeiten des „tollen Jahres", aus denen
der „Kladderadatsch" hervorgegangen war, und der modernen Weltstadt. Alt
und jung betrat das Haus in der Potsdamer Straße nahe der Brücke, das
schon längst einem Reuben gewichen ist, in erwartungsvoller und gehobener
Stimmung. Die Treppen ächzten unter den Füßen, wenn man die drei Stock¬
werke zu der Wohnung emporstieg, die wahrlich nichts Überflüssiges oder
Luxuriöses enthielt und durch die Zimmer eines befreundeten Nachbarn für
diese Empfangsabende erweitert wurde. Die Kleiderablage war so beschränkt,
daß sich die Überzieher der Herren an den Wandhäken zu riesigen Ballen auf¬
bauschten, unter denen es manchmal nicht leicht war beim Nachhausegehen sein
Eigentum herauszusuchen. Die Zahl der Besucher erreichte gelegentlich eine
solche Höhe, daß einige von ihnen im Vorzimmer wie eingekeilt standen. Die
Korridortür ließ sich dann nur schwer nach innen öffnen und man mußte vor¬
sichtig sein, um den Drücker einer europäischen Berühmtheit, die in diesen
Engpaß geraten war und weder vorwärts noch rückwärts konnte, nicht in den
Rücken zu stoßen.

In diesem Hause verschwanden alle Unterschiede des Standes und Besitzes,
des Alters und der Jugend, der geistigen Bedeutung und der natürlichen Vor¬
züge von Schönheit und Anmut vor der „Sitten Freundlichkeit", die im
beständigen Wechsel von interessanten Persönlichkeiten die Räume an frostigen
Winterabenden in geradezu einziger Weise erwärmte. Es blieb allen ein
Rätsel, wie in dieses fortwährende Gewirr und Gewühl um die neunte Stunde
plötzlich Ordnung und Ruhe hineinkämen. Die Gäste, die sich solange stehend
unterhalten hatten, fanden an kleinen schnell hereingetragenen Tischen Platz,
bedienten die Damen, und während die Teller klapperten und die Gläser klirrten,
entwickelte sich in der ungezwungensten und angenehmsten Stimmung eine Unter¬
haltung, die keinen Augenblick stockte oder schwerfällig wurde, sondern wie auf
der Wand einer Kinematographenbühne immer neue Bilder schnell vorüber¬
ziehen ließ. An diesen Dohmschen Montagen feierten Geist und Schönheit
wirkliche Triumphe. Die Gäste bewegten sich im Gefühl völliger Freiheit und
Unabhängigkeit. Niemand dachte daran, Einfluß oder Förderung durch diese
Besuche in Anspruch zu nehmen. Man erschien in diesen schlicht bürgerlichen
Räumen, weil man sich von dem Austausch der Meinungen und der Begegnung
mit interessanten Menschen mit Recht eine Fülle geistiger Anregung versprach.

Diesem Beispiel folgten andere Schriftsteller, die sich damals auf der
Höhe ihres Schaffens und ihrer Erfolge befanden. Friedrich Spielhagen zeigte
sich auch an seinen Gesellschaftsabenden als der schneidige Kavalier, Freund
des Komforts und der interessanten Gesellschaft, der aus seinen Romanen zu


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[0476] Berliner Salonleben Vorkämpfern: der Frauenbewegung. Die vier Töchter von Hedwig Dohm waren damals gerade herangewachsen, jede in Erscheinung, Denkweise und Charakter gleich interessant und doch von Grund aus verschieden. Diese Montage bildeten eine gesellschaftliche Verbindung zwischen dem alten und dem neuen Berlin, den Zeiten des „tollen Jahres", aus denen der „Kladderadatsch" hervorgegangen war, und der modernen Weltstadt. Alt und jung betrat das Haus in der Potsdamer Straße nahe der Brücke, das schon längst einem Reuben gewichen ist, in erwartungsvoller und gehobener Stimmung. Die Treppen ächzten unter den Füßen, wenn man die drei Stock¬ werke zu der Wohnung emporstieg, die wahrlich nichts Überflüssiges oder Luxuriöses enthielt und durch die Zimmer eines befreundeten Nachbarn für diese Empfangsabende erweitert wurde. Die Kleiderablage war so beschränkt, daß sich die Überzieher der Herren an den Wandhäken zu riesigen Ballen auf¬ bauschten, unter denen es manchmal nicht leicht war beim Nachhausegehen sein Eigentum herauszusuchen. Die Zahl der Besucher erreichte gelegentlich eine solche Höhe, daß einige von ihnen im Vorzimmer wie eingekeilt standen. Die Korridortür ließ sich dann nur schwer nach innen öffnen und man mußte vor¬ sichtig sein, um den Drücker einer europäischen Berühmtheit, die in diesen Engpaß geraten war und weder vorwärts noch rückwärts konnte, nicht in den Rücken zu stoßen. In diesem Hause verschwanden alle Unterschiede des Standes und Besitzes, des Alters und der Jugend, der geistigen Bedeutung und der natürlichen Vor¬ züge von Schönheit und Anmut vor der „Sitten Freundlichkeit", die im beständigen Wechsel von interessanten Persönlichkeiten die Räume an frostigen Winterabenden in geradezu einziger Weise erwärmte. Es blieb allen ein Rätsel, wie in dieses fortwährende Gewirr und Gewühl um die neunte Stunde plötzlich Ordnung und Ruhe hineinkämen. Die Gäste, die sich solange stehend unterhalten hatten, fanden an kleinen schnell hereingetragenen Tischen Platz, bedienten die Damen, und während die Teller klapperten und die Gläser klirrten, entwickelte sich in der ungezwungensten und angenehmsten Stimmung eine Unter¬ haltung, die keinen Augenblick stockte oder schwerfällig wurde, sondern wie auf der Wand einer Kinematographenbühne immer neue Bilder schnell vorüber¬ ziehen ließ. An diesen Dohmschen Montagen feierten Geist und Schönheit wirkliche Triumphe. Die Gäste bewegten sich im Gefühl völliger Freiheit und Unabhängigkeit. Niemand dachte daran, Einfluß oder Förderung durch diese Besuche in Anspruch zu nehmen. Man erschien in diesen schlicht bürgerlichen Räumen, weil man sich von dem Austausch der Meinungen und der Begegnung mit interessanten Menschen mit Recht eine Fülle geistiger Anregung versprach. Diesem Beispiel folgten andere Schriftsteller, die sich damals auf der Höhe ihres Schaffens und ihrer Erfolge befanden. Friedrich Spielhagen zeigte sich auch an seinen Gesellschaftsabenden als der schneidige Kavalier, Freund des Komforts und der interessanten Gesellschaft, der aus seinen Romanen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/476>, abgerufen am 24.07.2024.