Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.Berliner Salonleben fluß der Gründerjahre und der wieder erwachende Sinn für das Kunstgewerbe Diese neue Art der Geselligkeit fand in der zweiten Hälfte der siebziger Berliner Salonleben fluß der Gründerjahre und der wieder erwachende Sinn für das Kunstgewerbe Diese neue Art der Geselligkeit fand in der zweiten Hälfte der siebziger <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0475" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315472"/> <fw type="header" place="top"> Berliner Salonleben</fw><lb/> <p xml:id="ID_2032" prev="#ID_2031"> fluß der Gründerjahre und der wieder erwachende Sinn für das Kunstgewerbe<lb/> erzeugten und befriedigten Bedürfnisse, an die man früher nicht gedacht hatte<lb/> und die auch den freundschaftlichen Verkehr im Salon umgestalteten. Man<lb/> wurde beweglicher bei der Berührung der einzelnen Stände und Berufsklassen,<lb/> empfänglicher für neue Eindrücke, die überall auftauchten, und vertrauensvoller<lb/> in der Art, wie man Gastfreundschaft übte. An gewissen Tagen begannen die<lb/> Wohnungen einflußreicher Persönlichkeiten einem weitgezogenen Kreis von<lb/> Freunden ohne weiteres offen zu stehen. Das Bild der Geselligkeit veränderte<lb/> sich vou Grund aus, durch die Beziehungen, die der freie Künstler- und<lb/> Schriftstellerstand unterhielt und nach allen Richtungen ausstrahlen ließ. Alexander<lb/> Freiherr von Sternberg tauchte als glänzende Erscheinung in den Berliner<lb/> Salons auf, um in ihnen Studien für seine Romane zu machen, in denen er<lb/> das Leben vornehmer Häuser mit den Zeitfragen so lebendig und geistreich zu<lb/> verbinden wußte. Karl Gutzkow schuf in dem „Nebeneinander" seiner „Ritter<lb/> vom Geist" ein kaum noch übersehbares Kulturgemälde mit Berlins und Preußens<lb/> aufsteigenden öffentlichen Leben im Hintergrunde. An der Ecke der Taubeu-<lb/> und Charlotten-Straße hatte der wundersamste aller Berliner Erzähler, E. T. A.<lb/> Hoffmann, gewohnt und von hier den Weg zur Weinstube von Lutter und<lb/> Wegner gefunden, wo sein Freund, der geniale Schauspieler Ludwig Devrient,<lb/> auf ihn wartete. In den beiden „Lesekonditoreien" von Spargnapani, Unter<lb/> den Linden, wo später das Dresselsche Restaurant eröffnet wurde, und Stehely<lb/> dessen Spur in der Charlotten-Straße, gegenüber dem Schauspielhause, ganz<lb/> verwischt ist, saßen die Schriftsteller und Gelehrten, die Politiker und Journalisten<lb/> über ihren Zeitungen. Sie sammelten den Stoff der öffentlichen Meinung, der<lb/> im Verkehr mit Frauen ausgefeilt und geschliffen wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_2033" next="#ID_2034"> Diese neue Art der Geselligkeit fand in der zweiten Hälfte der siebziger<lb/> Jahre einen charakteristischen Ausdruck in den Montagsabenden bei Ernst Dohm,<lb/> die sich während der Monate Januar und Februar einer besonderen Beliebtheit<lb/> und Berühmtheit erfreuten. Der Herausgeber des „Kladderadatsch" hatte es mit<lb/> der Überlegenheit seines Geistes und der Schärfe feines Witzes verstanden,<lb/> seinein Blatt als satirischer Spiegelung von Politik und Gesellschaft eine<lb/> Bedeutung zu sichern, die von keiner anderen Zeitschrift dieser Art erreicht<lb/> oder gar übertroffen wurde. Wie man jede Nummer mit dem verschmitzt<lb/> lachenden Gesicht auf dem Titel in der Erwartung eines wirkungsvollen<lb/> „Schlagers" in die Hand nahm, so übte auch die Persönlichkeit Dohms mit<lb/> der eigentümlichen Mischung von Verbindlichkeit und Ironie, Würde und<lb/> Ungezwungenheit auf seine Umgebung eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus.<lb/> Seine Frau erschien mit ihren dunkeln, träumerischen Augen -in den: schmalen<lb/> blassen Gesicht, der bescheidenen altmodischen Weise, sich zu kleiden, der milden<lb/> ruhigen Art, sich in Sprache und Benehmen zu geben, wie eine Märchen¬<lb/> erzählerin aus längst verflossener Zeit. Mit einen, Lustspiel eroberte sie sich<lb/> damals das Berliner Schauspielhaus und wurde eine glänzende, spottlustige</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0475]
Berliner Salonleben
fluß der Gründerjahre und der wieder erwachende Sinn für das Kunstgewerbe
erzeugten und befriedigten Bedürfnisse, an die man früher nicht gedacht hatte
und die auch den freundschaftlichen Verkehr im Salon umgestalteten. Man
wurde beweglicher bei der Berührung der einzelnen Stände und Berufsklassen,
empfänglicher für neue Eindrücke, die überall auftauchten, und vertrauensvoller
in der Art, wie man Gastfreundschaft übte. An gewissen Tagen begannen die
Wohnungen einflußreicher Persönlichkeiten einem weitgezogenen Kreis von
Freunden ohne weiteres offen zu stehen. Das Bild der Geselligkeit veränderte
sich vou Grund aus, durch die Beziehungen, die der freie Künstler- und
Schriftstellerstand unterhielt und nach allen Richtungen ausstrahlen ließ. Alexander
Freiherr von Sternberg tauchte als glänzende Erscheinung in den Berliner
Salons auf, um in ihnen Studien für seine Romane zu machen, in denen er
das Leben vornehmer Häuser mit den Zeitfragen so lebendig und geistreich zu
verbinden wußte. Karl Gutzkow schuf in dem „Nebeneinander" seiner „Ritter
vom Geist" ein kaum noch übersehbares Kulturgemälde mit Berlins und Preußens
aufsteigenden öffentlichen Leben im Hintergrunde. An der Ecke der Taubeu-
und Charlotten-Straße hatte der wundersamste aller Berliner Erzähler, E. T. A.
Hoffmann, gewohnt und von hier den Weg zur Weinstube von Lutter und
Wegner gefunden, wo sein Freund, der geniale Schauspieler Ludwig Devrient,
auf ihn wartete. In den beiden „Lesekonditoreien" von Spargnapani, Unter
den Linden, wo später das Dresselsche Restaurant eröffnet wurde, und Stehely
dessen Spur in der Charlotten-Straße, gegenüber dem Schauspielhause, ganz
verwischt ist, saßen die Schriftsteller und Gelehrten, die Politiker und Journalisten
über ihren Zeitungen. Sie sammelten den Stoff der öffentlichen Meinung, der
im Verkehr mit Frauen ausgefeilt und geschliffen wurde.
Diese neue Art der Geselligkeit fand in der zweiten Hälfte der siebziger
Jahre einen charakteristischen Ausdruck in den Montagsabenden bei Ernst Dohm,
die sich während der Monate Januar und Februar einer besonderen Beliebtheit
und Berühmtheit erfreuten. Der Herausgeber des „Kladderadatsch" hatte es mit
der Überlegenheit seines Geistes und der Schärfe feines Witzes verstanden,
seinein Blatt als satirischer Spiegelung von Politik und Gesellschaft eine
Bedeutung zu sichern, die von keiner anderen Zeitschrift dieser Art erreicht
oder gar übertroffen wurde. Wie man jede Nummer mit dem verschmitzt
lachenden Gesicht auf dem Titel in der Erwartung eines wirkungsvollen
„Schlagers" in die Hand nahm, so übte auch die Persönlichkeit Dohms mit
der eigentümlichen Mischung von Verbindlichkeit und Ironie, Würde und
Ungezwungenheit auf seine Umgebung eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus.
Seine Frau erschien mit ihren dunkeln, träumerischen Augen -in den: schmalen
blassen Gesicht, der bescheidenen altmodischen Weise, sich zu kleiden, der milden
ruhigen Art, sich in Sprache und Benehmen zu geben, wie eine Märchen¬
erzählerin aus längst verflossener Zeit. Mit einen, Lustspiel eroberte sie sich
damals das Berliner Schauspielhaus und wurde eine glänzende, spottlustige
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