Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Berliner Salonleben

"Struensee" und der Älteste und Berühmteste, Meyerbeer, Generalmusikdirektor
der Berliner Oper, der von seiner Wohnung an: Pariser Platz aus die Fäden
seiner Erfolge über die ganze gebildete Welt spann. Dieser starkgeistige Hauch
behauptete sich später in verschiedenen Berliner Häusern wie in dem von
Franz Duncker in der Potsdamer Straße, wo so mancher Gelehrte, Bildhauer,
Maler und Schriftsteller an den Donnerstagen ein gern begrüßter Gast war.
Zu den Männern, die Frau Lina zu fesseln wußte, gehörte auch die Auf¬
sehen erregende Erscheinung Ferdinand Lassalles, der als Volkstribun die Welt
auf eine neue wirtschaftliche Grundlage stellen, zugleich als Gelehrter und
Dichter glänzen und dabei das Leben eines abenteuernden Genußmenschen
führen wollte. Der Vorkämpfer für die allgemeine Volksbeglückung, der dem
Dunckerschen Hause schröggegenüber, Ecke Eichhornstraße, wohnte, ahnte bei seinen
üppigen Diners und geistigen Orgien damals gewiß nicht, daß er in einen
romantischen Liebeshandel verwickelt werden und im Duell einen Tod finden sollte,
der ganz außerhalb seiner sozialistischen Kämpfe und Träume stand. Die alte
Genügsamkeit des Berliner Salons mit dem dünnen Tee, den schmalen Brötchen,
der traulichen Ollampenstimmung, dem zugeknöpften Geheimratstum hatte schon
viel reichlicheren Ansprüchen an Küche und Keller, geschmackvoll eingerichteten
Wohnungen und Persönlichkeiten Platz gemacht, die ihren Wert auch äußerlich
betonten und an der Mode nicht mehr achtlos vorübergingen.

Seit dem gewaltigen Einheitskriege begann Berlin immer mehr Sammel-
und Mittelpunkt sür das geistige Leben von ganz Deutschland zu werden.
Entscheidend war vor allem das amerikanische Tempo in der Zunahme der
Bevölkerung. Als das sechzehnte Jahrhundert zur Neige ging, umfaßten Berlin
und Cölln mir Wasser ganze zwölftausend Einwohner. Diese Zahl war während
des entsetzlichen Krieges, der Deutschland zerrüttete und eine ganze Generation
in Roheit und Barbarei heranwachsen ließ, auf etwas über sechstausend Seelen
zusammengeschmolzen, als der Große Kurfürst die Regierung antrat. Unter
feinem Zepter vermehrte sich die Anzahl der Seelen um das Dreifache. Der
Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. erlebte ein Wachstum der Bevölkerung
von 60000 auf 90000 Menschen, und als Friedrich der Große 1786 starb,
war sie bei 145000 angelangt. Beim Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV.
verzeichnete man bereits 330000 und als König Wilhelm die Herrschaft über¬
nahm, stand fast eine halbe Million Menschen am Ufer der Spree auf den
Beinen. 1877 hatte Berlin die erste Million erreicht und begann dabei den
Vergleich mit Paris und London herauszufordern. Aus einer Militär- und
Beamtenstadt war ein stolzer Wuchs von Handel und Industrie, von Kunst
und Wissenschaft, von Literatur und öffentlicher Meinung erblüht. Die Aussicht
auf Erwerb und Besitz, die Steigerung des Verkehrslebens machten in den
Provinzen eine Menge Kräfte frei, denen die werdende Weltstadt mit goldenen
Träumen winkte. Die Vertiefung von Bildung und Geschmack führte zu einer
erfreulichen Verfeinerung der Sitten und Gewohnheiten. Der gefährliche Über-


Berliner Salonleben

„Struensee" und der Älteste und Berühmteste, Meyerbeer, Generalmusikdirektor
der Berliner Oper, der von seiner Wohnung an: Pariser Platz aus die Fäden
seiner Erfolge über die ganze gebildete Welt spann. Dieser starkgeistige Hauch
behauptete sich später in verschiedenen Berliner Häusern wie in dem von
Franz Duncker in der Potsdamer Straße, wo so mancher Gelehrte, Bildhauer,
Maler und Schriftsteller an den Donnerstagen ein gern begrüßter Gast war.
Zu den Männern, die Frau Lina zu fesseln wußte, gehörte auch die Auf¬
sehen erregende Erscheinung Ferdinand Lassalles, der als Volkstribun die Welt
auf eine neue wirtschaftliche Grundlage stellen, zugleich als Gelehrter und
Dichter glänzen und dabei das Leben eines abenteuernden Genußmenschen
führen wollte. Der Vorkämpfer für die allgemeine Volksbeglückung, der dem
Dunckerschen Hause schröggegenüber, Ecke Eichhornstraße, wohnte, ahnte bei seinen
üppigen Diners und geistigen Orgien damals gewiß nicht, daß er in einen
romantischen Liebeshandel verwickelt werden und im Duell einen Tod finden sollte,
der ganz außerhalb seiner sozialistischen Kämpfe und Träume stand. Die alte
Genügsamkeit des Berliner Salons mit dem dünnen Tee, den schmalen Brötchen,
der traulichen Ollampenstimmung, dem zugeknöpften Geheimratstum hatte schon
viel reichlicheren Ansprüchen an Küche und Keller, geschmackvoll eingerichteten
Wohnungen und Persönlichkeiten Platz gemacht, die ihren Wert auch äußerlich
betonten und an der Mode nicht mehr achtlos vorübergingen.

Seit dem gewaltigen Einheitskriege begann Berlin immer mehr Sammel-
und Mittelpunkt sür das geistige Leben von ganz Deutschland zu werden.
Entscheidend war vor allem das amerikanische Tempo in der Zunahme der
Bevölkerung. Als das sechzehnte Jahrhundert zur Neige ging, umfaßten Berlin
und Cölln mir Wasser ganze zwölftausend Einwohner. Diese Zahl war während
des entsetzlichen Krieges, der Deutschland zerrüttete und eine ganze Generation
in Roheit und Barbarei heranwachsen ließ, auf etwas über sechstausend Seelen
zusammengeschmolzen, als der Große Kurfürst die Regierung antrat. Unter
feinem Zepter vermehrte sich die Anzahl der Seelen um das Dreifache. Der
Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. erlebte ein Wachstum der Bevölkerung
von 60000 auf 90000 Menschen, und als Friedrich der Große 1786 starb,
war sie bei 145000 angelangt. Beim Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV.
verzeichnete man bereits 330000 und als König Wilhelm die Herrschaft über¬
nahm, stand fast eine halbe Million Menschen am Ufer der Spree auf den
Beinen. 1877 hatte Berlin die erste Million erreicht und begann dabei den
Vergleich mit Paris und London herauszufordern. Aus einer Militär- und
Beamtenstadt war ein stolzer Wuchs von Handel und Industrie, von Kunst
und Wissenschaft, von Literatur und öffentlicher Meinung erblüht. Die Aussicht
auf Erwerb und Besitz, die Steigerung des Verkehrslebens machten in den
Provinzen eine Menge Kräfte frei, denen die werdende Weltstadt mit goldenen
Träumen winkte. Die Vertiefung von Bildung und Geschmack führte zu einer
erfreulichen Verfeinerung der Sitten und Gewohnheiten. Der gefährliche Über-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0474" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315471"/>
          <fw type="header" place="top"> Berliner Salonleben</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2030" prev="#ID_2029"> &#x201E;Struensee" und der Älteste und Berühmteste, Meyerbeer, Generalmusikdirektor<lb/>
der Berliner Oper, der von seiner Wohnung an: Pariser Platz aus die Fäden<lb/>
seiner Erfolge über die ganze gebildete Welt spann. Dieser starkgeistige Hauch<lb/>
behauptete sich später in verschiedenen Berliner Häusern wie in dem von<lb/>
Franz Duncker in der Potsdamer Straße, wo so mancher Gelehrte, Bildhauer,<lb/>
Maler und Schriftsteller an den Donnerstagen ein gern begrüßter Gast war.<lb/>
Zu den Männern, die Frau Lina zu fesseln wußte, gehörte auch die Auf¬<lb/>
sehen erregende Erscheinung Ferdinand Lassalles, der als Volkstribun die Welt<lb/>
auf eine neue wirtschaftliche Grundlage stellen, zugleich als Gelehrter und<lb/>
Dichter glänzen und dabei das Leben eines abenteuernden Genußmenschen<lb/>
führen wollte. Der Vorkämpfer für die allgemeine Volksbeglückung, der dem<lb/>
Dunckerschen Hause schröggegenüber, Ecke Eichhornstraße, wohnte, ahnte bei seinen<lb/>
üppigen Diners und geistigen Orgien damals gewiß nicht, daß er in einen<lb/>
romantischen Liebeshandel verwickelt werden und im Duell einen Tod finden sollte,<lb/>
der ganz außerhalb seiner sozialistischen Kämpfe und Träume stand. Die alte<lb/>
Genügsamkeit des Berliner Salons mit dem dünnen Tee, den schmalen Brötchen,<lb/>
der traulichen Ollampenstimmung, dem zugeknöpften Geheimratstum hatte schon<lb/>
viel reichlicheren Ansprüchen an Küche und Keller, geschmackvoll eingerichteten<lb/>
Wohnungen und Persönlichkeiten Platz gemacht, die ihren Wert auch äußerlich<lb/>
betonten und an der Mode nicht mehr achtlos vorübergingen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2031" next="#ID_2032"> Seit dem gewaltigen Einheitskriege begann Berlin immer mehr Sammel-<lb/>
und Mittelpunkt sür das geistige Leben von ganz Deutschland zu werden.<lb/>
Entscheidend war vor allem das amerikanische Tempo in der Zunahme der<lb/>
Bevölkerung. Als das sechzehnte Jahrhundert zur Neige ging, umfaßten Berlin<lb/>
und Cölln mir Wasser ganze zwölftausend Einwohner. Diese Zahl war während<lb/>
des entsetzlichen Krieges, der Deutschland zerrüttete und eine ganze Generation<lb/>
in Roheit und Barbarei heranwachsen ließ, auf etwas über sechstausend Seelen<lb/>
zusammengeschmolzen, als der Große Kurfürst die Regierung antrat. Unter<lb/>
feinem Zepter vermehrte sich die Anzahl der Seelen um das Dreifache. Der<lb/>
Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. erlebte ein Wachstum der Bevölkerung<lb/>
von 60000 auf 90000 Menschen, und als Friedrich der Große 1786 starb,<lb/>
war sie bei 145000 angelangt. Beim Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV.<lb/>
verzeichnete man bereits 330000 und als König Wilhelm die Herrschaft über¬<lb/>
nahm, stand fast eine halbe Million Menschen am Ufer der Spree auf den<lb/>
Beinen. 1877 hatte Berlin die erste Million erreicht und begann dabei den<lb/>
Vergleich mit Paris und London herauszufordern. Aus einer Militär- und<lb/>
Beamtenstadt war ein stolzer Wuchs von Handel und Industrie, von Kunst<lb/>
und Wissenschaft, von Literatur und öffentlicher Meinung erblüht. Die Aussicht<lb/>
auf Erwerb und Besitz, die Steigerung des Verkehrslebens machten in den<lb/>
Provinzen eine Menge Kräfte frei, denen die werdende Weltstadt mit goldenen<lb/>
Träumen winkte. Die Vertiefung von Bildung und Geschmack führte zu einer<lb/>
erfreulichen Verfeinerung der Sitten und Gewohnheiten.  Der gefährliche Über-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0474] Berliner Salonleben „Struensee" und der Älteste und Berühmteste, Meyerbeer, Generalmusikdirektor der Berliner Oper, der von seiner Wohnung an: Pariser Platz aus die Fäden seiner Erfolge über die ganze gebildete Welt spann. Dieser starkgeistige Hauch behauptete sich später in verschiedenen Berliner Häusern wie in dem von Franz Duncker in der Potsdamer Straße, wo so mancher Gelehrte, Bildhauer, Maler und Schriftsteller an den Donnerstagen ein gern begrüßter Gast war. Zu den Männern, die Frau Lina zu fesseln wußte, gehörte auch die Auf¬ sehen erregende Erscheinung Ferdinand Lassalles, der als Volkstribun die Welt auf eine neue wirtschaftliche Grundlage stellen, zugleich als Gelehrter und Dichter glänzen und dabei das Leben eines abenteuernden Genußmenschen führen wollte. Der Vorkämpfer für die allgemeine Volksbeglückung, der dem Dunckerschen Hause schröggegenüber, Ecke Eichhornstraße, wohnte, ahnte bei seinen üppigen Diners und geistigen Orgien damals gewiß nicht, daß er in einen romantischen Liebeshandel verwickelt werden und im Duell einen Tod finden sollte, der ganz außerhalb seiner sozialistischen Kämpfe und Träume stand. Die alte Genügsamkeit des Berliner Salons mit dem dünnen Tee, den schmalen Brötchen, der traulichen Ollampenstimmung, dem zugeknöpften Geheimratstum hatte schon viel reichlicheren Ansprüchen an Küche und Keller, geschmackvoll eingerichteten Wohnungen und Persönlichkeiten Platz gemacht, die ihren Wert auch äußerlich betonten und an der Mode nicht mehr achtlos vorübergingen. Seit dem gewaltigen Einheitskriege begann Berlin immer mehr Sammel- und Mittelpunkt sür das geistige Leben von ganz Deutschland zu werden. Entscheidend war vor allem das amerikanische Tempo in der Zunahme der Bevölkerung. Als das sechzehnte Jahrhundert zur Neige ging, umfaßten Berlin und Cölln mir Wasser ganze zwölftausend Einwohner. Diese Zahl war während des entsetzlichen Krieges, der Deutschland zerrüttete und eine ganze Generation in Roheit und Barbarei heranwachsen ließ, auf etwas über sechstausend Seelen zusammengeschmolzen, als der Große Kurfürst die Regierung antrat. Unter feinem Zepter vermehrte sich die Anzahl der Seelen um das Dreifache. Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. erlebte ein Wachstum der Bevölkerung von 60000 auf 90000 Menschen, und als Friedrich der Große 1786 starb, war sie bei 145000 angelangt. Beim Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. verzeichnete man bereits 330000 und als König Wilhelm die Herrschaft über¬ nahm, stand fast eine halbe Million Menschen am Ufer der Spree auf den Beinen. 1877 hatte Berlin die erste Million erreicht und begann dabei den Vergleich mit Paris und London herauszufordern. Aus einer Militär- und Beamtenstadt war ein stolzer Wuchs von Handel und Industrie, von Kunst und Wissenschaft, von Literatur und öffentlicher Meinung erblüht. Die Aussicht auf Erwerb und Besitz, die Steigerung des Verkehrslebens machten in den Provinzen eine Menge Kräfte frei, denen die werdende Weltstadt mit goldenen Träumen winkte. Die Vertiefung von Bildung und Geschmack führte zu einer erfreulichen Verfeinerung der Sitten und Gewohnheiten. Der gefährliche Über-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/474
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/474>, abgerufen am 22.12.2024.