Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Genau die entsprechende Erscheinung finden Nur auf der linken Seite. Auch So scheint sich denn eine neue Schlachtordnung aus den Wirren des Jahres Wir halten das für eine einfache Täuschung. So leicht wird sich die erwähnte Maßgebliches und Unmaßgebliches Genau die entsprechende Erscheinung finden Nur auf der linken Seite. Auch So scheint sich denn eine neue Schlachtordnung aus den Wirren des Jahres Wir halten das für eine einfache Täuschung. So leicht wird sich die erwähnte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315044"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_115"> Genau die entsprechende Erscheinung finden Nur auf der linken Seite. Auch<lb/> hier hat der Einsturz des nationalen Turms und das Freiwerden der Partei¬<lb/> gesichtspunkte als des zunächst maßgebenden und beherrschenden Elements die<lb/> Neigung zum Fraternisieren mit der Sozialdemokratie gestärkt. Auch hier also die<lb/> Blindheit gegen den nationalen Charakter einer Partei, in der der politische<lb/> Radikalismus mit demselben Unrecht die Vertretung der legitimen Arbeiterinteressen<lb/> sucht, wie die Extremen auf der rechten Seite in dem Zentrum die politische<lb/> Vertretung der katholischen Kirche und der geistlichen und monarchischen Über¬<lb/> zeugungen der deutschen .Katholiken sehn. Auch unter den Liberalen hat es immer<lb/> Elemente gegeben, die sich zwar sehr dagegen verwahrten, Sozialdemokraten zu<lb/> sein, sich aber zu dieser Partei genau ebenso stellten, wie die Konservativen zum<lb/> Zentrum. Und ebenso wie wir rechts Politiker finden, die in den gelegentlichen<lb/> Oppositionsneigungen des Zentrums nur die Nachwehen des Kulturkampfs sehen<lb/> wollen, im übrigen aber überzeugt sind, daß das Zentrum sich immer mehr zur<lb/> nationalen Partei entwickeln und dann mit den Konservativen den „Glauben"<lb/> gegen den liberalen „Unglauben" verteidigen werde, so finden wir links die Politiker,<lb/> die unbeirrt an die nahe bevorstehende Mauserung der Sozialdemokratie glauben<lb/> und in dieser Hoffnung die Arbeiterbataillone im Geiste schon an ihrer Seite<lb/> gegen die „Reaktion" marschieren sehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_116"> So scheint sich denn eine neue Schlachtordnung aus den Wirren des Jahres<lb/> 1V09 gebildet zu haben. Die Rechte steht mit dein Zentrum zusammen, die Linke<lb/> mit der Sozialdemokratie. Und was diesen: Bilde noch einen besonders lockenden<lb/> Reiz gibt, das ist dabei die scheinbare Verwirklichung der Hoffnung, daß sich eine<lb/> reinliche Scheidung der Geister nach rechts und nach links vollzieht und wir dem<lb/> Ideal näherkommen, das in der Teilung in zwei große Parteilager gegeben ist.<lb/> Tatsächlich ist dies hier und da in der Presse als Frucht der politischen Begeben¬<lb/> heiten des jetzt vergangenen Jahres gepriesen worden.</p><lb/> <p xml:id="ID_117" next="#ID_118"> Wir halten das für eine einfache Täuschung. So leicht wird sich die erwähnte<lb/> Gruppierung nicht gestalten, weil der wahre Charakter des Zentrums und der<lb/> Sozialdemokratie dabei anßer Acht gelassen wird. Daß aber diese Anschauung<lb/> aufkommen konnte, ist uns ein Beweis, wie sehr die Entfesselung des Parteigeistes<lb/> über die nationalen Schranken hinaus in kurzer Zeit schon gewirkt hat. Die<lb/> Hoffnung, daß innerhalb der deutschkonservativen Partei eine stärkere Bewegung<lb/> entstehen würde, die imstande sein würde das Geschehene im richtigen Lichte zu sehen,<lb/> und, ohne Spaltung in die Partei zu tragen, ein Gegengewicht gegen die agrarische<lb/> Macht bilden sollte, hat sich nicht verwirklicht. Es wäre kleinlich und töricht, das ver¬<lb/> tuschen oder der konservativen Parteileitung die Anerkennung versagen zu wollen, daß<lb/> sie sich dieser innern Opposition mit Geschicklichkeit entledigt hat. Von dieser Seite ist<lb/> also tatsächlich nichts mehr zu hoffen. Hier ist das alte Verhältnis wiederher¬<lb/> gestellt, wie es vor 190« bestand. Bei den Linksliberalen ist wenigstens eine sicht¬<lb/> bare Frucht der Erfahrungen von 1909 geblieben, der Zusammenschluß der drei<lb/> alten Parteigruppen zur Deutschen Freisinnigen Volkspartei. Wie sich diese<lb/> Einigung bewähren wird, ist abzuwarten. Jedenfalls bildet sie einstweilen eine<lb/> kleine Entschädigung für die Wunden, die der Liberalismus aus dem Feldzuge<lb/> um die Reichsfinanzreform heimgetragen hat. Man darf aber diese Zusammen¬<lb/> schmelzung der drei kleinen Fraktionen in eine große nicht überschätzen. Die<lb/> Stellung der Linksliberalen bleibt nach wie vor schwierig. Als ihre Führer mit<lb/> dem einsichtigeren Teil ihrer Gefolgeschaft die Blockpolitik mitzumachen beschlossen,<lb/> hatten sie schon mit so starken innern Widerständen zu kämpfen, daß nur offen¬<lb/> kundige Beweise für die günstigen Wirkungen dieser Politik sie vor dieser innern</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Genau die entsprechende Erscheinung finden Nur auf der linken Seite. Auch
hier hat der Einsturz des nationalen Turms und das Freiwerden der Partei¬
gesichtspunkte als des zunächst maßgebenden und beherrschenden Elements die
Neigung zum Fraternisieren mit der Sozialdemokratie gestärkt. Auch hier also die
Blindheit gegen den nationalen Charakter einer Partei, in der der politische
Radikalismus mit demselben Unrecht die Vertretung der legitimen Arbeiterinteressen
sucht, wie die Extremen auf der rechten Seite in dem Zentrum die politische
Vertretung der katholischen Kirche und der geistlichen und monarchischen Über¬
zeugungen der deutschen .Katholiken sehn. Auch unter den Liberalen hat es immer
Elemente gegeben, die sich zwar sehr dagegen verwahrten, Sozialdemokraten zu
sein, sich aber zu dieser Partei genau ebenso stellten, wie die Konservativen zum
Zentrum. Und ebenso wie wir rechts Politiker finden, die in den gelegentlichen
Oppositionsneigungen des Zentrums nur die Nachwehen des Kulturkampfs sehen
wollen, im übrigen aber überzeugt sind, daß das Zentrum sich immer mehr zur
nationalen Partei entwickeln und dann mit den Konservativen den „Glauben"
gegen den liberalen „Unglauben" verteidigen werde, so finden wir links die Politiker,
die unbeirrt an die nahe bevorstehende Mauserung der Sozialdemokratie glauben
und in dieser Hoffnung die Arbeiterbataillone im Geiste schon an ihrer Seite
gegen die „Reaktion" marschieren sehen.
So scheint sich denn eine neue Schlachtordnung aus den Wirren des Jahres
1V09 gebildet zu haben. Die Rechte steht mit dein Zentrum zusammen, die Linke
mit der Sozialdemokratie. Und was diesen: Bilde noch einen besonders lockenden
Reiz gibt, das ist dabei die scheinbare Verwirklichung der Hoffnung, daß sich eine
reinliche Scheidung der Geister nach rechts und nach links vollzieht und wir dem
Ideal näherkommen, das in der Teilung in zwei große Parteilager gegeben ist.
Tatsächlich ist dies hier und da in der Presse als Frucht der politischen Begeben¬
heiten des jetzt vergangenen Jahres gepriesen worden.
Wir halten das für eine einfache Täuschung. So leicht wird sich die erwähnte
Gruppierung nicht gestalten, weil der wahre Charakter des Zentrums und der
Sozialdemokratie dabei anßer Acht gelassen wird. Daß aber diese Anschauung
aufkommen konnte, ist uns ein Beweis, wie sehr die Entfesselung des Parteigeistes
über die nationalen Schranken hinaus in kurzer Zeit schon gewirkt hat. Die
Hoffnung, daß innerhalb der deutschkonservativen Partei eine stärkere Bewegung
entstehen würde, die imstande sein würde das Geschehene im richtigen Lichte zu sehen,
und, ohne Spaltung in die Partei zu tragen, ein Gegengewicht gegen die agrarische
Macht bilden sollte, hat sich nicht verwirklicht. Es wäre kleinlich und töricht, das ver¬
tuschen oder der konservativen Parteileitung die Anerkennung versagen zu wollen, daß
sie sich dieser innern Opposition mit Geschicklichkeit entledigt hat. Von dieser Seite ist
also tatsächlich nichts mehr zu hoffen. Hier ist das alte Verhältnis wiederher¬
gestellt, wie es vor 190« bestand. Bei den Linksliberalen ist wenigstens eine sicht¬
bare Frucht der Erfahrungen von 1909 geblieben, der Zusammenschluß der drei
alten Parteigruppen zur Deutschen Freisinnigen Volkspartei. Wie sich diese
Einigung bewähren wird, ist abzuwarten. Jedenfalls bildet sie einstweilen eine
kleine Entschädigung für die Wunden, die der Liberalismus aus dem Feldzuge
um die Reichsfinanzreform heimgetragen hat. Man darf aber diese Zusammen¬
schmelzung der drei kleinen Fraktionen in eine große nicht überschätzen. Die
Stellung der Linksliberalen bleibt nach wie vor schwierig. Als ihre Führer mit
dem einsichtigeren Teil ihrer Gefolgeschaft die Blockpolitik mitzumachen beschlossen,
hatten sie schon mit so starken innern Widerständen zu kämpfen, daß nur offen¬
kundige Beweise für die günstigen Wirkungen dieser Politik sie vor dieser innern
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