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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Das Llsaß

Die hierfür verwandte Formel ist. die von dem föderativem Charakter des
Reichs; es soll nicht gestattet sein, wider den Willen der einzelnen Mitglieder
in die Verwaltung über die jetzigen Verfassungsbestimmungen hinaus und gegen
die Verträge einzugreifen. Wie bei dergleichen Rechtssätzen immer, so kommt
auch hier alles auf die Auslegung an; es würde einem geschickten Dialektiker
leicht sein, aus diesem Satze das bekannte I^iberum veto abzuleiten, das
im alten Deutschen Bunde eine so verhängnisvolle Rolle spielte und bekanntlich
das große polnische Reich zum guten Teile ruiniert hat; von ihn: hat die
bekannte Redensart von der "polnischen Wirtschaft" ihre bösartige Bedeutung.
Drohen solche Zustände auch bei uns? Wie sehr haben sich schon in den ver¬
flossenen vierzig Jahren die Anschauungen geändert, nach denen sich die
Behandlung der Einzelstaaten einrichtet! Bei der Begründung des Reichs blieben
bekanntlich mancherlei Vorrechte einzelner bestehen; am bedeutendsten waren die
Bayerns, von denen man in: Norden wie im Süden peinlich überrascht war,
deren Annahme im Reichstage besondere Vorkehrungen durch Bismarck erforderte.
Anderseits ist bekannt, daß manche der kleineren Fürsten, z. B. von Baden,
Oldenburg, Thüringen, dem Reiche viel weiter gehende Zugeständnisse zu machen
bereit waren; sie schätzten ihre Lage richtig ein. Bismarck hat (nach Busch)
zugegeben: "Der Vertrag mit Bayern hat seine Mängel, aber er ist so fester.
Was fehlt, mag die Zukunft beschaffen." Gegen Wilmowski hat er sich .geäußert:
"Alles andere findet sich, nachher wirkt die Gemeinsamkeit der Tatsachen von
selbst... Die gemeinsamen Interessen verschaffen sich von selbst Luft und
Gestaltung." Hat der große Staatsmann richtig prophezeit? Den Hansestädten
gegenüber hat er freilich die "gemeinsamen Interessen" vertreten; er zwang sie,
vor fünfundzwanzig Jahren, gegen ihren Willen in den Zollverein einzutreten
und ließ ihnen nnr ein eng begrenztes Freihandelsgebiet. Als damals das
bayerische Bundesratsmitglied von Rudhardt sich im Bundesrat so aussprach,
wie es jetzt für recht gilt, daß nämlich nur mit Zustimmung des betroffenen
Staats, nicht durch Gesetz allein, vertragsmäßige Verabredungen geändert werden
könnten, wurde er in der nächsten Soiree von Bismarck derartig zur Rede gestellt,
daß der bedauernswerte Mann mit seiner Gemahlin den Salon verließ und sein
Amt niederlegte. Im Norden dagegen besteht noch eine weitere bedeutende
Anomalie, nämlich das Fehlen eines aus Volkswahlen Hervorgegangellen
Vertretungskörpers in Mecklenburg, bis bellte fort, weil einige hundert Guts¬
besitzer ihre Vorrechte nicht aufgeben wollen; Bundesrat und Neichsregierung
sind der Ansicht, nichts dagegen zu haben! Welcher Wechsel der Anschauungen!
Mehr und mehr werden wieder die Interessen der Partikulcirstaaten das
alleinige Maß; höher und höher heben sich wieder die Lcmdesgrenzen, jeder
Staat denkt nur an sich; in, wichtigsten Verkehrsangelegenheiten, Eisen¬
bahnen, Flußkanalisattoneil, will niemand auch uur geringes zugunsten des
Ganzen aufgeben. Von einigender Arbeit hört man nichts mehr.' So stellen
sich auch die Elscisser auf diesen Standpunkt: "Elsaß für uns!" Statt großer


Das Llsaß

Die hierfür verwandte Formel ist. die von dem föderativem Charakter des
Reichs; es soll nicht gestattet sein, wider den Willen der einzelnen Mitglieder
in die Verwaltung über die jetzigen Verfassungsbestimmungen hinaus und gegen
die Verträge einzugreifen. Wie bei dergleichen Rechtssätzen immer, so kommt
auch hier alles auf die Auslegung an; es würde einem geschickten Dialektiker
leicht sein, aus diesem Satze das bekannte I^iberum veto abzuleiten, das
im alten Deutschen Bunde eine so verhängnisvolle Rolle spielte und bekanntlich
das große polnische Reich zum guten Teile ruiniert hat; von ihn: hat die
bekannte Redensart von der „polnischen Wirtschaft" ihre bösartige Bedeutung.
Drohen solche Zustände auch bei uns? Wie sehr haben sich schon in den ver¬
flossenen vierzig Jahren die Anschauungen geändert, nach denen sich die
Behandlung der Einzelstaaten einrichtet! Bei der Begründung des Reichs blieben
bekanntlich mancherlei Vorrechte einzelner bestehen; am bedeutendsten waren die
Bayerns, von denen man in: Norden wie im Süden peinlich überrascht war,
deren Annahme im Reichstage besondere Vorkehrungen durch Bismarck erforderte.
Anderseits ist bekannt, daß manche der kleineren Fürsten, z. B. von Baden,
Oldenburg, Thüringen, dem Reiche viel weiter gehende Zugeständnisse zu machen
bereit waren; sie schätzten ihre Lage richtig ein. Bismarck hat (nach Busch)
zugegeben: „Der Vertrag mit Bayern hat seine Mängel, aber er ist so fester.
Was fehlt, mag die Zukunft beschaffen." Gegen Wilmowski hat er sich .geäußert:
„Alles andere findet sich, nachher wirkt die Gemeinsamkeit der Tatsachen von
selbst... Die gemeinsamen Interessen verschaffen sich von selbst Luft und
Gestaltung." Hat der große Staatsmann richtig prophezeit? Den Hansestädten
gegenüber hat er freilich die „gemeinsamen Interessen" vertreten; er zwang sie,
vor fünfundzwanzig Jahren, gegen ihren Willen in den Zollverein einzutreten
und ließ ihnen nnr ein eng begrenztes Freihandelsgebiet. Als damals das
bayerische Bundesratsmitglied von Rudhardt sich im Bundesrat so aussprach,
wie es jetzt für recht gilt, daß nämlich nur mit Zustimmung des betroffenen
Staats, nicht durch Gesetz allein, vertragsmäßige Verabredungen geändert werden
könnten, wurde er in der nächsten Soiree von Bismarck derartig zur Rede gestellt,
daß der bedauernswerte Mann mit seiner Gemahlin den Salon verließ und sein
Amt niederlegte. Im Norden dagegen besteht noch eine weitere bedeutende
Anomalie, nämlich das Fehlen eines aus Volkswahlen Hervorgegangellen
Vertretungskörpers in Mecklenburg, bis bellte fort, weil einige hundert Guts¬
besitzer ihre Vorrechte nicht aufgeben wollen; Bundesrat und Neichsregierung
sind der Ansicht, nichts dagegen zu haben! Welcher Wechsel der Anschauungen!
Mehr und mehr werden wieder die Interessen der Partikulcirstaaten das
alleinige Maß; höher und höher heben sich wieder die Lcmdesgrenzen, jeder
Staat denkt nur an sich; in, wichtigsten Verkehrsangelegenheiten, Eisen¬
bahnen, Flußkanalisattoneil, will niemand auch uur geringes zugunsten des
Ganzen aufgeben. Von einigender Arbeit hört man nichts mehr.' So stellen
sich auch die Elscisser auf diesen Standpunkt: „Elsaß für uns!" Statt großer


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[0465] Das Llsaß Die hierfür verwandte Formel ist. die von dem föderativem Charakter des Reichs; es soll nicht gestattet sein, wider den Willen der einzelnen Mitglieder in die Verwaltung über die jetzigen Verfassungsbestimmungen hinaus und gegen die Verträge einzugreifen. Wie bei dergleichen Rechtssätzen immer, so kommt auch hier alles auf die Auslegung an; es würde einem geschickten Dialektiker leicht sein, aus diesem Satze das bekannte I^iberum veto abzuleiten, das im alten Deutschen Bunde eine so verhängnisvolle Rolle spielte und bekanntlich das große polnische Reich zum guten Teile ruiniert hat; von ihn: hat die bekannte Redensart von der „polnischen Wirtschaft" ihre bösartige Bedeutung. Drohen solche Zustände auch bei uns? Wie sehr haben sich schon in den ver¬ flossenen vierzig Jahren die Anschauungen geändert, nach denen sich die Behandlung der Einzelstaaten einrichtet! Bei der Begründung des Reichs blieben bekanntlich mancherlei Vorrechte einzelner bestehen; am bedeutendsten waren die Bayerns, von denen man in: Norden wie im Süden peinlich überrascht war, deren Annahme im Reichstage besondere Vorkehrungen durch Bismarck erforderte. Anderseits ist bekannt, daß manche der kleineren Fürsten, z. B. von Baden, Oldenburg, Thüringen, dem Reiche viel weiter gehende Zugeständnisse zu machen bereit waren; sie schätzten ihre Lage richtig ein. Bismarck hat (nach Busch) zugegeben: „Der Vertrag mit Bayern hat seine Mängel, aber er ist so fester. Was fehlt, mag die Zukunft beschaffen." Gegen Wilmowski hat er sich .geäußert: „Alles andere findet sich, nachher wirkt die Gemeinsamkeit der Tatsachen von selbst... Die gemeinsamen Interessen verschaffen sich von selbst Luft und Gestaltung." Hat der große Staatsmann richtig prophezeit? Den Hansestädten gegenüber hat er freilich die „gemeinsamen Interessen" vertreten; er zwang sie, vor fünfundzwanzig Jahren, gegen ihren Willen in den Zollverein einzutreten und ließ ihnen nnr ein eng begrenztes Freihandelsgebiet. Als damals das bayerische Bundesratsmitglied von Rudhardt sich im Bundesrat so aussprach, wie es jetzt für recht gilt, daß nämlich nur mit Zustimmung des betroffenen Staats, nicht durch Gesetz allein, vertragsmäßige Verabredungen geändert werden könnten, wurde er in der nächsten Soiree von Bismarck derartig zur Rede gestellt, daß der bedauernswerte Mann mit seiner Gemahlin den Salon verließ und sein Amt niederlegte. Im Norden dagegen besteht noch eine weitere bedeutende Anomalie, nämlich das Fehlen eines aus Volkswahlen Hervorgegangellen Vertretungskörpers in Mecklenburg, bis bellte fort, weil einige hundert Guts¬ besitzer ihre Vorrechte nicht aufgeben wollen; Bundesrat und Neichsregierung sind der Ansicht, nichts dagegen zu haben! Welcher Wechsel der Anschauungen! Mehr und mehr werden wieder die Interessen der Partikulcirstaaten das alleinige Maß; höher und höher heben sich wieder die Lcmdesgrenzen, jeder Staat denkt nur an sich; in, wichtigsten Verkehrsangelegenheiten, Eisen¬ bahnen, Flußkanalisattoneil, will niemand auch uur geringes zugunsten des Ganzen aufgeben. Von einigender Arbeit hört man nichts mehr.' So stellen sich auch die Elscisser auf diesen Standpunkt: „Elsaß für uns!" Statt großer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/465>, abgerufen am 04.07.2024.