Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.Von den Schwaben in Südungarn wird trotz der übereinstimmenden Anlage der Höfe und Häuser der Charakter Grenzvoten I 1910 61
Von den Schwaben in Südungarn wird trotz der übereinstimmenden Anlage der Höfe und Häuser der Charakter Grenzvoten I 1910 61
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0413" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315410"/> <fw type="header" place="top"> Von den Schwaben in Südungarn</fw><lb/> <p xml:id="ID_1808" prev="#ID_1807" next="#ID_1809"> wird trotz der übereinstimmenden Anlage der Höfe und Häuser der Charakter<lb/> der Ortschaften etwas verschieden. Im allgemeinen drücken aber die Schwaben<lb/> den Dörfern, in denen sie einmal sind, in steigendem Maß ihren Stempel auf,<lb/> und zwar dadurch, daß sie die nichtdeutschen möglichst auslaufen. Man zählt<lb/> jetzt in der Batschka, das ist zwischen Donau und Theiß, 180000 Deutsche, west¬<lb/> lich von der Donau im Tolncmer und Baranyaer Komitat 180000, östlich von<lb/> der Theiß, im sogenannten Banat, 430000, zusammen 690000 Deutsche. Ihre<lb/> Dörfer liegen auf einem Landstrich ungefähr doppelt so groß wie Württem¬<lb/> berg in mehreren Gruppen zerstreut. Auch in den zwischenliegenden und um¬<lb/> liegenden Städten sind die Deutschen stark vertreten; in Temesvar, der größten<lb/> derselben, bilden sie die Hälfte der Einwohner. «Zwischen den einzelnen Gruppen<lb/> der deutschen Dörfer sind aber große Gebiete, die fast ausschließlich von dem<lb/> herrschenden Volksstamm der Magyaren bewohnt sind. Ihre Gründung ver¬<lb/> danken die Kolonien der Schwaben in Südungarn der Initiative der Landes¬<lb/> herren wie fünfhundert Jahre vorher die der Moselfranken in Siebenbürgen. Aber<lb/> während die siebenbürger „Sachsen" ihr Land erst erobern und jahrhundertelang<lb/> mit dein Schwert behaupten mußten, wurden die Schwaben erst angesetzt, als<lb/> Prinz Eugen dem Kaiser Leopold die Türken endgültig vertrieben hatte;<lb/> ihre einzige Waffe war der Pflug: Jetzt beginnen auch für sie die Zeiten des<lb/> Kampfes, des Kampfes um geistige Gitter und mit geistigen Waffen. Der Plan,<lb/> die von der Türkenherrschaft und vom Krieg verödeten Gegenden wieder zu<lb/> besiedeln, war sofort nach den entscheidenden Siegen über die Türken ins Auge<lb/> gefaßt worden und der kaiserliche Sieger hatte sich, als König von Ungarn,<lb/> von seinem ungarischen Landtag damals schon (im Jahr 1723, Gesetzartikel<lb/> L. III) die Erlaubnis geben lassen, „Personen beiderlei Geschlechts" ins Land<lb/> zu ziehen und den Ansiedlern allerlei Vorrechte zu gewähren. Systematisch in<lb/> Angriff genommen wurde die Sache aber erst von Maria Theresia nach dem<lb/> siebenjährigen Krieg. Der Friede von Hubertusburg, 1763, machte sowohl für<lb/> sie als für ihren großen Gegner einen Teil ihrer Söldnertruppen entbehrlich<lb/> und beide versuchten mit gleichem Erfolg die Dienste ihrer erprobten Soldaten<lb/> nun auf andere Weise für ihre Herrschaft zu verwerten. Schon zehn Tage nach<lb/> dem Friedensschluß erließ Maria Theresia ihr „Kolouisationspatent", in dein sie<lb/> ihre „äbgestiftetcn" Soldaten aufforderte, „sich in ihren Deutsch-Temesvarer<lb/> hinigarisch-siebenbürgischen Erbländer als Bauern oder Handwerker nieder¬<lb/> zulassen". Gleichzeitig stellte sie, wie einst Soldatenwerber, jetzt Kolonisten¬<lb/> werber im Reich auf, welche katholische Bauern und Handwerker zur Nieder¬<lb/> lassung in Ungarn veranlassen sollten. Mir jeden nachgewiesene» Ansiedlungs-<lb/> petenten erhielt der Werber 1 Gulden 3 Kronen. Den Ansiedlern wurde vor allem<lb/> Reiseentschädigung bis zum Bestimmungsort versprochen, und zwar sollten Ver¬<lb/> heiratete 12 Kreuzer sür den Tag und für jedes Kind 3 Kreuzer bekommen. Ledige<lb/> und Verwittwete 6 Kreuzer. Die Reise ging über Wien und Pest, wo die<lb/> Ansiedler sich jeweils zum Empfang ihrer Reisegelder und ihrer Legitimation zu<lb/> stellen hatten, und von dort gewöhnlich zu Schiff weiter bis in die Nähe ihres<lb/> Bestimnumgortes. Es kam aber auch vor, daß solche Ansiedler ihren Bestimmungs¬<lb/> ort nicht erreichten, und zwar deshalb, weil nicht bloß die Kaiserin kolonisierte,<lb/> sondern auch magyarische Große, jeder in seiner Art. So wird von einem der<lb/> erstell Hofbeamten und ungarischen Magnaten, einem Herrn von Grassalkowitz,<lb/> der seine Güter verbessern wollte, berichtet, daß er ein Schiff mit Ansiedlern<lb/> unterwegs gewaltsam abfaßte und die Leute unter Mißhandlung des begleitenden<lb/> kaiserlichen Hauptmanns einfach anf feine Besitzung bringen ließ. An Ort und</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzvoten I 1910 61</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0413]
Von den Schwaben in Südungarn
wird trotz der übereinstimmenden Anlage der Höfe und Häuser der Charakter
der Ortschaften etwas verschieden. Im allgemeinen drücken aber die Schwaben
den Dörfern, in denen sie einmal sind, in steigendem Maß ihren Stempel auf,
und zwar dadurch, daß sie die nichtdeutschen möglichst auslaufen. Man zählt
jetzt in der Batschka, das ist zwischen Donau und Theiß, 180000 Deutsche, west¬
lich von der Donau im Tolncmer und Baranyaer Komitat 180000, östlich von
der Theiß, im sogenannten Banat, 430000, zusammen 690000 Deutsche. Ihre
Dörfer liegen auf einem Landstrich ungefähr doppelt so groß wie Württem¬
berg in mehreren Gruppen zerstreut. Auch in den zwischenliegenden und um¬
liegenden Städten sind die Deutschen stark vertreten; in Temesvar, der größten
derselben, bilden sie die Hälfte der Einwohner. «Zwischen den einzelnen Gruppen
der deutschen Dörfer sind aber große Gebiete, die fast ausschließlich von dem
herrschenden Volksstamm der Magyaren bewohnt sind. Ihre Gründung ver¬
danken die Kolonien der Schwaben in Südungarn der Initiative der Landes¬
herren wie fünfhundert Jahre vorher die der Moselfranken in Siebenbürgen. Aber
während die siebenbürger „Sachsen" ihr Land erst erobern und jahrhundertelang
mit dein Schwert behaupten mußten, wurden die Schwaben erst angesetzt, als
Prinz Eugen dem Kaiser Leopold die Türken endgültig vertrieben hatte;
ihre einzige Waffe war der Pflug: Jetzt beginnen auch für sie die Zeiten des
Kampfes, des Kampfes um geistige Gitter und mit geistigen Waffen. Der Plan,
die von der Türkenherrschaft und vom Krieg verödeten Gegenden wieder zu
besiedeln, war sofort nach den entscheidenden Siegen über die Türken ins Auge
gefaßt worden und der kaiserliche Sieger hatte sich, als König von Ungarn,
von seinem ungarischen Landtag damals schon (im Jahr 1723, Gesetzartikel
L. III) die Erlaubnis geben lassen, „Personen beiderlei Geschlechts" ins Land
zu ziehen und den Ansiedlern allerlei Vorrechte zu gewähren. Systematisch in
Angriff genommen wurde die Sache aber erst von Maria Theresia nach dem
siebenjährigen Krieg. Der Friede von Hubertusburg, 1763, machte sowohl für
sie als für ihren großen Gegner einen Teil ihrer Söldnertruppen entbehrlich
und beide versuchten mit gleichem Erfolg die Dienste ihrer erprobten Soldaten
nun auf andere Weise für ihre Herrschaft zu verwerten. Schon zehn Tage nach
dem Friedensschluß erließ Maria Theresia ihr „Kolouisationspatent", in dein sie
ihre „äbgestiftetcn" Soldaten aufforderte, „sich in ihren Deutsch-Temesvarer
hinigarisch-siebenbürgischen Erbländer als Bauern oder Handwerker nieder¬
zulassen". Gleichzeitig stellte sie, wie einst Soldatenwerber, jetzt Kolonisten¬
werber im Reich auf, welche katholische Bauern und Handwerker zur Nieder¬
lassung in Ungarn veranlassen sollten. Mir jeden nachgewiesene» Ansiedlungs-
petenten erhielt der Werber 1 Gulden 3 Kronen. Den Ansiedlern wurde vor allem
Reiseentschädigung bis zum Bestimmungsort versprochen, und zwar sollten Ver¬
heiratete 12 Kreuzer sür den Tag und für jedes Kind 3 Kreuzer bekommen. Ledige
und Verwittwete 6 Kreuzer. Die Reise ging über Wien und Pest, wo die
Ansiedler sich jeweils zum Empfang ihrer Reisegelder und ihrer Legitimation zu
stellen hatten, und von dort gewöhnlich zu Schiff weiter bis in die Nähe ihres
Bestimnumgortes. Es kam aber auch vor, daß solche Ansiedler ihren Bestimmungs¬
ort nicht erreichten, und zwar deshalb, weil nicht bloß die Kaiserin kolonisierte,
sondern auch magyarische Große, jeder in seiner Art. So wird von einem der
erstell Hofbeamten und ungarischen Magnaten, einem Herrn von Grassalkowitz,
der seine Güter verbessern wollte, berichtet, daß er ein Schiff mit Ansiedlern
unterwegs gewaltsam abfaßte und die Leute unter Mißhandlung des begleitenden
kaiserlichen Hauptmanns einfach anf feine Besitzung bringen ließ. An Ort und
Grenzvoten I 1910 61
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |