Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.Aus dein sogenannten "Lande der Freiheit Ihren tollsten Hexen-Sabbath feierte diese Sinnesrichtung in den berüchtigten Dieser Geist der Reguliersncht, des bis zur Topfguckerei übertriebenen Wer amerikanische Verhältnisse und Zustünde nicht genau kennt, also jedem, Wer als jugendlicher Freiheitsschunirmer nach Amerika gekommen ist und Die alten deutschen Achtundvierziger in den Vereinigten Staaten, jene hoch¬ Aus dein sogenannten „Lande der Freiheit Ihren tollsten Hexen-Sabbath feierte diese Sinnesrichtung in den berüchtigten Dieser Geist der Reguliersncht, des bis zur Topfguckerei übertriebenen Wer amerikanische Verhältnisse und Zustünde nicht genau kennt, also jedem, Wer als jugendlicher Freiheitsschunirmer nach Amerika gekommen ist und Die alten deutschen Achtundvierziger in den Vereinigten Staaten, jene hoch¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0375" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315372"/> <fw type="header" place="top"> Aus dein sogenannten „Lande der Freiheit</fw><lb/> <p xml:id="ID_1595"> Ihren tollsten Hexen-Sabbath feierte diese Sinnesrichtung in den berüchtigten<lb/> „Kluc- in^of" von Massachusetts, welche genan die Frage des Aufwandes<lb/> regulierten, welchen die einzelnen Familien in Bezug auf Kost und Kleidung usw.<lb/> treiben durften. Diese Gesetze gingen aber noch viel weiter. Sie schrieben<lb/> ganz genau vor, was man am „Sabbath" d. h. am Sonntage, wie ihn aber<lb/> die frommen Sektierer in den Vereinigten Staaten auch uoch heute mit Vor¬<lb/> liebe zu nennen pflegen, tun dürfe oder völlig unterlassen müsse. Hatte doch<lb/> damals eine Frau schwere Strafe zu gewärtigen, die am Sonntag Windeln<lb/> wusch, während es jenen „blauen Gesetzen" zufolge als ganz besonders ver¬<lb/> werflich und strafwürdig galt, wenn ein Mann am Sabbath seine Frau küßte! ....</p><lb/> <p xml:id="ID_1596"> Dieser Geist der Reguliersncht, des bis zur Topfguckerei übertriebenen<lb/> gesetzgeberischen Eingreifens, geht aber auch hente noch in den Vereinigten<lb/> Staaten um — ja, gerade gegenwärtig wieder einmal rücksichtsloser und gewalt¬<lb/> samer, als das seit Jahrzehnten der Fall gewesen war.</p><lb/> <p xml:id="ID_1597"> Wer amerikanische Verhältnisse und Zustünde nicht genau kennt, also jedem,<lb/> der nur oberflächlich von ihnen gehört und gelesen hat, dein mich die vor¬<lb/> gehende Behauptung um so auffallender, ja verblüffender vorkommen, als er<lb/> ja weiß, daß drüben in dem vielgerühmten Lande der Freiheit die von vielen<lb/> fortschrittlich Gesinnten so heiß ersehnte und erstrebte absolute Trennung von<lb/> Staat und Kirche besteht, wodurch doch also an sich schon gewisse Formen der<lb/> Regulierung — wie beispielsweise diejenige der Sonntags-Feier — gänzlich<lb/> ausgeschlossen erscheinen sollten. Ja: erscheinen sollten!" In der Theorie ist<lb/> das' schon ganz richtig. Wie sich aber Theorie und Praxis in so vielen Fällen<lb/> keineswegs decken, so auch hier. Ist es doch noch vor verhältnismäßig kurzer<lb/> Zeit vorgekommen, daß im Staate Virginien ein Anhänger der Sekte der<lb/> „Adventisten des Siebenten Tages" zu langer Gefängnishaft verurteilt wurde,<lb/> weil er sich standhaft weigerte, den Sonntag, den ersten Tag der Woche, zu<lb/> feiern, sondern darauf bestand, an dem seiner Überzeugung uach wirklichen<lb/> Sabbath der Bibel, also dem siebenten Tag der Woche, zu ruhen und ihn<lb/> festlich zu begehen, dafür aber am Sonntag zu arbeiten. Gewährten diesem<lb/> wunderlichen Heiligen nun anch die Bundesverfassung und auch die Staats¬<lb/> gesetze von Virginien theoretisch das Recht, nach seiner Fa?on selig zu werden,<lb/> so schloß das nicht in der Praxis ans, daß er hinter schwedische Gardinen<lb/> geriet, sobald er von diesen: seinen unveräußerlichen Rechte Gebrauch machte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1598"> Wer als jugendlicher Freiheitsschunirmer nach Amerika gekommen ist und<lb/> dort dnrch die jahrzehutelauge Erfahrung, wie hart im Raume sich die Dinge<lb/> stoßen, ernüchtert und abgekühlt worden ist, der wird auch den Anpreisungen<lb/> derjenigen recht skeptisch gegenüberstehen, welche in der absoluten Trennung<lb/> von Kirche und Staat das Allheilmittel gegen alle Rückständigkeiten auf geistigem<lb/> Gebiete erblicken. Und mögen ihre Theorien auch noch so schön sein, eins ist<lb/> sicher: In der Praxis haben sie sich in den Vereinigten Staaten nicht<lb/> bewährt!</p><lb/> <p xml:id="ID_1599" next="#ID_1600"> Die alten deutschen Achtundvierziger in den Vereinigten Staaten, jene hoch¬<lb/> gebildeten, wenn auch etwas doktrinären und unpraktischen Flüchtlinge, denen<lb/> das Deutsch-Amerikanertum unendlich viel zu verdanken hat und die jetzt leider<lb/> so gut wie ausgestorben siud, ohne daß sie ein entsprechender Nachwuchs ersetzt<lb/> hätte, pflegten in der von ihnen Jahrzehnte lang beherrschten deutsch-amerikanischen<lb/> Presse mit Vorliebe von den „verrotteten alten Monarchien drüben" zu sprechen.<lb/> Aber sie alle mußten dann am Ende ihrer Laufbahn kleinlaut eingestehen, daß<lb/> sich die „bedrückten Völker" in den besagten „verrotteten Monarchien" auch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0375]
Aus dein sogenannten „Lande der Freiheit
Ihren tollsten Hexen-Sabbath feierte diese Sinnesrichtung in den berüchtigten
„Kluc- in^of" von Massachusetts, welche genan die Frage des Aufwandes
regulierten, welchen die einzelnen Familien in Bezug auf Kost und Kleidung usw.
treiben durften. Diese Gesetze gingen aber noch viel weiter. Sie schrieben
ganz genau vor, was man am „Sabbath" d. h. am Sonntage, wie ihn aber
die frommen Sektierer in den Vereinigten Staaten auch uoch heute mit Vor¬
liebe zu nennen pflegen, tun dürfe oder völlig unterlassen müsse. Hatte doch
damals eine Frau schwere Strafe zu gewärtigen, die am Sonntag Windeln
wusch, während es jenen „blauen Gesetzen" zufolge als ganz besonders ver¬
werflich und strafwürdig galt, wenn ein Mann am Sabbath seine Frau küßte! ....
Dieser Geist der Reguliersncht, des bis zur Topfguckerei übertriebenen
gesetzgeberischen Eingreifens, geht aber auch hente noch in den Vereinigten
Staaten um — ja, gerade gegenwärtig wieder einmal rücksichtsloser und gewalt¬
samer, als das seit Jahrzehnten der Fall gewesen war.
Wer amerikanische Verhältnisse und Zustünde nicht genau kennt, also jedem,
der nur oberflächlich von ihnen gehört und gelesen hat, dein mich die vor¬
gehende Behauptung um so auffallender, ja verblüffender vorkommen, als er
ja weiß, daß drüben in dem vielgerühmten Lande der Freiheit die von vielen
fortschrittlich Gesinnten so heiß ersehnte und erstrebte absolute Trennung von
Staat und Kirche besteht, wodurch doch also an sich schon gewisse Formen der
Regulierung — wie beispielsweise diejenige der Sonntags-Feier — gänzlich
ausgeschlossen erscheinen sollten. Ja: erscheinen sollten!" In der Theorie ist
das' schon ganz richtig. Wie sich aber Theorie und Praxis in so vielen Fällen
keineswegs decken, so auch hier. Ist es doch noch vor verhältnismäßig kurzer
Zeit vorgekommen, daß im Staate Virginien ein Anhänger der Sekte der
„Adventisten des Siebenten Tages" zu langer Gefängnishaft verurteilt wurde,
weil er sich standhaft weigerte, den Sonntag, den ersten Tag der Woche, zu
feiern, sondern darauf bestand, an dem seiner Überzeugung uach wirklichen
Sabbath der Bibel, also dem siebenten Tag der Woche, zu ruhen und ihn
festlich zu begehen, dafür aber am Sonntag zu arbeiten. Gewährten diesem
wunderlichen Heiligen nun anch die Bundesverfassung und auch die Staats¬
gesetze von Virginien theoretisch das Recht, nach seiner Fa?on selig zu werden,
so schloß das nicht in der Praxis ans, daß er hinter schwedische Gardinen
geriet, sobald er von diesen: seinen unveräußerlichen Rechte Gebrauch machte.
Wer als jugendlicher Freiheitsschunirmer nach Amerika gekommen ist und
dort dnrch die jahrzehutelauge Erfahrung, wie hart im Raume sich die Dinge
stoßen, ernüchtert und abgekühlt worden ist, der wird auch den Anpreisungen
derjenigen recht skeptisch gegenüberstehen, welche in der absoluten Trennung
von Kirche und Staat das Allheilmittel gegen alle Rückständigkeiten auf geistigem
Gebiete erblicken. Und mögen ihre Theorien auch noch so schön sein, eins ist
sicher: In der Praxis haben sie sich in den Vereinigten Staaten nicht
bewährt!
Die alten deutschen Achtundvierziger in den Vereinigten Staaten, jene hoch¬
gebildeten, wenn auch etwas doktrinären und unpraktischen Flüchtlinge, denen
das Deutsch-Amerikanertum unendlich viel zu verdanken hat und die jetzt leider
so gut wie ausgestorben siud, ohne daß sie ein entsprechender Nachwuchs ersetzt
hätte, pflegten in der von ihnen Jahrzehnte lang beherrschten deutsch-amerikanischen
Presse mit Vorliebe von den „verrotteten alten Monarchien drüben" zu sprechen.
Aber sie alle mußten dann am Ende ihrer Laufbahn kleinlaut eingestehen, daß
sich die „bedrückten Völker" in den besagten „verrotteten Monarchien" auch
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |