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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Ernst Zahn
Von Heinrich Spiero

^WKer ein paar Stationen hinter Flüelen die Gotthardbcchn verläßt,
findet hart unter einer in schwindelnder Höhe die Schlucht über¬
querenden Eisenbahnbrücke das Dörfchen Amsteg, eine Siedelung
von wenigen Häusern rings um eine schmucklose Kirche. Immer
rauscht das Bergwasser, denn der reißende Kärstelenbach sällt hier
in die Reuß, die in raschester Strömung vorbeizieht. Wandert man wenige
Schritte nur das Tal entlang, dem Gotthardpaß entgegen, so findet man noch
bis tief in den Sommer Lawinenschnee an den Hängen. Steil geht es im
engern Tal des Baches hinan, bis man mit keuchender Brust bei der viel
verehrten Antonikapelle stillsteht, von der sich der bequemere Weg ins Maderaner
Tal öffnet. Und verfolgt man wiederum die breite Straße die Reuß entlang,
fo steigt man über Göschenen zum Gotthard empor, furchtbare Schluchten tun
sich auf, ^Schnee und Eis hemmen früh die Wege, und in großartigster Umgebung
entfaltet sich ein karges Leben.

Das ist sdie Welt Ernst Zahns, der von dem heitern Glanz nichts hat,
der seine Geburtsheimat Zürich am See umgibt und unverkennbar in den
Werken seiner älteren Stadtgenossen weiterlebt. Zahn, der am 24. Januar 1867
Geborene, ist ganz der Dichter seiner neuen Lebensheimat geworden, der er
nicht nur die Stoffe der Gegenwart und der Vergangenheit, sondern auch
Stimmung und Duft seiner Dichtungen dankt. Was ihm die Geschichte bot,
sind nicht glanzvolle Kämpfe städtisch-ritterlicher Mannen, es sind mühsame,
blutige, verbissene Kriege der Bauern dieses harten Bezirks, und was ihm die
Gegenwart zunächst an Konflikten darbrachte, auch das entsprang einem herben,
schwer aus der Bahn zu bewegenden Empfinden. Mühsam muß, wie die Frucht
des Bodens, so die Frucht des Glückes dieser Erde und dieser Umwelt
abgewonnen werden. Kaum, daß im Laufe der Jahrhunderte, wie sie Zahns
Kunst aufbaut, ein Wandel der Charaktere eintritt -- gelangt doch jeder Ton
aus der großen Welt erst spät hierher, schwach geworden, halb verweht hinter
den riesigen Turmmauern, die, von der Hand eines Ewigen erschaffen, das
Land abschließen.




Ernst Zahn
Von Heinrich Spiero

^WKer ein paar Stationen hinter Flüelen die Gotthardbcchn verläßt,
findet hart unter einer in schwindelnder Höhe die Schlucht über¬
querenden Eisenbahnbrücke das Dörfchen Amsteg, eine Siedelung
von wenigen Häusern rings um eine schmucklose Kirche. Immer
rauscht das Bergwasser, denn der reißende Kärstelenbach sällt hier
in die Reuß, die in raschester Strömung vorbeizieht. Wandert man wenige
Schritte nur das Tal entlang, dem Gotthardpaß entgegen, so findet man noch
bis tief in den Sommer Lawinenschnee an den Hängen. Steil geht es im
engern Tal des Baches hinan, bis man mit keuchender Brust bei der viel
verehrten Antonikapelle stillsteht, von der sich der bequemere Weg ins Maderaner
Tal öffnet. Und verfolgt man wiederum die breite Straße die Reuß entlang,
fo steigt man über Göschenen zum Gotthard empor, furchtbare Schluchten tun
sich auf, ^Schnee und Eis hemmen früh die Wege, und in großartigster Umgebung
entfaltet sich ein karges Leben.

Das ist sdie Welt Ernst Zahns, der von dem heitern Glanz nichts hat,
der seine Geburtsheimat Zürich am See umgibt und unverkennbar in den
Werken seiner älteren Stadtgenossen weiterlebt. Zahn, der am 24. Januar 1867
Geborene, ist ganz der Dichter seiner neuen Lebensheimat geworden, der er
nicht nur die Stoffe der Gegenwart und der Vergangenheit, sondern auch
Stimmung und Duft seiner Dichtungen dankt. Was ihm die Geschichte bot,
sind nicht glanzvolle Kämpfe städtisch-ritterlicher Mannen, es sind mühsame,
blutige, verbissene Kriege der Bauern dieses harten Bezirks, und was ihm die
Gegenwart zunächst an Konflikten darbrachte, auch das entsprang einem herben,
schwer aus der Bahn zu bewegenden Empfinden. Mühsam muß, wie die Frucht
des Bodens, so die Frucht des Glückes dieser Erde und dieser Umwelt
abgewonnen werden. Kaum, daß im Laufe der Jahrhunderte, wie sie Zahns
Kunst aufbaut, ein Wandel der Charaktere eintritt — gelangt doch jeder Ton
aus der großen Welt erst spät hierher, schwach geworden, halb verweht hinter
den riesigen Turmmauern, die, von der Hand eines Ewigen erschaffen, das
Land abschließen.


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[0353] [Abbildung] Ernst Zahn Von Heinrich Spiero ^WKer ein paar Stationen hinter Flüelen die Gotthardbcchn verläßt, findet hart unter einer in schwindelnder Höhe die Schlucht über¬ querenden Eisenbahnbrücke das Dörfchen Amsteg, eine Siedelung von wenigen Häusern rings um eine schmucklose Kirche. Immer rauscht das Bergwasser, denn der reißende Kärstelenbach sällt hier in die Reuß, die in raschester Strömung vorbeizieht. Wandert man wenige Schritte nur das Tal entlang, dem Gotthardpaß entgegen, so findet man noch bis tief in den Sommer Lawinenschnee an den Hängen. Steil geht es im engern Tal des Baches hinan, bis man mit keuchender Brust bei der viel verehrten Antonikapelle stillsteht, von der sich der bequemere Weg ins Maderaner Tal öffnet. Und verfolgt man wiederum die breite Straße die Reuß entlang, fo steigt man über Göschenen zum Gotthard empor, furchtbare Schluchten tun sich auf, ^Schnee und Eis hemmen früh die Wege, und in großartigster Umgebung entfaltet sich ein karges Leben. Das ist sdie Welt Ernst Zahns, der von dem heitern Glanz nichts hat, der seine Geburtsheimat Zürich am See umgibt und unverkennbar in den Werken seiner älteren Stadtgenossen weiterlebt. Zahn, der am 24. Januar 1867 Geborene, ist ganz der Dichter seiner neuen Lebensheimat geworden, der er nicht nur die Stoffe der Gegenwart und der Vergangenheit, sondern auch Stimmung und Duft seiner Dichtungen dankt. Was ihm die Geschichte bot, sind nicht glanzvolle Kämpfe städtisch-ritterlicher Mannen, es sind mühsame, blutige, verbissene Kriege der Bauern dieses harten Bezirks, und was ihm die Gegenwart zunächst an Konflikten darbrachte, auch das entsprang einem herben, schwer aus der Bahn zu bewegenden Empfinden. Mühsam muß, wie die Frucht des Bodens, so die Frucht des Glückes dieser Erde und dieser Umwelt abgewonnen werden. Kaum, daß im Laufe der Jahrhunderte, wie sie Zahns Kunst aufbaut, ein Wandel der Charaktere eintritt — gelangt doch jeder Ton aus der großen Welt erst spät hierher, schwach geworden, halb verweht hinter den riesigen Turmmauern, die, von der Hand eines Ewigen erschaffen, das Land abschließen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/353>, abgerufen am 29.06.2024.