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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Nationalliberale, Regierung und Konservative

ungeschickt wird auch versucht, die Geschlossenheit der Partei zu beseitigen, Reichstags¬
und Landtag sfraktion gegeneinander auszuspielen, die Jungen und die Alten zu
verhetzen, kurzum Zwietracht zu säen und einen Keil in die Partei zu treiben.

So wäre der Kerikal-konservativen Koalition gegenwärtig nichts erwünschter
als ein Auseinanderfallen der Partei in der Frage der geheimen oder öffent¬
lichen Wahl, und gerade dadurch verstärkt sich die Bedeutung dieser Frage, die
an sich eigentlich das liberale Prinzip nicht in seinem Kern trifft. Man kann
als freiheitliebender Mann ein freies, offenes Bekennen seiner politischen Über¬
zeugung auch beim Wahlgeschäft verlangen, um allerdings von ebenso liberalen
Männern belehrt zu werden, der Abhängigkeitsverhältnisse seien so viele geworden,
daß das Recht der Persönlichkeit nur mit der geheimen Wahl gesichert erscheint.
Aber da nun die Partei in gewaltiger Mehrheit und unter Zustimmung der
Andersdenkenden die geheime Wahl zur nationalliberalen Forderung erhoben
hat, würde ein Imstichlassen dieser vor zwei Jahren aufgestellten Parole nicht
anders verstanden werden als ein Zugeständnis an die Rechte, um die Drang¬
salierungen und Einkreisungen loszuwerden.

Die preußische Wahlreform, wie sie von der Regierung vorgeschlagen ist,
kann die verlangte Modernisierung Preußens und Politisierung des Bürgertums
an sich kaum bewerkstelligen. Mindestens muß eine der nationälliberalen Voraus¬
setzungen: Wahlkreiseinteilung und geheime Wahl, hinzutreten. Das wird von
der Mehrheit des Volkes entschieden betont. Gehen die Nationalliberalen hiervon
ab, so bringen sie sich bei den städtischen Wählern und den Mittelstandsgruppen
wahrscheinlich in größere Schwierigkeiten, als wenn sie fest bleiben und dann
auf weitere Unfreundlichkeiten seitens des Bundes der Landwirte zu rechnen
haben. Mit dem Bund, der immer mehr einem zentrumsfreundlichen Kon¬
servativismus huldigt, ist ein ehrlicher Pakt, der dem Nationalliberalismus seine
Selbständigkeit und seine Volkstümlichkeit beläßt, ausgeschlossen. Der ganze
Unterschied würde darin bestehen, daß der Kampf etwas weniger laut geführt
würde, aber da die Kampfgegcnstände bleiben und der Kampf auch, kann das
Plus oder Minus von Temperament kaum ausschlaggebend sein, um die geheime
Wahl preiszugeben.

Es verlangt also die Frage der Wahlreform an sich die Einfügung der
geheimen Wahl, und die gesamte politische Lage kommt für die National-
liberalen auf dasselbe hinaus. Grundsätzlich und taktisch darf somit von dem
Magdeburger Standpunkt Nicht abgewichen werden. Die früher öfter zum
Schaden der Partei und der Gesetzgebung angewandte Formel, es muß etwas
zustande kommen, empfiehlt sich gegenüber der Regierungsvorlage nicht, weil
dieses Etwas allzu bescheiden ist und weil diese Reform keine Beruhigung
schaffen, vielmehr alle unbefriedigt lassen, keinen wesentlichen Fortschritt gewähren
und doch dein Quietismus in der Zukunft das Spiel erleichtern würde. Darum
muß noch einmal die Partei aufgefordert werden, fest zu bleiben zu des Vater¬
landes und zu ihren: eigenen Vorteil.


Nationalliberale, Regierung und Konservative

ungeschickt wird auch versucht, die Geschlossenheit der Partei zu beseitigen, Reichstags¬
und Landtag sfraktion gegeneinander auszuspielen, die Jungen und die Alten zu
verhetzen, kurzum Zwietracht zu säen und einen Keil in die Partei zu treiben.

So wäre der Kerikal-konservativen Koalition gegenwärtig nichts erwünschter
als ein Auseinanderfallen der Partei in der Frage der geheimen oder öffent¬
lichen Wahl, und gerade dadurch verstärkt sich die Bedeutung dieser Frage, die
an sich eigentlich das liberale Prinzip nicht in seinem Kern trifft. Man kann
als freiheitliebender Mann ein freies, offenes Bekennen seiner politischen Über¬
zeugung auch beim Wahlgeschäft verlangen, um allerdings von ebenso liberalen
Männern belehrt zu werden, der Abhängigkeitsverhältnisse seien so viele geworden,
daß das Recht der Persönlichkeit nur mit der geheimen Wahl gesichert erscheint.
Aber da nun die Partei in gewaltiger Mehrheit und unter Zustimmung der
Andersdenkenden die geheime Wahl zur nationalliberalen Forderung erhoben
hat, würde ein Imstichlassen dieser vor zwei Jahren aufgestellten Parole nicht
anders verstanden werden als ein Zugeständnis an die Rechte, um die Drang¬
salierungen und Einkreisungen loszuwerden.

Die preußische Wahlreform, wie sie von der Regierung vorgeschlagen ist,
kann die verlangte Modernisierung Preußens und Politisierung des Bürgertums
an sich kaum bewerkstelligen. Mindestens muß eine der nationälliberalen Voraus¬
setzungen: Wahlkreiseinteilung und geheime Wahl, hinzutreten. Das wird von
der Mehrheit des Volkes entschieden betont. Gehen die Nationalliberalen hiervon
ab, so bringen sie sich bei den städtischen Wählern und den Mittelstandsgruppen
wahrscheinlich in größere Schwierigkeiten, als wenn sie fest bleiben und dann
auf weitere Unfreundlichkeiten seitens des Bundes der Landwirte zu rechnen
haben. Mit dem Bund, der immer mehr einem zentrumsfreundlichen Kon¬
servativismus huldigt, ist ein ehrlicher Pakt, der dem Nationalliberalismus seine
Selbständigkeit und seine Volkstümlichkeit beläßt, ausgeschlossen. Der ganze
Unterschied würde darin bestehen, daß der Kampf etwas weniger laut geführt
würde, aber da die Kampfgegcnstände bleiben und der Kampf auch, kann das
Plus oder Minus von Temperament kaum ausschlaggebend sein, um die geheime
Wahl preiszugeben.

Es verlangt also die Frage der Wahlreform an sich die Einfügung der
geheimen Wahl, und die gesamte politische Lage kommt für die National-
liberalen auf dasselbe hinaus. Grundsätzlich und taktisch darf somit von dem
Magdeburger Standpunkt Nicht abgewichen werden. Die früher öfter zum
Schaden der Partei und der Gesetzgebung angewandte Formel, es muß etwas
zustande kommen, empfiehlt sich gegenüber der Regierungsvorlage nicht, weil
dieses Etwas allzu bescheiden ist und weil diese Reform keine Beruhigung
schaffen, vielmehr alle unbefriedigt lassen, keinen wesentlichen Fortschritt gewähren
und doch dein Quietismus in der Zukunft das Spiel erleichtern würde. Darum
muß noch einmal die Partei aufgefordert werden, fest zu bleiben zu des Vater¬
landes und zu ihren: eigenen Vorteil.


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[0352] Nationalliberale, Regierung und Konservative ungeschickt wird auch versucht, die Geschlossenheit der Partei zu beseitigen, Reichstags¬ und Landtag sfraktion gegeneinander auszuspielen, die Jungen und die Alten zu verhetzen, kurzum Zwietracht zu säen und einen Keil in die Partei zu treiben. So wäre der Kerikal-konservativen Koalition gegenwärtig nichts erwünschter als ein Auseinanderfallen der Partei in der Frage der geheimen oder öffent¬ lichen Wahl, und gerade dadurch verstärkt sich die Bedeutung dieser Frage, die an sich eigentlich das liberale Prinzip nicht in seinem Kern trifft. Man kann als freiheitliebender Mann ein freies, offenes Bekennen seiner politischen Über¬ zeugung auch beim Wahlgeschäft verlangen, um allerdings von ebenso liberalen Männern belehrt zu werden, der Abhängigkeitsverhältnisse seien so viele geworden, daß das Recht der Persönlichkeit nur mit der geheimen Wahl gesichert erscheint. Aber da nun die Partei in gewaltiger Mehrheit und unter Zustimmung der Andersdenkenden die geheime Wahl zur nationalliberalen Forderung erhoben hat, würde ein Imstichlassen dieser vor zwei Jahren aufgestellten Parole nicht anders verstanden werden als ein Zugeständnis an die Rechte, um die Drang¬ salierungen und Einkreisungen loszuwerden. Die preußische Wahlreform, wie sie von der Regierung vorgeschlagen ist, kann die verlangte Modernisierung Preußens und Politisierung des Bürgertums an sich kaum bewerkstelligen. Mindestens muß eine der nationälliberalen Voraus¬ setzungen: Wahlkreiseinteilung und geheime Wahl, hinzutreten. Das wird von der Mehrheit des Volkes entschieden betont. Gehen die Nationalliberalen hiervon ab, so bringen sie sich bei den städtischen Wählern und den Mittelstandsgruppen wahrscheinlich in größere Schwierigkeiten, als wenn sie fest bleiben und dann auf weitere Unfreundlichkeiten seitens des Bundes der Landwirte zu rechnen haben. Mit dem Bund, der immer mehr einem zentrumsfreundlichen Kon¬ servativismus huldigt, ist ein ehrlicher Pakt, der dem Nationalliberalismus seine Selbständigkeit und seine Volkstümlichkeit beläßt, ausgeschlossen. Der ganze Unterschied würde darin bestehen, daß der Kampf etwas weniger laut geführt würde, aber da die Kampfgegcnstände bleiben und der Kampf auch, kann das Plus oder Minus von Temperament kaum ausschlaggebend sein, um die geheime Wahl preiszugeben. Es verlangt also die Frage der Wahlreform an sich die Einfügung der geheimen Wahl, und die gesamte politische Lage kommt für die National- liberalen auf dasselbe hinaus. Grundsätzlich und taktisch darf somit von dem Magdeburger Standpunkt Nicht abgewichen werden. Die früher öfter zum Schaden der Partei und der Gesetzgebung angewandte Formel, es muß etwas zustande kommen, empfiehlt sich gegenüber der Regierungsvorlage nicht, weil dieses Etwas allzu bescheiden ist und weil diese Reform keine Beruhigung schaffen, vielmehr alle unbefriedigt lassen, keinen wesentlichen Fortschritt gewähren und doch dein Quietismus in der Zukunft das Spiel erleichtern würde. Darum muß noch einmal die Partei aufgefordert werden, fest zu bleiben zu des Vater¬ landes und zu ihren: eigenen Vorteil.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/352>, abgerufen am 27.06.2024.