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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Der Streit um die Schiffahrtsabgaben

vorigen Jahres gegeben hat. Diese neue Veröffentlichung rief die Regierungen
Badens und Sachsens auf deu Plan, welche in einer gemeinsamen Denkschrift
unterm 8. Dezember .1909 ihre alte Gegnerschaft gegen die Schiffahrtsabgaben
betonten, und zwar in einer so überzeugenden Weise, daß große Reihen der
Abgabenfreunde stark ins Wanken geraten sind, so daß sich die Aussichten Preußens
ans Annahme seines Gesetzentwurfs wesentlich verschlechtert haben. Denn neben
Sachsen und Baden hat auch Hessen amtlich erklärt, daß es der Abänderung
der Reichsverfassung in obigen Sinne nicht zustimmen könne, wodurch die Zahl
der abgabeufeindlicheu Stimmen im Bundesrat bereits auf zehn angewachsen ist.
Dazu kommen noch vier Stimmen der engeren thüringischen Staaten, vielleicht
auch uoch Hamburg, so daß die uach Artikel 78 erforderliche Mehrheit zu einer
Änderung der Reichsverfassung nicht vorhanden ist. Aller Voraussicht nach wird
Preußen also auch auf diesem Wege nicht zum Ziele kommen, auf das es sich
festgelegt hat.

Für die Stellungnahme der abgabeufeindlicheu Staaten sind jedoch nicht
in erster Linie staatsrechtliche Gesichtspunkte ausschlaggebend gewesen, sondern
rein wirtschaftliche. Es ist, wie wir noch weiter unten dartun wollen, nicht
ein blinder Zufall, daß gerade die an den Oberläufen der einzelnen Flußsysteme
liegenden Staaten sich der preußischen Wasserstraßenpolitik entgegensetzen. Die
Erhebung der Abgaben nach der Länge des zurückgelegten Weges hat für die
Umschlagsplätze an den Oberläufen ganz besondere Nachteile. Denn es ist nicht
gleichgültig, ob der der Abgabenpflicht unterworfene Transport von Rotterdam
in Duisburg oder Mannheim endet oder ob der in Hamburg begonnene
Magdeburg oder Dresden als Ziel hat. Rechnet man doch schon auf Grund der
heutigen Verkehrsmeugeu, daß der Straßburger Hasen bei einem Umschlag von
800000 Tonnen 200000 Mark Schiffahrtsabgaben zu zahlen haben würde,
während auf Düsseldorf bei 1200000 Tonnen nur 40000 Mark entfielen.
Von diesen: Gesichtspunkte aus betrachtet, werdeu die Abgaben für die Industrien
der Unterlaufe, deren Bezug und Versand man auf deu kurzen Flußstreckeu uoch
nicht empfindet, vielleicht als Vorteil erscheinen, den sie sich aber auf Kosten der
Oberläufe zueignen. So erklärt es sich beispielsweise, daß die Handelskammern
am Niederrhein und die vou Hamburg sich offen als Abgabenfreunde bekannt
haben, nachdem die ersteren noch kurz vorher eine grundsätzliche Abneigung gegen
Schiffahrtsabgaben beteuert hatten. Um Bayern zu gewinnen, das uach einer
Rede des Prinzen Ludwig grundsätzlich ein Abgabengegner ist, hat Preußen die
Schiffbarmachung der bayerischen Mainstrecke mit Hilfe der Abgaben versprochen.
Aber uns will es scheinen, als ob die Finanzierung dieses auf 13,4 Mill. Mark
veranschlagten Projektes auch auf eine andere Weise möglich gewesen wäre.
Die Oberrheinregulierung bis Straßburg, deren Kosten nur wenig höher sind
als die der Mainkanalisierung, ist nicht nur bereits finanziert, sondern zum Teil
schon durchgeführt. Württemberg hat trotz aller Gegenströmungen der Handels¬
und Verkehrskreise ebenfalls seine Zustimmung zur Einführung der Abgaben


Der Streit um die Schiffahrtsabgaben

vorigen Jahres gegeben hat. Diese neue Veröffentlichung rief die Regierungen
Badens und Sachsens auf deu Plan, welche in einer gemeinsamen Denkschrift
unterm 8. Dezember .1909 ihre alte Gegnerschaft gegen die Schiffahrtsabgaben
betonten, und zwar in einer so überzeugenden Weise, daß große Reihen der
Abgabenfreunde stark ins Wanken geraten sind, so daß sich die Aussichten Preußens
ans Annahme seines Gesetzentwurfs wesentlich verschlechtert haben. Denn neben
Sachsen und Baden hat auch Hessen amtlich erklärt, daß es der Abänderung
der Reichsverfassung in obigen Sinne nicht zustimmen könne, wodurch die Zahl
der abgabeufeindlicheu Stimmen im Bundesrat bereits auf zehn angewachsen ist.
Dazu kommen noch vier Stimmen der engeren thüringischen Staaten, vielleicht
auch uoch Hamburg, so daß die uach Artikel 78 erforderliche Mehrheit zu einer
Änderung der Reichsverfassung nicht vorhanden ist. Aller Voraussicht nach wird
Preußen also auch auf diesem Wege nicht zum Ziele kommen, auf das es sich
festgelegt hat.

Für die Stellungnahme der abgabeufeindlicheu Staaten sind jedoch nicht
in erster Linie staatsrechtliche Gesichtspunkte ausschlaggebend gewesen, sondern
rein wirtschaftliche. Es ist, wie wir noch weiter unten dartun wollen, nicht
ein blinder Zufall, daß gerade die an den Oberläufen der einzelnen Flußsysteme
liegenden Staaten sich der preußischen Wasserstraßenpolitik entgegensetzen. Die
Erhebung der Abgaben nach der Länge des zurückgelegten Weges hat für die
Umschlagsplätze an den Oberläufen ganz besondere Nachteile. Denn es ist nicht
gleichgültig, ob der der Abgabenpflicht unterworfene Transport von Rotterdam
in Duisburg oder Mannheim endet oder ob der in Hamburg begonnene
Magdeburg oder Dresden als Ziel hat. Rechnet man doch schon auf Grund der
heutigen Verkehrsmeugeu, daß der Straßburger Hasen bei einem Umschlag von
800000 Tonnen 200000 Mark Schiffahrtsabgaben zu zahlen haben würde,
während auf Düsseldorf bei 1200000 Tonnen nur 40000 Mark entfielen.
Von diesen: Gesichtspunkte aus betrachtet, werdeu die Abgaben für die Industrien
der Unterlaufe, deren Bezug und Versand man auf deu kurzen Flußstreckeu uoch
nicht empfindet, vielleicht als Vorteil erscheinen, den sie sich aber auf Kosten der
Oberläufe zueignen. So erklärt es sich beispielsweise, daß die Handelskammern
am Niederrhein und die vou Hamburg sich offen als Abgabenfreunde bekannt
haben, nachdem die ersteren noch kurz vorher eine grundsätzliche Abneigung gegen
Schiffahrtsabgaben beteuert hatten. Um Bayern zu gewinnen, das uach einer
Rede des Prinzen Ludwig grundsätzlich ein Abgabengegner ist, hat Preußen die
Schiffbarmachung der bayerischen Mainstrecke mit Hilfe der Abgaben versprochen.
Aber uns will es scheinen, als ob die Finanzierung dieses auf 13,4 Mill. Mark
veranschlagten Projektes auch auf eine andere Weise möglich gewesen wäre.
Die Oberrheinregulierung bis Straßburg, deren Kosten nur wenig höher sind
als die der Mainkanalisierung, ist nicht nur bereits finanziert, sondern zum Teil
schon durchgeführt. Württemberg hat trotz aller Gegenströmungen der Handels¬
und Verkehrskreise ebenfalls seine Zustimmung zur Einführung der Abgaben


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[0266] Der Streit um die Schiffahrtsabgaben vorigen Jahres gegeben hat. Diese neue Veröffentlichung rief die Regierungen Badens und Sachsens auf deu Plan, welche in einer gemeinsamen Denkschrift unterm 8. Dezember .1909 ihre alte Gegnerschaft gegen die Schiffahrtsabgaben betonten, und zwar in einer so überzeugenden Weise, daß große Reihen der Abgabenfreunde stark ins Wanken geraten sind, so daß sich die Aussichten Preußens ans Annahme seines Gesetzentwurfs wesentlich verschlechtert haben. Denn neben Sachsen und Baden hat auch Hessen amtlich erklärt, daß es der Abänderung der Reichsverfassung in obigen Sinne nicht zustimmen könne, wodurch die Zahl der abgabeufeindlicheu Stimmen im Bundesrat bereits auf zehn angewachsen ist. Dazu kommen noch vier Stimmen der engeren thüringischen Staaten, vielleicht auch uoch Hamburg, so daß die uach Artikel 78 erforderliche Mehrheit zu einer Änderung der Reichsverfassung nicht vorhanden ist. Aller Voraussicht nach wird Preußen also auch auf diesem Wege nicht zum Ziele kommen, auf das es sich festgelegt hat. Für die Stellungnahme der abgabeufeindlicheu Staaten sind jedoch nicht in erster Linie staatsrechtliche Gesichtspunkte ausschlaggebend gewesen, sondern rein wirtschaftliche. Es ist, wie wir noch weiter unten dartun wollen, nicht ein blinder Zufall, daß gerade die an den Oberläufen der einzelnen Flußsysteme liegenden Staaten sich der preußischen Wasserstraßenpolitik entgegensetzen. Die Erhebung der Abgaben nach der Länge des zurückgelegten Weges hat für die Umschlagsplätze an den Oberläufen ganz besondere Nachteile. Denn es ist nicht gleichgültig, ob der der Abgabenpflicht unterworfene Transport von Rotterdam in Duisburg oder Mannheim endet oder ob der in Hamburg begonnene Magdeburg oder Dresden als Ziel hat. Rechnet man doch schon auf Grund der heutigen Verkehrsmeugeu, daß der Straßburger Hasen bei einem Umschlag von 800000 Tonnen 200000 Mark Schiffahrtsabgaben zu zahlen haben würde, während auf Düsseldorf bei 1200000 Tonnen nur 40000 Mark entfielen. Von diesen: Gesichtspunkte aus betrachtet, werdeu die Abgaben für die Industrien der Unterlaufe, deren Bezug und Versand man auf deu kurzen Flußstreckeu uoch nicht empfindet, vielleicht als Vorteil erscheinen, den sie sich aber auf Kosten der Oberläufe zueignen. So erklärt es sich beispielsweise, daß die Handelskammern am Niederrhein und die vou Hamburg sich offen als Abgabenfreunde bekannt haben, nachdem die ersteren noch kurz vorher eine grundsätzliche Abneigung gegen Schiffahrtsabgaben beteuert hatten. Um Bayern zu gewinnen, das uach einer Rede des Prinzen Ludwig grundsätzlich ein Abgabengegner ist, hat Preußen die Schiffbarmachung der bayerischen Mainstrecke mit Hilfe der Abgaben versprochen. Aber uns will es scheinen, als ob die Finanzierung dieses auf 13,4 Mill. Mark veranschlagten Projektes auch auf eine andere Weise möglich gewesen wäre. Die Oberrheinregulierung bis Straßburg, deren Kosten nur wenig höher sind als die der Mainkanalisierung, ist nicht nur bereits finanziert, sondern zum Teil schon durchgeführt. Württemberg hat trotz aller Gegenströmungen der Handels¬ und Verkehrskreise ebenfalls seine Zustimmung zur Einführung der Abgaben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/266>, abgerufen am 22.12.2024.