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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Der Streit um die Schiffahrtsabgnl'eil

deutschen Strömen lediglich für die Befcchrung derselben irgendwelche Abgaben
zu erheben, beseitigen sollte. Jede Ausnahme von diesen: reichsgesetzlichen Grund¬
satze würde hiernach der Genehmigung durch ein besonderes Gesetz bedürfen, und
zwar eines Reichsgesetzes, das im Bundesrat unter Wahrung der Vorschriften
des Artikels 78 der Reichsverfassung zu beschließen ist. Nach diesen: Artikel 78
gelten Verfassungsänderungen als abgelehnt, wenn sie im Bundesrate vierzehn
Stimmen gegen sich haben. Unter Wiederholung der Bülowschen Erklärung
betonte der Eisenbähnminister v. Butte am 9. Februar des folgenden Jahres
im Abgeordnetenhause, daß ein "Aufgeben dieses Grundgedankens bei den
gesetzgebenden Faktoren des Reichs anzuregen, im Schoße der Königlichen Staats¬
regierung niemals erwogen worden" sei. Aber schon am 1. Dezember 1904
erkürte derselbe Minister im Namen des gesamten Staatsministeriums, daß die
Regierung bereit sei, die geeigneten Schritte zu tuu, um die hinsichtlich der
Abgabenerhcbuug bestehenden Ungleichheiten zwischen den Kanälen und kanalisierten
Flüssen einerseits und den natürlichen Wasserstraßen anderseits zu beseitigen
und die dieser Maßregel etwa entgegenstehenden Schwierigkeiten des öffentlichen
Rechts aus dem Wege zu räumen. Die Aufklärung dieses plötzlichen Umschwungs
Preußens in der Frage der Schiffahrtsabgaben brachte dann das Wasserstraßen¬
gesetz vom 1. April 1905, das die Eröffnung der bewilligten Kanalstrecken von der
Einführung von Schiffahrtsabgaben abhängig macht (H 19). Damals galt es unter
allen Umständen die bereits einige Jahre vorher verfahrene Kanalvorlage durchzu-
bringen, und die preußische Regierung fand sich zu Zugeständnissen bereit,
deren Tragweite von den hohen Kampfeswogen um jenes Gesetz vorerst über¬
deckt wurden.

Diese veränderte politische Lage zwang die preußische Regierung, die in Frage
kommenden Bestimmungen der Reichsverfassung, also den Artikel 64 Absatz 4,
entweder dahin zu interpretieren, daß sie entgegen der früheren Bülowschen Erklärung
doch Abgaben auf natürlichen Wasserstraßen zulasse, oder sie abzuändern und
durch andere zu ersetze". Zuerst wählte man den ersteren Weg als den gang¬
barsten. Denn eine Verfassungsänderung würde die erste seit Bestehen des
Reichs gewesen sein. Vor allein mußte Preußen deu Schein der Offensive streng
wahren, und es war doch äußerst unsicher, ob die Verfassung dem Ansturm
eifrigster Propaganda nicht widerstand. So entstand denn das Buch von
M. Peters, Schiffahrtsabgaben. Erster Teil: Die Rechtslage 1900, eines vor¬
tragenden Rates im preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten. An der
Arbeit ist vor allem der Stoffreichtum bemerkenswert. Der Verfasser arbeitet
mit großem Material, zum Teil auch solchen:, das nicht jedermann zugänglich
ist. Bein: eifrigen Aufbau seiner Lehren versäumt er auch das kleinste Steinchen
nicht aufzuheben und einzufügen, wenn es nur irgendwie so aussehen kann,
als wäre es tragfühig. Auf diese Weise zwingt er deu Leser, das ganze Rechts¬
gebiet in alle,: Einzelheiten mit ihn: durchzudenken. Das größte Gewicht für
seine Beweisführung legt Peters auf ein Netz von "Identitäten", welches er über die


Der Streit um die Schiffahrtsabgnl'eil

deutschen Strömen lediglich für die Befcchrung derselben irgendwelche Abgaben
zu erheben, beseitigen sollte. Jede Ausnahme von diesen: reichsgesetzlichen Grund¬
satze würde hiernach der Genehmigung durch ein besonderes Gesetz bedürfen, und
zwar eines Reichsgesetzes, das im Bundesrat unter Wahrung der Vorschriften
des Artikels 78 der Reichsverfassung zu beschließen ist. Nach diesen: Artikel 78
gelten Verfassungsänderungen als abgelehnt, wenn sie im Bundesrate vierzehn
Stimmen gegen sich haben. Unter Wiederholung der Bülowschen Erklärung
betonte der Eisenbähnminister v. Butte am 9. Februar des folgenden Jahres
im Abgeordnetenhause, daß ein „Aufgeben dieses Grundgedankens bei den
gesetzgebenden Faktoren des Reichs anzuregen, im Schoße der Königlichen Staats¬
regierung niemals erwogen worden" sei. Aber schon am 1. Dezember 1904
erkürte derselbe Minister im Namen des gesamten Staatsministeriums, daß die
Regierung bereit sei, die geeigneten Schritte zu tuu, um die hinsichtlich der
Abgabenerhcbuug bestehenden Ungleichheiten zwischen den Kanälen und kanalisierten
Flüssen einerseits und den natürlichen Wasserstraßen anderseits zu beseitigen
und die dieser Maßregel etwa entgegenstehenden Schwierigkeiten des öffentlichen
Rechts aus dem Wege zu räumen. Die Aufklärung dieses plötzlichen Umschwungs
Preußens in der Frage der Schiffahrtsabgaben brachte dann das Wasserstraßen¬
gesetz vom 1. April 1905, das die Eröffnung der bewilligten Kanalstrecken von der
Einführung von Schiffahrtsabgaben abhängig macht (H 19). Damals galt es unter
allen Umständen die bereits einige Jahre vorher verfahrene Kanalvorlage durchzu-
bringen, und die preußische Regierung fand sich zu Zugeständnissen bereit,
deren Tragweite von den hohen Kampfeswogen um jenes Gesetz vorerst über¬
deckt wurden.

Diese veränderte politische Lage zwang die preußische Regierung, die in Frage
kommenden Bestimmungen der Reichsverfassung, also den Artikel 64 Absatz 4,
entweder dahin zu interpretieren, daß sie entgegen der früheren Bülowschen Erklärung
doch Abgaben auf natürlichen Wasserstraßen zulasse, oder sie abzuändern und
durch andere zu ersetze». Zuerst wählte man den ersteren Weg als den gang¬
barsten. Denn eine Verfassungsänderung würde die erste seit Bestehen des
Reichs gewesen sein. Vor allein mußte Preußen deu Schein der Offensive streng
wahren, und es war doch äußerst unsicher, ob die Verfassung dem Ansturm
eifrigster Propaganda nicht widerstand. So entstand denn das Buch von
M. Peters, Schiffahrtsabgaben. Erster Teil: Die Rechtslage 1900, eines vor¬
tragenden Rates im preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten. An der
Arbeit ist vor allem der Stoffreichtum bemerkenswert. Der Verfasser arbeitet
mit großem Material, zum Teil auch solchen:, das nicht jedermann zugänglich
ist. Bein: eifrigen Aufbau seiner Lehren versäumt er auch das kleinste Steinchen
nicht aufzuheben und einzufügen, wenn es nur irgendwie so aussehen kann,
als wäre es tragfühig. Auf diese Weise zwingt er deu Leser, das ganze Rechts¬
gebiet in alle,: Einzelheiten mit ihn: durchzudenken. Das größte Gewicht für
seine Beweisführung legt Peters auf ein Netz von „Identitäten", welches er über die


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[0264] Der Streit um die Schiffahrtsabgnl'eil deutschen Strömen lediglich für die Befcchrung derselben irgendwelche Abgaben zu erheben, beseitigen sollte. Jede Ausnahme von diesen: reichsgesetzlichen Grund¬ satze würde hiernach der Genehmigung durch ein besonderes Gesetz bedürfen, und zwar eines Reichsgesetzes, das im Bundesrat unter Wahrung der Vorschriften des Artikels 78 der Reichsverfassung zu beschließen ist. Nach diesen: Artikel 78 gelten Verfassungsänderungen als abgelehnt, wenn sie im Bundesrate vierzehn Stimmen gegen sich haben. Unter Wiederholung der Bülowschen Erklärung betonte der Eisenbähnminister v. Butte am 9. Februar des folgenden Jahres im Abgeordnetenhause, daß ein „Aufgeben dieses Grundgedankens bei den gesetzgebenden Faktoren des Reichs anzuregen, im Schoße der Königlichen Staats¬ regierung niemals erwogen worden" sei. Aber schon am 1. Dezember 1904 erkürte derselbe Minister im Namen des gesamten Staatsministeriums, daß die Regierung bereit sei, die geeigneten Schritte zu tuu, um die hinsichtlich der Abgabenerhcbuug bestehenden Ungleichheiten zwischen den Kanälen und kanalisierten Flüssen einerseits und den natürlichen Wasserstraßen anderseits zu beseitigen und die dieser Maßregel etwa entgegenstehenden Schwierigkeiten des öffentlichen Rechts aus dem Wege zu räumen. Die Aufklärung dieses plötzlichen Umschwungs Preußens in der Frage der Schiffahrtsabgaben brachte dann das Wasserstraßen¬ gesetz vom 1. April 1905, das die Eröffnung der bewilligten Kanalstrecken von der Einführung von Schiffahrtsabgaben abhängig macht (H 19). Damals galt es unter allen Umständen die bereits einige Jahre vorher verfahrene Kanalvorlage durchzu- bringen, und die preußische Regierung fand sich zu Zugeständnissen bereit, deren Tragweite von den hohen Kampfeswogen um jenes Gesetz vorerst über¬ deckt wurden. Diese veränderte politische Lage zwang die preußische Regierung, die in Frage kommenden Bestimmungen der Reichsverfassung, also den Artikel 64 Absatz 4, entweder dahin zu interpretieren, daß sie entgegen der früheren Bülowschen Erklärung doch Abgaben auf natürlichen Wasserstraßen zulasse, oder sie abzuändern und durch andere zu ersetze». Zuerst wählte man den ersteren Weg als den gang¬ barsten. Denn eine Verfassungsänderung würde die erste seit Bestehen des Reichs gewesen sein. Vor allein mußte Preußen deu Schein der Offensive streng wahren, und es war doch äußerst unsicher, ob die Verfassung dem Ansturm eifrigster Propaganda nicht widerstand. So entstand denn das Buch von M. Peters, Schiffahrtsabgaben. Erster Teil: Die Rechtslage 1900, eines vor¬ tragenden Rates im preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten. An der Arbeit ist vor allem der Stoffreichtum bemerkenswert. Der Verfasser arbeitet mit großem Material, zum Teil auch solchen:, das nicht jedermann zugänglich ist. Bein: eifrigen Aufbau seiner Lehren versäumt er auch das kleinste Steinchen nicht aufzuheben und einzufügen, wenn es nur irgendwie so aussehen kann, als wäre es tragfühig. Auf diese Weise zwingt er deu Leser, das ganze Rechts¬ gebiet in alle,: Einzelheiten mit ihn: durchzudenken. Das größte Gewicht für seine Beweisführung legt Peters auf ein Netz von „Identitäten", welches er über die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/264>, abgerufen am 24.07.2024.