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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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werden zu lassen. Wenn wir sehen, die Entwicklung bringt uns etwas, was
wir doch nicht hindern können, so sind wir weder klug noch weise, wenn wir
uns bemühen, es wenigstens solange als möglich aufzuhalten. Wie man stoßen
soll, was fallen will, so soll man ziehen, was kommen will, damit man Herr
darüber werde, ehe es Herr werde über uns. Der brave Cello hätte sich nicht
als Greis mit der griechischen Sprache zu plagen brauchen, wenn er in jüngeren
Jahren nicht nur eingesehen hätte, daß sein Wettern gegen den Einfluß des
Griechentums Rom doch nicht davor bewahren würde, sondern gleich angefangen
hätte, sich so damit vertraut zu machen, das; er den Feind auf seinem eigenen
Gebiete bekämpfen konnte, vielleicht hätte er dann von vornherein erkannt, daß
es überhaupt kein Feind war, und ganz etwas anderes bekämpft werden mußte.

Als man in Deutschland die Möglichkeit und Nützlichkeit der Eisenbahn
endlich eingesehen hatte, da legten die Regierungen ihrer Entwicklung Hindernisse
in den Weg, weil sie sie als Verbreiter liberaler und demokratischer Ansichten
fürchteten.

Wenn der Einzelne sich solange wie möglich vor der Erbschaftssteuer zu
bewahren sucht, so kam? man das aus seinem persönlichen, sich nach Geldeswert
zu berechnenden Interesse verstehen, wenn aber in weit reichenden Blättern
geschrieben wird, daß die Erbschaftssteuer unzweifelhaft über kurz oder lang
kommen werde, daß aber das deutsche Volk gut tue, sich noch lange dagegen
zu wehren, so ist das eine Verkennung der wahren Aufgaben des Knlturfreundes,
Einzelinteressen und Gemeinschaftsinteressen rechtzeitig zu vereinen. Je eher und
besser man das Kommende erkennt, um so leichter kann man die Ordnung schaffen,
bei der beide Interessen um wenigsten leiden.

Daß die Engländer mehr als bisher die Deutschen für die Verbreitung
von Esperanto wirken, muß manchem merkwürdig erscheinen. Hätten es doch gerade
die Engländer am wenigsten nötig, sich um ein internationales Verständigungs--
mittel zu kümmern, da ihre eigene Sprache schon eine Art Weltsprache ist. Die
gedankenlose Bemerkung: "Was brauchen wir eine künstliche Weltsprache, wir
haben ja die englische" hört man aber fast nur in Deutschland. Ferner sollte
man annehmen, daß in Deutschland, wo große Ideen leicht einen fruchtbaren
Boden gefunden haben, auch Esperanto um der Idee mulier mehr begeisterte
Anhänger fände. Aber unsere schnelle wirtschaftliche Entwicklung, der das ganze
Leben beherrschende Geldgeist haben die Freude an Ideen mit nicht sofort
münzbarem Inhalt erheblich zurückgedrängt, und so muß um" gerade bei uns
oft hören: "Wie kann sich nur ein vernünftiger und praktischer Mensch (Vernunft
Erwerbssinn) für Esperanto interessieren!" Die Engländer gelten doch aber
gewiß für praktische Menschen, ja, sie scheinen doch noch viel praktischer zu sein
als wir, denu den ungeheuren praktischen Wert von Esperanto auch für das
Geschäftsleben erkennen sie besser als die mehr ideologischen Deutschen. Sie
räsonieren nicht, sondern probieren, und über wissenschaftliche oder gar ästhetische
Bedenken setzen sie sich hinweg, wenn die Tatsachen des Lebens sprechen. In


werden zu lassen. Wenn wir sehen, die Entwicklung bringt uns etwas, was
wir doch nicht hindern können, so sind wir weder klug noch weise, wenn wir
uns bemühen, es wenigstens solange als möglich aufzuhalten. Wie man stoßen
soll, was fallen will, so soll man ziehen, was kommen will, damit man Herr
darüber werde, ehe es Herr werde über uns. Der brave Cello hätte sich nicht
als Greis mit der griechischen Sprache zu plagen brauchen, wenn er in jüngeren
Jahren nicht nur eingesehen hätte, daß sein Wettern gegen den Einfluß des
Griechentums Rom doch nicht davor bewahren würde, sondern gleich angefangen
hätte, sich so damit vertraut zu machen, das; er den Feind auf seinem eigenen
Gebiete bekämpfen konnte, vielleicht hätte er dann von vornherein erkannt, daß
es überhaupt kein Feind war, und ganz etwas anderes bekämpft werden mußte.

Als man in Deutschland die Möglichkeit und Nützlichkeit der Eisenbahn
endlich eingesehen hatte, da legten die Regierungen ihrer Entwicklung Hindernisse
in den Weg, weil sie sie als Verbreiter liberaler und demokratischer Ansichten
fürchteten.

Wenn der Einzelne sich solange wie möglich vor der Erbschaftssteuer zu
bewahren sucht, so kam? man das aus seinem persönlichen, sich nach Geldeswert
zu berechnenden Interesse verstehen, wenn aber in weit reichenden Blättern
geschrieben wird, daß die Erbschaftssteuer unzweifelhaft über kurz oder lang
kommen werde, daß aber das deutsche Volk gut tue, sich noch lange dagegen
zu wehren, so ist das eine Verkennung der wahren Aufgaben des Knlturfreundes,
Einzelinteressen und Gemeinschaftsinteressen rechtzeitig zu vereinen. Je eher und
besser man das Kommende erkennt, um so leichter kann man die Ordnung schaffen,
bei der beide Interessen um wenigsten leiden.

Daß die Engländer mehr als bisher die Deutschen für die Verbreitung
von Esperanto wirken, muß manchem merkwürdig erscheinen. Hätten es doch gerade
die Engländer am wenigsten nötig, sich um ein internationales Verständigungs--
mittel zu kümmern, da ihre eigene Sprache schon eine Art Weltsprache ist. Die
gedankenlose Bemerkung: „Was brauchen wir eine künstliche Weltsprache, wir
haben ja die englische" hört man aber fast nur in Deutschland. Ferner sollte
man annehmen, daß in Deutschland, wo große Ideen leicht einen fruchtbaren
Boden gefunden haben, auch Esperanto um der Idee mulier mehr begeisterte
Anhänger fände. Aber unsere schnelle wirtschaftliche Entwicklung, der das ganze
Leben beherrschende Geldgeist haben die Freude an Ideen mit nicht sofort
münzbarem Inhalt erheblich zurückgedrängt, und so muß um» gerade bei uns
oft hören: „Wie kann sich nur ein vernünftiger und praktischer Mensch (Vernunft
Erwerbssinn) für Esperanto interessieren!" Die Engländer gelten doch aber
gewiß für praktische Menschen, ja, sie scheinen doch noch viel praktischer zu sein
als wir, denu den ungeheuren praktischen Wert von Esperanto auch für das
Geschäftsleben erkennen sie besser als die mehr ideologischen Deutschen. Sie
räsonieren nicht, sondern probieren, und über wissenschaftliche oder gar ästhetische
Bedenken setzen sie sich hinweg, wenn die Tatsachen des Lebens sprechen. In


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/262>, abgerufen am 30.12.2024.